S 7 KR 496/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 496/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 25.09.2014 verurteilt, der Klägerin eine bariatrische Operation als Sachleistung zu gewähren.

II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Feststellung einer Genehmigungsfiktion.

Die 1948 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Mit Schreiben vom 25.07.2014 beantragte sie unter Beifügung umfangreicher medizinischer Befunde bei der Beklagten die Kostenübernahme einer bariatrischen Operation.

Die Beklagte übersandte mit Schreiben vom 31.07.2014 die von der Klägerin übersandten Unterlagen an den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK).

Dieser nahm mit Gutachten vom 18.08.2014 Stellung dergestalt, dass eine nachhaltige Gewichtsreduktion bei der Klägerin sinnvoll und erstrebenswert sei. Aus den vorliegenden Unterlagen sei eine bleibende Änderung des Lebensstils nicht nachvollziehbar. Für eine adäquate sozialmedizinische Stellungnahme zu dem Sachverhalt würden weitere Informationen/Unterlagen benötigt: - Verlauf des Körpergewichts - Bisherige Bemühungen zur Gewichtsreduktion - Ernährungsverhalten 6-12 Monate - Bewegungsverhalten 6-12 Monate

Die Beklagte forderte mit Schreiben vom 21.08.2014 von der Klägerin die vom MDK geforderte Selbstauskunft an.

Die Klägerin übersandte mit Schreiben vom 26.08.2014 die von der Beklagten angeforderten Unterlagen. Die Beklagte beteiligte daraufhin am 05.09.2014 erneut den MDK, der mit Gutachten vom 22.09.2014 zu dem Ergebnis kam, dass die konservative Behandlung, d.h. fortlaufende diätetische, bewegungstherapeutische und verhaltenstherapeutische Maßnahmen nicht maximal ausgeschöpft seien.

Mit Bescheid vom 25.09.2014 lehnte die Beklagte unter Bezug auf die Einschätzung des MDK den Antrag der Klägerin ab.

Hiergegen erhob diese Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist.

Mit Schriftsatz vom 05.11.2014 ihres Bevollmächtigten vom 05.11.2014 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg.

Es wurde vorgetragen, dass die Beklagte über den Antrag der Klägerin nicht innerhalb der Fünf-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V entschieden habe. Eine rechtzeitige schriftliche Mitteilung der Beklagten an die Klägerin, man könne die Frist des § 13 Abs. 3a SGB V nicht einhalten, wie sie § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V vorschreibe, sei nicht erfolgt.

Der Gesetzgeber habe im Rahmen dieser Mitteilung auch die Darlegung von "hinreichenden Gründen" verlangt, § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V. Lege man den Gesetzeswortlaut zugrunde, so könne die Mitteilung eines hinreichenden Grundes natürlich nicht konkludent erfolgen. Mit dem Eintritt der Genehmigungsfiktion sei das Antragsverfahren in der Hauptsache erledigt. Es verbleibe dann nur noch das Feststellungsinteresse. Für eine Befassung des Widerspruchsausschusses der Beklagten sei vorliegend kein Raum mehr, da es nichts mehr gebe, worüber man in der Sache entscheiden könne. Ab dem Moment des Eintritts der Genehmigungsfiktion habe die Klägerin die Sicherheit, dass der originäre Sachleistungsanspruch bestehe. Die Genehmigungsfiktion ersetze dann den positiven Bewilligungsbescheid.

Die Klägerin beantragt die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.09.2014 zu verurteilen, der Klägerin eine bariatrische Operation als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten habe sie ihren Pflichten gemäß § 13 Abs. 3a SGB V vollumfänglich genügt. Es könne gerade keine Rede davon sein, dass die Beklagte ohne jede Begründung die 5-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a SGB V habe verstreichen lassen. Insoweit übersehe die Klägerseite, dass die Beklagte bereits mit Schreiben vom 08.08.2014 gegenüber der Klägerin angezeigt habe, dass sie eine Begutachtung durch den MDK veranlasst habe und deshalb für die Entscheidung noch Zeit benötigen würde.

Die Klägerin sei nach Eingang der angeforderten Unterlagen nochmal am 08.09.2014 darüber unterrichtet worden, dass der MDK mit einer ergänzenden Beurteilung beauftragt worden sei und die abschließende Entscheidung noch etwas Zeit benötigen würde

Die Beklagte habe unverzüglich nach Antragstellung den MDK mit der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit beauftragt. Auch nach Erhalt der zusätzlichen Informationen sei die Klägerin unverzüglich darüber informiert worden, dass der MDK zwecks abschließender Beurteilung nochmals eingeschalten worden sei. Nach alledem habe sich die Klägerin darauf einstellen können, dass ihr Antrag nicht innerhalb von 5 Wochen ab Antragstellung beschieden werden könne. Der Beklagten sei in Anbetracht dessen nicht bewusst, inwiefern sie sich vorliegend pflichtwidrig verhalten habe. Ein zügigerer Verfahrensgang sei nicht möglich gewesen.

Nur rein vorsorglich werde für den Fall, dass die Klägerseite trotz des geschilderten Verfahrensablaufs auf die Geltendmachung der Rechte aus § 13 Abs. 3a SGB V bestehe, werde die Einrede der missbräuchlichen Rechtsausübung erhoben. In diesem Fall hätte die Klägerin die angeforderten Unterlagen überhaupt nicht einreichen dürfen, da ihr bewusst gewesen sei, dass die Beklagte dies zu einer weiteren Prüfung veranlassen werde. Ausgehend von einer Antragstellung am 25.07.2014 sei die 5-Wochen-Frist am 29.08.2014 abgelaufen. Der Klägerin hätte bewusst sein müssen, dass die Beklagte unmöglich derart umfangreiche Unterlagen innerhalb von 3 Tagen werde prüfen und bescheiden können. Wäre die Klägerin folglich ernsthaft der Ansicht gewesen, es komme in jedem Fall nur darauf an, dass die 5-Wochen-Frist überhaupt ablaufe, so hätte sie der Beklagten auf deren Schreiben vom 21.08.2014 hin redlicher Weise mitteilen müssen, dass sie keine Veranlassung mehr sehe, die angeforderten Unterlagen einzureichen, da sie vor Ablauf der 5-Wochen-Frist ohnehin nicht mehr mit einer Bescheidung rechnen könne.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kostenübernahme für die beantragte bariatrische Operation. Dieser ergibt sich bereits daraus, dass die beantragte Leistung von Gesetzes wegen als genehmigt gilt.

Grundlage hierfür ist § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V in der seit dem 26.02.2013 geltenden Fassung vom 20.02.2013 ("Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten", Bundesgesetzblatt I 2013, S. 277). Die Regelung lautet: "Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt." Die Regelung ist nur im Zusammenhang mit § 13 Abs. 3a Sätze 1 bis 5 SGB V verständlich. Diese lauten: Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit.

Der Antrag der Klägerin vom 25.07.2014 ging - unter Berücksichtigung einer üblichen Postlaufzeit von einem Tag - am 26.07.2014 bei der Beklagten ein. Die Frist für die Entscheidung der Beklagten begann somit am 27.07.2014 zu laufen und endete - da eine Beteiligung des MDK erfolgte - nach fünf Wochen am 30.08.2014.

Eine Mitteilung an die Klägerin, dass die Frist nicht eingehalten werden kann, ist augenscheinlich nicht erfolgt. Zwar enthielt das Schreiben vom 30.04.2013 die Formulierung, dass es ohne die angeforderten Unterlagen nicht möglich sei, über den Antrag zu entscheiden. Dies sieht die Vorsitzende jedoch nicht als Mitteilung eines hinreichenden Grundes für die Nichteinhaltung der Entscheidungsfrist an, da zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht klar war, ob die Frist eingehalten werden konnte und die Klägerin die Unterlagen noch innerhalb der Entscheidungsfrist vorgelegt hatte. Die Frist verlängert sich auch nicht durch die Anforderung der Unterlagen. Eine Regelung, die § 32 Abs. 1a S. 4 SGB V entspricht ("Soweit zur Entscheidung ergänzende Informationen des Antragstellers erforderlich sind, ist der Lauf der Frist bis zum Eingang dieser Informationen unterbrochen.") hat der Gesetzgeber in § 13 Abs. 3a SGB V nicht aufgenommen. Die Kammer folgert daraus, dass vorliegend aus Verzögerungen, die durch die Einholung ergänzender Informationen erwachsen, keine weiteren direkten Konsequenzen erwachsen sollten. Vielmehr hätte die Beklagte der Klägerin mitteilen müssen, dass aufgrund der nochmaligen Beteiligung des MDK eine Entscheidung nicht innerhalb der entsprechenden Frist erfolgen könne. Eine Information der Klägerin hierüber ist jedoch nicht erfolgt. Alleine die Tatsache, dass eine Beteiligung des MDK stattfindet, kann jedoch noch keinen hinreichenden Grund für die Nichteinhaltung der Frist darstellen. Es liegt auch kein Fall vor, in dem die Klägerin den Fristablauf durch bewusstes Verzögern der Unterlagenübersendung herbeigeführt hat. Vielmehr hat sie innerhalb kurzer Zeit nach der Anforderung ein umfangreiches Unterlagenkonvolut übersandt.

Mit Ablauf des 30.06.2014 gilt daher die beantragte Leistung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt. Diese Vorschrift ist auf die beantragte bariatrische Operation auch anwendbar. Diese war "die beantragte Leistung". Die Rechtsfolge des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist auch nicht auf eine Kostenerstattung beschränkt. Angesichts des klaren Wortlauts ("die beantragte Leistung") besteht kein Auslegungsbedarf. Wäre der Geltungsbereich dieser Regelung alleine auf einen Erstattungsanspruch beschränkt, so wäre § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V praktisch ohne Regelungsgehalt. Denn die Möglichkeit, sich die erforderliche Leistung selbst zu beschaffen und von der Kasse Erstattung zu verlangen, gibt bereits § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V. Für die Kammer stellt sich der Regelungsgehalt des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V daher so dar, dass durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion (vgl. auch die Überschrift der Gesetzesbegründung "Genehmigungsfiktion", Bundesgesetzblatt Jahr 2013 Teil 1 Nr. 9 vom 25.02.2013, S. 279) der Genehmigungsbescheid der Beklagten ersetzt wird. Für diese Auslegung spricht auch die Legaldefinition, die der Gesetzgeber in § 42a VwVfG getroffen hat. Danach gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Auch hier ist die Konsequenz, dass vom Gesetzt unterstellt wird, es wäre von der Behörde ein bestimmter Verwaltungsakt erlassen worden ("fiktiver Verwaltungsakt"). Der Versicherte kann den Eintritt der Genehmigungsfiktion dann zum Anlass nehmen, entweder von der Beklagten die Leistung zu verlangen oder sich gem. § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V die Leistung selbst zu beschaffen. Würde sich nämlich ansonsten der Versicherte die Leistung selbst beschaffen, ohne das eine explizite Entscheidung der Kasse vorliegt, dann stünde - entsprechend der Rechtsprechung des BSG zu § 13 Abs. 3 SGB V - das Fehlen einer ablehnenden Entscheidung dem Kostenerstattungsanspruch entgegen. Folglich war es auch notwendig, für diesen Fall (Genehmigung ohne Bescheid) eine gesonderte Regelung zu treffen. Würde man die Regelung jedoch auf einen Kostenerstattungsanspruch beschränken, so würde sie weitgehend ins Leere laufen. Je höher der Wert der im Raum stehenden beantragten Leistung und je höher somit auch die Schutzbedürftigkeit des Versicherten ist, umso kleiner wäre der Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion, da Voraussetzung für die Anwendung wäre, dass der Versicherte in der Lage sein müsste, die entsprechenden Kosten vorzuschießen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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