S 8 SO 214/12 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 8 SO 214/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Wider-spruchs vom 25.06.2012 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21.06.2012 wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 2500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der am 06.07.2012 schriftsätzlich sinngemäß gestellte Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 25.06.2012 gegen den Be-scheid des Antragsgegners vom 21.06.2012 anzuordnen,

hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, jedoch unbegründet.

Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Weitere Kriterien für das Gebrauchmachen von dieser gerichtlichen Anordnungsbefugnis sind gesetzlich nicht geregelt. Sie sind durch Auslegung zu gewinnen. Diese ergibt, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage Ergebnis einer Interessenabwägung ist. Die aufschiebende Wirkung eines solchen Rechtsbehelfs ist anzuordnen, wenn im Rahmen der Interessenabwägung dem privaten Aufschubinteresse gegenüber dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang gebührt. Bei dieser Interessenabwägung ist insbesondere die - nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zu bewertende - Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen (Sozialgericht [SG] Münster, Beschluss vom 06.08.2009, Az.: S 8 AS 116/09 ER; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.08.2008, Az.: S 6 AS 224/08 ER; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, 2012, § 86 b, Rn. 12 e). Ferner ist zu beachten, dass der Gesetzgeber in Fällen des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 - 4 SGG das Entfallen der aufschiebenden Wirkung angeordnet und damit grundsätzlich ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes geregelt hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn im konkreten Fall ein überwiegendes privates Aufschubinteresse feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigem Argumenten zu begründende Ausnahme sein (SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.08.2008, Az.: S 6 AS 224/08 ER; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, 2012, § 86b, Rn. 12 c). Eine solche Ausnahme liegt vor, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte ist nicht erkennbar. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig, ist die aufschiebende Wirkung regelmäßig nicht anzuordnen. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht abschätzbar, ist eine allgemeine Interessenabwägung durchzuführen. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers in die Abwägung einzustellen (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12.05.2005, Az. 1 BvR 569/05; SG Münster, Beschluss vom 06.08.2009, Az.: S 8 AS 116/09 ER; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.08.2008).

Der Widerspruch der Antragstellerin vom 25.06.2012 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21.06.2012 hat gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 93 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) keine aufschiebende Wirkung. Er ist jedoch bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig. Der Antragsgegner hat vielmehr zu Recht die sich aus der fehlenden Inanspruchnahme des dinglichen Wohnrechtes durch die Mutter der Antragstellerin möglicherweise ergebenden Ansprüche der Frau v. E. gegen die Antragstellerin auf der Grundlage von § 93 Abs. 1 SGB XII auf sich übergeleitet.

Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzei-ge an denjenigen, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) ist und gegen den eine leistungsberechtigte Person für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, einen Anspruch hat, bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht. Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB XII darf der Übergang des Anspruchs nur insoweit bewirkt werden, als bei rechtzeitiger Leistung des Anderen die Hilfe nicht gewährt worden wäre. Die schriftliche Anzeige bewirkt den Übergang des Anspruchs für die Zeit, für die der leistungsberechtigten Person die Leistung ohne Unterbrechung von mehr als zwei Monaten erbracht wird (§ 93 Abs. 2 Satz 1 SGB XII).

Diese Voraussetzungen liegen hier bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage vor. Insbesondere kann die Antragstellerin nicht damit gehört werden, dass ihre Mutter gegen sie keine zivilrechtlichen Ansprüche hat. Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der übergeleitete vermeintliche Anspruch zivilrechtlich tatsächlich besteht, kommt es nämlich entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht an. Von einer Überleitung ist lediglich im Fall einer so genannten Negativevidenz abzusehen, also wenn offenkundig ist, dass dieser Anspruch nicht bestehen kann (SG Münster, Urteil vom 18.05.2009, Az.: S 8 (12,8,12) SO 64/06; LSG NRW, Beschluss vom 18.07.2007, Az.: L 20 B 16/07 SO; LSG NRW, Beschluss vom 23.02.2007, Az.: L 20 B 142/06 SO; vgl. auch Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 4. Auflage, 2012, § 93, Rn. 13; grundlegend zur Vorgängervorschrift § 90 Bundessozialhilfegesetz [BSHG]: BVerwG, Urteil vom 26.11.1969, Az.: V C 54.69). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin liegt eine so genannte Negativevidenz hier nicht vor.

Die auf den Antragsgegner übergeleiteten Ansprüche erscheinen zur Überzeugung der Kammer zumindest möglich. Die Beantwortung der Frage ihres Vorliegens liegt keines-wegs - im Sinne der Auffassung der Antragstellerin – "auf der Hand". Dagegen spricht auch nicht die von der Antragstellerin angesprochene Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH), Beschluss vom 25.01.2012, Az.: XII ZB 479/11. Der BGH hatte dort allein zu entscheiden, ob der Verzicht auf ein nicht genutztes Wohnrecht den Begriff der Schenkung im Sinne des § 1804 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erfüllt. Die seitens des Antragsgegners ausgesprochene Überleitung betrifft jedoch überhaupt nicht den Verzicht auf ein dingliches Wohnrecht. Der Antragsgegner stellt vielmehr allein auf die Nichtinanspruchnahme des Wohnrechtes ab. Aus diesem Umstand können sich jedoch zivilrechtliche Ansprüche, die nicht höchstpersönlicher Art sind, ergeben (vgl. nur Brückner, NJW 2008, 1111ff.).

Des Weiteren sind in dem Bescheid vom 21.06.2012 keine Ermessensfehler im Sinne des § 39 SGB I ersichtlich. § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII stellt das "Ob" und "Wie" der Überleitungsentscheidung in das Ermessen des Sozialhilfeträgers. Dabei sind jedoch keine hohen Anforderungen an die Begründung der getroffenen Ermessensentscheidung zu stellen (SG Münster, Urteil vom 18.05.2009, Az.: S 8 (12,8,12) SO 64/06; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 4. Auflage, 2012, § 93, Rn. 21). Der Antragsgegner hat vorliegend deutlich zu erkennen gegeben, dass er der Durchsetzung des Nachranggrundsatzes im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB XII gegenüber den privaten Interessen der Antragstellerin den Vorrang gibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Insoweit hat das Gericht berücksichtigt, dass vorliegend lediglich ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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