S 9 KR 698/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 698/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 25.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.12.2014 bis zum 30.09.2015 die durch die D. D. MMQ entrichteten Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 911,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier vom Hundert seit dem 14.08.2015 bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit Verzinsung voller Euro-Beträge zu erstatten. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung gezahlter Rentenversicherungsbeiträge.

Der Kläger war vom 01.12.2014 bis zum 30.09.2015 im Rahmen seines Rechtsreferendariats in der Anwaltsstation der Kanzlei D. D. MMQ in E. zugewiesen. Mit dieser bestand für diese Zeit ein "Ausbildungsvertrag für Referendare". Dieser befristete die Tätigkeit auf die Zeit der Zuweisung im Rahmen der Anwaltsstation des Rechtsreferendariats. Nach dem Vertrag war der Kläger verpflichtet, an drei Tagen pro Woche zur Ausbildung in der Kanzlei anwesend zu sein. Hierzu war eine Anpassungsmöglichkeit vorgesehen, um die Verfügbarkeit des Klägers im Rahmen des Referendariats, die Vorbereitung auf das Staatsexamen und die Ausbildung miteinander in Einklang zu bringen. Mit dem Vertrag verpflichtete sich der Kläger, "sich seiner Ausbildung innerhalb des vereinbarten zeitlichen Umfangs uneingeschränkt zu widmen".

Im Vertrag mit der Kanzlei war eine monatliche Ausbildungsvergütung von 975 Euro vereinbart. Auf diese führte die Kanzlei Rentenversicherungsbeiträge an die Beklagte in Höhe von insgesamt 911,60 Euro ab.

Mit Schreiben vom 10.07.2015 beantragte der Kläger, die gezahlten Rentenversicherungsbeiträge zu erstatten und für Juli bis September 2015 Beiträge nicht mehr zu erheben. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.08.2015 ab. Es sei danach zu differenzieren, ob es sich bei einer Tätigkeit während des Referendariats um ein damit einheitliches Beschäftigungsverhältnis im Rahmen des Ausbildungsverhältnisses, oder um eine daneben bestehende Zweitbeschäftigung handele. Ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis könne bei Zahlungen seitens des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer nur angenommen werden, wenn diese ohne zwingenden Rechtsgrund erfolgten. Ein solcher liege hier aber mit dem Ausbildungsvertrag vor.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch, nach dem die Zahlungen freiwillig erfolgten und gerade kein Arbeitsvertrag bestehe, sondern lediglich die Ausbildung im Rahmen des Referendariats erfolge, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2015 zurück. Neben dem Vorliegen eines zwingenden Rechtsgrundes in Form des Ausbildungsvertrages sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Versorgungsanwartschaft des Klägers aufgrund des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses des Rechtsreferendariats nicht auf die Zahlungen der Kanzlei bezögen.

Hiergegen richtet sich der Kläger mit der Klage vom 18.12.2015. Er ist der Meinung, die Zahlungen der Kanzlei seien in der Rentenversicherung beitragsfrei, da es sich bei der dortigen Tätigkeit nicht um eine Nebenbeschäftigung, sondern um eine Station des Referendariats gehandelt habe und damit von einem einheitlichen öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis auszugehen sei. Er beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 25.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.12.2014 bis zum 30.09.2015 die durch D. D. MMQ entrichteten Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 911,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 vom Hundert seit dem 14.08.2015 bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich dabei auf die schon vorgerichtlich vorgetragenen Argumente.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Danach kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes kann nach § 54 Abs. 1 SGG beantragt werden, wenn dieser rechtswidrig ist.

Die Ablehnung der Erstattung der gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung war rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der Beiträge nach § 26 des Sozialgesetzbuches Viertes Buch (SGB IV). Danach sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht hat oder zu erbringen hat.

Anhaltspunkte dafür, dass der der Versicherungsträger der Rentenversicherung bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs für den Zeitraum, für den die Beiträge entrichtet worden sind, oder auf Grund dieser Beiträge Leistungen erbracht hat, oder Leistungen zu erbringen hatte, liegen nicht vor.

Die Beiträge wurden zu Unrecht erhoben. Es lagen keine bestandskräftigen Bescheide über die Beitragserhebung vor (vgl. KassKomm/Seewald SGB IV § 26 Rn. 8-10, beck-online). Es gab auch keinen Rechtsgrund für die Erhebung der Beiträge. Die Zahlungen der Kanzlei an den Kläger waren nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 Nr. 4 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI) rentenversicherungsfrei. Danach sind sonstige Beschäftigte von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts, deren Verbänden einschließlich der Spitzenverbände oder ihrer Arbeitsgemeinschaften, wenn ihnen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist, versicherungsfrei in der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn sie in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis stehen.

Das Rechtsreferendariat wird in Nordrhein-Westfalen nach § 30 des Juristenausbildungsgesetzes (JAG) i.V.m. § 7 Abs. 1 des Landesbeamtengesetzes (LBG) in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis geleistet. Hierbei wird nach § 32 Abs. 2 Satz 3 JAG ein Anspruch auf Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung gewährt. Auch die nicht gegebene Erstreckung der Versorgungszusage auf die zusätzliche Vergütung führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sind die dort genannten Personenkreise nicht versicherungspflichtig, wenn ihnen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung zusteht. Dies erfordert, dass die Versorgungsleistung auf dem Alimentationsprinzip beruht (Dankelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 5 SGB VI, Rn. 83). Dies ist nicht so zu verstehen, dass von sich diese Versorgungszusage auf die gesamten Bezüge beziehen muss. Auch dem beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip ist es nicht fremd, dass einzelne Gehaltsbestandteile nicht ruhegehaltfähig sind. So sind nach § 48 Abs. 4 Landesbesoldungsgesetz (LBesG) beispielsweise Stellenzulagen nur ruhegehaltfähig, wenn dies gesetzlich bestimmt ist.

Die Zahlung der Kanzlei erfolgte als Ausbildungsvergütung für eine Tätigkeit im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses und nicht für eine daneben bestehende Nebenbeschäftigung.

Eine Vergütung für die Tätigkeit bei einem Anwalt während der Ausbildung in der Anwaltsstation des Rechtsreferendariats begründet keine neben dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis bestehende Nebentätigkeit, wenn sich die Beschäftigung des Referendars in der Anwaltskanzlei nicht in einen Ausbildungsteil und einen Anteil unabhängig davon erbrachter Arbeitsleistung aufteilen lässt (Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Mai 1978 – 12 RK 25/77 –, juris; Sozialgericht Berlin, Urteil vom 07. Juli 2015 – S 76 KR 1743/13 –, juris). Ein wirtschaftlicher Nutzen der Tätigkeit einer in Ausbildung befindlichen Person für die ausbildende Stelle ist sowohl im Rahmen des Rechtsreferendariats, als auch bei der klassischen betrieblichen Ausbildung nicht unüblich. Eine Begründung eines eigenständigen Beschäftigungsverhältnisses erfolgt hierdurch nicht, auch wenn ohne zwingenden Rechtsgrund hierfür eine Vergütung gezahlt wird (Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Mai 1978 – 12 RK 48/76 –, juris). Während des Rechtsreferendariats bleibt das Land auch bei Zuweisung zu einer anderen Stelle zur Ausbildung alleiniger Dienstherr und es liegt ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis vor, wenn nicht eine zusätzliche, über die Ausbildung hinausgehende, geschuldete Arbeitsleistung des Referendars vereinbart ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 31. März 2015 – B 12 R 1/13 R – juris; Sozialgericht Berlin, Urteil vom 07. Juli 2015 – S 76 KR 1743/13 –, juris).

Der Ausbildungsvertrag mit der Kanzlei begründet keine über die Ausbildung hinausgehenden Arbeitsverpflichtungen des Klägers. Er bezieht sich auf die Erfordernisse der Ausbildung im Rahmen des Rechtsreferendariats und ordnet eine Anwesenheitspflicht des Klägers zum Zwecke der Ausbildung an. In § 2 des Vertrages verpflichtet sich der Kläger sogar ausdrücklich, sich "seiner Ausbildung innerhalb des vereinbarten zeitlichen Umfangs uneingeschränkt zu widmen". Die ganze Arbeitskraft des Klägers sollte nach dem geschlossenen Vertrag mit der ausbildenden Kanzlei also innerhalb des in diesem Vertrag geregelten Umfang für Ausbildungszwecke eingesetzt werden. Dies bestätigte die Kanzlei auch mit dem Fragebogen der Beklagten vom 21.08.2015, auf dem sie angab, dass der Kläger ausschließlich zu Ausbildungszwecken beschäftigt worden sei und die tatsächliche Gestaltung des Arbeitsablaufs nicht in Ausbildung und Zweitbeschäftigung getrennt sei. Auch die Beklagte hat auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass der Kläger eine von der Ausbildung zu trennende Tätigkeit ausgeübt hätte.

Daran ändert auch der im Ausbildungsvertrag geregelte Urlaubsanspruch nichts. Für sich alleine genommen hätte der Urlaubsanspruch aus dem Ausbildungsvertrag keine Freistellung von den Verpflichtungen des Referendariats auch zur praktischen Ausbildung bewirken können. Im einheitlichen Beschäftigungsverhältnis richtet sich der Urlaubsanspruch nach § 32 Abs. 4 JAG. Soweit sich der Kläger durch den Ausbildungsvertrag auch gegenüber der Kanzlei zum Einsatz im Rahmen der praktischen Ausbildung verpflichtet hat, kann der vertragsgemäße Urlaubsanspruch nur hiervon eine Befreiung bewirken. Auch bei in Anspruch genommenem Urlaub alleine aus dem Vertrag bliebe aber die Verpflichtung zur Tätigkeit in der Kanzlei aus der Zuweisung im Rahmen des Referendariats bestehen. Eine über die Disposition der täglichen Tätigkeit in der praktischen Ausbildung hinausgehende Dienstherren- bzw. Arbeitgeberfunktion und damit ein Anhaltspunkt für ein eigenständiges Beschäftigungsverhältnis lässt sich daraus nicht ableiten.

Der Abschluss eines Ausbildungsvertrages mit Vereinbarung einer Vergütung stellt auch keinen zwingenden Rechtsgrund für die Zahlung einer Vergütung im Sinne der genannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dar. Eine Vereinbarung über die Zahlung dürfte jeder zusätzlichen Vergütung zugrunde liegen. Auch eine mündliche Abrede über eine zusätzliche Vergütung wäre in diesem Sinne eine vertragliche Vereinbarung. Der Abschluss einer solchen Vereinbarung ist aber freiwillig und ohne zwingende rechtliche Verpflichtung. Insbesondere sieht das JAG keine Verpflichtung zur Zahlung einer zusätzlichen Ausbildungsvergütung für die Stellen der praktischen Ausbildung nach § 41 JAG vor.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 27 Abs. 1 SGB IV. Soweit der Kläger in seinem Antrag nicht ausdrücklich die Verzinsung voller Eurobeträge wörtlich genannt hat, war dieser nach § 123 SGG so zu verstehen, dass er den Zinsanspruch aus § 27 SGB IV beantragen wollte. In der mündlichen Erörterung im Termin hat er hierauf ausdrücklich Bezug genommen und in der Fassung seines Antrags ansonsten den Wortlaut des § 27 Abs. 1 SGB IV aufgegriffen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 183 und 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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