L 3 R 5888/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 19 R 569/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 5888/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Abänderungs- und Rückforderungsbescheid der Beklagten aufgrund Anrechnung von Arbeitslosengeld (Alg) bzw. Überschreitens der Hinzuverdienst-grenzen für die Zeit vom 01.05.2006 bis 31.01.2007.

Der 1952 geborene Kläger ist gelernter Maler und Autolackierer und bezieht von der Beklagten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit seit dem 01.02.2005 (Bescheid vom 30.08.2005, in dem auf die maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen auch beim Bezug von Alg und die damit korrespondierenden Mitwirkungspflichten des Klägers hingewiesen wird (Bl. 125ff. der Bekl.-Akten), sowie vom 01.12.2005, auf den hinsichtlich des jeweils ausbezahlten Rentenbetrages verwiesen wird (Bl. 289ff. der Bekl.-Akten), in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2006 (Bl. 317ff. der Bekl.-Akten)). Die auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gerichtete Klage blieb ebenso wie die nachfolgende Berufung erfolglos (Sozialgericht Freiburg (SG), Urteil vom 29.05.2008 - S 11 R 919/06 -; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.12.2008 - L 11 R 3798/08 -).

Nach Auslaufen des Krankengeldbezugs zum 17.02.2006 (Bescheinigungen der IKK Baden-Württemberg und Hessen vom 03.07.1999 (Bl. 45f. der SG-Akten)) bewilligte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger Alg ab dem 18.02.2006 in Höhe von kalendertäglich 39,78 EUR für 360 Tage und legte hierbei ein Bemessungsentgelt von täglich 80,01 EUR zugrunde (Bescheid vom 27.02.2006 (Bl. 31f. SG-Akten)).

Der Kläger teilte der Beklagten (erst) auf deren Nachfrage vom 29.01.2007 mit, ein Jahr Alg erhalten zu haben und ab 19.02.2007 Alg II zu beziehen (Antwortschreiben vom 08.02.2007).

Mit Bescheid vom 02.03.2007 bewilligte das Landratsamt Ortenaukreis dem Kläger und seiner mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Tochter Angelina Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vom 01.03. bis 31.07.2007 in Höhe von monatlich 260,01 EUR.

Die Bundesagentur für Arbeit unterrichtete die Beklagte auf deren Nachfrage darüber, dass der Kläger vom 18.02.2006 bis 19.02.2007 Alg in Höhe von kalendertäglich 39,78 EUR unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts von kalendertäglich 80,01 EUR erhalten habe (Schreiben vom 17.04.2007).

Die Beklagte hörte den Kläger daraufhin zur beabsichtigten Aufhebung des Rentenbescheides vom 30.08.2005 für die Zeit vom 01.05.2006 bis 31.01.2007 und der hieraus resultierenden Rückforderung überzahlter Beträge in Höhe von 4.390,20 EUR an. Hierauf reagierte der Kläger nicht.

Mit Bescheid vom 21.06.2007 hob die Beklagte sodann den Bescheid vom 30.08.2005 für die Zeit vom 01.05.2006 bis 31.01.2007 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und forderte die überzahlten Beträge in Höhe von 4.390,20 EUR gemäß § 50 SGB X vom Kläger zurück.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch, den der Kläger damit begründete, "alle beteiligten Behörden" seien informiert gewesen und ein grob fahrlässiges Handeln könne ihm nicht angelastet werden, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2009 zurück und verwies darauf, der Kläger habe nach Erlass des Bescheides vom 30.08.2005 anrechenbares Einkommen erzielt und hierdurch im fraglichen Zeitraum sämtliche Hinzuverdienstgrenzen überschritten; auf das Vorliegen grober Fahrlässigkeit komme es nicht an.

Hiergegen hat der Kläger am 05.02.2009 Klage zum SG erhoben und sich darauf berufen, ihm sei nie erklärt worden, dass sich die Zahlung von Alg auf die Höhe seiner Rente auswirken könne. Zudem habe er nur in Höhe von 39,78 EUR kalendertäglich Alg erhalten.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.11.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte sei gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X berechtigt gewesen, den Rentenbescheid mit Wirkung für die Zeit vom 01.05.2006 bis 31.01.2007 aufzuheben, da der Kläger nach dessen Erlass Alg erzielt habe, das nach § 96a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) im fraglichen Zeitraum zum Wegfall des Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit geführt habe. Bei der Prüfung, inwieweit das bezogene Alg die Hinzuverdienstgrenze überschritten habe, habe die Beklagte auch zutreffend auf das dem Bezug von Alg zugrunde liegende Arbeitsentgelt von täglich 80,01 EUR abgestellt. Im Übrigen komme es nicht darauf an, ob der Kläger grob fahrlässig gehandelt habe. Es liege vor dem Hintergrund, dass die Beklagte den Kläger im Bescheid vom 30.08.2005 über seine Mitwirkungspflichten hingewiesen habe, auch kein atypischer Fall vor; ein Ermessen über die Rücknahme sei der Beklagten daher nicht eingeräumt.

Gegen den ihm am 16.11.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.12.2009 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Ergänzend macht er geltend, die Beklagte habe sich im Bescheid vom 21.06.2007 nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, sondern auf Nr. 2 dieser Vorschrift gestützt. Deren Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Die Beklagte sei "über die Einkommenssituation zu jeder Zeit informiert" gewesen, ein Fehlverhalten könne nicht ihm, sondern allenfalls den "zuständigen Behörden" angelastet werden. Den überzahlten Betrag habe er bereits verbraucht, indem er hiervon seiner Tochter einen Fernseher, eine Stereoanlage, einen Computerflachbildschirm und einen Gameboy geschenkt habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11. November 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte berechtigt ist, den durch den Bescheid vom 01.12.2005 geänderten Bescheid vom 30.08.2005 mit Wirkung für die Zeit vom 01.05.2006 bis 31.01.2007 abzuändern und die in diesem Zeitraum gezahlten Rentenleistungen gemäß § 50 SGB X zurückzufordern.

Das SG hat in dem vom Kläger angefochtenen Gerichtsbescheid die Sach- und Rechtslage sowohl im Hinblick auf die Frage des Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen als auch hinsichtlich der Aufhebungsvoraussetzungen nach § 48 SGB X zutreffend wiedergegeben. Dass der Anspruch auf Zahlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit durch das seitens des Klägers im fraglichen Zeitraum bezogene Alg weggefallen ist, steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Der Senat nimmt deshalb auf die Ausführungen des SG nach eigener Überprüfung Bezug und sieht insoweit gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte - entgegen der Auffassung des Klägers - die Abänderung des Bescheides vom 30.08.2005 bereits im Bescheid vom 21.06.2007 auf der dortigen Seite 4 (Bl. 521 der Bekl.-Akten) ausdrücklich auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt hat. Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn und soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Diese Voraussetzung ist allein und ohne, dass es hierfür auf ein Verschulden oder auch nur auf ein Erkennenkönnen von Seiten des Klägers ankommt, durch das Überschreiten der maßgeblichen Hinzuverdienstgrenze nach § 96a SGB VI erfüllt. Diese Vorschrift regelt für die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Hinzuverdienstgrenzen, welche die Lohnersatzfunktion dieser Renten stärken sollen (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 96a SGB VI, Rnr. 2, Stand: August 2008 unter Hinweis auf die amtliche Begründung in der BT-Drucks 13/2590 S.23 zu Nr. 5). Die sich hieraus ergebende Anrechnung von Erwerbsersatzeinkommen begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 31.01.2008 - Az.: B 13 R 23/07 R -, Rnr. 34ff., zit. nach juris).

Die Berechtigung der Beklagten zur rückwirkenden Aufhebung scheitert nicht an einer fehlenden oder nicht ausreichenden Ermessensausübung. Eine solche ist bei der Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X erst dann erforderlich, wenn ein Sachverhalt gegeben ist, der vom Regelfall abweichende Besonderheiten aufweist. Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor, so dass die Beklagte - ohne Ermessensentscheidung - zur Aufhebung verpflichtet war. Denn die Behörde ist bei Anwendung einer Soll-Vorschrift für den Regelfall gehalten, den Verwaltungsakt mit Wirkung auch für die Vergangenheit aufzuheben (st. Rspr. des BSG; s. die Nachweise bei Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand 1. Mai 2006, § 48 SGB X Rnr. 36). Die Aufhebung erfolgt zwingend bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Nur für außergewöhnliche Sachverhalte räumt die generelle Soll-Bestimmung der zuständigen Behörde eine Ermessenskompetenz ein. Ein atypischer Fall liegt vor, wenn der Einzelfall auf Grund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall der Tatbestände nach Abs. 1 Satz 2, die die Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit gerade rechtfertigen, signifikant abweicht und die vorgesehene Rechtsfolge für den Betroffenen eine unverhältnismäßige Härte darstellen würde (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, a.a.O., § 48 SGB X Rnr. 37). Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Denn es handelt sich um den klassischen Fall der Erzielung von Erwerbsersatzeinkommen, das zum Wegfall einer zeitgleich gewährten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung geführt hat. Ein (Mit-)Verschulden der Beklagten an der Überzahlung, das grundsätzlich einen atypischen Fall begründen könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Vielmehr ist die Beklagte ihren Hinweispflichten - wie die Erläuterungen in ihrem Bescheid vom 30.08.2005 zeigen - nachgekommen und hat nach Kenntnis der Gründe über den Wegfall des Leistungsanspruches die Aufhebung und Rückforderung zügig durchgeführt. Dass der Kläger seinem Vortrag zufolge seiner Tochter von dem überzahlten Betrag einen Fernseher, eine Stereoanlage, einen Computerflachbildschirm und einen Gameboy geschenkt hat, vermag einen atypischen Fall ebenso wenig wie eine besondere Härte zu begründen, wobei angesichts der eindeutigen Hinweise im Bescheid vom 30.08.2005 insoweit auch ein "gutgläubiges" Handeln ausgeschlossen ist.

Nachdem die Aufhebung der Leistungsbewilligung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt werden kann, erübrigen sich Feststellungen dahingehend, ob auch die Voraussetzungen der Nummern 2 und 4 der Vorschrift erfüllt sind.

Der von der Beklagten auch der Höhe nach zutreffend berechnete Rückforderungsanspruch ergibt sich aus § 50 Abs. 1 SGB X.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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