L 4 R 3858/07 AK-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2595/07 AK-A
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3858/07 AK-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 25. Juli 2007 aufgehoben.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte (vgl. § 173 Sätze 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) Beschwerde der Klägerin ist statthaft und zulässig. Maßgebend sind noch §§ 172 ff. SGG in der vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008, BGBl. I S. 444 zum 01. April 2008 geltenden Fassung. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim (SG) vom 25. Juli 2007, zugestellt am 26. Juli 2007, ist beim Landessozialgericht (LSG) am 07. August 2007 eingelegt worden. Damit tritt der seit 01. April 2008 geltende Beschwerdeausschluss für Kostengrundentscheidungen (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG n. F.) nicht ein. Das SG hat (Beschluss vom 20. August 2007) eine Nichtabhilfeentscheidung gemäß § 174 SGG a.F. getroffen. Die Beschwerde hat aus den im Folgenden darzulegenden Gründen in der Sache auch Erfolg. Der Senat vermag die Erwägungen der Beklagten und des SG nicht zu teilen.

Nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben; das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders beendet wird (Satz 3 der Vorschrift). Die Sondervorschrift des § 195 SGG (gegenseitige Kostenaufhebung der Beteiligten bei Erledigung durch gerichtlichen Vergleich) greift hier nicht Platz, weil die Beteiligten mit der Annahme des gerichtlichen Vergleichvorschlags vom 05. Juli 2007 diese Rechtsfolge ausgeschlossen und eine gerichtliche Kostenentscheidung beantragt haben.

Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben sich nicht an genau auf Erfolg und Misserfolg ausgelegte Regelungen für eine Kostenquotelung zu halten; freilich ist im Rahmen der pflichtgemäßen richterlichen Ermessensentscheidung auch hier als wesentliches Kriterium das (mutmaßliche) Ergebnis des Rechtsstreits auf der Grundlage des (bisherigen) Sach- und Streitstands zu berücksichtigen. Sonstige für eine gerechte Verteilung der Kosten bedeutsame Umstände sind, ob ein Versicherungsträger Anlass zur Klage gegeben oder ein Beteiligter vermeidbare und überflüssige Kosten verursacht hat (vgl. zum Ganzen Bundessozialgericht - BSG - SozR 3-1500 § 193 Nrn. 2 und 3 m.w.N.).

Streitgegenstand des Verfahrens war, ob der Versicherungsverlauf der Klägerin eine Zeit der kaufmännischen Ausbildung vom 01. April 1956 bis 31. März 1959 zu enthalten habe, die als Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine Berufsausbildung (Zeiten einer beruflichen Ausbildung) im Sinne von § 54 Abs. 3 Satz 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) den beitragsgeminderten Zeiten (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Abs. 3 Satz 1 SGB VI) zuzuordnen sei und damit im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung (vgl. §§ 71 ff. SGB VI) eine günstige Auswirkung auf den Zahlbetrag der Rente haben würde. Nachdem die Klägerin im Rentenantrag vom März 2006 angegeben hatte, Nachweise wie Lehrvertrag oder Prüfungszeugnis lägen nicht mehr vor, musste ein Beweis für die zurückgelegte Ausbildungszeit auf andere Weise geführt werden. Dies war zwar dadurch erschwert, dass die - vorhandene - Versicherungskarte Nr. 1, die bei Ausstellung im Februar 1956 die Berufsstellung als "kaufmännischer Lehrling" angab, zum Zeitpunkt des behaupteten Lehrabschlusses mit Ende März 1959 keinen Einschnitt enthält, nachdem die Klägerin nach Abschluss der Ausbildung beim selben Arbeitgeber (Wilhelm Schaaff, Heidelberg) noch bis 15. Juli 1959 beschäftigt geblieben ist. Die Klägerin hat jedoch bereits im Widerspruchsverfahren darauf hinweisen lassen, dass gemäß den Arbeitsanweisungen der Rentenversicherungsträger (dort R 5.6) im Einzelfall von einem Nachweis ausgegangen werden könne, wenn etwa die bescheinigten Entgelte im Zusammenhang mit plausiblen Angaben des Versicherten für eine Berufsausbildung sprächen. In der Versicherungskarte Nr. 1 sind vom 01. April bis 31. Dezember 1956 DM 488,15 und vom 01. Januar bis 28. Februar 1957 DM 110,00 genannt, also ein monatliches Bruttoentgelt von (etwa) DM 55,00; vom 01. März bis 31. Dezember 1957 sind DM 640,00 genannt, also (durchschnittlich) monatlich DM 64,00, vom 01. Januar bis 31. Dezember 1958 DM 979,80, also (durchschnittlich) monatlich DM 81,00. Diese Beträge hätten unschwer auf das damals übliche Entgelt eines kaufmännischen Lehrlings schließen lassen. Wenn sodann vom 01. Januar bis 15. Juli 1959 insgesamt DM 955,44 und - bei einem anderen Arbeitgeber - vom 15. September bis 31. Dezember 1959 DM 892,46 festgehalten sind, lässt sich dies nach damaligen Verhältnissen ebenso zwanglos als - nach einem Lehrabschluss mit März 1959 - Anfangsgehalt einer ausgebildeten Angestellten deuten. Wenn die Beklagte insoweit von der in den eigenen Arbeitsanweisungen nahegelegten Beweiswürdigung nicht zugunsten der Klägerin Gebrauch gemacht hat, ist sie das Risiko eingegangen, dass im Instanzenzug, zu welchem bereits das Widerspruchsverfahren gehört, durch eine günstigere Interpretation oder aber durch das Auffinden zusätzlicher Beweismittel ein der Klägerin günstigeres Ergebnis würde erzielt werden können. Der Vollbeweis ist sodann durch die Bescheinigung der IHK Rhein-Neckar vom 27. März 2007 geführt worden. Die Klägerin hat diese Bescheinigung selbst beschafft. Hierauf kann es nicht entscheidend ankommen. Die Beklagte hätte im Antrags- oder Widerspruchsverfahren von Amts wegen diese Möglichkeit erkennen können; ebenso hätte das SG im Klageverfahren diesen Weg beschreiten können. Wenn weder Beklagte noch SG diese Möglichkeit erkannt haben, darf der Klägerin die von ihr entfaltete Eigeninitiative nicht für das Kostenrisiko des Verfahrens entgegengehalten werden.

Die Sache darf nicht - auf solche Erwägungen haben letztlich die Beklagte und das SG abstellen wollen - mit dem Fall verglichen werden, dass im Vorverfahren erhebliches, einen Prozess überflüssig machendes Vorbringen zurückgehalten und dies im Klageverfahren erstmals vorgetragen wird (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Januar 1998 - L 13 Al 3633/97 aK-B - Breithaupt 1998, 709 ff.). Es hat sich hier nicht wie im zitierten Verfahren um Angaben gehandelt, zu denen die Klägerin (mehrmals) aufgefordert worden wäre, die sie zurückgehalten hätte und bei deren rechtzeitigem Vortrag eine weitere Instanz vermeidbar und überflüssig gewesen wäre. Die Möglichkeit, die zunächst anders nicht belegte Ausbildung durch eine Bescheinigung der IHK beweisen zu können, war auch im Rentenantragsformular nicht nahegelegt. Wenn selbst die Beklagte im Widerspruchsverfahren auf diese Möglichkeit nicht gestoßen ist, kann der Klägerin schwerlich der Vorwurf eines Zurückhaltens eines naheliegenden Beweismittels gemacht werden. Die Beklagte hat hier riskiert, dass ein allen Beteiligten bis dahin nicht erinnerlich gewordenes Beweismittel doch noch zu einem Verfahrenserfolg der Klägerin geführt hat. Dies rechtfertigt es, der Beklagten die vollen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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