L 9 R 4199/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 138/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4199/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. August 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung von Kindererziehungszeiten.

Die 1940 geborene Klägerin war nach Angaben der Beklagten vom 12.7.1966 bis 12.8.1979 in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden ihr auf ihren Antrag vom 2.11.1979 durch die damalige Landesversicherungsanstalt Württemberg mit Bescheid vom 17.4.1980 in Höhe von DM 16.982,50 erstattet.

Am 4.9.2006 beantragte die Klägerin die Anerkennung von Kindererziehungszeiten für ihren Sohn G. geb. 19.8.1969 und für ihre Tochter F. geb. 19.7.1973.

Mit Bescheid vom 20.9.2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung von Kindererziehungszeiten vom 1.9.1969 bis 31.8.1970 (G.) und vom 1.8.1973 bis 31.7.1974 (F.) ab, weil diese Zeiten auf Grund einer übereinstimmenden Erklärung dem anderen Elternteil zugeordnet worden seien. Die Zeiten vom 9.8.1979 bis 18.8.1979 (G.) und vom 9.8.1979 bis 28.7.1983 (F.) könnten nicht als Berücksichtungszeiten anerkannt werden, weil sie weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden seien. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2006 zurück.

Der am 26.10.1937 geborene Ehemann der Klägerin bezieht seit 1.11.2000 von der Beklagten eine Altersrente. Darin sind Kindererziehungszeiten für G. und F. vom 1.9.1969 bis 31.8.1970 und 1.8.1973 bis 31.7.1974 sowie Berücksichtungszeiten vom 19.8.1969 bis 8.8.1979 sowie 29.7.1973 bis 8.8.1979, die schon mit Bescheid vom 26.9.1996 bindend festgestellt worden waren, berücksichtigt.

Am 5.1.2007 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart, mit der sie die Gewährung von Altersrente bzw. die Anerkennung von Kindererziehungszeiten weiter verfolgte. Sie machte u.a. sinngemäß geltend, die Anerkennung der Kindererziehungszeiten habe bei ihrem Ehemann zu keiner Rentenerhöhung geführt.

Die Beklagte übersandte den Antrag des Ehemannes der Klägerin auf Feststellung von Zeiten der Kindererziehung, von diesem unterschrieben am 13.5.1996, und teilte mit, dass mit dem Antrag auch eine gemeinsame Erklärung der Eheleute über die Anrechnung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung zum Vater abgegeben worden sei. Des weiteren legte sie den Bescheid vom 26.9.1996 vor, mit dem die Anerkennung von Kindererziehungs- und Berücksichtungszeiten beim Ehemann der Klägerin erfolgt war.

Mit Urteil vom 13.8.2007 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, nachdem die Eltern vor dem Stichtag des 31.12.1996 eine übereinstimmende Erklärung abgegeben hätten, dass die Kindererziehungs- und Berücksichtungszeiten dem Vater zuzuordnen seien, habe die Klage keinen Erfolg haben können. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 21.8.2007 zugestellte Urteil, hat die Klägerin am 28.8.2007 Berufung zum Landessozialgerichts Baden-Württemberg eingelegt, mit der sie die Gewährung von Altersrente ab Vollendung des 60. Lebensjahres wegen Kindererziehungszeiten begehrt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. August 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. September 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2006 aufzuheben und ihr Altersrente ab Vollendung des 60. Lebensjahres auf Grund von Kindererziehungszeiten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Verfügung vom 24.10.2007 hat der Senat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen. Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung von Kindererziehungszeiten hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 24.10.2007 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Gegenstand des Verfahrens ist lediglich der Bescheid der Beklagten vom 20.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2006, mit dem die Beklagte die Anerkennung von Kindererziehungs- und Berücksichtungszeiten abgelehnt hat. Über die Gewährung von Altersrente ab Vollendung des 60. Lebensjahres (auf Grund von Kindererziehungszeiten) hat die Beklagte nicht entschieden, sodass eine solche Klage mangels Vorliegen eines entsprechenden Verwaltungsaktes schon unzulässig gewesen wäre.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VI sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind endet die Kindererziehungszeit gem. § 249 Abs. 1 SGB VI zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VI wird für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Erstes Buch) eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn 1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist, 2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und 3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist. Nach § 56 Abs. 2 SGB VI ist eine Erziehungszeit dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat. Haben mehrere Elternteil das Kind gemeinsam erzogen, wird die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet. Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist. Die Zuordnung kann auf einen Teil die Erziehungszeit beschränkt werden. Die übereinstimmende Erklärung der Eltern ist mit Wirkung für künftige Kalendermonate abzugeben. Die Zuordnung kann rückwirkend für bis zu zwei Kalendermonate vor Abgabe der Erklärung erfolgen, es sei denn, für einen Elternteil ist unter Berücksichtigung dieser Zeiten eine Leistung bindend festgestellt, ein Versorgungsausgleich oder ein Rentensplitting (letzteres i. d. F. vom 1.1.2008) durchgeführt. Für die Abgabe der Erklärung gilt § 16 des Ersten Buches über die Antragstellung entsprechend.

Abweichend hiervon hat § 249 Abs. 6 SGB VI i. d. F. vom 1.1.1996 bis 31.12.1997 geregelt, dass Eltern, die vor dem 1.1.1986 ihr Kind in dessen ersten Lebensjahr gemeinsam erzogen haben, bis zum 31.12.1996 übereinstimmend erklären können, dass der Vater das Kind überwiegend erzogen hat; die Kindererziehungszeit wird dann insgesamt dem Vater zugeordnet. Die Erklärung ist nicht zulässig, wenn für die Mutter unter Berücksichtigung dieser Zeiten eine Leistung bindend festgestellt oder eine rechtskräftige Entscheidung über einen Versorgungsausgleich durchgeführt worden ist. Für die Abgabe der Erklärung gilt § 16 des Ersten Buches über die Antragstellung entsprechend. Die Erklärung kann nicht widerrufen werden.

Vorliegend ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass die mit dem Antrag vom 13.5.1996 verbundene, in der Vergangenheit in Übereinstimmung mit der damaligen Rechtslage wirksam gemeinsam abgegebene Erklärung über die Zuordnung der Kindererziehungs- und Berücksichtungszeiten zum Ehemann der Klägerin weiter maßgebend ist. § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VI beschränkt sich nämlich weder ausdrücklich noch sinngemäß allein auf Zuordnungen, die gemäß der Sätze 4 bis 6 seines Abs. 2 nach dem Inkrafttreten der Norm am 1. Januar 1992 grundsätzlich zukunftsgerichtet durch Erklärung der gemeinsam erziehenden Eltern bewirkt wurden. Sonst würden auf Grund echter Rückwirkung auch bereits rechtsverbindlich abgegebene Erklärungen im Nachhinein wieder entwertet und auf diese Weise Eltern der spezifisch rentenrechtlichen Auswirkungen ihrer grundrechtlich geschützten Erziehungsentscheidung beraubt (BSG, Urt. vom 31.8.2000 - B 4 RA 28/00 R - und LSG für das Saarland, Urt. vom 29.1.2004 - L 1 RA 36/01 - in JURIS).

Die Klägerin und ihr Ehemann haben ihr Gestaltungsrecht auf der Grundlage früheren Rechts ausgeübt und am 13.5.1996 erklärt, dass die Kindererziehungs- und Berücksichtungszeiten dem Vater zugeordnet werden sollen. Diese Erklärung ist auch wirksam vorgenommen worden. Bei der übereinstimmenden Erklärung der Eltern handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des öffentlichen Rechts, die rechtsgestaltende Wirkung hat. Mit ihrem Zugang bei der Beklagten bzw. dem Eingang beim griechischen Versicherungsträger IKA (§ 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I) wurde die Erklärung am 13.5.1996 wirksam (Gürtner in Kassler Kommentar, Stand 1.9.2007, § 56 SGB VI Rdnr. 31, 33). Ein Widerruf ist gem. § 249 Abs. 6 Satz 4 SGB VI in der bis 31.12.1997 geltenden Fassung nicht möglich. Unschädlich ist, dass im Vordruck die Namen und Geburtsdaten der Kinder nicht angegeben sind. Denn im Hinblick darauf, dass die Beklagte im Bescheid vom 26.9.1996 Namen und Geburtsdaten der Kinder aufgeführt hat, ist anzunehmen, dass sich weitere Angaben auf den inzwischen ausgeschiedenen Aktenbestandteilen (Blatt 3 bis 23 der Beklagtenakten des Ehemannes) befanden.

Darüber hinaus war eine zeitliche Aufteilung der Kindererziehungszeiten in § 249 Abs. 6 Satz 1 SGB VI i. d. F. vom 1.1.1996 bis 31.12.1997 auch nicht möglich. Bei einer übereinstimmenden Erklärung der Eltern, dass der Vater das Kind überwiegend erzogen hat, war vielmehr die Kindererziehungszeit dem Vater insgesamt zuzuordnen. Ferner scheidet eine Feststellung von Kindererziehungs- und Berücksichtungszeiten bei der Klägerin auch deswegen aus, weil ihrem Ehemann ab 1.11.2000 bestandskräftig Altersrente unter Berücksichtigung der bei ihm anerkannten Kindererziehungs- und Berücksichtungszeiten gewährt wurde. Eine rückwirkende Änderung der Zuordnung von Kindererziehungszeiten ist jedoch ausgeschlossen, wenn für einen Elternteil unter Berücksichtigung dieser Zeiten eine Leistung bindend festgestellt wurde (Rechtsgedanke aus § 56 Abs. 2 Satz 6 SGB VI und § 249 Abs. 6 Satz 2 SGB VI in der vom 1.1.1996 bis 31.12.1997 geltenden Fassung).

Das sinngemäße Vorbringen der Klägerin, die Anerkennung der Kindererziehungszeiten habe bei der Altersrente ihres Ehemannes zu keiner Rentenerhöhung geführt, ist nicht zutreffend. Der Senat entnimmt den vorliegenden Akten des Ehemannes der Klägerin, dass dieser während der Kindererziehungszeiten in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stand und ein versicherungspflichtiges Entgelt in etwa in der Höhe des damaligen Durchschnittsverdienstes aller Versicherten erzielte, wie folgende Tabelle zeigt: Jahr Durchschnittsverdienst Verdienst des Ehemannes der Klägerin 1970 13.343.- DM 13.793.- DM 1971 14.931.- DM 16.151.- DM 1973 18.295.- DM 19.054.- DM 1974 20.381.- DM 20.078.- DM

Gemäß § 70 Abs. 2 SGB VI erhalten Kindererziehungszeiten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.

Nachdem die Höchstwerte an Entgeltpunkten in den Jahren 1970 bei 1,6188 EP, im Jahr 1971 bei 1,5270 EP, im Jahr 1973 bei 1,5086 EP und im Jahr 1974 bei 1,472 EP liegen, die der Ehemann der Klägerin durch seinen Verdienst nicht erreicht hat, haben sich die Kindererziehungszeiten bei der Rente des Ehemannes der Klägerin rentenerhöhend ausgewirkt, wenngleich der Senat nicht verkennt, dass eine Erhöhung der sonstigen Beitragszeiten um den Wert 0,0833 pro Monat wegen der Begrenzung des § 70 Abs.2 Satz 2 nicht erfolgen konnte. Die Begrenzung der Bewertung von zeitgleich zurückgelegten Kindererziehungszeiten auf Höchstwerte der jeweiligen Bemessungsgrenze ist aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verfassungsrechtlich nicht bedenklich (BSG Urteil vom 18.5.2006 SozR 4-2600 § 70 Nr 1 mwN). Die gegen das Urteil vom 18.5.2006 eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 29.8.2007 - 1 BvR 2477/06).

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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