S 12 KA 691/16 und S 12 KA 37/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 691/16 und S 12 KA 37/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 63/17 und L 4 KA 64/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Das Regelleistungsvolumen (RLV) in einer fach- und schwerpunktübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaft ist für die Quartale bis II/11 auch dann zu erhöhen, wenn die weitere Ärztin ausschließlich psychotherapeutisch tätig ist und kein RLV zugewiesen erhält. Ab dem Quartal III/11 muss jedoch auch die weitere Ärztin dem RLV unterliegen.
1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 26.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2016 und Aufhebung des Bescheids vom 30.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2016 für die Quartale IV/10 bis II/11 wird die Beklagte verpflichtet, die Klägerin für die Quartale III/10 bis II/11 unter Beachtung der Rechtsverfassung des Gerichts neu zu bescheiden.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Klägerin und Beklagte haben im Verfahren zum Az.: S 12 KA 691/16 jeweils die Hälfte der Gerichtskosten zu tragen. Die Beklagte hat der Klägerin in diesem Verfahren die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Verfahren zum Az.: S 12 KA 37/17 hat die Beklagte die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

4. Der Streitwert wird für das Verfahren zum Az.: S 12 KA 691/16 auf 30.000,00 EUR und für das Verfahren zum Az.: S 12 KA 37/17 auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen und den Qualifikationsgebundenen Zusatzvolumina für die sieben Quartale III/10 bis I/12 und hierbei noch um die Bewilligung eines Aufschlags von 10 % für Berufsausübungsgemeinschaften.

Der Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) mit Praxissitz in B-Stadt. Ihr gehören zwei Ärzte an. Herr Dr. med. A1 ist seit November 1994 als Facharzt für Allgemeinmedizin mit einem ganzen Versorgungsauftrag, Frau Dr. med. A2 seit 17.06.2010 als Fachärztin für Allgemeinmedizin, die ausschließlich psychotherapeutisch tätig ist, mit einem hälftigen Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Für die streitbefangenen Quartale nahm die Beklagte jeweils mit Honorarbescheid folgende Festsetzungen vor:
Quartal III/10 IV/10 I/11 II/11
Honorarbescheid vom 28.12.2010 30.03.2011 24.06.2011 04.10.2011
Nettohonorar gesamt in EUR 73.959,36 66.764,42 69.972,64 69.648,17
Bruttohonorar PK + EK in EUR 75.409,15 67.973,43 71.119,56 71.056,64
Fallzahl PK + EK 1.325 1.131 1.349 1.275
Honorar Regelleistungsvolumen in EUR 42.777,43 40.469,48 41.864,43 43.526,08
QZV 18.544,30 5.282,16 1.505,59 3.047,31
Honorar quotiertes RLV/QZV in EUR 448,94 694,10 1.575,27 1.245,68
Freie Leistungen 8.844,70 8.438,64 8.862,35
Übrige Leistungen innerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) 9.838,83 8.790,22 9.650,14 8.708,16
Leistungen außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV 3.799,65 3.892,77 8.085,49 5.667,06

RLV Praxis
Obergrenze in EUR 44.081,77 46.552,96 44.067,82 47.413,31
Angefordert in EUR 45.279,82 42.599,45 48.222,48 45.816,93
Über-/Unterschreitung in EUR 1.198,05 - 3.953,51 4.154,66 - 1.596,38

QZV gesamt
Obergrenze in EUR 20.467,44 1.606,64 1.611,30
Angefordert in EUR 22.119,78 9.663,12 8.620,87
Überschreitung in EUR 1.652,34 8.056,48 7.009,57

Herr Dr. A1
Honorar PK/EK in EUR 68,045,98 61.429,32 59.235,65 62.977,78
Arztfälle 1.316 1.121 1.338

Frau Dr. A2
Honorar PK/EK in EUR 7.363,17 6.544,11 8.141,78 6.178,69
Arztfälle 16 11 14 12

Quartal III/11 IV/11 I/12
Honorarbescheid vom 12.01.2012 02.04.2012 03.07.2012
Nettohonorar gesamt in EUR 73.150,66 68.983,44 78.415,81
Bruttohonorar PK + EK in EUR 74.560,83 70.202,05 80.160,17
Fallzahl PK + EK 1.417 1.325 1.360
Honorar Regelleistungsvolumen in EUR 47.584,29 40.480,88 46.557,16
QZV 1.463,24 28,42 85,19
Honorar quotiertes RLV/QZV in EUR 1.826,48 1.257,80 334,80
Freie Leistungen 11.028,94 16.155,16 16.337,51
Fallwertzuschläge zu RLV in EUR -
Übrige Leistungen innerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) 8.630,32 8.730,14 11.449,74
Leistungen außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV 4.027,56 3.549,65 5.395,77

RLV Praxis
Obergrenze in EUR 50.071,24 42.708,94 49.154,82
Angefordert in EUR 51.381,16 47.549,14 50.912,88
Über-/Unterschreitung in EUR 1.309,92 4.840,2 1.758,06

QZV gesamt
Obergrenze in EUR 1.557,71 55,35 93,24
Angefordert in EUR 8.967,31 35,58 112,35
Über-/Unterschreitung in EUR 7.409,6 - 19,77 19,11

Herr Dr. A1
Honorar PK/EK in EUR 68.811,06 63.719,56 70.893,56
Arztfälle 1.409 1.317 1.351

Frau Dr. A2
Honorar PK/EK in EUR 5.749,77 6.482,49 9.266,61
Arztfälle 15 15 18

Die Beklagte setzte das Regelleistungsvolumen für die streitbefangenen Quartale III/10 bis I/12 wie folgt fest.

Quartal Bescheid v. RLV-relevante Fallzahl Fallwert in EUR Fallwertabstaffelung Altersstrukturquote Aufschlag (fachgleiche) BAG RLV in EUR
III/10 28.07.2010 1.179 40,13 1,0000 0,9317 1,000 64.549,21
IV/10 31.08.2010 1.208 39,82 1,0000 0,9420 1,000 45.312,61
I/11 30.11.2010 1.124 42,28 1,0000 0,9273 1,000 44.067,82
II/11 01.03.2011 1.230 40,44 1,0000 0,9532 1,000 47.413,31
III/11 01.06.2011 1.309 39,68 1,0000 0,9640 1,000 50.071,24
IV/11 01.09.2011 1.107 40,59 1,0000 0,9505 1,000 42.708,94
I/12 01.12.2011 1.332 38,65 1,0000 0,9548 1,000 49.154,82

Hiergegen legte die Klägerin jeweils Widerspruch ein. Sie wandte sich u. a. dagegen, dass nicht der Aufschlag für eine BAG berücksichtigt worden sei.

Die Beklagte wertete die Widersprüche als Antrag auf eine Sonderregelung im Rahmen des Regelleistungsvolumens und den Qualifikationsgebundenen Zusatzvolumina, den sie mit Bescheid vom 26.02.2014 für das Quartal III/10 und Bescheid vom 30.05.2016 für die übrigen Quartale bzgl. des Aufschlags ablehnte, weil für die psychotherapeutische Fachgruppe kein Regelleistungsvolumen vorgesehen sei. Die Praxis sei weder als fachgleich noch als fachübergreifend im Sinne von dem Regelleistungsvolumen unterliegenden Fachgruppen zu sehen.

Gegen den Bescheid vom 26.02.2014 für das Quartal III/10 legte die Klägerin mit Schreiben vom 10.03.2014 Widerspruch ein. Sie war der Auffassung, ihr stehe als einer fachübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaft ein Aufschlag von 10 % auf das Regelleistungsvolumen zu. Es komme nicht auf die Zuweisung eines Regelleistungsvolumens an, sondern allein darauf, dass eine Berufsausübungsgemeinschaft vorliege. Entscheidend sei insofern, dass aufgrund der Abrechnungsausschlüsse das parallele Inansatzbringen von Abrechnungsziffern ausgeschlossen gewesen sei und daher auch der Sinn und Zweck der Aufschlagsregelung durchgreife.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2016 bzgl. des Quartals III/10 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, den bis zum 30.06.2011 und ab 01.07.2011 geltenden Regelungen über die Zuweisung der Regelleistungsvolumina sei zu entnehmen, dass für die Zuweisung des RLV-Aufschlags ein praxisbezogenes Regelleistungsvolumen vorliegen müsse. Da Frau Dr. A2 kein Regelleistungsvolumen erhalte, seien die Regelungen des Aufschlags somit nicht anwendbar. Insb. sei auf die Änderung ab dem Quartal III/11 hinzuweisen. Ab diesem Quartal müsse bei fach- und schwerpunktübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaften der Kooperationsgrad berücksichtigt werden. Für dessen Berechnung werde auf die RLV-relevante Arztzahl der Arztpraxis Bezug genommen. Dadurch werde auch teleologisch erkennbar, dass die Regelung lediglich auf Praxen anwendbar sei, die praxisbezogen ihr Regelleistungsvolumen bekomme. Ein lediglich arztbezogenes Regelleistungsvolumen begründe keinen BAG-Aufschlag. Zweck des Aufschlags sei die Kooperation bei der Patientenbehandlung im Rahmen der Berufsausübungsgemeinschaft zu fördern. Frau Dr. A2 arbeite als psychotherapeutisch tätige Ärztin in einem stark personenbezogenen Verhältnis zwischen Psychotherapeut und Patient. Eine Kooperation mit einer anderen Arztgruppe könne so schwer erfolgen. Der Zweck des BAG-Aufschlags könne in der Konstellation der Klägerin somit nicht erfüllt werden. Der BAG-Aufschlag von 10 % werde im Übrigen nur an fach- und schwerpunktgleiche Berufsausübungsgemeinschaften gewährt. Die Klägerin trage selbst vor, dass es sich bei ihrer Praxis um eine fachübergreifende Berufsausübungsgemeinschaft handele, weswegen die Gewährung des 10%- Zuschlags auch daran scheitern würde.

Hiergegen hat die Klägerin am 16.01.2017 die Klage zum Az.: S 12 KA 37/17 erhoben.

Gegen den Bescheid vom 30.05.2016 für die übrigen Quartale IV/10 bis I/12 legte die Klägerin am 24.06.2016 Widerspruch ein. Sie machte weiterhin geltend, als fachübergreifende Berufsausübungsgemeinschaft müsse ihr ein Aufschlag in Höhe von 10% gewährt werden. Auch wenn Frau Dr. A2 kein Regelleistungsvolumen zugewiesen bekommen habe, da sie psychotherapeutisch tätig sie, sei eine entsprechende Ausnahme vom Aufschlag in den Honorarverteilungsverträgen sowie den zu Grunde liegenden Regelungen der Gesamtvertragspartei nichts entnehmen. Auch die Beschlüsse des Bewertungsausschusses ließen keine Ausnahme für den Fall zu, dass ein Hausarzt mit einem nicht dem Regelleistungsvolumen unterworfenem Arzt tätig werde. Aufgrund der Abrechnungsbestimmungen sei ein solcher Aufschlag zur Kompensation von Nachteilen in einer solchen Berufsausübungsgemeinschaft gegenüber den Einzelpraxen auch geboten.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2016 den Widerspruch als unbegründet mit weitgehend gleichlautender Begründung wie für das Quartal III/10 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 23.11.2016 die Klage zum Az.: S 12 KA 691/16 erhoben.

Im Rahmen ihrer Klagen ist sie weiterhin der Auffassung, die Regelungen zur Honorarverteilung sähen nicht vor, dass ein Aufschlag bei Berufsausübungsgemeinschaften nur zu erteilen sei, wenn alle oder mehrere Ärzte ein Regelleistungsvolumen erhielten. Die Beklagte betone vielmehr, dass aus den Regelungen zum Kooperationsgrad abgeleitet werden könne, ein Aufschlag komme bei Psychotherapeuten nicht in Betracht. Herr Dr. A1 habe aber ebf. einen entsprechenden Schwerpunkt im Bereich der Psychotherapie. Gerade vor dem Hintergrund, dass eine Berufsausübungsgemeinschaft zwingend eine gemeinsame Patientenbehandlung und damit Überschneidungen voraussetzen, sei es unzutreffend, dass Überschneidungen nicht in Betracht kämen.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 26.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2016 und den Bescheid vom 30.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie unter Beachtung der Rechtsverfassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist unter Hinweis auf ihre Regelungen zur Honorarverteilung weiterhin der Auffassung, nach dem Wortlaut sei deutlich erkennbar, dass sich die Regelung lediglich auf Praxen beziehe, die praxisbezogen ihr Regelleistungsvolumen bekämen, was jedoch für Frau Dr. A2 als ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärztin nicht der Fall sei. Die Klägerin sei von Abrechnungsnachteilen im Falle von Überschneidungen des Patientenklientels überhaupt nicht betroffen. Frau Dr. A2 arbeite in einem stark personenbezogenen Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Zum anderen zeige sich anhand der Honorarunterlagen beispielsweise des Quartals I/11, dass kein Abzug von den RLV-relevanten Fällen aufgrund einer Behandlung der Patienten durch beide BAG- Partner bei der Klägerin erfolgt sei. So seien im Quartal I/11 von 1.129 Fällen 1.224 regelleistungsvolumenrelevante Fälle berücksichtigt worden. Die übrigen Fälle seien als stationäre/präventive Fälle bzw. Fälle außerhalb des Regelleistungsvolumens abgezogen worden. Folglich unterliege die Klägerin nicht den abrechnungsbedingten Nachteilen einer Berufsausübungsgemeinschaft, welche durch einen Aufschlag kompensiert werden müssten. Die Nichtberücksichtigung im Rahmen des BAG-Aufschlags sei demnach sachlich gerechtfertigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, und der Sachverhalt ist geklärt. Die Kammer hat die Beteiligten hierzu mit Verfügung vom 21.08.2017 angehört.

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insb. form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Es kann dahinstehen, ob der Rechtsprechung des LSG Hessen zu folgen ist, wonach eine Klage gegen die Festsetzung des Regelleistungsvolumens unzulässig ist, wenn der Vertragsarzt es versäumt hat, gegen die Honorarbescheide Widerspruch einzulegen, so dass diese in Bestandskraft erwachsen sind (§ 77 SGG), da mit dem Eintritt von Bestandskraft hinsichtlich der Honorarbescheide zwischen den Beteiligten rechtsverbindlich feststeht, dass für die betreffenden Quartale kein Anspruch auf höheres Honorar besteht. In einem solchen Fall entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtung des Bescheids über die Höhe des Regelleistungsvolumens (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 28.11.2012 - L 4 KA 73/11 - unveröff.). Soweit das LSG Hessen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verweist, so war diese in der Vergangenheit nicht einheitlich und hat das Bundessozialgericht deshalb zuletzt betont, die Verhinderung des Eintritts der Bestandskraft müsse nicht notwendig in der Weise erfolgen, dass der Vertragsarzt gegen den abschließenden Honorarbescheid Widerspruch einlege. Es reiche auch aus, wenn die KV gegenüber Vertragsärzten, deren Regelleistungsvolumen noch im Streit stehe, die Verpflichtung übernehme, den Honorarbescheid einer eventuell geänderten Regelleistungsvolumen-Festsetzung anzupassen oder generell verlautbare, dass sie neue Honorarbescheide erlassen werde, wenn sich beim einzelnen Arzt Änderungen bei dem RLV ergäben. Die KV hat daher ggf. zu prüfen, ob Vertragsärzten, die im Vertrauen auf die (ältere) Rechtsprechung des Bundessozialgerichts von einer gleichzeitigen Anfechtung der Honorarbescheide abgesehen haben, Vertrauensschutz zu gewähren sein kann. Hierfür bestehe ggf. Veranlassung, weil durch die nicht einheitliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Rechtsunsicherheit eingetreten sein könne und zudem die grundlegenden Ausführungen des Senats im Beschluss vom 17.08.2011 (B 6 KA 30/11 B) nicht veröffentlicht worden seien, sodass hiervon keine Kenntnis habe genommen werden können. Dies gelte jedenfalls für Honorarbescheide, bei denen vor Veröffentlichung der Entscheidung des Senats vom heutigen Tag Bestandskraft eingetreten sei (vgl. BSG, Urt. v. 15.08.2012 B 6 KA 38/11 R - SozR 4-2500 § 87b Nr. 1, juris Rdnr. 15 f.). Insoweit ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte in der Vergangenheit auch die Verfahren über die Festsetzung eines Regelleistungsvolumens fortgeführt hat, obwohl die Honorarbescheide nicht angefochten wurden. Hinzu kommt, dass die Beklagte sich auch im angefochtenen Widerspruchsbescheid nicht auf ein fehlendes Rechtsschutzinteresse der Klägerin berufen, sondern diese vielmehr materiellrechtlich über die Höhe ihres Regelleistungsvolumens neu beschieden hat. Jedenfalls in diesen Fällen ist von einem weiterhin bestehenden Rechtsschutzbedürfnis auszugehen (vgl. bereits SG Marburg, Gerichtsb. v. 10.04.2013 - S 12 KA 832/11 - rechtskräftig).

Die Klage ist auch z. T. begründet. Der Bescheid vom 26.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2016 und der Bescheid vom 30.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2016 für die Quartale IV/10 bis II/11 sind rechtswidrig und waren aufzuheben bzw. insoweit abzuändern. Die Klägerin hat für die Quartale III/10 bis II/11 einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsverfassung des Gerichts. Im Übrigen war der Bescheid vom 30.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2016 für die Quartale III/11 bis I/12 nicht zu beanstanden und war die Klage daher im Übrigen abzuweisen.

Nach dem Honorarverteilungsvertrag 2010 i. d. F. der 2. Nachtragsvereinbarung (im Folgenden: HVV) wird auf der Grundlage der Beschlüsse des (Erweiterten) Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 4 SGB V in Abschnitt II Nr. 1 HVV zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit je Quartal eine abrechenbare Menge vertragsärztlicher Leistungen vorgegeben (Regelleistungsvolumen (RLV)), die mit den in der Euro-Gebührenordnung gemäß § 87a Abs. 2 SGB V enthaltenen Preisen zu vergüten ist. Die Regelleistungsvolumina werden je Arzt ermittelt.

Die Regelleistungsvolumina werden arztbezogen ermittelt (Nr. 1.2.2.), ihre Zuweisung erfolgt nach Ziff. 1.3.1 HVV (Arztpraxisbezogene Zuweisung der Regelleistungsvolumen) praxisbezogen. Dabei ergibt sich die Höhe des Regelleistungsvolumens einer Arztpraxis aus der Addition der Regelleistungsvolumina je Arzt, die in der Arztpraxis tätig sind (Arztfall). Dem einer Arztpraxis zugewiesenen Regelleistungsvolumen steht die in der Arztpraxis abgerechnete Leistungsmenge gegenüber. Zur Förderung der vertragsärztlichen Versorgung in Berufsausübungsgemeinschaften wird das praxisbezogene Regelleistungsvolumen a) für fach- und schwerpunktgleiche Berufsausübungsgemeinschaften und Praxen mit angestellten Ärzten der gleichen Arztgruppe um 10 % erhöht, b) für fach- und schwerpunktübergreifende Berufsausübungsgemeinschaften, Medizinische Versorgungszentren und Praxen mit angestellten Ärzten anderer Arztgruppen bzw. Schwerpunkte um 5 % je Arztgruppe bzw. Schwerpunkt für maximal sechs Arztgruppen bzw. Schwerpunkt, für jede weitere Arztgruppe bzw. Schwerpunkt um 2,5 %, jedoch insgesamt höchstens um 40 % erhöht. Nach Ziff. 2.1 Abs. 1 Satz 1 kommen Regelleistungsvolumina für Ärzte der in Anlage 1 genannten Arztgruppen zur Anwendung. Nach Ziff. 4.1 werden abweichend von den Regelungen für Arztgruppen gemäß Anlage 1 für
- Psychologische Psychotherapeuten
- Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
- Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie
- andere ausschließlich psychotherapeutisch tätige Vertragsärzte gemäß den Kriterien der Bedarfsplanungsrichtlinien
zeitbezogene Kapazitätsgrenzen je Quartal durch die KV Hessen jedem Arzt zugewiesen, um eine übermäßige Ausdehnung der psychotherapeutischen Tätigkeit zu verhindern.

Diese Regelungen wurden durch den Honorarvertrag 2011 in den Quartalen I und II/11 fortgeführt, bzgl. der Erhöhung des Regelleistungsvolumens für Berufsausübungsgemeinschaften nunmehr in Ziff. 1.4.1 des Abschnitts II. Die Regelung zur arztpraxisbezogenen Zuweisung der Regelleistungsvolumen nach Ziff. 1.4.1 wurde zum Quartal III/11 an einen Kooperationsgrad gekoppelt. Soweit der Kooperationsgrad berücksichtigt wird, ist dieser wie folgt definiert: Kooperationsgrad (KG) je Abrechnungsquartal in Prozent = ((RLV-relevante Arztfallzahl der Arztpraxis im Vorjahresquartal / Zahl der Behandlungsfälle gemäß 2.5, Satz 1 im Vorjahresquartal) 1) * 100. Zur Förderung der vertragsärztlichen Versorgung in Berufsausübungsgemeinschaften wird das praxisbezogene Regelleistungsvolumen
a) bei nicht standortübergreifenden fach- und schwerpunktgleichen Berufsausübungsgemeinschaften und Praxen mit angestellten Ärzten der gleichen Arztgruppe um 10 % erhöht
b) bei standortübergreifenden fach- und schwerpunktgleichen Berufsausübungsgemeinschaften und Praxen mit angestellten Ärzten der gleichen Arztgruppe um 10 % erhöht, soweit ein Kooperationsgrad von mindestens 10 % erreicht wird.
c) in fach- und schwerpunktübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaften, Medizinischen Versorgungszentren und Praxen mit angestellten Ärzten, in denen mehrere Ärzte unterschiedlicher Arztgruppen gemäß Anlage 1 tätig sind, wird das Regelleistungsvolumen unter Berücksichtigung des Kooperationsgrades der Einrichtung oder Praxis um die in nachstehender Tabelle in Prozent ausgewiesenen Anpassungsfaktoren erhöht.
Tabelle: Anpassungsfaktoren in Prozent:
Kooperationsgrad (KG) in Prozent Anpassungsfaktor in Prozent
0 bis unter 10 0
10 bis unter 15 10
15 bis unter 20 15
20 bis unter 25 20
25 bis unter 30 25
30 bis unter 35 30
35 bis unter 40 35
40 und größer 40

Bei Berufsausübungsgemeinschaften, deren Zusammensetzung/Struktur sich während der Vertragslaufzeit im Vergleich zum Basisquartal des Jahres 2010 ändert, wird der Kooperationsgrad im aktuellen Abrechnungsquartal durch die Kassenärztliche Vereinigung Hessen ermittelt und der Abrechnung zugrunde gelegt.

Diese Regelung galt auch im Quartal IV/11 und wurde im Quartal I/12 als Ziff. 1.4.1 des Honorarverteilungsmaßstabs fortgeführt

Nach Ziff. 2.5, Satz 1 sind für Regelleistungsvolumina, qualifikationsgebundene Zusatzvolumen relevante Fälle kurativ-ambulante Behandlungsfälle gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 2 BMV-Ä bzw. § 25 Abs. 1 und Abs. 2 EKV, ausgenommen Notfälle im organisierten Notfalldienst ("Bereitschaftsdienst") (Muster 19a der Vordruckvereinbarung) und Überweisungsfälle zur Durchführung ausschließlich von Probenuntersuchungen oder zur Befundung von dokumentierten Untersuchungsergebnissen und Fälle, in denen ausschließlich Leistungen und Kostenerstattungen, die gemäß Nrn. II.2.2 bis 2.4 nicht dem Regelleistungsvolumen und qualifikationsgebundenen Zusatzvolumen unterliegen, abgerechnet werden.

Ausgehend von diesen Regelungen erfüllt die Klägerin für die Quartale III/10 bis II/11 die Voraussetzungen für einen Zuschlag zum Regelleistungsvolumen, nicht aber für die Quartale III/11 bis I/12.

Für die Quartale III/10 bis II/11 liegen die Voraussetzungen für einen Zuschlag zum Regelleistungsvolumen vor und war der Klage daher insoweit stattzugeben.

Für die Quartale III/10 bis II/11 wird für die Erhöhung des Regelleistungsvolumens nur verlangt, dass es sich um eine fach- und schwerpunktübergreifende Berufsausübungsgemeinschaft handelt. Es handelt sich um eine fach- und schwerpunktübergreifende Berufsausübungsgemeinschaft, obwohl Frau Dr. A2 ebenso wie Dr. A1 Allgemeinmedizinerin ist. Sie ist aber als ausschließlich psychotherapeutisch tätig Ärztin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und unterscheidet sich daher sowohl bedarfsplanungsrechtlich als auch von der Zuordnung zu einer Fachgruppe von Herrn Dr. A1. Dies wird im Übrigen von der Beklagten auch nicht bestritten. Entgegen der Ansicht der Beklagten wird aber nicht darauf abgestellt, dass jeder Arzt der Berufsausübungsgemeinschaft bzw. hier im konkreten Fall beide Ärzte der Berufsausübungsgemeinschaft ein eigenes Regelleistungsvolumen zugewiesen bekommen. Gerade aus dem Wortlaut wird eine solche Begrenzung nicht ersichtlich. Überschneidungen des Patientenklientels sind nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Als Honorarbestimmung kommt eine teleologische Reduktion nicht in Betracht (zur Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 16.12.2015 - B 6 KA 26/15 R - SozR 4-5531 Nr. 40100 Nr. 2, juris Rdnr. 19 m. w. N.; BSG, Urt. v. 17.02.2016 - B 6 KA 47/14 R - SozR 4-2500 § 87 Nr. 32, juris Rdnr. 28 m. w. N.).

Für die Quartale III/11 bis I/12 besteht allerdings kein Anspruch für eine Erhöhung des Regelleistungsvolumens und war die Klage insoweit abzuweisen. Insofern stellen die Verteilungsregelungen nicht nur auf einen Kooperationsgrad ab, sondern knüpft die Erhöhung für fach- und schwerpunktübergreifende Berufsausübungsgemeinschaften ausdrücklich daran, dass mehrere Ärzte unterschiedlicher Arztgruppen "gemäß Anlage 1" tätig sind. Anlage 1 führt aber nur die Arztgruppen auf, denen ein Regelleistungsvolumen zuzuweisen ist. Hierunter fällt aber nicht die Arztgruppe der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte. Insofern trifft für diese Quartale die Auffassung der Beklagten zu. Eine rechtlich unzulässige Ungleichbehandlung ist darin nicht zu sehen, da mit dem Anknüpfen an die Zuweisung eines Regelleistungsvolumens eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung vorgenommen wird.

Im Ergebnis war der Klage daher teilweise stattzugeben, war sie aber im Übrigen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Quotelung erfolgte nach den Teilen des Obsiegens und Unterliegens.

Der Streitwert war mangels näherer Angaben auf den Regelstreitwert pro Quartal festzusetzen. Dies ergab den festgesetzten Wert.
Rechtskraft
Aus
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