S 12 KA 85/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 85/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 47/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Nach der Ausgleichsregelung nach § 5 Abs. 4 HVV KV Hessen (hier: Quartal I/08) ist der Fallwert des aktuellen Quartals mit dem Fallwert des Referenzquartals im Vorjahr zu vergleichen und hat bei einer Fallwertminderung von mehr als 15% eine einzelfallbezogene Prüfung zu erfolgen. Soweit Leistungen im aktuellen Quartal nicht mehr oder weniger erbracht werden, ist der Fallwert im Referenzquartal entsprechend zu bereinigen. Es kann nicht auf den Leistungsrückgang einer einzelnen Leistung mit der Folge, dass bei deren Rückgang über 15% kein weitergehender Ausgleich erfolgt, abgestellt werden. Die KV hat vielmehr nachzuweisen, dass der Leistungsrückgang den gesamten Berichtigungsbetrag begründet. Hierfür ist im Einzelnen der Leistungsrückgang im Hinblick auf den Fallwert des Referenzquartals zu quantifizieren (vgl. bereits SG Marburg, Urt. v. 21.12.2011 - S 12 KA 258/10 - juris Rdnr. 26).
2. Die Kausalitäts- bzw. Ausschließlichkeitsklausel nach § 5 Abs. 4 d Satz 1 HVV KV Hessen, wonach ausgleichsfähige Fallwertminderungen oberhalb von 15% ausschließlich ihre Ursache in der Einführung des EBM 2005 haben müssen, ist rechtswidrig, da sie gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstößt (vgl. bereits SG Marburg, Urt. v. 21.12.2011 - S 12 KA 258/10 - juris Rdnr. 27 f.).
3. Ein Leistungsrückgang in bestimmten Bereichen aufgrund des Umstandes, dass in diesen Bereichen weniger Patienten die Praxis aufsuchen oder weniger Leistungen anfallen, ist zu berücksichtigen. Ein solcher Leistungsrückgang fällt allein in die Risikosphäre des Vertragsarztes.
1. Der Honorarrückforderungsbescheid der Beklagten vom 24.07.2012, abgeändert durch Bescheid vom 15.06.2013 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2016 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Berichtigung des Honorarbescheids für das Quartal I/08 und hierbei ausschließlich um eine Rückforderung des Auffüllbetrages in Höhe von noch 10.219,22 EUR brutto bzw. 9.812,64 EUR netto aufgrund der Regelung nach § 5 Abs. 4 des Honorarverteilungsvertrags.

Der Kläger ist als Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie seit dem 29.06.1999 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt, Landkreis A., zugelassen und hat die Tätigkeit zum 01.02.2000 aufgenommen. Er war im hier streitbefangenen Zeitraum in einer Einzelpraxis tätig. Seit dem Quartal IV/09 übt er seine vertragsärztliche Tätigkeit in einer Berufsausübungsgemeinschaft mit einem weiteren Nephrologen aus.

Die Beklagte setzte in dem Quartal I/08 das Honorar des Klägers fest, aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nahm sie eine Neubescheidung wie folgt vor:

Quartal I/08 (neu) I/08 (alt)
Honorarbescheid v. 27.05.2015 10.07.2008
Nettohonorar gesamt in EUR 48.741,79
Gesamthonorar 51.807,48
Bruttohonorar Primär- u. Ersatzkassen in EUR 51.501,49 49.943,29
Fallzahl Primär- u. Ersatzkassen 815 815
Honoraranforderung in EUR 76.633,94 76.633,94 Ausgleichsregelung
Fallzahl Referenz-Quartal 779 779
Aktueller Fallzahl 815 815
Referenz-Fallwert in EUR 48,2570 44,1975
Aktueller Fallwert in EUR 25,8485 26,2440
Differenzbetrag in EUR 22,4085 17,9535
Auffüllbetrag pro Fall in EUR 15,5324 13.1184
Auffüllbetrag gesamt in EUR 12.099,74 10.219,22
* Berechnung der Kammer

Der Honorarbescheid vom 10.07.2008 wurde mit Schreiben vom 25.08.2008 versandt.

Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 24.07.2012 eine Überprüfung der Ausgleichsregelung nach dem Honorarverteilungsvertrag für das streitbefangene Quartal I/08 unter Vorbehalt einer Neuberechnung des Honorars aufgrund der BSG-Rechtsprechung vor. Sie setzte einen Honorarrückforderungsbetrag in Höhe von 10.219,22 EUR (brutto) abzüglich Verwaltungskosten bzw. 9.912,64 EUR netto fest. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Honorarbescheid sei am 25.04.2008 an den Kläger versandt worden. Die Fallwertminderung betrage mehr als 15 % - nämlich 40,62 % - in Bezug auf die gewährten Zahlungen im Rahmen der Maßnahme nach § 5 Abs. 4 Honorarverteilungsvertrag, weshalb eine einzelfallbezogene Prüfung erforderlich sei. In folgenden Leistungsbereichen sei ein nicht unerheblicher Leistungsrückgang zu verzeichnen:
Leistungsbereich Anforderung I/06 Anforderung I/08 Rückgang
Diagnostik/Therapie Kardiologen 246.510 0 - 100 %
Diagnostik/Therapie Nephrologen 5.600 0 - 100 %
Infusion, Transfusion, Tuberkulintest 9.455 0,0 - 100 %
Kleine Chirurgie, Allgemeine therapeutische Leistungen 14.975 1.440,0 - 90,38 %
Summe 276.540 1.440

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 30.07.2012 Widerspruch ein. Er trug vor, die Beklage ziehe falsche Abrechnungsdaten heran und behaupte, er habe seine Praxisleistungen absichtlich zurückgefahren. Die Fallzahl sei aber höher gewesen. Ihm sei Mitte des Quartals I/06 die Genehmigung zur Abrechnung der Nr. 13550 EBM (Zusatzpauschale Kardiologie II) entzogen worden. Die Wundversorgung sei eine Spezialität der Praxis, die aber von einer von ihm nicht steuerbaren Überweisung abhänge.

Die Beklagte änderte mit Bescheid vom 15.06.2013 den Bescheid vom 23.04.2012 ab und reduzierte aufgrund der Neuberechnung des Honorars den Rückforderungsbetrag auf 10.219,22 EUR brutto bzw. 9.812,64 EUR netto. Sie ging nunmehr aufgrund der Daten im neuen Honorarbescheid von einer Fallwertminderung von 46,44 % aus.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.2016 den Widerspruch, den sie mit weiteren Widersprüchen des Klägers gegen die Honorarbescheide für die Quartale I bis IV/08 verbunden hatte, als unbegründet zurück. In den Bescheidgründen führte sie u. a. aus, die Fallwertminderung sei insb. dadurch bedingt, dass sich das Leistungsspektrum des Klägers verändert habe und zu einem Leistungsrückgang in den im Ausgangsbescheid bereits genannten Bereichen geführt habe. Da das Quartal I/08 mit dem Quartal I/06, in dem der neue EBM bereits eingeführt gewesen sei, verglichen werde, sei nicht ersichtlich, inwiefern der Leistungsrückgang auf Veränderungen infolge der Einführung des EBM 2008 beruhen könnte.

Gegen die Honorarrückforderung für das Quartal I/08 hat der Kläger am 04.03.2016 die Klage erhoben. Er trägt vor, der Leistungsrückgang in den Bereichen "Diagnostik/Therapie Nephrologen" und "Kleine Chirurgie, Allgemeine therapeutische Leistungen" sei nur sehr gering und nicht absichtlich herbeigeführt worden. Ursächlich sei, dass er die Nr. 13601 EBM für zehn transplantierte Patienten abgerechnet habe. Von den zehn Patienten seien zwei verzogen, zwei verstorben, einer umgezogen und fünf hätten zu einer anderen Einrichtung gewechselt. Im Quartal I/06 habe er einen Patienten mit einem diabetischen Fuß dreimal die Woche behandelt (Wundversorgung). Nach dessen Heilung sei die Leistung im Quartal I/08 nicht mehr angefallen. Auch weitere Leistungen der "Kleinen Chirurgie" seien nicht planbar. Der Leistungsrückgang im Bereich "Diagnostik/Therapie Kardiologen" habe an der Aberkennung der Abrechnungsgenehmigung gelegen. Hätte er die Genehmigung im Quartal I/06 nicht erhalten, wäre die Abrechnung insgesamt um 24.900 Punkte geringer gewesen. Der Fallwertabsturz ab dem Jahr 2006 sei ausschließlich auf die Einführung des EBM 2005 zurückzuführen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 24.07.2012, abgeändert durch Bescheid vom 15.06.2013 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und trägt ergänzend vor, zeige ein Vergleich der Fallwerte eine Fallwertminderung von mehr als 15 %, sei eine einzelfallbezogene Prüfung vorzunehmen. Es treffe nicht zu, dass bereits an dieser Stelle eine Korrektur des Fallwertes insoweit vorgenommen werden müsse, als dass ein bei der Praxis festgestellter Leistungsrückgang berechnet und der Fallwert um diesen zu bereinigen sei. Aufgrund des Leistungsrückgangs des Klägers sei eine Vergleichbarkeit mit dem Referenzquartal nicht mehr gegeben und erfülle der Kläger nicht die Voraussetzungen der Ausgleichsregelung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Honorarrückforderungsbescheid der Beklagten vom 24.07.2012, abgeändert durch Bescheid vom 15.06.2013 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2016 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben.

Die Beklagte hat eine sachlich-rechnerische Berichtigung der Ausgleichszahlung nach § 5 Abs. 4 Honorarverteilungsvertrag (HVV) zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Verbänden der Krankenkassen für das Jahr 2008 (Geltung ab 01.01.2008 mit Wirkung für die Quartale I bis IV/08, § 9 HVV), bekannt gemacht in info.doc Nr. 3a vom Juli 2008, vorgenommen, wofür sie auch zuständig war (so bereits SG Marburg, Urt. v. 04.12.2012 - S 12 KA 897/11 -, Berufung zurückgewiesen durch LSG Hessen, Beschl. v. 15.02.2016 - L 4 KA 53/12 -; SG Marburg, Gerichtsb. v. 31.03.2009 S 12 KA 303/08 verbunden mit S 12 KA 304/08 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris; SG Marburg, Urt. v. 10.02.2010 - S 12 KA 639/09 -, Berufung zurückgewiesen durch LSG Hessen, Urt. v. 13.07.2011 - L 4 KA 14/10 -, beide www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris).

§ 5 Abs. 4 HVV "Regelung zur Vermeidung von Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2008" lautet:
a) Zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2008 erfolgt nach Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß § 4 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten fallbezogenen Honoraranspruches (Fallwert in EUR) der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung in EUR in den Quartalen II/05 bis I/06 ausschließlich beschränkt auf Leistungen der Honorargruppe 2 mit Ausnahme der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen.
b) Zeigt der Fallwertvergleich einen Fallwertverlust von mehr als 5%, so erfolgt eine Auffüllung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5%. Die für eine Stützung bei Fallwertminderungen notwendigen Honoraranteile gehen zu Lasten der jeweiligen Honoraruntergruppe, der die Praxis im aktuellen Quartal zugeordnet ist, und sind gegebenenfalls durch weitergehende Quotierung der Punktwerte zu generieren. Sollte durch eine solche Quotierung der Fallwertverlust wieder auf einen Wert oberhalb von 5% steigen, führt dies zu keinem weitergehenden Ausgleich.
c) Ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5% erfolgt grundsätzlich auf der Basis vergleichbarer Praxisstrukturen und maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahres 2005 abgerechnet worden ist. Ein Ausgleich ist in diesem Sinne u. a. dann ausgeschlossen, wenn im aktuellen Quartal im Vergleich zum Basisquartal erkennbar ausgewählte Leistungsbereiche nicht mehr erbracht wurden oder sich das Leistungsspektrum der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung, verändert hat. Er ist des Weiteren ausgeschlossen, wenn sich die Kooperationsform der Praxis im Vergleich zum entsprechenden Basisquartal geändert hat.
d) Beträgt der Fallwertverlust mehr als 15%, wird geprüft, ob dieser Verlust ausschließlich auf die Einführung des EBM 2008 zurückzuführen ist. Sofern die Prüfung ergibt, dass dies nicht der Fall ist, wird ggf. eine Honorarberichtigung durchgeführt. Diese Regelung steht unter dem Vorbehalt, dass auf Basis der Zahlungen der Verbände der Krankenkassen eine dem Basisquartal vergleichbare budgetierte Gesamtvergütung zur Verfügung steht.
e) Diese Regelung gilt nicht für ermächtigte Ärzte und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen

Diese Regelung führt die in den Quartalen II bis IV/07 geltende Regelung unverändert fort, die wiederum, abgesehen von sprachlichen Umformulierungen, weitgehend unverändert an die ab dem Quartal II/05 bis I/07 geltende Regelung nach Ziff. 7.5 HVV anknüpft. In den Quartalen II/05 bis I/06 galten jedoch als Referenzquartale die Vorjahresquartale II/04 bis I/06. In der Folgezeit wurde auf die Referenzquartale II/05 bis I/06 zurückgegriffen. So galten in den Quartalen II bis IV/06 als Referenzquartale die Quartale II bis IV/05. In den Quartalen II bis IV/07 fand der Vergleich mit dem entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2005 stattfand.

§ 5 Abs. 4 HVV ist, wie bereits zu Ziffer 7.5 HVV entschieden, grundsätzlich rechtmäßig, soweit er im Sinne einer Härtefallregelung zur Begünstigung eines Vertragsarztes führt (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 04.11.2009 - L 4 KA 99/08 -; LSG Hessen, Urt. v. 11.02.2009 L 4 KA 82/07 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris; s. a. BSG, Urt. v. 08.12.2010 B 6 KA 42/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 61 = USK 2010-174, 17 juris Rdnr. 17). Lediglich soweit die sog. Ausgleichsregelung bei Überschreiten des Fallwerts des Vorjahresquartals von mehr als 5 % u. U. zu einer Honorarkürzung führt, ist die Regelung zu beanstanden (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 29.04.2009 - L 4 KA 80/08 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision zurückgewiesen durch BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 16/09 R - juris; LSG Hessen, Urt. v. 24.06.2009 - L 4 KA 110/08 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision zurückgewiesen durch BSG, Urt. v. 18.08.2010 durch BSG - B 6 KA 26/09 R -; LSG Hessen, Urt. v. 24.06.2009 - L 4 KA 85 u. 86/08 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Revision zurückgewiesen durch BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 27/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 58 = USK 2010-95 = GesR 2011, 304 = Breith 2011, 415 bzw. B 6 KA 28/09 R).

Danach war die Beklagte grundsätzlich berechtigt, § 5 Abs. 4 HVV im Sinne einer begünstigenden Regelung anzuwenden. Die Beklagte hat aber, was gerichtsbekannt ist, nicht nur im Falle des Klägers bei Erlass des Honorarbescheids Ziff. 7.5 HVV lediglich schematisch angewandt, ohne in die von Ziff. 7.5 HVV gebotene Einzelfallprüfung bei Überschreiten der 15 %-Grenze einzutreten. Nach § 5 Abs. 4 Buchst. d Satz 1 und 2 HVV ist, wenn die Fallwertminderung mehr als 15%, beträgt, eine auf die einzelne Praxis bezogene Prüfung im Hinblick auf vorstehend aufgeführte Kriterien durchzuführen, bevor eine Ausgleichszahlung erfolgt. Dabei müssen ausgleichsfähige Fallwertminderungen oberhalb von 15% ausschließlich ihre Ursache in der Einführung des EBM 2005 haben. Als maßgebliche Kriterien nennt § 5 Abs. 4 Buchst. c HVV vergleichbare Praxisstrukturen; ausgeschlossen ist ein Ausgleich bei Nichterbringung (ausgewählter) Leistungsbereiche oder Veränderung des Leistungsspektrums der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis sowie der Kooperationsform der Praxis.

Die Kammer hält diese Regelung, soweit bisher die Regelung nach Ziff. 7.5 HVV als zulässig angesehen wurde, ebf. für zulässig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen tragen dafür Sorge, dass nur EBM-bedingte, nicht aber solche Honorarverluste, für die der Vertragsarzt die Verantwortung selbst zu tragen hat, ausgeglichen werden. Der aktuelle Fallwert und der Fallwert des Vorjahresquartals müssen miteinander vergleichbar sein. Bei verändertem Leistungsspektrum der Praxis ist dies nicht mehr der Fall. Ebenso können veränderte Kooperationsformen eine Vergleichbarkeit ausschließen. Gleiches gilt für eine veränderte Berechnung des Honorars durch Einschließung oder Ausschließung von Vergütungsanteilen, insbesondere sog. extrabudgetären Leistungen, im Vergleich zum Vorjahresquartal. Im Gegensatz zu der von den Sozialgerichten beanstandeten Honorarkürzungen nach Ziff. 7.5.1 Satz 3 HVV wird nicht das regulär nach dem HVV zustehende Honorar gekürzt, sondern erfolgt lediglich eine genauere Ursachenforschung und Berechnung der den Vertragsarzt begünstigenden Ausgleichsregelung. Die Regelung zur Beschränkung der Ausgleichsregelung ist damit selbst unmittelbarer Teil der Ausgleichsregelung im Sinne einer Härteregelung. Ihr Inhalt ist aus den genannten Gründen nicht zu beanstanden und ist vom Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien des HVV gedeckt.

Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen einer Berichtigung nicht entgegen. Die Beklagte hat die Vertragsärzte ab Geltung der Regelung nach Ziff. 7.5 HVV ausdrücklich auf die nachträgliche Überprüfung hingewiesen. In den Quartalen II/05 bis II/06 hat sie in Begleitschreiben zu den Honorarbescheiden jeweils darauf hingewiesen, dass sie die Überprüfung aufgrund der 15 %*Regelung erst nachträglich vornehmen werde. Ab dem Quartal III/06 hat sie an den mit "Nachweis zur Ausgleichsregelung gemäß Ziffer 7.5 des Honorarverteilungsvertrages" überschriebenen Teil des Honorarbescheids einen entsprechenden Hinweis angefügt: "Honorarzahlungen aus der sog. ‘Ausgleichsregelung’ stehen ausschließlich bei den Praxen bzw. MVZ unter einem Vorbehalt, bei denen (vor Durchführung der sog. ‘Ausgleichsregelung’) die Fallwertminderung mehr als 15 % beträgt." (vgl. LSG Hessen, Beschl. v. 15.02.2016 - L 4 KA 53/12 - Umdruck S. 11; LSG Hessen, Urt. v. 13.07.2011 - L 4 KA 14/10 - juris Rdnr. 28).

Soweit die Kammer die Auffassung vertreten hat, bei Referenzquartalen unter Geltung des EBM 2005 könne eine Honorarminderung nicht EBM-bedingt sein (vgl. SG Marburg, Gerichtsb. v. 24.10.2013 - S 12 KA 131/12 -), hält sie an dieser Auffassung nicht mehr fest. Die Ausgleichsregelung wäre bei Zugrundelegung dieser Auffassung widersprüchlich, da dann ab dem Quartal II/06 keinerlei Ausgleich mehr im Hinblick auf die EBM-Neuregelung zu gewähren wäre. Ziel der Ausgleichsregelung war es aber, durch den Auffüllbetrag EBM-bedingte Honorarverluste abzufedern. Bei gleichbleibender Leistungserbringung in allen Quartalen würde eine Auffüllung auf 95 % - was allerdings nur im Quartal II/05, in den übrigen Quartalen jedenfalls nicht für alle Fachgruppen durchgehend geschah - im darauffolgenden Jahresquartal (z. B. Quartal II/06) zu einer geringeren Honorierung, nämlich nur zu 90,25 % des Honorars vor Einführung des EBM 2005 führen, im nächsten Jahr (z. B. Quartal II/07) nur noch zu 85,74 %, darauf (z. B. Quartal II/08) nur noch zu 81,45 %. Indem der Auffüllbetrag im Referenzquartal in dessen Vergleichsfallwert einfließt, ist eine evtl. EBM-bedingte Honorarminderung auch für die Folgequartale II/06 bis IV/08 von Bedeutung.

Die Beklagte geht aber von einer unzureichenden und fehlerhaften Sachverhaltsermittlung aus, wenn sie allein von prozentualen Leistungsrückgängen einzelner Leistungen oder Leistungsbereiche ausgeht. Der Leistungsrückgang muss nicht nur dem Grunde nach festgestellt werden, sondern ist im Einzelnen zu quantifizieren. Dies hat die Kammer bereits entschieden. Soweit Leistungen im aktuellen Quartal nicht mehr erbracht werden, ist der Fallwert im Referenzquartal entsprechend zu bereinigen. Es kann nicht auf den Leistungsrückgang einer einzelnen Leistung mit der Folge, dass bei deren Rückgang über 15 % kein weitergehender Ausgleich erfolgt, abgestellt werden (vgl. SG Marburg, Urt. v. 21.12.2011 - S 12 KA 258/10 - juris Rdnr. 26, die Berufung wurde nach vergleichsweiser Einigung zurückgenommen). So geht auch das LSG Hessen davon aus, dass eine Verlagerung der Vergütung in den extrabudgetären Bereich anteilig zurückzufordern ist, wovon auch offensichtlich die Beklagte seinerzeit ausging (vgl. LSG Hessen, Beschl. v. 15.02.2016 - L 4 KA 53/12 - Umdruck S. 13). Die Kammer hat ferner entschieden, dass die Kausalitätsklausel nach Ziff. 7.5.2 Satz 5 HVV KV Hessen, wonach ausgleichsfähige Fallwertminderungen oberhalb von 15% vollständig ihre Ursache in der Einführung des EBM 2005 haben müssen, rechtswidrig ist, da sie gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstößt. Im Einzelnen hat die Kammer, woran sie nach neuerlicher Prüfung festhält und was auch für § 5 Abs. 4 Buchst. d HVV gilt, ausgeführt (vgl. SG Marburg, Urt. v. 21.12.2011 - S 12 KA 258/10 - juris Rdnr. 27 f.):

"Im Übrigen ist die Kausalitätsklausel nach Ziff. 7.5.2 Satz 5 HVV rechtswidrig, da sie gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstößt. Der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit ist - im Sinne einer unzulässigen Gleichbehandlung - verletzt, wenn vom Prinzip der gleichmäßigen Vergütung abgewichen wird, obwohl zwischen den betroffenen Ärzten oder Arztgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass eine ungleiche Behandlung gerechtfertigt ist (vgl. BSG, Urt. v. 23.03.2011 - B 6 KA 6/10 R - juris Rdnr. 25 m.w.N.). Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass die Kausalitätsklausel zu willkürlichen Ergebnissen führen würde im Sinne eines entweder/oder. Ein Fallwertrückgang bis 15 % führt immer zur vorbehaltslosen Anwendung der Ziff. 7.5 HVV. Ein Fallwertrückgang von 15 und mehr, der auf einer Leistungsverringerung beruht, führt demgegenüber immer zum völligen Absehen von der Ausgleichsregelung, unabhängig davon, ob nicht der Fallwertrückgang zum größten Teil EBM-bedingt ist.

Mit der Kausalitätsklausel, wie sie von der Beklagten praktiziert wird, wird auch der Regelungszweck der Ausgleichsregelung verfehlt. Eine Kassenärztliche Vereinigung ist aufgrund des ihr nach § 75 Abs. 1 SGB V obliegenden Sicherstellungsauftrags berechtigt, zwar nicht anstelle, jedoch ergänzend zu den Regelleistungsvolumina mit den Krankenkassenverbänden im HVV Maßnahmen zu vereinbaren, die eine Stützung gefährdeter Praxen beinhalten (vgl. BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 27/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 58 = USK 2010-95 = GesR 2011, 304 = Breith 2011, 415, juris Rdnr. 46). Mit der 5-% Grenze hat die Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV eher den Charakter einer Bestandsschutzmaßnahme zugunsten etablierter Praxen denn einer Stützungsmaßnahme zugunsten gefährdeter Praxen. Die Auffüllbeträge und Honorarkürzungen nach Ziffer 7.5. HVV glichen offenbar nicht nur extreme, ausreißerähnliche Verluste aus und begrenzten extreme Gewinne als Folge der neuen Regelleistungsvolumina bzw. des neuen EBM, sondern schrieben faktisch gewachsene Vergütungsstrukturen fort (vgl. BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 27/09 R - a.a.O., Rdnr. 48). Von daher ist es noch weniger zu rechtfertigen, wenn EBM-bedingte Honorarrückgänge in größerem Umfang nicht zum Ausgleich berechtigen würden."

Nach diesen Grundsätzen sind deutliche Abweichungen im Leistungsspektrum bzw. Leistungsrückgänge bei Prüfung der Auffüllbeträge zu berücksichtigen, soweit die Leistungslegende weitgehend unverändert bleibt.

So geht die Beklagte zutreffend von einem Leistungsrückgang in verschiedenen Bereichen aus. Der Kläger räumt selbst ein, die Leistungen weniger erbracht zu haben. Dabei ist es unerheblich, aus welchen Gründen er die Leistungen weniger erbracht hat, da sie alle in seiner Sphäre liegen. Soweit in diesen Bereichen weniger Patienten die Praxis aufsuchen oder weniger Leistungen anfallen, handelt es sich um einen Rückgang im Patienten- und/oder Leistungsaufkommen, das in die allgemeine Risikosphäre des selbständigen Praxisinhabers fällt und in keinem Zusammenhang mit EBM-Änderungen steht. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb einem Vertragsarzt hierfür ein Ausgleich zu gewähren sein sollte. Gleiches gilt grundsätzlich für einen Leistungsrückgang wegen einer fehlenden Abrechnungsgenehmigung. Der Kläger weist aber zutreffend darauf hin, dass es trotz der fehlenden Abrechnungsgenehmigung im aktuellen Quartal nur zu einem geringen Leistungsrückgang gekommen ist. Die Erörterung der Kammer mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung hat ergeben, dass es zwar wegen der fehlenden Genehmigung zu einem Leistungsrückgang des kardiologischen Komplexes nach Nr. 13550 EBM gekommen ist, der nur von Kardiologen abgerechnet werden darf. Der Kläger hat aber auch kardiologische Patienten weiterhin behandelt, deren Behandlung er mit den Leistungen nach Nr. 13250 (420 Punkte) und 33022 EBM (915 Punkte) abgerechnet hat, zusammen bewertet mit 1.335 Punkten gegenüber 1.485 Punkten der Leistung nach Nr. 13550 EBM. Für einen Leistungsrückgang kommt es daher darauf an, in welchem im Quartal I/06 Leistungen nach Nr. 13550 EBM in den Fallwert eingeflossen sind. Diesem Leistungsvolumen ist die Abrechnung der Leistungen nach Nr. 13250 und 33022 EBM im Quartal I/08 gegenüberzustellen, die auf kardiologische Patienten entfällt. Nur bei der Differenz kann es sich um einen Leistungsrückgang handeln, was ggf. in den Referenzfallwert einzuarbeiten ist.

Nach den dargelegten Grundsätzen reicht es aber nicht aus, allgemein oder auf einen prozentualen Leistungsrückgang hinzuweisen. Die Beklagte hat vielmehr nachzuweisen, dass der Leistungsrückgang den gesamten Berichtigungsbetrag begründet. Hierfür ist im Einzelnen der Leistungsrückgang im Hinblick auf den Fallwert des Referenzquartals zu quantifizieren.

Die Beklagte weist im Bescheid vom 24.07.2012 auf eine Veränderung des Leistungsspektrums bzw. auf einen nicht unerheblichen Leistungsrückgang hin:

Leistungsbereich Anforderung I/06 Anforderung I/08 Rückgang
Diagnostik/Therapie Kardiologen 246.510 0 - 100 %
Diagnostik/Therapie Nephrologen 5.600 0 - 100 %
Infusion, Transfusion, Tuberkulintest 9.455 0,0 - 100 %
Kleine Chirurgie, Allgemeine therapeutische Leistungen 14.975 1.440,0 - 90,38 %
Summe 276.540 1.440

Danach erbrachte der Kläger für diese Leistungen im Referenzquartal I/06 mehr Leistungen im Umfang von 275.100 Punkten (276.540 Punkte - 1.440 Punkte). Rechnet man den Leistungsrückgang in den Fallwert des Quartals I/06 ein, so vermindert dieser sich bei 922 Behandlungsfällen um ca. 298,4 Punkte bzw. bei einem Punktwert von ca. 2,1 Ct. um ca. 6,27 EUR. Demgegenüber wurde der Auffüllbetrag zuletzt mit 15,5324 EUR berechnet, so dass offensichtlich ist, dass der Leistungsrückgang nicht in vollem Umfang für die Fallwertverminderung ursächlich ist. Hinzu kommt aber, dass der Leistungsrückgang im Bereich Diagnostik/Therapie Kardiologen nur im Umfang von 64.705 Punkten zu berücksichtigen ist. Im Quartal I/06 rechnete der Kläger nach der Frequenzstatistik die Nr. 13550 EBM im Umfang von 246.510 Punkten, die Nr. 13250 im Umfang von 115.080 Punkten und die Nr. 33022 im Umfang von 48.495 Punkten, alle Leistungen im Umfang von 410.085 Punkten ab. Im Quartal I/08 rechnete der Kläger nach der Frequenzstatistik die Nr. 13550 EBM nicht mehr ab und die Nr. 13250 im Umfang von 175.330 Punkten und die Nr. 33022 im Umfang von 170.050 Punkten, zusammen im Umfang von 345.380 Punkten. Der Leistungsrückgang besteht lediglich in der Differenz von 64.705 Punkten (410.085 Punkte - 345.380 Punkte). Für die Anforderung im Quartal I/06 ist daher nur von 94.737 Punkten auszugehen, für die Anforderung im Quartal I/08 verbleibt es bei den 1.440 Punkten. Danach erbrachte der Kläger für diese Leistungen im Referenzquartal I/06 mehr Leistungen im Umfang von 93.297 Punkten (94.737 Punkte - 1.440 Punkte). Rechnet man den Leistungsrückgang in den Fallwert des Quartals I/06 ein, so vermindert dieser sich bei 922 Behandlungsfällen um ca. 101,2 Punkte bzw. bei einem Punktwert von ca. 2,1 Ct. um ca. 2,12 EUR. Im Ergebnis ist die Honorarberichtigungen für das Quartal I/08 daher fehlerhaft.

Der Bescheide war vollständig aufzuheben, da die Beklagte eine genaue Berechnung entsprechend den Vorgaben der Kammer nicht vorlegt und der Kammer schon aufgrund der verschiedenen Kassenbereiche eine genaue Berechnung nicht möglich ist. Von daher fehlt es an einem Nachweis, in welcher Höhe die Berichtigung berechtigt ist, was zu Lasten der Beklagten geht, da sie die Berichtigung vornimmt.

Im Übrigen bleibt es der Beklagten aber im Rahmen der Ausschlussfrist unbenommen, auf der Grundlage der Vorgaben der Kammer neu zu bescheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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