S 35 AS 399/17 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
35
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 399/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 648/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die Antragsteller sind rumänische Staatsbürger und leben seit 2014 in Duisburg. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind die Eltern der übrigen Antragsteller.

Mit Bescheid vom 09.12.2015 bewilligte der Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 05.10.2015 bis zum 30.09.2016 vorläufig. Die Antragstellerin zu 1) war im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma Stanislav Nadezhov Veselov seit dem 05.10.2015 abhängig beschäftigt. Durch arbeitgeberseitige Kündigung wurde das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2015 gekündigt.

Mit Änderungsbescheid vom 23.12.2016 setzte der Antragsgegner die Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis 30.06.2016 endgültig fest und hob mit Aufhebungsbescheid vom 31.12.2016 den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 09.12.2015 ab dem 01.07.2016 ganz auf. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, dass der aus der zum 31.12.2015 gekündigten Beschäftigung der Antragstellerin zu 1) resultierende fingierte Arbeitnehmerstatus sechs Monate nach Verlust der Arbeitsstelle ende, so dass die Antragsteller ab dem 01.07.2016 von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien.

Gegen diese Entscheidung legten die Antragsteller über ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein, über den der Antragsgegner bis dato nicht entschieden hat.

Mit Datum vom 26.1.2017 haben die Antragsteller einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei den Sozialgericht Duisburg gestellt, mit dem sie das Ziel einer vorläufigen Bewilligung von Grundsicherungsleistungen weiterverfolgen. Zur Begründung führen sie aus, dass die Antragstellerin zu 1) aufgrund einer neuen Beschäftigung als Gebäudereinigerin bei der Firma D. (Gebäudereinigung R. T. M.) nicht von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen sei. Vielmehr könne sie sich auf einen Arbeitnehmerstatus berufen. Entsprechend bestünde ein Leistungsberechtigung auch für den Antragsteller zu 2) sowie für die gemeinsamen Kinder (Antragsteller zu 3) bis 8)). Die Antragsteller seien im Übrigen auf die Leistungen dringend angewiesen, da sie lediglich über Kindergeld i.H.v. 1018 EUR monatlich verfügen würden sowie zuletzt über die Einnahmen aus Erwerbstätigkeit der Antragstellerin zu 1) in Höhe von ca. 400 EUR monatlich. Auch diese Gelder stünden aber nicht mehr zur Verfügung, da die Antragstellerin zu 1) zwischenzeitlich entbunden habe und dementsprechend nicht mehr arbeite. Der Lohn werde auch nicht fortgezahlt. Auch eine Kündigung liege nicht vor. Die Antragstellerin zu 1) werde die ausstehenden Lohnzahlungen gegebenenfalls vor dem Arbeitsgericht geltend machen.

Die Antragsteller beantragen,

den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in gesetzlich vorgesehener Höhe ab Antragstellung zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er führt aus, dass die Antragsteller nicht alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt hätten, die für eine Entscheidung über den Leistungsanspruch erforderlich seien. Auch ein Fortzahlungsantrag liege dem Antragsgegner nicht vor. Es würden noch folgende Unterlagen benötigt: Arbeitsvertrag der Firma D., Arbeitsbescheinigung und Kündigungsschreiben der Firma D., Lohnabrechnung Mai 2016 der Firma D. und Nachweis über den Zufluss, Bescheide über Mutterschaftsgeld, Kindergeld und Elterngeld. Hierüber hinaus sei unklar, in welcher Form die Beschäftigung als Baustellenreinigerin ausgeübt worden sei, da die Antragstellerin zu 1) zum 07.09.2016 entbunden habe.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 14.02.2017 wurde der Bevollmächtigte der Antragsteller darauf hingewiesen, dass ein Abnehmerstatus der Antragstellerin zu1) bisher nicht hinreichend glaubhaft gemacht sei. Es wurde um Mitteilung gebeten, in welchem Zeitraum das Arbeitsverhältnis mit der Firma D. bestand. Zudem wurden angefordert sämtliche Lohnabrechnungen, Zuflussnachweise, Meldung zur sozialen Sicherung, Arbeitsvertrag und gegebenenfalls Unfreiwilligkeitsbescheinigung. In der Folge wurden Lohnabrechnungen der Firma D. für den Zeitraum von Juni 2016 bis September 2016 zur Gerichtsakte gereicht. Ebenso Meldungen zur Sozialversicherung. Zuflussnachweise oder ein Arbeitsvertrag übersandte der Bevollmächtigte der Antragsteller nicht.

Für den weiteren Sachverhalt sowie das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Gründe:

II.

Der zulässige Antrag ist unbegründet. Die Antragsteller sind gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von dem Bezug von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Denn das Aufenthaltsrecht der Antragsteller rechtfertigt sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche.

Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist § 86b Abs 2 Satz 2 SGG. Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn den Antragstellern ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 - BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 - BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 - NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl, Rn 652).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die Antragsteller ihr Begehren stützen - voraus. Die Angaben hierzu haben die Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 10. Aufl, § 86b Rn 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 - Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragsteller zu entscheiden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 - Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927 und vom 22.11.2002 - NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 aaO).

Nach diesen Maßgaben haben die Antragsteller jedenfalls einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO). Denn die Antragsteller sind gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Das Aufenthaltsrecht der Antragsteller rechtfertigt sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche. Aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis bei der Firma St. N. V. resultiert für die Antragstellerin zu 1) kein nachwirkender Arbeitnehmerstatus im Sinne des FreizügG/EU. Dieser ist vielmehr zum 30.6.2016 abgelaufen. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU bleibt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht auf Einreise und Aufenthalt während der Dauer von sechs Monaten unberührt. Dieser Übergangszeitraum endete mit Ablauf des Monat Juni 2016.

Dass die Antragstellerin zu 1) sich auf ein neues Beschäftigungsverhältnis bei der Firma D. (Gebäudereinigung R. T. M.) berufen kann ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Allein die für Juni bis September 2016 vorgelegten Verdienstabrechnungen sind hierzu nicht als ausreichend anzusehen. Jedenfalls die Vorlage eines entsprechenden Arbeitsvertrages kann von der Antragstellerin erwartet werden, zumal sie seit der Entbindung am 7.9.2016 nach eigenem Bekunden nicht mehr berufstätig ist und nach den Ausführungen des Bevollmächtigten auch keinen Lohn mehr erhält. Im Übrigen begegnet es nach Auffassung der Kammer erheblichen Zweifeln, dass es sich um ein gelebtes und nicht lediglich zum Schein geschlossenes Arbeitsverhältnis handelt. Denn der Arbeitgeber D. (Gebäudereinigung R. T. M.) ist auf die für Gewerbetreibende sonst übliche Art und Weise nicht auffindbar. So finden sich auf den einschlägigen Internetportalen keinerlei Hinweise auf dessen Existenz. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist es gängige Praxis, dass Anbieter gewerblicher Dienstleistungen über die Portale www.google.de, www.gelbeseiten.de oder www.dasoertliche.de Werbung schalten oder für potentielle Kunden jedenfalls bei direkter Suche nach dem Unternehmensnamen Kontaktdaten bereitstellen. Die Firma D. (Gebäudereinigung R. T. M.) tritt in keiner Weise in Erscheinung. Aufgrund mangelnder Glaubhaftmachung des Arbeitnehmerstatus muss es bei dem Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II verbleiben.

Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl. zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG, Urteil vom 30.1.2013 – Az.: B 4 AS 54/12 R). Ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs.1 FreizügG/EU (nach fünfjährigem rechtmäßigen Aufenthalt) könnte für die Antragsteller aufgrund ihrer Einreise in 2014 frühestens 2019 entstehen. Dass aus dem Schulbesuch der Antragsteller zu 3) und 4) kein Aufenthaltsrecht mit der Folge einer Leistungsberechtigung nach dem SGB II entsteht ergibt sich unmittelbar aus § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II, wonach Ausländer vom Leistungsbezug ausgeschlossen sind, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten.

Zweifel an der Europarechtskonformität dieser Auslegung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II bestehen nicht.

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt (Rechtssache "Dano", Urteil vom 11.11.2014 – Az.: C-333/13; Rechtssache "Alimanovic", Urteil vom 15.9.2015 – Az.: C-67/14).

Danach sind Art. 24 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst b der RL 2004/38/EG ("Unionsbürgerrichtlinie") und Art. 4 der Verordnung (EG) zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit des europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (VO 883/2004/EG) dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art 70 Abs. 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG ("Unionsbürgerrichtlinie") zusteht (EuGH a.a.O. "Rs Dano", Rn. 84).

In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von ALG II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH a.a.O. "Rs Alimanovic", Rn. 63). Beim ALG II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der RL 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie). Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind und ihnen dieser Status auch nicht erhalten geblieben ist bzw. sie keine Familienangehörige dieser sind. So liegt der Fall auch hier, so dass es auch aus verfassungsrechtlicher Sicht bei dem Ausschluss der Antragsteller von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II verbleibt (vgl. zum Ganzen BSG, Urteile vom 03.12.2015 – Az: B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R).

Nach alledem ist der Antrag als unbegründet abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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