Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 718/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 74/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei Klagen einer Krankenkasse gegen die Kassenärztliche Vereinigung auf Abrechnungsprüfung nach § 106a SGB V ist ein Vorverfahren nach § 78 Abs. 1 Nr. 3 SGG entbehrlich.
2. Die zur Abrechnung von Behandlungsfällen im Rahmen der "Schweinegrippe" bzw. Influenza A/H1N1 vom Bewertungsausschuss geschaffene GOP 88200 war nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Beschlüsse nur bei nachgewiesenen Infektionen (J09 G) abrechnungsfähig. Bei Fällen, denen lediglich eine Verdachtsdiagnose (J09 V) zugrunde lag oder bei denen eine Kodierung mit J09 überhaupt nicht erfolgt ist, war ein Ansatz der Ziffer nicht möglich.
2. Die zur Abrechnung von Behandlungsfällen im Rahmen der "Schweinegrippe" bzw. Influenza A/H1N1 vom Bewertungsausschuss geschaffene GOP 88200 war nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Beschlüsse nur bei nachgewiesenen Infektionen (J09 G) abrechnungsfähig. Bei Fällen, denen lediglich eine Verdachtsdiagnose (J09 V) zugrunde lag oder bei denen eine Kodierung mit J09 überhaupt nicht erfolgt ist, war ein Ansatz der Ziffer nicht möglich.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 22.11.2010 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 05.11.2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden und das in den Quartalen II/09 bis II/10 für Versicherte der Klägerin von den Vertragsärzten angeforderte Honorar gezielt auf die Erfüllung der Voraussetzung für die Kennzeichnung mit der GOP 88200 zu prüfen.
2. Die Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Prüfung der Abrechnungen von Vertragsärzten im Hinblick auf die Abrechnung der GOP 88200 auch bei Verdacht auf eine Infektion mit der Schweinegrippe in den Quartalen II/09 bis II/10.
Mit Schreiben vom 12.04.2010 bat die Klägerin die Beklagte um die Übersendung von berichtigten Formblättern für die Quartale II und III/09 sowie um gesonderte Rechnungslegung inkl. Detailangaben der abgerechneten Leistungen im Zusammenhang mit der neuen Grippe. Mit Schreiben vom 23.07.2010 antwortete die Beklagte, dass alle im Zusammenhang mit der neuen Influenza A/H1N1 erbrachten Leistungen im Einzelfallnachweis der Quartale II/ und III/09 entsprechend gekennzeichnet seien. In einer weiteren Stellungnahme vom 08.10.2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass aufgrund der klinischen Diagnose alle im Zusammenhang mit der Behandlung der Influenza A/H1N1 erbrachten ärztlichen Leistungen mit der Ziffer 88200 zu kennzeichnen und als Leistung des nicht vorhersehbaren Anstiegs des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfes gemäß Beschluss Teil E des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 02.09.2009 außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung berechnungsfähig seien. Dies habe sie mit Rundschreiben vom 04.12.2009 auch so an ihre Mitglieder kommuniziert. Es werde darauf hingewiesen, dass zu Beginn des Ausbruches der Schweineinfluenza noch keine ICD 10 Kodierung zur Verfügung gestanden habe. Vielmehr hätte zum damaligen Zeitpunkt nur auf die ICD 10 Kodierung der Vogelgrippe zurückgegriffen werden können. Mit Schreiben vom 05.11.2010 forderte die Klägerin die Beklagte zu einer Prüfung und Korrektur der Abrechnungsdaten ab dem Quartal II/09 auf. Lediglich ein Bruchteil der abgerechneten Leistungen im Zusammenhang mit der Influenza A/H1N1 seien auch mit der Diagnose J09 G gekennzeichnet worden. Eine Kodierung als Verdachtsfall (J09 V) reiche für eine Abrechnungsfähigkeit der GOP 88200 nicht aus. Mit Schreiben vom 22.11.2010 lehnte die Beklagte eine Überprüfung und Korrektur der Abrechnungsdaten ab. Sie halte an der Auffassung fest, dass auch Verdachtsfälle eine Vergütung außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung rechtmäßig sei.
Die Klägerin hat am 01.09.2011 eine Leistungsklage beziffert auf 232.432,64 EUR zzgl. Zinsen beim SG Frankfurt erhoben. Das SG Frankfurt hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 30.08.2011 an das erkennende Gericht verwiesen.
Die Klägerin trägt vor, dass nach dem eindeutigen Wortlaut der Durchführungsempfehlung des Bewertungsausschusses in seiner 186. Sitzung zum 01.05.2009 ausdrücklich festgelegt sei, dass die GOP 88200 nur bei nachgewiesener Infektion mit dem H1N1-Virus abgerechnet werden durfte. In den vorangehenden Absätzen seien die Regelungen für das Abrechnungsverhalten bei Verdachtsfällen geregelt. Danach sei der Schnelltest nicht über EBM abrechnungsfähig, könne aber analog 4668 GoÄ im Kostenerstattungsverfahren bei den Krankenkassen geltend gemacht werden. Dies gelte auch für die Durchführung der Labortestung. Es bestehe insofern keine Regelungslücke, die durch Auslegung in irgendeiner Form geschlossen werden müsse. Auch dem Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner 195. Sitzung zum 17.08.2009 sei wörtlich zu entnehmen, dass die GOP 88200 nur bei nachgewiesener H1N1-Infektion abrechnungsfähig sei. In diesem Beschluss sei allein die Finanzierung der Testverfahren geändert worden, indem zwei weitere GOPs zur extrabudgetären Finanzierung eingefügt worden seien (88740 und 88741). Einen entsprechenden Wortlaut enthalte schließlich auch die 2. Nachtragsvereinbarung zum HVV 2009 für die Zeit ab Juli 2009.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
den Bescheid der Beklagten vom 22.11.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom 05.11.2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden und das in den Quartalen II/09 – II/2010 für Versicherte der Klägerin von den Vertragsärzten angeforderte Honorar gezielt auf die Erfüllung der Voraussetzungen für die Kennzeichnung mit der GOP 88200 zu prüfen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit Rundschreiben vom 05.11.2008 klargestellt habe, dass auch Verdachtsfälle mit der GOP 88200 zu kennzeichnen gewesen seien und aufgrund dessen außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung berechnungsfähig gewesen seien. Aufgrund der in der Bevölkerung herrschenden Hysterie sie es zu einer starken Leistungsausweitung bei den Vertragsärzten gekommen. Dieser größere Leistungsbedarf bei den Versicherten dürfe nicht zu Lasten der Ärzte lediglich innerhalb des RLV vergütet werden. Es handele sich um einen nicht vorhersehbaren Anstieg des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs, sodass auch Verdachtsfälle extrabudgetär zu vergüten seien. Eine Unterscheidung von Verdachtsfällen und nachgewiesenen Infektionen sei hingegen nicht sachgerecht. Der PCR-Test stelle in Abgrenzung zum Influenza-Schnelltest auch gar kein geeignetes Kriterium dar, um eine nachgewiesene Infektion annehmen zu können. Der PCR-Test setze eine Verfügbarkeit des Testergebnisses binnen 48h nach Einsetzen der Symptome voraus, was praktisch nur selten möglich gewesen sei. Der Influenza-Schnelltest könne aufgrund seiner geringen Sensitivität schon gar keinen sicheren Nachweis der Infektion erbringen. Nicht zuletzt sei die Klage unzulässig, da das nach § 78 SGG notwendige Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei.
Das Gericht hat im Klageverfahren den GKV Spitzenverband (Beigeladene zu 1) und die KBV (Beigeladene zu 2) beigeladen. Die Beigeladene zu 1) teilt die Rechtsauffassung der Klägerin, die Beigeladene zu 2) die der Beklagten. Die Beigeladene zu 2) hat ergänzend vorgetragen, dass auch bei "klinischer Diagnose" einer Influenza A/H1N1 die GOP 88200 abrechnungsfähig gewesen sei.
Die Klägerin hat der Beklagten im Laufe des Klageverfahrens einen Datenträger überlassen, auf dem sich quartalsbezogene Listen befinden, die diejenigen Fälle ausweisen, in denen die Fallkennzeichnung der GOP 88200 vorgenommen wurde ohne eine entsprechende Kodierung der gesicherten Diagnose "Schweinegrippe" (J09 G).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Klägerin sowie die Prozessakten verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der Vertragsärzte und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Nach der zulässigen Klageänderung der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.12.2013 ist die zulässige Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Das Gericht erachtet die Umstellung der Leistungs- in eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf ausdrücklichen Hinweis darüber hinaus im Sinne der Prozessökonomie für sachdienlich.
Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht.
Bei dem Bescheid der Beklagten vom 25.11.2010 handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Die Beklagte hat zutreffend vorgetragen, dass – soweit sachlich-rechnerische Richtigstellungen in Frage stehen – die Entscheidungen der Kassenärztlichen Vereinigungen im Verhältnis zu Krankenkassen durch Verwaltungsakt ergehen. Dies bedeutet, dass die Krankenkasse gegen die Ablehnung der Durchführung sachlich-rechnerischer Berichtigungen im Wege der kombinierten Anfechtungs-/Verpflichtungsklage vorzugehen hat. In der Sache ist das Schreiben der Beklagten vom 25.11.2010 als Verwaltungsakt zu qualifizieren. Die KÄV hat die sachlich-rechnerische Richtigstellung der Abrechnung ihrer Mitglieder auf der Grundlage von § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V von Amts wegen zu prüfen. Dies schließt es nicht aus, dass auch eine Krankenkasse Prüfungen bei der KÄV beantragt. Hält die KÄV einen Berichtigungsantrag der Krankenkasse für gerechtfertigt oder führt sie von Amts wegen eine Honorarberichtigung gegenüber ihrem Mitglied durch, handelt sie in der Form eines Verwaltungsaktes. Die Berechtigung dazu ergibt sich aus § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V; die Wendung "stellt die sachliche und rechnerische Berechtigung der Abrechnungen der Vertragsärzte fest", impliziert in Übereinstimmung mit der jahrzehntelangen Rechtspraxis die Handlungsform des "Honorarberichtigungsbescheides". Dieselbe Handlungsform steht der KÄV zur Verfügung, wenn sie den Berichtigungsantrag einer Krankenkasse ganz oder teilweise ablehnt, weil sie die dem Antrag zugrunde liegende Auffassung zur Anwendung des EBM-Ä nicht teilt. Dass die KÄV trotz des prinzipiellen Gleichordnungsverhältnisses zu den Krankenkassen bei der Durchführung von sachlich-rechnerischen Abrechnungsberichtigungen einer antragstellenden Krankenkasse gegenüber durch Verwaltungsakt entscheidet, entspricht der langjährigen Rechtsprechung des BSG (zuletzt Urteil vom 19.10.2011 – B 6 KA 30/10 R).
Gegen diesen Verwaltungsakt war die Durchführung eines Vorverfahrens jedoch nach § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG entbehrlich, da mit der Klägerin ein Versicherungsträger klagt (vgl. hierzu näher BSG, Urteil vom 23.06.1994 – 4 RK 3/93). Dem steht entgegen der Auffassung der Beklagten die Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 19.10.2011 B 6 KA 30/10 R) nicht entgegen, da in dem dort streitgegenständlichen Sachverhalt faktisch ein Vorverfahren durchgeführt wurde und sich der Senat insoweit mit der Notwendigkeit eines Vorverfahrens gar nicht auseinandersetzen musste.
Schließlich hat die Klägerin auch ein Rechtschutzbedürfnis unabhängig von der Frage, ob die Beklagte unter dem Aspekt von Verjährungstatbeständen gegenüber ihren Mitgliedern überhaupt noch die Möglichkeit hat, eine Honorarrückforderung ggf. durchzusetzen (so auch SG Dresden, Urteil vom 27.11.2013 – S 11 KA 88/11; in diesem Sinne auch BSG, Urteil vom 10.05.1994 – 6 RKa 18/94). Für den auf der Grundlage von § 106a Abs. 4, Abs. 2 SGB V von der Klägerin geltend gemachten Anspruch fehlt es nicht am notwendigen Bescheidungsinteresse. Zwar sind sachlich-rechnerische Richtigstellungen gegenüber den Vertragsärzten, mit denen von ihnen Honorar zurückgefordert wird, zeitlichen Beschränkungen unterworfen. Für sachlich-rechnerische Richtigstellungen gilt ebenso wie für den Erlass von Prüfbescheiden in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren eine vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb derer die Richtigstellungsbescheide dem Vertragsarzt gegenüber bekannt gegeben sein müssen. Die Ausschlussfrist von vier Jahren beginnt nach der Bekanntgabe des Honorarbescheides. Für Quartale des Jahres 2009, in denen eine Bekanntgabe der Honorarbescheid noch im Laufe dieses Jahres erfolgt ist, dürfte damit im Jahr 2013 diese Frist abgelaufen sein. Nach Ablauf dieser Vier-Jahres-Frist ist eine Richtigstellung auf der Grundlage von § 106a Abs. 2 SGB V ausgeschlossen. Sie ist dann nur noch nach Maßgabe der Vertrauensausschlusstatbestände nach § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) möglich. In bestimmten Fällen kommt eine Hemmung der Frist in Betracht, etwa wenn die KÄV einen Antrag auf Richtigstellung abgelehnt hat. Dies setzt jedoch voraus, dass der Arzt Kenntnis vom Richtigstellungsverfahren hat (vgl. Clemens in juris-PK zu § 106 RdNr. 64 ff.). Ob gegenüber den Vertragsärzten in Ausnahme vom Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist noch rechtmäßige Honorarberichtigungsbescheide ergehen könnten, bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Im Falle der Ablehnung einer Abrechnungskorrektur hat die antragstellende Krankenkasse mit Blick auf evt. Haftungsansprüche aus § 106a Abs. 7 i.V.m. § 106 Abs. 4b SGB V auch dann ein Bescheidungsinteresse, wenn die Beklagte von einer Honorarrückforderung gegenüber den betroffenen Vertragsärzten absehen sollte, weil nach ihrer Prüfung eine Durchsetzung des Anspruchs gegenüber dem Vertragsarzt nicht möglich ist.
Die vom Richtigstellungsbegehren der Klägerin mitbetroffenen Vertragsärzte waren nicht notwendig beizuladen. Zwar stellen sich im Verhältnis zwischen Vertragsarzt und KÄV die gleichen Rechtsfragen wie im vorliegenden Verfahren. Ein Fall notwendig einheitlicher Entscheidung ist aber nicht gegeben. Rechtlich verbindliche Präjudizwirkungen der hier ergehenden Entscheidung für das Rechtsverhältnis zwischen der KÄV und den Ärzten bestehen im Falle sachlich-rechnerischer Richtigstellungen, wie sie im vorliegenden Fall in Frage stehen, nicht (BSG, Urteil vom 28.04.2004 – B 6 KA 19/03 R).
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 22.11.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts und auf Überprüfung des in den Quartalen II/09 bis I/10 von den Vertragsärzten für Versicherte der Klägerin angeforderte Honorar gezielt auf die Erfüllung der Voraussetzungen für die Kennzeichnung mit der GOP 88200 zu prüfen.
Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist § 106a SGB V. Die Beklagte ist aufgrund von § 106a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V, der durch Art. 1 Nr. 83 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I 2190, 2217) mit Wirkung zum 01.01.2004 (Art. 37 Abs. 1 GMG) eingefügt worden ist, gesetzlich berechtigt und verpflichtet, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte festzustellen und die Abrechnungen nötigenfalls richtigzustellen. Dieses Recht ergab sich bis dahin aus den bundesmantelvertraglichen Regelungen über sachlich-rechnerische Richtigstellungen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte [BMV-Ä] und § 34 Abs. 4 Satz 2 Ersatzkassenvertrag-Ärzte [EKV-Ä]). Gemäß § 106a Abs. 3 SGB V prüfen die Krankenkassen die Abrechnungen der Vertragsärzte insbesondere hinsichtlich
1. des Bestehens und des Umfangs ihrer Leistungspflicht,
2. der Plausibilität von Art und Umfang der für die Behandlung eines Versicherten abgerechneten Leistungen in Bezug auf die angegebene Diagnose, bei zahnärztlichen Leistungen in Bezug auf die angegebenen Befunde,
3. der Plausibilität der Zahl der vom Versicherten in Anspruch genommenen Vertragsärzte, unter Berücksichtigung ihrer Fachgruppenzugehörigkeit,
4. der vom Versicherten an den Arzt zu zahlenden Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 und der Beachtung des damit verbundenen Verfahrens nach § 43b Abs. 2.
Sie unterrichten die Kassenärztlichen Vereinigungen unverzüglich über die Durchführung der Prüfungen und deren Ergebnisse. Gemäß § 106a Abs. 4 SGB V können die Krankenkassen oder ihre Verbände, sofern dazu Veranlassung besteht, gezielte Prüfungen durch die Kassenärztliche Vereinigung nach § 106a Absatz 2 SGB V beantragen. Die Kassenärztliche Vereinigung kann, sofern dazu Veranlassung besteht, Prüfungen durch die Krankenkassen nach Absatz 3 beantragen. Bei festgestellter Unplausibilität nach § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 oder 3 SGB V kann die Krankenkasse oder ihr Verband eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V beantragen; dies gilt für die Kassenärztliche Vereinigung bei festgestellter Unplausibilität nach Absatz 2 entsprechend. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich vereinbaren Inhalt und Durchführung der Prüfungen nach Absätzen 2 bis 4. In den Vereinbarungen sind auch Maßnahmen für den Fall von Verstößen gegen Abrechnungsbestimmungen, einer Überschreitung der Zeitrahmen nach Absatz 2 Satz 3 sowie des Nichtbestehens einer Leistungspflicht der Krankenkassen, soweit dies dem Leistungserbringer bekannt sein musste, vorzusehen. Der Inhalt der Richtlinien nach Absatz 6 ist Bestandteil der Vereinbarungen (§ 106a Abs. 5 SGB V). Gemäß § 106a Abs. 6 SGB V vereinbaren die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen erstmalig bis zum 30.06.2004 Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Prüfungen nach den Absätzen 2 und 3; die Richtlinien enthalten insbesondere Vorgaben zu den Kriterien nach Absatz 2 Satz 2 und 3. Die Richtlinien sind dem Bundesministerium für Gesundheit vorzulegen. Es kann sie innerhalb von zwei Monaten beanstanden. Kommen die Richtlinien nicht zu Stande oder werden die Beanstandungen des Bundesministeriums für Gesundheit nicht innerhalb einer von ihm gesetzten Frist behoben, kann das Bundesministerium für Gesundheit die Richtlinien erlassen. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnungen der GOP 88200 vor. Soweit in § 106a Abs. 4 Satz 1 SGB V die Krankenkasse bei der KÄV gezielte Prüfungen beantragen kann, wenn "dazu Veranlassung" besteht, ergeben sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1525 S. 117 ff.) keine aufschlussreichen Motive. Bei verständiger Würdigung ist die Formulierung dahin zu verstehen, dass die Krankenkassen und KÄV gegenseitig nicht "ins Blaue hinein" Prüfanträge stellen (SG Dresden, Urteil vom 27.11.2013 – S 11 KA 88/11). Nähere Bestimmungen finden sich in der auf Landesebene getroffenen Verfahrensbestimmung der Vertragspartner. In der nach § 106a Abs. 5 SGB V hierzu von der Beklagten mit den Krankenkassen in Hessen abgeschlossenen Vereinbarung vom mit Wirkung zum 01.01.2006 zur Abrechnungsprüfung ist für den Antrag der Krankenkassen für Prüfungen im Aufgabenbereich der Beklagten in Teil C keine Antragsfrist geregelt. Die Vertragsparteien haben jedoch eine schnelle und zeitnahe Antragstellung vereinbart. Diesem Erfordernis hat die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 12.04.2010 und ihrem Antrag vom 05.11.2010 Rechnung getragen. Zudem ist geregelt, dass der Antrag auf die Durchführung einer anlassbezogener Prüfungen gerichtet sein muss und einige Angaben enthalten soll (Antragsteller, Abrechnungsquartal, Vertragsärztin/-arzt/Psychotherapeut/-in, Vertragsarztnummer, Prüfgegenstand und beantragte Prüfung). Die anspruchsbegründenden Unterlagen sind beizufügen. Die Klägerin hat mit ihrem Antrag eindeutig den Prüfgegenstand benannt. Da der Prüfungsumfang nahezu die gesamte Vertragsärzteschaft betrifft, war eine weitere Spezifizierung zunächst entbehrlich. Auf Nachfrage der Beklagten im Rahmen des Klageverfahrens hat die Klägerin jedoch sodann einen Datenträger mit sämtlichen relevanten Abrechnungsdaten übersandt und jedenfalls damit ihren Substantiierungspflichten genügt. In der Sache hat die Beklagte eine sachlich-rechnerische Richtigstellung zu Unrecht abgelehnt. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertrags(zahn)arztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots – abgerechnet worden sind (siehe schon BSG SozR 5557 Nr. 5451 Nr. 1, S.2). Festzustellen ist, ob die Abrechnungen mit den Abrechnungsvorgaben des Regelwerks, also mit den einheitlichen Bewertungsmaßstäben, den Honorarverteilungsverträgen sowie weiteren Abrechnungsbestimmungen übereinstimmen oder ob zu Unrecht Honorare angefordert wurden (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN - Entwurf eines GMG, BT-Drucks 15/1525 S 119 zu § 106a). Mithin geht es vor allem um die Auslegung und Anwendung der Gebührenordnungen. Während bislang das Richtigstellungsverfahren von Amts wegen oder auf Antrag einer Krankenkasse durchgeführt werden konnte, ist die Beklagte nach neuem Recht – unabhängig von einem weiterhin möglichen Antrag – zu einem Tätigwerden von Amts wegen verpflichtet. Bei Fehlern in der Abrechnung des Vertrags(zahn)arztes berichtigt die Beklagte dessen Honoraranforderung. Dies kann auch im Wege nachgehender Richtigstellung erfolgen (BSG, Urteil vom 05.11.2008 – B 6 KA 1/08 R; Urteil vom 19.10.2011 – B 6 KA 30/10 R).
Die Vergütung der GOP 88200 durch die Beklagte auch in Verdachtsfällen (J09 V) bzw. ohne J09-Kodierung überhaupt, war rechtswidrig. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer sowohl aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Rechtsgrundlagen, der Entstehungsgeschichte sowie auch aus Sinn und Zweck der Regelungen. Die GOP 88200 wurde durch den Bewertungsausschuss im Rahmen einer Durchführungsempfehlung zur Influenza A/H1N1 in seiner 186. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung) mit Wirkung zum 1. Mai 2009 geschaffen. Zu der GOP 88200 heißt es in der Durchführungsempfehlung wörtlich wie folgt: "Die bei nachgewiesener Infektion mit dem H1N1-Virus im Rahmen der Behandlung erforderlichen ärztlichen Leistungen sind vom abrechnenden Arzt nach Vorgabe der Kassenärztlichen Vereinigung auf dem Behandlungsausweis mit der Ziffer 88200 zu kennzeichnen." Diese Durchführungsempfehlung wurde mit Wirkung zum 17. August 2009 durch einen Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner 195. Sitzung am 13. August 2009 abgelöst. Dieser Beschluss enthält zur GOP 88200 eine weitgehend wortgleiche Vorgabe: "Bei nachgewiesener Infektion mit dem neuen Influenza A/H1N1-Virus (Schweineinfluenza) sind die im Rahmen der Behandlung erforderlichen ärztlichen Leistungen vom abrechnenden Arzt nach Vorgabe der Kassenärztlichen Vereinigung mit der Ziffer 88200 auf dem Behandlungsausweis zu kennzeichnen." Nach einer ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist für die Auslegung des EBM in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegende maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 01.08.1991 – 6 R KA 15/90). Für eine Auslegung ist nach Auffassung des Bundessozialgerichts nur dort Raum, wo eine Leistungsbeschreibung mehrdeutig ist. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht erfüllt. Denn aus der Verwendung des Wortes "nachgewiesen" ergibt sich eindeutig und ohne jeden Zweifel, dass die Kennzeichnung bei Verdachtsfällen gerade nicht erfolgen soll. Die von der Beklagten angeführte Rechtsauffassung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aus einem Rundschreiben vom 5. November 2009 vermag vor diesem Hintergrund schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sie mit dem eindeutigen Wortlaut der Regelung nicht vereinbar ist. Auch wenn es aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Regelung einerseits und der dargestellten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts andererseits nicht darauf an kommt, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass auch die Entstehungsgeschichte sowie der Sinn und Zweck der GOP 88200 bestätigen, dass sie nur bei einer nachgewiesenen Infektion zur Anwendung zu bringen ist. Sowohl die Durchführungsempfehlung aus der 186. Sitzung als auch der Beschluss aus der 195. Sitzung nehmen Bezug auf Beschlussteil E Ziffer 3 der Beschlüsse des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008. Dort ist geregelt, dass bei nicht vorhersehbaren Anstiegen des Behandlungsbedarfs aufgrund von Ausnahmeereignissen die ärztlichen Behandlungen, die aufgrund dieser Ereignisse erforderlich werden vom abrechnenden Arzt auf dem Behandlungsausweis gesondert zu kennzeichnen sind und nach den Sätzen der Eurogebührenordnung von den Krankenkassen im Sinne einer (nicht basiswirksamen) Einmalzahlung extrabudgetär vergütet werden. Eine solche Kennzeichnung sollte durch die Schaffung der GOP 88200 ermöglicht werden. Bei dieser GOP handelt es sich somit nicht um eine eigenständige ärztliche Leistung, sondern um eine Kennzeichnung für ärztliche Leistungen, die bei der Behandlung einer nachgewiesenen A/H1N1-Infektion entstanden sind. Die mit der GOP 88200 bezweckte Abgrenzung ist aber nur dann möglich, wenn die Kennzeichnung tatsächlich auch nur bei nachgewiesener A/H1N1-Infektion angebracht wird. Das Argument der Beklagten und der Beigeladenen zu 2), die durch die Schweinegrippe entstandene "Hysterie" habe es erforderlich gemacht, auch Verdachtsfälle mit der GOP 88200 zu kennzeichnen, kann vor diesem Hintergrund ersichtlich nicht überzeugen Die Klägerin und die Beigeladene zu 1) haben insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass die Diagnostik zum Nachweis des A/H1N1-Virus ohnehin extrabudgetär finanziert wurde. Dies erfolgt aufgrund der Durchführungsempfehlung aus der 186. Sitzung zunächst in Verfahren der Kostenerstattung und ab dem 17. August 2009 dann über die neugeschaffenen GOP 887 40 bzw. 887 41, für die im Beschluss aus der 195. Sitzung ausdrücklich festgeschrieben ist, dass eine extrabudgetäre Finanzierung erfolgt. Demgegenüber dient die GOP 88200 dazu, festzustellen, welche weitergehenden ärztlichen Behandlungen tatsächlich auf die Schweinegrippe zurückzuführen waren. Soweit somit ein Patient mit typischen Symptomen einer akuten Grippeerkrankung in einer Arztpraxis vorstellig wurde, war die Diagnostik zum Nachweis des A/H1N1-Virus extra budgetär, d.h. außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) von den Krankenkassen zu finanzieren. Eine extrabudgetäre Finanzierung der weiteren therapeutischen Maßnahmen war aber nur dann zu rechtfertigen, wenn auch tatsächlich eine Infektion mit der neuen lnfluenzaA/H1N1 vorlag. Bei anderen Krankheitserregern, ob Grippe-Influenza-Typ xy, sonstigen Viren oder Bakterien (in der Regel mit hoher Affinität zu den oberen/unteren Atemwegen) muss die ärztliche Behandlung (und auch die weiterführende Diagnostik) und deren Vergütung dagegen grundsätzlich im Rahmen der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung erfolgen.
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 2) kann auch eine "klinische Diagnose" einer A/H1N1 kein Kriterium für die Abrechnungsfähigkeit der GOP 88200 sein. Die Kammer folgt insoweit der Auffassung der Beigeladenen zu 1), die dargelegt hat, dass eine klinische Diagnostik einer A/H1N1-Infektion nicht möglich ist, da sich die Krankheitssymptome nicht hinreichend von denen einer "normalen" Grippe unterscheiden. Der Nachweis einer Infektion kann nur durch eine spezifische Testung erbracht werden. Dieses Umstandes war sich der Bewertungsausschuss auch bewusst, wie sein Beschluss aus der 195. Sitzung belegt. Auch in Kenntnis der praktischen Schwierigkeiten setzt der Beschluss für den Ansatz der GOP 88200 unverändert den tatsächlichen Nachweis einer Infektion, d.h. das Vorliegen eines positiven PCR-Tests, voraus. Die gegenläufige Auffassung hätte faktisch dazu geführt, dass die GOP 88200 bei jeglichem Patienten mit Grippesymptomen abrechnungsfähig gewesen wäre. Dies war ersichtlich weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck der Vorschrift vorgesehen.
Soweit es zutrifft – was das Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung nur an Einzelfällen nachvollziehen konnte –, dass die GOP 88200 von Vertragsärzten auch angesetzt wurde, ohne dass überhaupt eine Kodierung des Falles mit J09 erfolgt ist, ist nicht nur naheliegend, sondern höchst wahrscheinlich, dass der Ansatz der GOP 88200 zu Unrecht erfolgt ist. Auch dies wird die Beklagte bei der Bescheidung der Klägerin zu überprüfen haben.
Aus diesen Gründen musste die Klage Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO.
Das Gericht hat die Sprungrevision auf Antrag der Beteiligten nach § 161 SGG zugelassen.
2. Die Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Prüfung der Abrechnungen von Vertragsärzten im Hinblick auf die Abrechnung der GOP 88200 auch bei Verdacht auf eine Infektion mit der Schweinegrippe in den Quartalen II/09 bis II/10.
Mit Schreiben vom 12.04.2010 bat die Klägerin die Beklagte um die Übersendung von berichtigten Formblättern für die Quartale II und III/09 sowie um gesonderte Rechnungslegung inkl. Detailangaben der abgerechneten Leistungen im Zusammenhang mit der neuen Grippe. Mit Schreiben vom 23.07.2010 antwortete die Beklagte, dass alle im Zusammenhang mit der neuen Influenza A/H1N1 erbrachten Leistungen im Einzelfallnachweis der Quartale II/ und III/09 entsprechend gekennzeichnet seien. In einer weiteren Stellungnahme vom 08.10.2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass aufgrund der klinischen Diagnose alle im Zusammenhang mit der Behandlung der Influenza A/H1N1 erbrachten ärztlichen Leistungen mit der Ziffer 88200 zu kennzeichnen und als Leistung des nicht vorhersehbaren Anstiegs des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfes gemäß Beschluss Teil E des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 02.09.2009 außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung berechnungsfähig seien. Dies habe sie mit Rundschreiben vom 04.12.2009 auch so an ihre Mitglieder kommuniziert. Es werde darauf hingewiesen, dass zu Beginn des Ausbruches der Schweineinfluenza noch keine ICD 10 Kodierung zur Verfügung gestanden habe. Vielmehr hätte zum damaligen Zeitpunkt nur auf die ICD 10 Kodierung der Vogelgrippe zurückgegriffen werden können. Mit Schreiben vom 05.11.2010 forderte die Klägerin die Beklagte zu einer Prüfung und Korrektur der Abrechnungsdaten ab dem Quartal II/09 auf. Lediglich ein Bruchteil der abgerechneten Leistungen im Zusammenhang mit der Influenza A/H1N1 seien auch mit der Diagnose J09 G gekennzeichnet worden. Eine Kodierung als Verdachtsfall (J09 V) reiche für eine Abrechnungsfähigkeit der GOP 88200 nicht aus. Mit Schreiben vom 22.11.2010 lehnte die Beklagte eine Überprüfung und Korrektur der Abrechnungsdaten ab. Sie halte an der Auffassung fest, dass auch Verdachtsfälle eine Vergütung außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung rechtmäßig sei.
Die Klägerin hat am 01.09.2011 eine Leistungsklage beziffert auf 232.432,64 EUR zzgl. Zinsen beim SG Frankfurt erhoben. Das SG Frankfurt hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 30.08.2011 an das erkennende Gericht verwiesen.
Die Klägerin trägt vor, dass nach dem eindeutigen Wortlaut der Durchführungsempfehlung des Bewertungsausschusses in seiner 186. Sitzung zum 01.05.2009 ausdrücklich festgelegt sei, dass die GOP 88200 nur bei nachgewiesener Infektion mit dem H1N1-Virus abgerechnet werden durfte. In den vorangehenden Absätzen seien die Regelungen für das Abrechnungsverhalten bei Verdachtsfällen geregelt. Danach sei der Schnelltest nicht über EBM abrechnungsfähig, könne aber analog 4668 GoÄ im Kostenerstattungsverfahren bei den Krankenkassen geltend gemacht werden. Dies gelte auch für die Durchführung der Labortestung. Es bestehe insofern keine Regelungslücke, die durch Auslegung in irgendeiner Form geschlossen werden müsse. Auch dem Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner 195. Sitzung zum 17.08.2009 sei wörtlich zu entnehmen, dass die GOP 88200 nur bei nachgewiesener H1N1-Infektion abrechnungsfähig sei. In diesem Beschluss sei allein die Finanzierung der Testverfahren geändert worden, indem zwei weitere GOPs zur extrabudgetären Finanzierung eingefügt worden seien (88740 und 88741). Einen entsprechenden Wortlaut enthalte schließlich auch die 2. Nachtragsvereinbarung zum HVV 2009 für die Zeit ab Juli 2009.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
den Bescheid der Beklagten vom 22.11.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom 05.11.2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden und das in den Quartalen II/09 – II/2010 für Versicherte der Klägerin von den Vertragsärzten angeforderte Honorar gezielt auf die Erfüllung der Voraussetzungen für die Kennzeichnung mit der GOP 88200 zu prüfen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit Rundschreiben vom 05.11.2008 klargestellt habe, dass auch Verdachtsfälle mit der GOP 88200 zu kennzeichnen gewesen seien und aufgrund dessen außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung berechnungsfähig gewesen seien. Aufgrund der in der Bevölkerung herrschenden Hysterie sie es zu einer starken Leistungsausweitung bei den Vertragsärzten gekommen. Dieser größere Leistungsbedarf bei den Versicherten dürfe nicht zu Lasten der Ärzte lediglich innerhalb des RLV vergütet werden. Es handele sich um einen nicht vorhersehbaren Anstieg des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs, sodass auch Verdachtsfälle extrabudgetär zu vergüten seien. Eine Unterscheidung von Verdachtsfällen und nachgewiesenen Infektionen sei hingegen nicht sachgerecht. Der PCR-Test stelle in Abgrenzung zum Influenza-Schnelltest auch gar kein geeignetes Kriterium dar, um eine nachgewiesene Infektion annehmen zu können. Der PCR-Test setze eine Verfügbarkeit des Testergebnisses binnen 48h nach Einsetzen der Symptome voraus, was praktisch nur selten möglich gewesen sei. Der Influenza-Schnelltest könne aufgrund seiner geringen Sensitivität schon gar keinen sicheren Nachweis der Infektion erbringen. Nicht zuletzt sei die Klage unzulässig, da das nach § 78 SGG notwendige Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei.
Das Gericht hat im Klageverfahren den GKV Spitzenverband (Beigeladene zu 1) und die KBV (Beigeladene zu 2) beigeladen. Die Beigeladene zu 1) teilt die Rechtsauffassung der Klägerin, die Beigeladene zu 2) die der Beklagten. Die Beigeladene zu 2) hat ergänzend vorgetragen, dass auch bei "klinischer Diagnose" einer Influenza A/H1N1 die GOP 88200 abrechnungsfähig gewesen sei.
Die Klägerin hat der Beklagten im Laufe des Klageverfahrens einen Datenträger überlassen, auf dem sich quartalsbezogene Listen befinden, die diejenigen Fälle ausweisen, in denen die Fallkennzeichnung der GOP 88200 vorgenommen wurde ohne eine entsprechende Kodierung der gesicherten Diagnose "Schweinegrippe" (J09 G).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Klägerin sowie die Prozessakten verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der Vertragsärzte und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Nach der zulässigen Klageänderung der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.12.2013 ist die zulässige Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Das Gericht erachtet die Umstellung der Leistungs- in eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf ausdrücklichen Hinweis darüber hinaus im Sinne der Prozessökonomie für sachdienlich.
Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht.
Bei dem Bescheid der Beklagten vom 25.11.2010 handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Die Beklagte hat zutreffend vorgetragen, dass – soweit sachlich-rechnerische Richtigstellungen in Frage stehen – die Entscheidungen der Kassenärztlichen Vereinigungen im Verhältnis zu Krankenkassen durch Verwaltungsakt ergehen. Dies bedeutet, dass die Krankenkasse gegen die Ablehnung der Durchführung sachlich-rechnerischer Berichtigungen im Wege der kombinierten Anfechtungs-/Verpflichtungsklage vorzugehen hat. In der Sache ist das Schreiben der Beklagten vom 25.11.2010 als Verwaltungsakt zu qualifizieren. Die KÄV hat die sachlich-rechnerische Richtigstellung der Abrechnung ihrer Mitglieder auf der Grundlage von § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V von Amts wegen zu prüfen. Dies schließt es nicht aus, dass auch eine Krankenkasse Prüfungen bei der KÄV beantragt. Hält die KÄV einen Berichtigungsantrag der Krankenkasse für gerechtfertigt oder führt sie von Amts wegen eine Honorarberichtigung gegenüber ihrem Mitglied durch, handelt sie in der Form eines Verwaltungsaktes. Die Berechtigung dazu ergibt sich aus § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V; die Wendung "stellt die sachliche und rechnerische Berechtigung der Abrechnungen der Vertragsärzte fest", impliziert in Übereinstimmung mit der jahrzehntelangen Rechtspraxis die Handlungsform des "Honorarberichtigungsbescheides". Dieselbe Handlungsform steht der KÄV zur Verfügung, wenn sie den Berichtigungsantrag einer Krankenkasse ganz oder teilweise ablehnt, weil sie die dem Antrag zugrunde liegende Auffassung zur Anwendung des EBM-Ä nicht teilt. Dass die KÄV trotz des prinzipiellen Gleichordnungsverhältnisses zu den Krankenkassen bei der Durchführung von sachlich-rechnerischen Abrechnungsberichtigungen einer antragstellenden Krankenkasse gegenüber durch Verwaltungsakt entscheidet, entspricht der langjährigen Rechtsprechung des BSG (zuletzt Urteil vom 19.10.2011 – B 6 KA 30/10 R).
Gegen diesen Verwaltungsakt war die Durchführung eines Vorverfahrens jedoch nach § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG entbehrlich, da mit der Klägerin ein Versicherungsträger klagt (vgl. hierzu näher BSG, Urteil vom 23.06.1994 – 4 RK 3/93). Dem steht entgegen der Auffassung der Beklagten die Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 19.10.2011 B 6 KA 30/10 R) nicht entgegen, da in dem dort streitgegenständlichen Sachverhalt faktisch ein Vorverfahren durchgeführt wurde und sich der Senat insoweit mit der Notwendigkeit eines Vorverfahrens gar nicht auseinandersetzen musste.
Schließlich hat die Klägerin auch ein Rechtschutzbedürfnis unabhängig von der Frage, ob die Beklagte unter dem Aspekt von Verjährungstatbeständen gegenüber ihren Mitgliedern überhaupt noch die Möglichkeit hat, eine Honorarrückforderung ggf. durchzusetzen (so auch SG Dresden, Urteil vom 27.11.2013 – S 11 KA 88/11; in diesem Sinne auch BSG, Urteil vom 10.05.1994 – 6 RKa 18/94). Für den auf der Grundlage von § 106a Abs. 4, Abs. 2 SGB V von der Klägerin geltend gemachten Anspruch fehlt es nicht am notwendigen Bescheidungsinteresse. Zwar sind sachlich-rechnerische Richtigstellungen gegenüber den Vertragsärzten, mit denen von ihnen Honorar zurückgefordert wird, zeitlichen Beschränkungen unterworfen. Für sachlich-rechnerische Richtigstellungen gilt ebenso wie für den Erlass von Prüfbescheiden in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren eine vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb derer die Richtigstellungsbescheide dem Vertragsarzt gegenüber bekannt gegeben sein müssen. Die Ausschlussfrist von vier Jahren beginnt nach der Bekanntgabe des Honorarbescheides. Für Quartale des Jahres 2009, in denen eine Bekanntgabe der Honorarbescheid noch im Laufe dieses Jahres erfolgt ist, dürfte damit im Jahr 2013 diese Frist abgelaufen sein. Nach Ablauf dieser Vier-Jahres-Frist ist eine Richtigstellung auf der Grundlage von § 106a Abs. 2 SGB V ausgeschlossen. Sie ist dann nur noch nach Maßgabe der Vertrauensausschlusstatbestände nach § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) möglich. In bestimmten Fällen kommt eine Hemmung der Frist in Betracht, etwa wenn die KÄV einen Antrag auf Richtigstellung abgelehnt hat. Dies setzt jedoch voraus, dass der Arzt Kenntnis vom Richtigstellungsverfahren hat (vgl. Clemens in juris-PK zu § 106 RdNr. 64 ff.). Ob gegenüber den Vertragsärzten in Ausnahme vom Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist noch rechtmäßige Honorarberichtigungsbescheide ergehen könnten, bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Im Falle der Ablehnung einer Abrechnungskorrektur hat die antragstellende Krankenkasse mit Blick auf evt. Haftungsansprüche aus § 106a Abs. 7 i.V.m. § 106 Abs. 4b SGB V auch dann ein Bescheidungsinteresse, wenn die Beklagte von einer Honorarrückforderung gegenüber den betroffenen Vertragsärzten absehen sollte, weil nach ihrer Prüfung eine Durchsetzung des Anspruchs gegenüber dem Vertragsarzt nicht möglich ist.
Die vom Richtigstellungsbegehren der Klägerin mitbetroffenen Vertragsärzte waren nicht notwendig beizuladen. Zwar stellen sich im Verhältnis zwischen Vertragsarzt und KÄV die gleichen Rechtsfragen wie im vorliegenden Verfahren. Ein Fall notwendig einheitlicher Entscheidung ist aber nicht gegeben. Rechtlich verbindliche Präjudizwirkungen der hier ergehenden Entscheidung für das Rechtsverhältnis zwischen der KÄV und den Ärzten bestehen im Falle sachlich-rechnerischer Richtigstellungen, wie sie im vorliegenden Fall in Frage stehen, nicht (BSG, Urteil vom 28.04.2004 – B 6 KA 19/03 R).
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 22.11.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts und auf Überprüfung des in den Quartalen II/09 bis I/10 von den Vertragsärzten für Versicherte der Klägerin angeforderte Honorar gezielt auf die Erfüllung der Voraussetzungen für die Kennzeichnung mit der GOP 88200 zu prüfen.
Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist § 106a SGB V. Die Beklagte ist aufgrund von § 106a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V, der durch Art. 1 Nr. 83 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I 2190, 2217) mit Wirkung zum 01.01.2004 (Art. 37 Abs. 1 GMG) eingefügt worden ist, gesetzlich berechtigt und verpflichtet, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte festzustellen und die Abrechnungen nötigenfalls richtigzustellen. Dieses Recht ergab sich bis dahin aus den bundesmantelvertraglichen Regelungen über sachlich-rechnerische Richtigstellungen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte [BMV-Ä] und § 34 Abs. 4 Satz 2 Ersatzkassenvertrag-Ärzte [EKV-Ä]). Gemäß § 106a Abs. 3 SGB V prüfen die Krankenkassen die Abrechnungen der Vertragsärzte insbesondere hinsichtlich
1. des Bestehens und des Umfangs ihrer Leistungspflicht,
2. der Plausibilität von Art und Umfang der für die Behandlung eines Versicherten abgerechneten Leistungen in Bezug auf die angegebene Diagnose, bei zahnärztlichen Leistungen in Bezug auf die angegebenen Befunde,
3. der Plausibilität der Zahl der vom Versicherten in Anspruch genommenen Vertragsärzte, unter Berücksichtigung ihrer Fachgruppenzugehörigkeit,
4. der vom Versicherten an den Arzt zu zahlenden Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 und der Beachtung des damit verbundenen Verfahrens nach § 43b Abs. 2.
Sie unterrichten die Kassenärztlichen Vereinigungen unverzüglich über die Durchführung der Prüfungen und deren Ergebnisse. Gemäß § 106a Abs. 4 SGB V können die Krankenkassen oder ihre Verbände, sofern dazu Veranlassung besteht, gezielte Prüfungen durch die Kassenärztliche Vereinigung nach § 106a Absatz 2 SGB V beantragen. Die Kassenärztliche Vereinigung kann, sofern dazu Veranlassung besteht, Prüfungen durch die Krankenkassen nach Absatz 3 beantragen. Bei festgestellter Unplausibilität nach § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 oder 3 SGB V kann die Krankenkasse oder ihr Verband eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V beantragen; dies gilt für die Kassenärztliche Vereinigung bei festgestellter Unplausibilität nach Absatz 2 entsprechend. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich vereinbaren Inhalt und Durchführung der Prüfungen nach Absätzen 2 bis 4. In den Vereinbarungen sind auch Maßnahmen für den Fall von Verstößen gegen Abrechnungsbestimmungen, einer Überschreitung der Zeitrahmen nach Absatz 2 Satz 3 sowie des Nichtbestehens einer Leistungspflicht der Krankenkassen, soweit dies dem Leistungserbringer bekannt sein musste, vorzusehen. Der Inhalt der Richtlinien nach Absatz 6 ist Bestandteil der Vereinbarungen (§ 106a Abs. 5 SGB V). Gemäß § 106a Abs. 6 SGB V vereinbaren die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen erstmalig bis zum 30.06.2004 Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Prüfungen nach den Absätzen 2 und 3; die Richtlinien enthalten insbesondere Vorgaben zu den Kriterien nach Absatz 2 Satz 2 und 3. Die Richtlinien sind dem Bundesministerium für Gesundheit vorzulegen. Es kann sie innerhalb von zwei Monaten beanstanden. Kommen die Richtlinien nicht zu Stande oder werden die Beanstandungen des Bundesministeriums für Gesundheit nicht innerhalb einer von ihm gesetzten Frist behoben, kann das Bundesministerium für Gesundheit die Richtlinien erlassen. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnungen der GOP 88200 vor. Soweit in § 106a Abs. 4 Satz 1 SGB V die Krankenkasse bei der KÄV gezielte Prüfungen beantragen kann, wenn "dazu Veranlassung" besteht, ergeben sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1525 S. 117 ff.) keine aufschlussreichen Motive. Bei verständiger Würdigung ist die Formulierung dahin zu verstehen, dass die Krankenkassen und KÄV gegenseitig nicht "ins Blaue hinein" Prüfanträge stellen (SG Dresden, Urteil vom 27.11.2013 – S 11 KA 88/11). Nähere Bestimmungen finden sich in der auf Landesebene getroffenen Verfahrensbestimmung der Vertragspartner. In der nach § 106a Abs. 5 SGB V hierzu von der Beklagten mit den Krankenkassen in Hessen abgeschlossenen Vereinbarung vom mit Wirkung zum 01.01.2006 zur Abrechnungsprüfung ist für den Antrag der Krankenkassen für Prüfungen im Aufgabenbereich der Beklagten in Teil C keine Antragsfrist geregelt. Die Vertragsparteien haben jedoch eine schnelle und zeitnahe Antragstellung vereinbart. Diesem Erfordernis hat die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 12.04.2010 und ihrem Antrag vom 05.11.2010 Rechnung getragen. Zudem ist geregelt, dass der Antrag auf die Durchführung einer anlassbezogener Prüfungen gerichtet sein muss und einige Angaben enthalten soll (Antragsteller, Abrechnungsquartal, Vertragsärztin/-arzt/Psychotherapeut/-in, Vertragsarztnummer, Prüfgegenstand und beantragte Prüfung). Die anspruchsbegründenden Unterlagen sind beizufügen. Die Klägerin hat mit ihrem Antrag eindeutig den Prüfgegenstand benannt. Da der Prüfungsumfang nahezu die gesamte Vertragsärzteschaft betrifft, war eine weitere Spezifizierung zunächst entbehrlich. Auf Nachfrage der Beklagten im Rahmen des Klageverfahrens hat die Klägerin jedoch sodann einen Datenträger mit sämtlichen relevanten Abrechnungsdaten übersandt und jedenfalls damit ihren Substantiierungspflichten genügt. In der Sache hat die Beklagte eine sachlich-rechnerische Richtigstellung zu Unrecht abgelehnt. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertrags(zahn)arztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots – abgerechnet worden sind (siehe schon BSG SozR 5557 Nr. 5451 Nr. 1, S.2). Festzustellen ist, ob die Abrechnungen mit den Abrechnungsvorgaben des Regelwerks, also mit den einheitlichen Bewertungsmaßstäben, den Honorarverteilungsverträgen sowie weiteren Abrechnungsbestimmungen übereinstimmen oder ob zu Unrecht Honorare angefordert wurden (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN - Entwurf eines GMG, BT-Drucks 15/1525 S 119 zu § 106a). Mithin geht es vor allem um die Auslegung und Anwendung der Gebührenordnungen. Während bislang das Richtigstellungsverfahren von Amts wegen oder auf Antrag einer Krankenkasse durchgeführt werden konnte, ist die Beklagte nach neuem Recht – unabhängig von einem weiterhin möglichen Antrag – zu einem Tätigwerden von Amts wegen verpflichtet. Bei Fehlern in der Abrechnung des Vertrags(zahn)arztes berichtigt die Beklagte dessen Honoraranforderung. Dies kann auch im Wege nachgehender Richtigstellung erfolgen (BSG, Urteil vom 05.11.2008 – B 6 KA 1/08 R; Urteil vom 19.10.2011 – B 6 KA 30/10 R).
Die Vergütung der GOP 88200 durch die Beklagte auch in Verdachtsfällen (J09 V) bzw. ohne J09-Kodierung überhaupt, war rechtswidrig. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer sowohl aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Rechtsgrundlagen, der Entstehungsgeschichte sowie auch aus Sinn und Zweck der Regelungen. Die GOP 88200 wurde durch den Bewertungsausschuss im Rahmen einer Durchführungsempfehlung zur Influenza A/H1N1 in seiner 186. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung) mit Wirkung zum 1. Mai 2009 geschaffen. Zu der GOP 88200 heißt es in der Durchführungsempfehlung wörtlich wie folgt: "Die bei nachgewiesener Infektion mit dem H1N1-Virus im Rahmen der Behandlung erforderlichen ärztlichen Leistungen sind vom abrechnenden Arzt nach Vorgabe der Kassenärztlichen Vereinigung auf dem Behandlungsausweis mit der Ziffer 88200 zu kennzeichnen." Diese Durchführungsempfehlung wurde mit Wirkung zum 17. August 2009 durch einen Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner 195. Sitzung am 13. August 2009 abgelöst. Dieser Beschluss enthält zur GOP 88200 eine weitgehend wortgleiche Vorgabe: "Bei nachgewiesener Infektion mit dem neuen Influenza A/H1N1-Virus (Schweineinfluenza) sind die im Rahmen der Behandlung erforderlichen ärztlichen Leistungen vom abrechnenden Arzt nach Vorgabe der Kassenärztlichen Vereinigung mit der Ziffer 88200 auf dem Behandlungsausweis zu kennzeichnen." Nach einer ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist für die Auslegung des EBM in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegende maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 01.08.1991 – 6 R KA 15/90). Für eine Auslegung ist nach Auffassung des Bundessozialgerichts nur dort Raum, wo eine Leistungsbeschreibung mehrdeutig ist. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht erfüllt. Denn aus der Verwendung des Wortes "nachgewiesen" ergibt sich eindeutig und ohne jeden Zweifel, dass die Kennzeichnung bei Verdachtsfällen gerade nicht erfolgen soll. Die von der Beklagten angeführte Rechtsauffassung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aus einem Rundschreiben vom 5. November 2009 vermag vor diesem Hintergrund schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sie mit dem eindeutigen Wortlaut der Regelung nicht vereinbar ist. Auch wenn es aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Regelung einerseits und der dargestellten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts andererseits nicht darauf an kommt, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass auch die Entstehungsgeschichte sowie der Sinn und Zweck der GOP 88200 bestätigen, dass sie nur bei einer nachgewiesenen Infektion zur Anwendung zu bringen ist. Sowohl die Durchführungsempfehlung aus der 186. Sitzung als auch der Beschluss aus der 195. Sitzung nehmen Bezug auf Beschlussteil E Ziffer 3 der Beschlüsse des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008. Dort ist geregelt, dass bei nicht vorhersehbaren Anstiegen des Behandlungsbedarfs aufgrund von Ausnahmeereignissen die ärztlichen Behandlungen, die aufgrund dieser Ereignisse erforderlich werden vom abrechnenden Arzt auf dem Behandlungsausweis gesondert zu kennzeichnen sind und nach den Sätzen der Eurogebührenordnung von den Krankenkassen im Sinne einer (nicht basiswirksamen) Einmalzahlung extrabudgetär vergütet werden. Eine solche Kennzeichnung sollte durch die Schaffung der GOP 88200 ermöglicht werden. Bei dieser GOP handelt es sich somit nicht um eine eigenständige ärztliche Leistung, sondern um eine Kennzeichnung für ärztliche Leistungen, die bei der Behandlung einer nachgewiesenen A/H1N1-Infektion entstanden sind. Die mit der GOP 88200 bezweckte Abgrenzung ist aber nur dann möglich, wenn die Kennzeichnung tatsächlich auch nur bei nachgewiesener A/H1N1-Infektion angebracht wird. Das Argument der Beklagten und der Beigeladenen zu 2), die durch die Schweinegrippe entstandene "Hysterie" habe es erforderlich gemacht, auch Verdachtsfälle mit der GOP 88200 zu kennzeichnen, kann vor diesem Hintergrund ersichtlich nicht überzeugen Die Klägerin und die Beigeladene zu 1) haben insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass die Diagnostik zum Nachweis des A/H1N1-Virus ohnehin extrabudgetär finanziert wurde. Dies erfolgt aufgrund der Durchführungsempfehlung aus der 186. Sitzung zunächst in Verfahren der Kostenerstattung und ab dem 17. August 2009 dann über die neugeschaffenen GOP 887 40 bzw. 887 41, für die im Beschluss aus der 195. Sitzung ausdrücklich festgeschrieben ist, dass eine extrabudgetäre Finanzierung erfolgt. Demgegenüber dient die GOP 88200 dazu, festzustellen, welche weitergehenden ärztlichen Behandlungen tatsächlich auf die Schweinegrippe zurückzuführen waren. Soweit somit ein Patient mit typischen Symptomen einer akuten Grippeerkrankung in einer Arztpraxis vorstellig wurde, war die Diagnostik zum Nachweis des A/H1N1-Virus extra budgetär, d.h. außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) von den Krankenkassen zu finanzieren. Eine extrabudgetäre Finanzierung der weiteren therapeutischen Maßnahmen war aber nur dann zu rechtfertigen, wenn auch tatsächlich eine Infektion mit der neuen lnfluenzaA/H1N1 vorlag. Bei anderen Krankheitserregern, ob Grippe-Influenza-Typ xy, sonstigen Viren oder Bakterien (in der Regel mit hoher Affinität zu den oberen/unteren Atemwegen) muss die ärztliche Behandlung (und auch die weiterführende Diagnostik) und deren Vergütung dagegen grundsätzlich im Rahmen der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung erfolgen.
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 2) kann auch eine "klinische Diagnose" einer A/H1N1 kein Kriterium für die Abrechnungsfähigkeit der GOP 88200 sein. Die Kammer folgt insoweit der Auffassung der Beigeladenen zu 1), die dargelegt hat, dass eine klinische Diagnostik einer A/H1N1-Infektion nicht möglich ist, da sich die Krankheitssymptome nicht hinreichend von denen einer "normalen" Grippe unterscheiden. Der Nachweis einer Infektion kann nur durch eine spezifische Testung erbracht werden. Dieses Umstandes war sich der Bewertungsausschuss auch bewusst, wie sein Beschluss aus der 195. Sitzung belegt. Auch in Kenntnis der praktischen Schwierigkeiten setzt der Beschluss für den Ansatz der GOP 88200 unverändert den tatsächlichen Nachweis einer Infektion, d.h. das Vorliegen eines positiven PCR-Tests, voraus. Die gegenläufige Auffassung hätte faktisch dazu geführt, dass die GOP 88200 bei jeglichem Patienten mit Grippesymptomen abrechnungsfähig gewesen wäre. Dies war ersichtlich weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck der Vorschrift vorgesehen.
Soweit es zutrifft – was das Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung nur an Einzelfällen nachvollziehen konnte –, dass die GOP 88200 von Vertragsärzten auch angesetzt wurde, ohne dass überhaupt eine Kodierung des Falles mit J09 erfolgt ist, ist nicht nur naheliegend, sondern höchst wahrscheinlich, dass der Ansatz der GOP 88200 zu Unrecht erfolgt ist. Auch dies wird die Beklagte bei der Bescheidung der Klägerin zu überprüfen haben.
Aus diesen Gründen musste die Klage Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO.
Das Gericht hat die Sprungrevision auf Antrag der Beteiligten nach § 161 SGG zugelassen.
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