S 2 AL 42/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 2 AL 42/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 109/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein wichtiger Grund zur Vermeidung einer Sperrzeit muss dem Arbeitslosen bereits bei seinem versicherungswidrigen Verhalten zur Seite gestanden haben. Liegt dieses im Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung, sind damit nur die Verhältnisse zur Zeit des Vertragsschlusses relevant. Ein späteres Verhalten des Arbeitslosen ist insofern nur zu berücksichtigen, soweit es als Indiz für seine damaligen Absichten aussagekräftig wäre.

2. Wollte der Arbeitslose bei Abschluss des Vertrags endgültig aus dem Erwerbsleben ausscheiden und ändert er diesen Entschluss im Hinblick auf eine erst durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz geschaffene Möglichkeit, eine abschlagsfreie Altersrente in Anspruch zu nehmen, bleibt sein Verhalten durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt.
1. Der Sperrzeitbescheid der Beklagten vom 22.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2016 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird unter dementsprechender Abänderung ihres Bewilligungsbescheids vom 24.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2016 verurteilt, an die Klägerin auch für die Zeit vom 08.05.2016 bis 23.07.2016 Arbeitslosengeld in Höhe von 16,34 Euro täglich zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer Sperrzeit.

Die 1953 geborene Klägerin war seit vielen Jahren als Reinigungsfachkraft im Polizeipräsidium C tätig. Im Jahre 2006 beantragte sie bei ihrem Arbeitgeber den Abschluss einer Altersteilzeit-Vereinbarung nach dem sog. Blockmodell. Sie habe eine Rentenauskunft eingeholt, wonach sie am 01.05.2016 eine vorzeitige Altersrente für Frauen (mit Abschlägen) erhalten könne. Daraufhin unterzeichneten die Arbeitsvertragsparteien am 23.11.2006 einen "Änderungsvertrag zur Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses". Darin wurde eine Arbeitsphase vom 01.07.2008 bis 31.05.2012 und eine Freistellungsphase vom 01.06.2012 bis 30.04.2016 vereinbart. Mit Ablauf dieses Tages sollte das Arbeitsverhältnis enden.

Im Frühjahr 2014 wurde das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung parlamentarisch beraten und verabschiedet (Verkündung im Bundesgesetzblatt I Nr. 27 v. 26.06.2014, S. 787). Daraufhin ließ sich die Klägerin im Januar 2016 von dem Rentenberater D. in D-Stadt über die geänderte rentenrechtliche Situation beraten. Dieser wies die Klägerin darauf hin, dass ihr ab 01.09.2016 eine abschlagsfreie Altersrente zustehe und riet ihr, sich nach der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zunächst dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Dieser Empfehlung folgte die Klägerin, um später eine abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte in Anspruch nehmen zu können. Am 03.02.2016 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten persönlich arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld ab 01.05.2016. Dieses wurde ihr mit Bescheid vom 24.03.2016 für die Zeit vom 31.07.2016 bis 22.01.2018 in Höhe von 16,34 Euro täglich bewilligt. In der Zwischenzeit ab 01.06.2016 ruhe ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen zweier Sperrzeiten. Mit dem im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Bescheid vom 22.03.2016 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit vom 01.05.2016 bis 23.07.2016 fest. Zugleich werde die Anspruchsdauer um 90 Tage gemindert. Zur Begründung verwies die Beklagte auf den Umstand, dass die Klägerin ihre Beschäftigung freiwillig aufgegeben habe. Zudem wurde mit Bescheid vom selben Tag eine siebentägige Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung festgestellt. Dieser Bescheid wurde in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2016 bestandskräftig.

Gegen die Sperrzeitbescheide erhob die Klägerin fristgerecht Widerspruch. Die Feststellung der Sperrzeit sei unrechtmäßig. Zur Begründung verwies ihr Bevollmächtigter später auf den Sinneswandel der Klägerin während der Laufzeit des Altersteilzeitvertrags. Erst durch die nicht vorhersehbare, auf dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung beruhende Möglichkeit, zum 01.09.2016 eine abschlagsfreie Altersrente in Anspruch zu nehmen, habe sie sich entschlossen, doch nicht schon zum 01.05.2016 in Rente zu gehen. Daraufhin habe sie vergeblich versucht, bei ihrem früheren Arbeitgeber noch länger beschäftigt zu bleiben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.05.2016 wurde der Widerspruch von der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Der Vortrag der Klägerin führe nicht zur Anerkennung eines wichtigen Grunds. Die Klägerin habe bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags gewusst, dass sie zum 01.05.2016 nur eine Altersrente mit Abschlägen erhalten könne. Daran habe sich nichts geändert. Statt diese planmäßig zu beantragen, habe sie sich nun arbeitslos gemeldet. Dass sie dadurch einen höheren Rentenanspruch erwerben könne, stelle keinen wichtigen Grund dar.

Dagegen hat die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten, am 25.05.2016 Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben.

Sie ist der Ansicht, sie habe sich bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags nicht versicherungswidrig verhalten. Seinerzeit sei prognostisch davon auszugehen gewesen, dass sie zum 01.05.2016 nahtlos in Rente gehen würde. Erst als sich durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung die Möglichkeit ergeben habe, zum 01.09.2016 eine abschlagsfreie Rente zu beziehen, habe sie sich entschlossen, erst zu diesem späteren Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben auszuscheiden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Sperrzeitbescheid der Beklagten vom 22.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2016 aufzuheben und die Beklagte unter dementsprechender Abänderung ihres Bewilligungsbescheids vom 24.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2016 zu verurteilen, an die Klägerin auch für die Zeit vom 01.05.2016 bis 23.07.2016 Arbeitslosengeld in Höhe von 16,34 Euro täglich zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe keinen wichtigen Grund für den Abschluss der Altersteilzeit-Vereinbarung gehabt. Es fehle an einer Verschlechterung der rentenrechtlichen Situation, die es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung rechtfertigen könnte, von den ursprünglichen Plänen abzuweichen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung durch die Kammer gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte den vorliegenden Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten schriftsätzlich mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG).

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

Der angefochtene Sperrzeitbescheid der Beklagten vom 22.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2016 war aufzuheben, da er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Die Beklagte hat zu Unrecht den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe festgestellt. Demzufolge war der ebenfalls mitangefochtene Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 24.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2016, der mit dem Sperrzeitbescheid eine untrennbare rechtliche Einheit bildet, abzuändern. Die Anspruchsdauer des klägerischen Anspruchs auf Arbeitslosengeld hat sich nicht um 90 Tage vermindert. Der Anspruch auf Auszahlung von Arbeitslosengeld ist nur insoweit zum Ruhen gekommen, als die Beklagte bestandskräftig den Eintritt einer Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung festgestellt hat. Die Klägerin hat demnach Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld in Höhe von 16,34 Euro täglich auch für den Zeitraum vom 08.05.2016 bis zum 23.07.2016. Vor diesem Hintergrund war auch der mit der Anfechtungsklage verbundenen Leistungsklage in nahezu vollem Umfang stattzugeben.

Als Rechtsgrundlage für den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe kommt im vorliegenden Fall allein die Regelung des § 159 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) in Betracht. Danach ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich ein Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Ein solches versicherungswidriges Verhalten liegt etwa vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst hat und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat.

Ein solches versicherungswidriges Verhalten der Klägerin ist hier gegeben. Die Klägerin hat am 23.11.2006 einen Vertrag über Altersteilzeit mit ihrem früheren Arbeitgeber geschlossen. Seinerzeit stand sie in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis als Reinigungsfachkraft. Ihr früherer Arbeitgeber hatte dieses Arbeitsverhältnis nicht gekündigt und es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er dies getan hätte, wenn es nicht zum Abschluss des Altersteilzeitvertrags gekommen wäre. Mit diesem Vertrag, der ohne die Zustimmung der Klägerin (als aktives Verhalten) nicht zustande gekommen wäre, wurde eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2016 vereinbart. Am 01.05.2016 ist die Klägerin dann auch tatsächlich arbeitslos geworden, so dass sie durch ihr Verhalten die Arbeitslosigkeit kausal herbeigeführt hat. Bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags war der Klägerin auch bewusst, dass das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Arbeitsphase und der Freistellungsphase endgültig enden würde und dass sie auch nicht stattdessen nahtlos in ein anderes Arbeitsverhältnis wechseln können würde. Sie wollte diese sich abzeichnende Arbeitslosigkeit auch herbeiführen, um ab 01.05.2016 eine Altersrente in Anspruch zu nehmen. Damit hat die Klägerin vorsätzlich gehandelt.

Die Kammer ist jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass der Klägerin ein wichtiger Grund für dieses Verhalten zur Seite stand. Gemäß § 159 Abs. 1 S. 3 SGB III hat eine Person, die sich versicherungswidrig verhalten hat, die für die Beurteilung eines wichtigen Grunds maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese Tatsachen in ihrer Sphäre oder in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Dieser Nachweis ist der Klägerin gelungen. Sie hat für das Gericht glaubhaft versichert, dass sie bei Abschluss des Altersteilzeitvertrages im November 2006 fest davon überzeugt war, zum 01.05.2016 endgültig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Dies deckt sich mit ihren Angaben im Verwaltungsverfahren. Schon gegenüber der Beklagten hat sie darauf hingewiesen, dass ihrem Entschluss im Jahre 2006 die Einholung einer Rentenauskunft vorangegangen war. Selbst in ihrem Antrag gegenüber dem Arbeitgeber hat die Klägerin auf diese Information hingewiesen, wonach sie am 01.05.2016 eine vorzeitige Altersrente für Frauen (mit Abschlägen) erhalten könne. Daher bestehen aus Sicht der Kammer keine vernünftigen Zweifel an ihrem damaligen ernsthaften und endgültigen Entschluss, nach Ablauf des Altersteilzeitverhältnisses in Rente zu gehen. Von diesem Sachverhalt geht anscheinend auch die Beklagte aus, wenn sie der Klägerin in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid vorhält, sie habe sich arbeitslos gemeldet, "anstatt planmäßig Altersrente zu beziehen" (Hervorhebung durch das Gericht).

Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten stellt diese Motivation einen wichtigen Grund im Sinne von § 159 Abs. 1 S. 1 SGB III dar. Ein solcher wichtiger Grund muss dem Arbeitslosen bereits bei seinem versicherungswidrigen Verhalten zur Seite gestanden haben. Im vorliegenden Fall sind damit nur die Verhältnisse zur Zeit des Abschlusses der Altersteilzeitvereinbarung (hier also im November 2006) relevant (ebenso schon BSG, Urteil vom 21. Juli 2009 – B 7 AL 6/08 RBSGE 104, 90 ff. = SozR 4-4300 § 144 Nr. 18 = juris Rn. 12 unter Hinweis auf BSGE 95, 232 ff. = SozR 4-4300 § 144 Nr. 11, jeweils Rn. 16; zustimmend damals Gagel, jurisPR-SozR 26/2009 Anm. 2; ebenso aus jüngerer Zeit: SG Kassel, Urteil vom 30. November 2015 – S 3 AL 10/15 – juris und SG Karlsruhe, Urteil vom 6. Juli 2015 – S 5 AL 3838/14 – juris; rechtlich wie hier bei abweichender Würdigung des dortigen tatsächlichen Sachverhalts: Bayerisches LSG, Urteil vom 2. Dezember 2015 – L 10 AL 52/15 – juris und SG Stade, Urteil vom 26. November 2015 – S 16 AL 94/14 – juris; anderer Rechtsansicht: SG Karlsruhe, Urteil vom 28. August 2015 – S 7 AL 1978/14 – juris und SG Speyer, Urteil vom 13. Mai 2015 – S 1 AL 311/14 – juris). Ein späteres Verhalten der Klägerin ist insofern nur zu berücksichtigen, soweit es als Indiz für ihre damaligen Absichten aussagekräftig wäre. Davon ist im vorliegenden Fall jedoch schon wegen des erheblichen Zeitablaufs von nahezu zehn Jahren nicht auszugehen. Insbesondere kommt es deswegen nicht darauf an, ob sie sich im Nachhinein um eine Verlängerung ihres aufgegebenen Beschäftigungsverhältnisses oder um einen anderen Arbeitsplatz bemüht hat, was im vorliegenden Fall aber auch durch eine entsprechende Bescheinigung des früheren Arbeitgebers nachgewiesen ist. Ist ein Sperrzeittatbestand bereits vollständig verwirklicht, so lassen sich seine Folgen nicht durch ein nachträgliches Verhalten abwenden. War es dagegen gerechtfertigt, sich versicherungswidrig zu verhalten, kann daran später auch bei einer Änderung der Verhältnisse keine Sperrzeit anknüpfen. Das wird übersehen, wenn neuerdings zum Teil – entgegen der nachfolgend dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung – davon ausgegangen wird, auch ein Wegfall eines wichtigen Grunds in der Zeit zwischen der Auflösungshandlung und dem tatsächlichen Ende des Beschäftigungsverhältnisses könne eine Sperrzeit rechtfertigen (so LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. Juni 2016 L 1 AL 48/15 – Revision anhängig beim BSG, Az: B 11 AL 17/16 R; ihm folgend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. September 2016 – L 8 AL 1777/16). Denn in § 159 Abs. 1 S. 1 SGB III wird unmissverständlich der Zusammenhang zwischen dem versicherungswidrigen Verhalten und dem darauf bezogenen ("dafür") wichtigen Grund deutlich. Nach Wegfall eines wichtigen Grunds kommt eine Sperrzeit daher nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer ein weiteres versicherungswidriges Verhalten an den Tag legt, das kausal für die Arbeitslosigkeit wird. Das ist im vorliegenden Fall nicht denkbar, weil der Kausalverlauf bereits mit Abschluss des Altersteilzeitvertrags im November 2006 begonnen hat und danach von der Klägerin nicht mehr beeinflusst werden konnte.

Ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses, der den Eintritt einer Sperrzeit verhindert, liegt im Fall des Abschlusses einer Altersteilzeitvereinbarung dann vor, wenn der Arbeitnehmer bei Abschluss der Vereinbarung beabsichtigt, aus dem Arbeitsleben auszuscheiden und diese Annahme prognostisch auch gerechtfertigt ist (so der Leitsatz des Sächsischen LSG, Urteil vom 13. Februar 2014 – L 3 AL 100/12 – juris). Das hat das BSG in einem Fall angenommen, in dem sich die rentenrechtliche Situation zwischen Abschluss und Auslaufen des Altersteilzeitvertrags verschlechtert hatte (Urteil vom 21. Juli 2009 – B 7 AL 6/08 RBSGE 104, 90 ff. = SozR 4-4300 § 144 Nr. 18). Es ist davon ausgegangen, dass dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft kein anderes Verhalten zugemutet werden konnte. Zur Begründung hat es ausgeführt: "Mit der Einführung der Altersteilzeit hat der Gesetzgeber nämlich das Ziel verfolgt, die Praxis der Frühverrentung durch eine neue sozialverträgliche Möglichkeit eines gleitenden Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand (Altersteilzeitarbeit) abzulösen (BR-Drucks 208/96, S 1, 22). Anlass für die Regelung war die gängige Praxis, dass viele ältere Beschäftigte weit vor Erreichen der (regulären) Altersgrenze in den Ruhestand versetzt wurden, um auf diese Weise die Belegschaft der Betriebe zu verkleinern und/oder zu verjüngen. Dies führte zu einer erheblichen Belastung der Sozialversicherung und des Bundeshaushalts, weil sich die Entlassenen in der Regel arbeitslos meldeten, Alg bezogen und im Anschluss daran mit Vollendung des 60. Lebensjahres die vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in Anspruch nahmen. Mit der Frühverrentungspraxis wurde von den Vorschriften der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung in einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Weise Gebrauch gemacht (BR-Drucks, aaO). Insbesondere für die Bundesanstalt (jetzt: Bundesagentur) für Arbeit (BA) führte diese Frühverrentungspraxis zu erheblichen Mehrkosten (BR-Drucks, aaO, S 23). Im Ergebnis wurden damit die finanziellen Lasten der Frühverrentungen über notwendigerweise höhere Beitragssätze zur Sozialversicherung von den Klein- und Mittelbetrieben und ihren Arbeitnehmern getragen. Durch den Einsatz der Altersteilzeit sollten sich demgegenüber unumgängliche betriebliche Personalanpassungsmaßnahmen durchführen lassen, ohne dass dies auf Kosten der Solidargemeinschaft der Versicherten geschieht (BR-Drucks, aaO). Es war damit das erklärte Ziel des Gesetzgebers, die Sozialversicherung und insbesondere die BA durch die Einführung der Altersteilzeit zu entlasten. Einem Arbeitnehmer, der sich entsprechend dieser Gesetzesintention verhält, kann dann aber der Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung nicht vorgeworfen werden."

Daher sei – so das BSG weiter – zu prüfen, ob aus der ex-ante-Perspektive "nach der Altersteilzeit auch tatsächlich eine Rente beantragt werden" sollte. "Denn das Ziel des Altersteilzeitgesetzes" sei es – so das BSG weiter – "eine Nahtlosigkeit zwischen Altersteilzeitbeschäftigung und Rentenbeginn zu erreichen und einen Zwischenschritt über die Arbeitslosigkeit und den Leistungsbezug bei der Beklagten gerade zu vermeiden (BR-Drucks, aaO, S 27). Sollte der Kläger zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Absicht gehabt haben, direkt nach Abschluss der Altersteilzeit ohne "Umweg" über die Beantragung von Alg Altersrente beziehen zu wollen, wäre ihm dieses Verhalten unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft nicht vorwerfbar, wenn prognostisch von einem Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsleben nach der Freistellungsphase der Altersteilzeit auszugehen gewesen wäre."

Dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung schließt sich die Kammer an. Sie versteht sie – wie Gagel, a.a.O. – so, "- dass der Arbeitslose bei Abschluss des Vertrages die ernsthafte Absicht gehabt haben muss, nach Auslaufen des Vertrages in Rente zu gehen, und - dass er sich hinreichend darüber informiert haben muss, dass dies rentenrechtlich möglich war und welche Rente er zu erwarten hatte. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist ein späterer Entschluss, keine Rente zu beantragen, hinzunehmen, da es nur auf den Zeitpunkt der Handlung, die die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Vertragsabschluss), ankommt."

Beide Voraussetzungen sind hier nach dem oben Gesagten zur Überzeugung der Kammer erfüllt. Die Klägerin war bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags zutreffend davon ausgegangen, dass sie zum 01.05.2016 eine Altersrente mit Abschlägen in Anspruch nehmen kann. Sie hat sich nach dem oben Gesagten dazu entschlossen, dies in Kauf zu nehmen, um von der ihr angebotenen Altersteilzeit Gebrauch machen zu können. Eine abschlagsfreie Rente hätte ihr nach damaligem Rechtszustand ohnehin mittelfristig nicht zur Verfügung gestanden. Erst durch die auf das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgehenden Änderungen im Rentenrecht hat sich der Klägerin diese Gelegenheit zum 01.09.2016 eröffnet. Die 2014 geschaffene "Rente mit 63" stellt zwar keine eigenständige neue Rentenart dar (näher dazu etwa B. Schmidt, jurisPR-SozR 18/2014 Anm. 1). Sie ist vielmehr eine besondere Ausprägung der bereits mit Wirkung zum 01.01.2012 eingeführten Rente für besonders langjährig Versicherte gemäß § 38 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Während zuvor für die Inanspruchnahme einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß § 38 SGB VI eine einheitliche Altersgrenze von 65 Jahren galt, ist nunmehr durch die Sonderregelung des § 236b SGB VI deren vorübergehende Herabsetzung auf bis zu 63 Jahre angeordnet worden. Diese Vergünstigung kommt gerade dem Geburtsjahrgang 1953, dem die Klägerin angehört, noch in erheblichem Ausmaß zugute. Die Klägerin hatte sich auch hinreichend darüber informiert, dass eine Berentung zum 01.05.2016 rentenrechtlich möglich war und welche Rente sie zu erwarten hatte, indem sie 2006 eine diesbezügliche Rentenauskunft eingeholt hatte.

Vor diesem Hintergrund hat sich die Kammer davon überzeugen können, dass die Entscheidung der Klägerin, zum 01.05.2016 keine Altersrente zu beantragen, sondern sich den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung zu stellen, auf einem nachträglichen Entschluss beruht. Sie hat sich erst umentschieden, als sie nach der Rechtsänderung 2014 von der geplanten "Rente mit 63" erfahren hat. Konkret ist die Kammer davon überzeugt, dass erst das Beratungsgespräch bei dem Rentenberater D. in D-Stadt den Ausschlag gegeben hat. Dafür spricht auch, dass die Klägerin sich erst am 03.02.2016 bei der Beklagten arbeitsuchend gemeldet hat und dadurch eine Sperrzeit in Kauf nehmen muss. Dieser Meinungswandel ist ihr sperrzeitrechtlich nicht vorzuhalten, weil bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags prognostisch von einem endgültigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben auszugehen war (vgl. auch Schmitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2014, § 159 Rn. 32.1).

Dagegen konnte die Leistungsklage keinen Erfolg haben, soweit die Klägerin auch für die Zeit vom 01.05.2016 bis 07.05.2016 die Gewährung von Arbeitslosengeld begehrt. Denn insoweit steht zwischen den Beteiligten gem. § 77 SGG bindend fest, dass eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung eingetreten ist (bestandskräftiger Bescheid der Beklagten vom 22.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2016). Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte den Lauf dieser Sperrzeit wegen der im vorliegenden Klageverfahren streitgegenständlichen Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe auf die Zeit vom 24.07.2016 bis 30.07.2016 verschoben hat. Denn die Sperrzeit tritt von Gesetzes wegen ein und der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht "automatisch" im richtigen Zeitraum. Da nach dem oben Gesagten keine weitere Sperrzeit eingetreten ist, läuft die siebentägige Sperrzeit kalendermäßig ab dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit, dem 01.05.2016, ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Kostenquotelung erschien der Kammer angesichts des geringfügigen Unterliegens der Klägerin nicht gerechtfertigt. Mit dem im Mittelpunkt des Klagebegehrens stehenden Anfechtungsantrag bezüglich der zwölfwöchigen Sperrzeit ist sie vollständig durchgedrungen. Ihr Leistungsantrag hatte nur zu einem Zwölftel keinen Erfolg.

Die Kammer konnte die Berufung hinsichtlich des geringfügigen Unterliegens der Klägerin nicht zulassen, da die hierfür in § 144 Abs. 2 SGG vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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