L 7 AS 1812/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 4987/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1812/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. März 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten u.a. über die Verfassungsmäßigkeit einer Eingliederungsvereinbarung.

Die am 1955 geborene verheiratete Klägerin, eine gelernte Verkäuferin, bezieht - ebenso wie ihr Ehemann (geboren 1948) - seit 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); diesem war von der Agentur für Arbeit Karlsruhe bis 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe gewährt worden. Bis 30. September 2005 übte die Klägerin eine Nebentätigkeit (Pflege und Unterhaltung der Außenanlagen der Wohnanlage Pforzheimer Str. 16-18 in Karlsruhe) bei einer monatlichen Pauschalvergütung von 230,08 Euro aus. Mit Bescheid vom 10. September 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann als Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft Leistungen in der Zeit vom 1. Oktober 2007 bis 31. März 2008 (monatlicher Gesamtbetrag seinerzeit 1.130,00 Euro).

Am 9. Oktober 2007 traf die Beklagte mit der Klägerin eine zunächst bis 9. April 2008 gültige, mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehene Eingliederungsvereinbarung. Darin verpflichtete sich die Klägerin, einen Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches vorher mit dem persönlichen Ansprechpartner abzustimmen, alle Möglichkeiten zu nutzen, um den eigenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu bestreiten und an allen Maßnahmen zur Eingliederung mitzuwirken, insbesondere: "Stellensuche/Erstellung von Bewerbungsunterlagen, mindestens 10 Bewebungen pro Monat in den nächsten 3 Monaten, auch um befristete Stellen, Vorsprache bei mindestens 6 Zeitarbeitsfirmen pro Monat im Stadt- und Landkreis Karlsruhe, Nutzung des Internets zur Stellensuche, Nutzung der Gelben Seiten zur Stellensuche, Nutzung der aktuellen Presse/Stellenanzeiger und Belege der Eigenbemühungen durch BNN, Kurier etc.", sowie ferner zum unaufgeforderten Nachweis über die Eigenbemühungen und zur Vorlage der Nachweise. Im Rahmen ihrer Vorsprache am 9. Oktober 2007 hatte die Klägerin zunächst angegeben, sie verstehe nicht, weshalb sie sich um sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten bemühen solle, nachdem sie seit eh und je Hausfrau gewesen sei. Dennoch legte sie am 2. November 2007 eine Liste zu ihren Eigenbemühungen im Zeitraum vom 9. bis 29. Oktober 2007 sowie diverse Nachweise - insgesamt zehn Bewerbungen, allerdings sämtlich nicht bei Zeitarbeitsfirmen - vor. Auch in der Folgezeit kam es zu (entsprechend eingeschränkten) Bemühungen der Klägerin.

Bereits am 12. Oktober 2007 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben. Sie hat sich dagegen gewandt, dass sie in der Eingliederungsvereinbarung vom 9. Oktober 2007 zur Vorsprache bei mindestens sechs Zeitarbeitsfirmen verpflichtet worden sei; dies verstoße gegen die grundrechtlich geschützte freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12 des Grundgesetzes (GG)). Die in der Eingliederungsvereinbarung unter der Rechtsfolgenbelehrung enthaltenen Hinweise auf ihre Grundpflichten und die Folgen der Verletzung derselben stellten ferner eine strafrechtliche Nötigung (§ 240 des Strafgesetzbuchs (StGB)) dar. Außerdem sei das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und EU-Recht betroffen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten; sofern die Klägerin mit ihrer Klage die gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit der Eingliederungsvereinbarung anstrebe, bestünden bereits Zulässigkeitsbedenken, weil gegen einen rechtsbehelfsfähigen Sanktionsbescheid (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b SGB II) gerichtlicher Rechtsschutz über die Anfechtungsklage gesucht werden könne. Von einer Nötigung zum Vertragsabschluss könne zudem keine Rede sein; der Klägerin habe es freigestanden, die angebotene Eingliederungsvereinbarung abzulehnen. Für diesen Fall sehe das Gesetz die einseitige Verfügung der als Gegenstand der Eingliederungsvereinbarung vorgesehenen Punkte im Wege des Verwaltungsakts vor (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II). Auch die Klägerin unterliege dem Grundsatz des Forderns (§ 2 SGB II); sie habe sich in gleicher Weise - wie auch jeder Mann - um die eigene Eingliederung in das Erwerbsleben zu bemühen. Mit Urteil vom 18. März 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig, sofern sie als Anfechtungsklage gegen die Eingliederungsvereinbarung aufzufassen wäre, weil diese keinen Verwaltungsakt darstelle. Sofern die Klage als Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr.1 SGG) gemeint sei, sei diese zwar zulässig, da ihr nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegenstehe und ferner ein Feststellungsinteresse bestehe, weil der Klägerin nicht zumutbar sei, einen Sanktionsbescheid nach § 31 Abs. 1 SGB II abzuwarten und im Rahmen der Klage gegen diesen Bescheid inzident die Rechtmäßigkeit der Vereinbarung zur Prüfung zu stellen. Eine solche Klage sei jedoch unbegründet, weil ein Unwirksamkeitsgrund nicht vorliege, sich die verlangten Eigenbemühungen im zulässigen Rahmen hielten und ferner eine ausreichende Rechtsfolgenbelehrung erteilt worden sei. Als vorbeugende Unterlassungsklage, nämlich gerichtet darauf, der Beklagten den Erlass von Sanktionsbescheiden zu untersagen, könne die Klage nicht ausgelegt werden.

Gegen dieses ihr am 28. März 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 15. April 2008 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung der Klägerin. Mit Schreiben vom 23. Juni 2008 hat sie vorgebracht, sie klage auf Streichung des Passus im Eingliederungsvertrag "Vorsprache bei mindestens 6 Zeitarbeitsfirmen im Stadt- und Landkreis Karlsruhe". Ferner stelle der Hinweis in der Eingliederungsvereinbarung, dass eine Verletzung der Grundpflichten vorliege, wenn sie sich weigere, eine ihr angebotene Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II abzuschließen, einen Verstoß gegen Art. 2 GG (Eingriff in die Vertragsfreiheit) dar. Außerdem verstoße der Eingliederungsvertrag gegen § 240 StGB. Darüber hinaus verletze die Bestimmung des § 31 SGB II ihr Grundrecht aus Art. 12 GG.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 18. März 2008 aufzuheben und gemäß ihren oben dargestellten Angriffen zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Aus der Eingliederungsvereinbarung seien bislang im Übrigen keine Folgerungen gezogen worden.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände), die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten in der Sache verhandeln und entscheiden, da in der den Beteiligten jeweils rechtzeitig und formgerecht zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist unter Beachtung der Form- und Fristvorschriften des § 151 Abs. 1 SGG formgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsbeschränkungen des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG, und zwar sowohl in der bis 31. März 2008 geltenden Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1983) als auch in der ohne Übergangsregelung mit dem 1. April 2008 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444), nicht eingreifen; deshalb kann offenbleiben, welche der vorgenannten Fassungen des SGG hier - bei der erst am 15. April 2008 angefochtenen Entscheidung des SG vom 18. März 2008 - zur Anwendung kommt. Dennoch ist der Senat an einer Sachentscheidung gehindert, weil das im Berufungsverfahren klargestellte Klagebegehren unzulässig ist. Daher bedarf es keiner weiteren Erörterungen dazu, ob - wie von der Klägerin nunmehr sinngemäß vorgebracht - das SG Karlsruhe den Streitgegenstand im angefochtenen Urteil (vgl. § 123 SGG) in Ansehung ihres erstinstanzlich möglicherweise nicht hinreichend deutlich gemachten Begehrens vollständig erfasst hatte.

Hinsichtlich des von der Klägerin beanstandeten Hinweises in der Eingliederungsvereinbarung vom 9. Oktober 2007 ergibt sich die Unzulässigkeit der Klage bereits daraus, dass dieser Hinweis Bestandteil der beigefügten Rechtsfolgenbelehrung war. Eine Rechtsfolgenbelehrung stellt aber weder einen Verwaltungsakt (§ 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch) dar noch ist sie Gegenstand der Regelungen in einer Eingliederungsvereinbarung; vielmehr soll sie nach ihrer Warn- und Erziehungsfunktion (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 31 Rdnr. 64) über die (möglichen) rechtlichen Auswirkungen eines bestimmten Handelns aufklären. Eine Rechtsfolgenbelehrung ist mithin nicht isoliert angreifbar. Sie muss allerdings korrekt, richtig, vollständig und verständlich sein (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG) BSGE 53, 13, 15 = SozR 4100 § 119 Nr. 18); eine derartige Überprüfung kann jedoch erst, muss aber dann im Falle der Anfechtung eines - hier im Übrigen nicht ergangenen - Absenkungsbescheides nach § 31 SGB II erfolgen. Auf die von der Klägerin vorgebrachten Rügen hinsichtlich der Rechtsfolgenbelehrung kann sonach im vorliegenden Verfahren nicht weiter eingegangen werden. Dasselbe gilt im Ergebnis hinsichtlich des Bestrebens der Klägerin auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Bestimmung des § 31 SGB II. Ein Absenkungsbescheid der Beklagten nach der genannten Vorschrift ist - wie dargestellt - nicht erlassen worden; eine "Popularklage" im Sinne eines abstrakten Normenkontrollverfahrens sieht das SGG indessen nicht vor.

Das Verlangen der Klägerin auf "Streichung" des Passus in der Eingliederungsvereinbarung "Vorsprache bei mindestens 6 Zeitarbeitsfirmen im Stadt- und Landkreis Karlsruhe" ist ebenfalls unzulässig. Diese Rechtsverfolgung kann nur als Feststellungsklage aufgefasst werden, weil der Eingliederungsvereinbarung - ungeachtet ihrer rechtlichen Einordnung (vgl. hierzu Senatsurteil vom 19. Juli 2007 - L 7 AS 689/07 -, Bayer. LSG, Urteil vom 17. März 2006 - L 7 AS 118/05 - (beide juris) (reiner subordinationsrechtlicher Vertrag im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB X); Engelmann in von Wulffen u.a. SGB X, 6. Auflage, § 55 Rdnr. 11, Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 15 Rdnr. 10, Müller in Hauck/Noftz, SGB II, K § 15 Rdnr. 13a ("hinkender Austauschvertrag" gemäß § 55 SGB X); Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 15 Rdnr. 10 (normersetzende öffentlich-rechtliche Handlungsform "sui generis")) - jedenfalls keine Verwaltungsaktsqualität zukommt; dies hat das SG zu Recht ausgeführt. Als Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (vgl. hierzu nochmals Bayer. LSG, Urteil vom 17. März 2006 a.a.O.; Sächs. LSG, Beschluss vom 3. März 2008 - L 3 B 187/07 AS-ER- (juris)) ist die Klage indes gleichfalls unzulässig, weil die Eingliederungsvereinbarung vom 9. Oktober 2007 nur eine Geltungsdauer bis 9. April 2008 hatte und sich somit nach Ablauf dieser Frist erledigt hatte (so auch SG Leipzig, Urteil vom 19. Februar 2007 - S 19 AS 392/06 - (juris)). Sonach braucht nicht näher darauf eingegangen zu werden, in welchem Umfang und mit welcher Überprüfungstiefe eine derartige Klage einer Sachentscheidung zugänglich wäre; sie dürfte jedoch jedenfalls nach dem Subsidiaritätsprinzip unzulässig sein (werden), wenn bereits bzw. sobald eine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen einen Sanktionsbescheid erhoben ist.

Aufgrund der oben dargestellten Erledigung der Eingliederungsvereinbarung könnte die Umstellung des klägerischen Begehrens auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend des Rechtsgedankens des § 131 Abs. 1 Satz 2 SGG in Betracht kommen (vgl. hierzu BSG SozR 3-2500 § 207 Nr. 1; SG Leipzig, Urteil vom 19. Februar 2007 a.a.O.; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Auflage, § 55 Rdnr. 20b). Allerdings ist vorliegend ein berechtigtes Interesse der Klägerin im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG nicht zu erkennen. Einen Absenkungsbescheid im Sinne des § 31 SGB II hat die Beklagte nicht angekündigt; ein solcher Verwaltungsakt dürfte in Anbetracht der bereits verstrichenen Zeit ohnehin nicht mehr in Betracht kommen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 12 April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - info also 2006, 132; Rixen in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 31 Rdnrn. 58 f.; Berlit in LPK, a.a.O., § 31 Rdnr. 144). Sonstige Umstände, die ein berechtigtes Interesse begründen könnten, sind von der Klägerin nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich; eine neue Eingliederungsvereinbarung hat die Beklagte der Klägerin nach Aktenlage bislang nicht vorgelegt. Obwohl es mangels Zulässigkeit des Begehrens der Klägerin hierauf nicht mehr darauf ankommt, dürfte indessen ein Verlangen des Grundsicherungsträgers auf Vorsprache bei sechs Zeitarbeitsfirmen jedenfalls bei mehrjährigem ununterbrochenen Leistungsbezug nicht unzumutbar sein (vgl. hierzu Senatsurteil vom 19. Juli 2007 - L 7 AL 303/06 -; ferner BSG SozR 3-4300 § 144 Nr. 7).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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