L 9 R 2292/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 912/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2292/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. April 2007 wird zurückgewiesen und die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Rechtsstreit S 17 RJ 135/05 durch gerichtlichen Vergleich erledigt ist.

Der 1959 geborene Kläger beantragte am 17.6.2003 die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Nach medizinischer Beweiserhebung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.7.2004 die Gewährung von Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung ab und führte aus, dem Kläger stehe auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu. Gleichzeitig bot die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 16.7.2004 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation an und bewilligte ihm mit Bescheid vom 24.8.2004 medizinische Leistungen zur Rehabilitation für die Dauer von voraussichtlich sechs Wochen in der Hardtwaldklinik I in Bad Z ... Nachdem der Hausarzt des Klägers Dr. B. unter dem 3.9.2004 Reiseunfähigkeit des Klägers bescheinigt hatte, wurde die Reha-Maßnahme nicht durchgeführt. Mit Widerspruchsbescheid vom 4.1.2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 16.7.2004 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 10.1.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart (S 17 RJ 135/05), mit der er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgte. Nach Einholung einer sachverständigen Zeugenaussagen bei Dr. B. und Beiziehung ärztlicher Unterlagen beauftragte das SG Prof. Dr. Täschner mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser führte in dem zusammen mit dem Assistenzarzt Heinz erstatteten Gutachten vom 25.6.2006 aus, beim Kläger liege eine somatoforme Störung mit leicht gedrückter Stimmungslage und ein ausgeprägtes Schmerzempfinden vor. Seitens seines Fachgebiets seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden täglich möglich. Durch eine kontinuierliche medikamentöse Therapie sowie Durchführung eines psychosomatisch-schmerztherapeutischen Heilverfahrens sei wahrscheinlich mittelfristig eine Verbesserung der Situation des Klägers zu erwarten.

In der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2006, an der sowohl der Kläger persönlich als auch sein Bevollmächtigter teilnahmen, wies das SG darauf hin, dass die Gutachter eine medizinische Reha-Maßnahme für erforderlich hielten, die sich im vorliegenden Fall empfehlen würde. Die Beteiligten schlossen ausweislich der Niederschrift vom 17.10.2006 auf Vorschlag des Gerichts folgenden Vergleich, der vorgespielt und genehmigt wurde: 1. Die Beklagte verpflichtet sich, innerhalb der nächsten sechs Wochen dem Kläger eine psychosomatische Reha-Maßnahme anzubieten und ihm hierzu drei Kliniken zur Auswahl mitzuteilen. 2. Der Kläger erklärt sich mit der Durchführung einer psychosomatischen Reha-Maßnahme einverstanden. Er verpflichtet sich, innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Angebots der Beklagten die Klinik mitzuteilen, in der er die entsprechende Reha durchführen möchte. 3. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers. 4. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit übereinstimmend für vollständig erledigt.

Mit Schreiben vom 17.10.2006, eingegangen beim SG am 19.10.2006, teilte der Kläger mit, er trete von seiner Zusage, an einer Reha teilzunehmen, zurück. Aus den Unterlagen des Arbeitsamtes Waiblingen ergebe sich eindeutig, dass seine Gesundheitsstörungen auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien. Mit einem weiteren Schreiben vom 4.11.2006, eingegangen beim SG am 7.11.2006, legte der Kläger "Widerspruch" gegen die Niederschrift ein. Zur Begründung trug er vor, es fehlten wichtige Details der mündlichen Verhandlung. Er werde zu keiner psychosomatischen Maßnahme fahren, da seine Erkrankung nicht auf eine psychosomatische Ursache, sondern auf den Arbeitsunfall vom 26.5.1999 zurückzuführen sei.

Mit Schreiben vom 7.12.2006, eingegangen beim SG am 8.12.2006, begehrte der Kläger die Fortführung des Verfahrens S 17 RJ 135/05. Dieses Verfahren erhielt das Aktenzeichen S 17 R 912/07. Der Kläger führte aus, die Niederschrift vom 17.10.2006 sei für ihn nicht in Kraft getreten. Die Beklagte habe ihre Zusage, ihm innerhalb von sechs Wochen einen Behandlungstermin mit drei Behandlungsorten anzugeben, nicht eingehalten. Die Niederschrift vom 17.10.2006 sei als ungültig zu erklären.

Die Beklagte teilte mit, auf Grund des Schreibens des Klägers vom 17.10.2006, mit dem er die Zusage zur Teilnahme an einer Reha zurückgenommen habe, seien dem Kläger keine Reha-Maßnahmen angeboten worden. Der Kläger habe einen erneuten Rentenantrag gestellt.

Mit Gerichtsbescheid vom 24.4.2007 stellte das SG fest, dass sich die Klage der S 17 R 135/05 durch den gerichtlichen Vergleich vom 17.10.2006 vollumfänglich erledigt hat. Zur Begründung führte es aus, Prozesshandlungen könnten nur unter engen Voraussetzungen, wie z. B. beim Vorliegen eines Restitutionsgrundes i. S. v. § 580 ZPO, widerrufen werden oder dann, wenn sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ein Festhalten an der Prozesshandlung verbiete. Derartige Widerrufsgründe habe der Kläger nicht vorgebracht und seien auch nicht ersichtlich. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 25.4.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 4.5.2007 Berufung eingelegt und vorgetragen, der Gerichtsbescheid weise erhebliche Defizite auf. Viele seiner gesundheitlichen Schädigungen seien nicht berücksichtigt. Einer psychosomatischen Reha habe er im Vergleich vom 17.10.2006 nicht zugestimmt. Er habe einer Heilbehandlung nach einer Untersuchung (Diskographie) zugestimmt. Er habe keine psychosomatische Erkrankung, weswegen eine psychosomatische Behandlung sinnlos sei. Er fordere, dass das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 17 R 135/05 wieder aufgenommen werde. Trotz des Vergleichs vom 17.10.2006 seien ihm von der Beklagten keine geeigneten Behandlungen angeboten worden. Er begehre die Zusammenlegung der Rechtsstreite S 6 U 1103/04 und S 17 R 135/05, da seine Erkrankungen auf die Unfallfolgen vom 26.5.1999 zurückzuführen seien. Er verlange die Zahlung einer Unfallrente von 2500,- EUR brutto oder eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und eine Berufsunfähigkeitsversicherung.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. April 2007 aufzuheben, das Verfahren S 17 R 135/05 fortzuführen, sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Januar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Juni 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung, eine Unfallrente von 2500.- EUR brutto und eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat sich im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.3.2008 bereit erklärt, das Schreiben des Klägers vom 17.10.2006, beim SG eingegangen am 19.10.2006, als Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X anzusehen und dementsprechend zu bescheiden.

Sie erwidert im Übrigen, der Rechtsstreit sei durch den Vergleich vom 17.10.2006 beendet worden. Professor Dr. Täschner sei im Gutachten vom Juni 2006 von einem vollschichtigen Leistungsvermögen des Klägers ausgegangen. Empfohlen worden sei eine psychosomatische Reha-Maßnahme, die vom Kläger aus medizinisch nicht nachvollziehbaren Gründen nicht angetreten worden sei.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fortsetzung des Verfahrens S 17 RJ 135/05, da dieses durch den Vergleich vom 17.10.2006 beendet worden ist.

Das SG hat die anzuwendenden Rechtsvorschriften sowie die Doppelnatur des gerichtlichen Vergleichs und die Voraussetzungen für einen Widerruf zutreffend dargelegt. Der Senat hat den Sachverhalt nochmals überprüft und ist dabei zum Ergebnis gelangt, dass der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden ist. Deshalb nimmt der Senat insoweit auf die Gründe des Gerichtsbescheids, die sich als zutreffend erweisen, in vollem Umfang Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist auszuführen, dass der Prozessvergleich nach den Vorschriften des Prozessrechts auch wirksam zu Stande gekommen ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 101 Rdnr. 9, 13). Der Kläger war im Termin vom 17.10.2006 zusammen mit seinem damaligen Bevollmächtigten anwesend und die Beklagte war durch eine Bevollmächtigte vertreten. Der Vergleich in Form der wechselseitigen Erklärungen der Beteiligten wurde mit Tonträger von der Richterin vorläufig aufgezeichnet, sodann vorgespielt und von den Beteiligten genehmigt. Die Verwendung von Tonaufnahmegeräten zur Protokollierung der wesentlichen Erklärungen der Beteiligten folgt aus § 122 SGG i.V.m. § 160a Zivilprozessordnung (ZPO). Das Protokoll ist auch gemäß § 160a Abs. 2 Satz 1 ZPO unverzüglich nach der Sitzung hergestellt und die Richtigkeit der Übertragung von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle geprüft und durch deren Unterschrift bestätigt worden ( § 163 Abs 1 Satz 2 ZPO).

Der Vergleich verliert seine das Verfahren beendende Wirkung nicht durch die Erklärung des Klägers vom 17.10.2006, eingegangen beim SG am 19.10.2006, er trete von seiner Zusage an einer Reha-Maßnahme teilzunehmen zurück (BSG SozR Nr. 6 zu § 101 SGG).

Entgegen der klägerischen Vorstellung ist die prozessbeendende Wirkung des Vergleichs auch nicht deswegen hinfällig, weil die Beklagte ihm nicht innerhalb von sechs Wochen drei Kliniken zur Auswahl angeboten hat. Denn dieses Angebot unterblieb - wie die Beklagte nachvollziehbar vorgetragen hat - nur deshalb, weil der Kläger sein Einverständnis zur Teilnahme an einer psychosomatischen Reha mit Schreiben vom 17.10.2006 zurückgezogen hat.

Der Prozessvergleich ist auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam. Wegen seiner Doppelnatur als Prozesshandlung und öffentlich-rechtlicher Vertrag entfaltet der Prozessvergleich auch keine Rechtswirksamkeit, wenn er als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig oder wirksam angefochten ist ( §§ 116 ff. BGB) oder der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde (Meyer-Ladewig aaO § 101 Rdnr. 13). Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass der Kläger - nach seinem Vortrag in Schreiben vom 4.11.2006 - einer Reha-Maßnahme ursprünglich nur zustimmen wollte, wenn zuvor seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen an der Wirbelsäule durch eine Diskographie oder Epiduroskopie ermittelt würden, denn dies wurde vom SG abgelehnt und der Vergleich wurde dennoch - ohne Vorbehalt - geschlossen.

Es sind für den Senat - ebenso wie für das SG - auf Grund des Vortrags des Klägers auch keine weiteren Umstände erkennbar, die nach materiellem Recht die Unwirksamkeit bzw. Anfechtbarkeit des Vergleichs vom 17.10.2006 begründen könnten.

Der Vergleich ist somit wirksam zu Stande kommen. Durch diesen Vergleich ist der Rechtsstreit S 17 RJ 135/05 insgesamt erledigt worden, wie das vom SG, der Beklagten und auch vom damaligen Bevollmächtigten des Klägers zutreffend gesehen worden ist.

Soweit der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragt hat, die Beklagte zu verurteilen, ihm - über die begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung hinaus - eine Unfallrente von 2.500.- EUR brutto und eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu gewähren, ist die Klage unzulässig. Gemäß § 99 Abs. 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. In dem Antrag, ihm eine Unfallrente und eine Berufsunfähigkeitsversicherung zugewähren, liegt eine Klageänderung, da diese Leistungen auf einem anderen Lebenssachverhalt beruhen als die ursprünglich begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung. Auch ist die Beklagte, die ein Träger der gesetzlichen Rentenversicherung ist, für die Entschädigung von Folgen von Arbeitsunfällen nicht zuständig. Letzteres gehört in den Zuständigkeitsbereich der Berufsgenossenschaften. Ebenso wenig kann die Beklagte die vom Kläger begehrte Berufsunfähigkeitsversicherung gewähren. Auch liegt insoweit keine Entscheidung der Beklagten in Form eines Verwaltungsaktes und eines nachfolgenden Widerspruchsbescheides vor. Die Beklagte hat in die Klageänderung nicht eingewilligt. Sie wird vom Senat aus den genannten Gründen auch nicht als sachdienlich angesehen. Die Klage musste daher als unzulässig abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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