S 13 AS 88/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 88/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 79/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid der ARGE Nürnberg vom 02.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2005 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, unter Zuerkennung eines Zuschlags Alg II bis 22.09.2005 zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.

Der Kläger beantragte am 04.10.2004 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Er gab an, bis 21.09.2003 in Alg-Bezug gestanden zu haben. Darüber hinaus lebe er in eheähnlicher Gemeinschaft mit Frau H. M., welche eine Witwenrente in Höhe von EUR 623,66 und Altersrente in Höhe von EUR 655,10 beziehe.

Mit Bescheid vom 02.12.2004 wurde die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II abgelehnt, da der Kläger nicht hilfebedürftig wäre, nachdem das Einkommen der Lebenspartnerin H. M. auf seinen Bedarf anzurechnen sei.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 23.03.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde vorgetragen, daß Rentenansprüche angerechnet worden wären. Das SGB II sehe jedoch keine Anrechnung von zweckgebundenen Sozialleistungen vor.

Mit Bescheid vom 23.03.2005 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Ergänzend wurde ausgeführt, Frau M. verfüge über ein anrechenbares Einkommen in Form von Alters- und Witwenrente in Höhe von insgesamt EUR 1.278,76. Mit diesen anrechenbaren Einkommen übersteige sie ihren Bedarf zur Gestaltung des Lebensunterhalts in Höhe von EUR 459,81 um EUR 818,95. Diese Einkommensüberschreitung sei bei der Bedarfsberechnung des Klägers zu berücksichtigen, der einem Bedarf von EUR 459,81 habe.

Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid wandte sich der Kläger mit der am 19.04.2005 erhobenen Klage. Zur Begründung der Klage wurde vorgetragen, daß das Einkommen der Lebensgefährtin des Klägers um die Kosten der Eigentumswohnung sowie die Finanzierungsdarlehen zu kürzen wäre. Während des Klageverfahrens wurden entsprechend dem Beschlusses des SG Nürnberg vom 09.11.2005 die Kosten der Unterkunft detailliert nachgewiesen, worauf die Beklagte unter Berücksichtigung der geltend gemachten Schuldzinsen in Höhe von EUR 295,47, der Grundabgaben von monatlich EUR 23,89, des Hausgeldes in Höhe von EUR 214,22 eine Neuberechnung vornahm, aber wiederum zu der Auffassung gelangte, daß das anzurechnende Einkommen den Bedarf des Klägers übersteige.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 02.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosengeld II zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Zu Unrecht hat die Beklagte durch Bescheid vom 02.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2005 die Gewährung von Alg II an den Kläger abgelehnt.

Dem Kläger steht gemäß §§ 19, 7 und 9 SGB II ein Anspruch auf Alg II zu. Der Kläger und Frau M. leben unstreitig in einer Bedarfsgemeinschaft. Gemäß § 7 Abs. 3 SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft der Hilfebedürftige selbst und der Partner des Hilfebedürftigen, der mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt (§ 7 Abs. 3 b SGB II). Allerdings stehen der Partnerin gemäß § 7 Abs. 4 SGB II Leistungen nach dem SGB II nicht zu, da sie bereits eine Altersrente bezieht. Der Bezug der Altersrente steht jedoch der Annahme einer Bedarfsgemeinschaft zwischen Kläger und Partnerin nicht entgegen.

Der Bedarf der Partnerin stellt sich folgendermaßen dar: Regelsatz (Mischregelsatz 90 % des Eckregelsatzes für Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII EUR 311,00 sowie Unterkunftskosten, die nach Kopfteilen zur Hälfte auf die Partnerin und zur anderen Hälfte auf den Kläger zu verteilen sind. An Unterkunftskosten sind insoweit zu berücksichtigen: Schuldzinsen in Höhe von insgesamt EUR 295,47 (EUR 189,72 + EUR 105,75) die Grundabgaben von monatlich EUR 23,89, das um die Heiz- und Warmwasserkosten bereinigte Hausgeld in Höhe von EUR 214,22. Soweit darüber hinaus noch die Berücksichtigung des Hausgeldes für die Sondernutzung einer Garage geltend gemacht wurde, kann dieser Betrag nicht anerkannt werden, weil es sich bei Unterkunftskosten nur um solche Kosten, die der Nutzung zu Wohnzwecken dienen, handelt. Die Beträge für die Lebensversicherung, die der Sicherung eines Darlehens dient, sind wegen fehlender Unmittelbarkeit ebenfalls keine Unterkunftskosten. Strom- und Warmwasserkosten werden mit der Regelleistung abgedeckt und zählen nicht zu Unterkunftskosten. Demgemäß errechnen sich insgesamt Unterkunftskosten in Höhe von EUR 533,58. Hierzu kommen die nachgewiesenen Heizungskosten von monatlich EUR 28,44, so daß insgesamt Kosten in Höhe von EUR 562,02 als Kosten der Unterkunft und Heizung Berücksichtigung finden können, die anteilig für die Partnerin mit EUR 288,01 anzusetzen sind. Der Gesamtbedarf der Partnerin beträgt daher EUR 592,01.

Ihr Gesamtrenteneinkommen beträgt unstreitig EUR 1.248,76 abzüglich der Versicherungspauschale gemäß § 3 Nr. 1 Alg II-Verordnung in Höhe von EUR 30,00 ergibt ein bereinigtes Einkommen von EUR 1.248,76. Wird vom Einkommen der Gesamtbedarf der Partnerin abgesetzt, errechnet sich ein überschreitendes Einkommen in Höhe von EUR 656,75. Dieses den Bedarf der Partnerin überschreitende Einkommen ist wiederum auf den Bedarf des Klägers anzurechnen.

Dem Kläger steht eine Regelleistung in Höhe von EUR 311,00 sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von EUR 281,01 zu, so daß er zunächst einen eigenen Bedarf (ebenso wie die Partnerin) von EUR 591,01 hat. Neben der Regelleistung und den Kosten der Unterkunft steht dem Kläger jedoch nach
§ 19 Abs. 1 Nr. 2 SGB II auch ein Anspruch auf einen befristeten Zuschlag unter den Voraussetzungen des § 24 SGB II zu, da er bis 21.09.2003 im Alg-Bezug stand. Gemäß § 24 Abs. 1 SGB II erhält der Hilfebedürftige für maximal zwei Jahre einen befristeten Zuschlag, soweit er Alg II innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Alg-Bezuges bezieht. Die Vorschrift ist mißverständlich, da der Alg II-Bezug ja gerade auch den befristeten Zuschlag mitumfaßt. Deshalb schließt die Beklagte aus der Vorschrift nur wenn ein Bedarf, d. h. ein Anspruch auf Regelleistung Mehrbedarf und Kosten der Unterkunft und Heizung besteht, stünde ein Anspruch auf einen Zuschlag zu. Da nach dem Willen des Gesetzgebers der befristete Zuschlag aber Einkommenseinbußen abfedern soll, die beim Übertritt von Alg zum Alg II entstehen, ist nicht nachzuvollziehen, warum in Fällen der Einkommensanrechnung (sei es von Einkommen des Hilfebedürftigen, oder wie hier, seines Partners) eine derartige Abfederung nicht erfolgen soll. Gerade wenn eine Einkommensanrechnung vorzunehmen ist, entstehen beim Übertritt von Alg zu Alg II die größten Einkommenseinbußen, da während des Alg-Beuges das Einkommen des Hilfebedürftigen nur zu einem geringen Teil und das Einkommen des Partners überhaupt nicht anzurechnen ist. Im Wege der teleologischen Reduktion ist § 24 Abs. 1 SGB II daher dahingehend anzulegen, daß ein befristeter Zuschlag bei Übergang von Alg-Bezug zum Alg II-Bezug für maximal zwei Jahre zusteht, wenn sich rechnerisch ein Anspruch ergibt.

Kommt ein Auszahlungsanspruch (ohne Zuschlag) Alg II also allein deshalb nicht in Betracht, weil Einkommen der Partnerin den Bedarf überschreitet, ist nach dem Schutzzweck des § 24 SGB II dennoch weiter zu prüfen. Auch in der Regierungsbegründung ist ausgeführt, der befristete Zuschlag für den Anspruch auf die Neuleistung mache 2/3 des Unterschiedsbetrages zwischen Haushaltseinkommen bei Arbeitslosengeldbezug und der neuen Leistungshöhe aus. Selbst wenn also ein Bezug von Alg II erst aufgrund der Gewährung des Zuschlags zustandekommt, ist nach der Intention des Gesetzgebers Alg II zu gewähren.

Der Zuschlag berechnet sich aus der Differenz von ehemaligem Arbeitslosengeldbezug zuzüglich Wohngeld (welches hier nicht bezahlt wurde) und dem an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu zahlenden Alg II nach § 19 Satz 1 Nr. 1 sowie Satz 2 SGB II.

Wie der Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf vom 25.07.2003 (Seite 121) entnommen werden kann, ist der Zuschlag für das erste Jahr grundsätzlich nach folgender Formel zu berechnen: 2/3 x [(Arbeitslosengeld + Wohngeld) - (Alg II ohne Zuschlag - zu berücksichtigendes Einkommen)]. Bei der Berechnung nach dieser Formel ergibt die Differenz von Alg II nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und dem zu berücksichtigenden Einkommen eine negative Zahl die von den dem Kläger vormals gewährten Arbeitslosengeld abzuziehen ist.

Nachdem der Kläger Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich EUR 177,45 bezog, ist von einem monatlichen Bezug von EUR 768,95 auszugehen, 768 EUR abzüglich Alg II minus anrechenbares Einkommen (EUR 592,01 - EUR 656,75) ergibt EUR 768,95 - (- EUR 64,74) = EUR 833,69. Der sich nach der Formel errechnende Zuschlag von EUR 833,69 zeigt, daß aufgrund des Abzugs einer negativen Zahl (die eine Addierung bedeutet), sich in den Fällen, in denen das anrechenbare Einkommen den Bedarf nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 SGB II überschreitet, grundsätzlich ein Zuschlag errechnet. Dieser ist der Höhe nach allerdings gemäß § 24 Abs. 3 SGB II begrenzt. Das bedeutet, daß auch dann, wenn sich kein Bedarf nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 SGB II wegen Anrechnung nach § 19 Satz 2 SGB II errechnet ein Zuschlag zustehen kann und eine Berechnung durchgeführt werden muß.

Der nach § 24 Abs. 3 SGB II zustehende Höchstbetrag ist in diesen Fällen daher den Bedarf nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II zuzuschlagen, um den zustehenden Alg II-Gesamtanspruch zu errechnen. Der Umstand, daß mit Zunahme des anrechenbaren Einkommens die Chance auf Erhalt einer Alg II-Leistung bzw. die Höhe der Alg II-Leistung steigen kann, entspricht der Intention des Gesetzgebers, einen Anreiz für eine eigene Sicherung des Lebensunterhalts zu schaffen (vgl. hierzu Herold-Tews in: Löns/Herold-Tews SGB II, § 24 RdNr. 18 bis 20).

Würde die Gewährung eines bedarfserhöhenden Zuschlags in diesen Fällen verneint werden, würden erwerbsfähige Hilfebedürftige in ihrem nach § 19 Satz 1 Nr. 2 SGB II zustehenden Anspruch auf befristeten Zuschlag zur Abfederung der Einkommenseinbuße bei Übertritt von Arbeitslosengeld zu Alg II Bezug gebracht werden. Im vorliegenden Fall ist der Zuschlag gemäß § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II auf EUR 320,00 für das erste Jahr (bis 21.09.2004) begrenzt, nachdem der Kläger mit einer Partnerin in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Für das zweite Jahr steht nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 ein Zuschlag von 50 % des Zuschlags des ersten Jahres zu, so daß von einem Zuschlag in Höhe von EUR 160,00 ausgegangen werden kann.

Obgleich die Partnerin des Klägers keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat, steht ein Zuschlag nach § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II und nicht nach Nr. 1 SGB II zu, da bei Paaren grundsätzlich von einem Höchstbetrag von EUR 320,00 auszugehen ist, weil der Zuschlag eine familienbezogene Leistung darstellt, die nicht voraussetzt, daß der Partner tatsächlich hilfebedürftig ist.

Die Berechnung des Bedarfes des Klägers ist daher folgendermaßen vorzunehmen: EUR 311,00 für die Regelleistung, anteilige Kosten der Unterkunft in Höhe von EUR 281,01, Zuschlag in Höhe von EUR 160,00 ergibt EUR 752,01 abzüglich anrechenbares Einkommen in Höhe von EUR 656,75 ergibt einen Betrag in Höhe von EUR 96,26 monatlich, der dem Kläger als Alg II bis 21.09.2005 zu gewähren ist.

Nach alledem war die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dem Kläger für die Zeit vom 01.01. bis 22.09.2005 Alg II zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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