L 11 KR 4096/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 2622/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4096/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger seit 1. März 1985 bei der Beigeladenen zu 1), einem Unternehmen seiner Ehegattin, sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist.

Die Beigeladene zu 1) ist eine am 1. März 1985 gegründete Einzelhandelsfirma, deren Firmeninhaberin die Ehefrau des Klägers, R. G., ist. Die Eintragung der Firma in das Handelsregister des Amtsgerichts Stuttgart erfolgte unter der Nummer HRA 471034. Gegenstand des Unternehmens ist die Tätigkeit im Segment Kabelkonfektion (Gerätezuleitungen, konfektionierte Leitungen, umspritzte Stecker und Kupplungen). Der operative Teil der Beigeladenen zu 1) wurde auf die am 29. Januar 2010 gegründete r.-e. GmbH (HRB 732895) übertragen, bei der der Kläger als Geschäftsführer tätig ist. Weder der Kläger noch seine Ehegattin sind am Stammkapital der r.-e. GmbH beteiligt.

Der 1955 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Nach einer Tätigkeit als Betriebsleiter arbeitete er vor der Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1) zuletzt bei der von ihm gegründeten Firma U. E ... Seit 1. März 1985 ist er aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages bei der Beigeladenen zu 1) tätig. Mit bis heute gültigem Arbeitsvertrag vom selben Tag wurde der Kläger als kaufmännischer Mitarbeiter eingestellt. Es wurde ein festes monatliches Gehalt von 4.250,- DM, eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von sechs Wochen und ein jährlicher Erholungsurlaub im gesetzlichen Umfang vereinbart. Das Anstellungsverhältnis kann von beiden Seiten unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende gekündigt werden. Der Lohn des Klägers wird als Betriebsausgabe verbucht und von ihm werden den Lohnsteuer und Sozialabgaben abgeführt.

Im November 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung seiner Tätigkeit. Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Ehegatten gab er an, seine Tätigkeit aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung auszuüben, in der ein ortsübliches Gehalt vereinbart worden sei. Seine Tätigkeit sei aufgrund von familienhafter Rücksichtnahme durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zur Ehefrau geprägt. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrage 56 Stunden. Er wirke bei der Führung des Betriebes aufgrund seines technischen Verständnisses für Maschinen mit. Seine Tätigkeit könne er teilweise frei bestimmen und gestalten. Für den Betrieb/Betriebsinhaber habe er Bürgschaften in Höhe von 1.065.440,20 EUR übernommen. Im Rahmen der anschließend durchgeführten Anhörung legte der Kläger dar, aus dem Abschluss des Arbeitsvertrages sei nicht der Schluss zu ziehen, dass er abhängig beschäftigt sei. Es habe kein Wille bestanden, die Tätigkeit versicherungspflichtig zu gestalten. Vielmehr seien er und seine Ehefrau davon ausgegangen, dass jeder, der nicht Inhaber des Unternehmens sei, zur Abführung von Sozialabgaben verpflichtet sei. Neben seiner Ehefrau sei er gleichberechtigt und selbständig tätig und könne seine Tätigkeit bezüglich Arbeitsort, -zeit, -dauer sowie -umfang vollständig eigenverantwortlich gestalten und erledigen. Die Eheleute bewirtschafteten den Betrieb in gleichwertiger arbeitsteiliger Weise. Seine Frau sei für die Bereiche Produktion, Versand, Personaleinsatzplanung und Lohnbuchhaltung zuständig; er kümmere sich um das Marketing, die Kundenbetreuung, den Ein- und Verkauf und das Auslandsgeschäft. Ebenso fielen die Maschinenbedienung, -wartung und –reparatur in sein Ressort, da er insoweit über die maßgeblichen Fachkenntnisse verfüge. Sämtliche wichtigen Entscheidungen würden nach gemeinsamer Beratung einvernehmlich getroffen. Ein Weisungsrecht bestehe nicht.

Mit Bescheid vom 28. April 2006 stellte die Beklagte fest, der Kläger stehe ab dem 1. März 1985 in einer abhängigen Beschäftigung bei der Beklagten zu 1) und unterliege somit der Sozialversicherungspflicht. Er beziehe ein regelmäßiges monatliches angemessenes Arbeitsentgelt, von dem Lohnsteuer abgeführt werde. Dies werde zudem als Betriebsausgabe verbucht. Auch der Umstand, dass die Arbeitszeit des Klägers geregelt worden sei, spreche gegen die Annahme einer weisungsfreien Ausführung der ausgeübten Tätigkeit. Dem stehe grundsätzlich nicht entgegen, dass die Abhängigkeit unter Angehörigen im Allgemeinen weniger stark ausgeprägt sei und deshalb das Weisungsrecht möglicherweise mit gewissen Einschränkungen ausgeübt werde; insbesondere drücke sich die Weisungsgebundenheit bei Diensten höherer Art nicht in konkreten Einzelanweisungen aus, sondern sei zu einer funktionsgerecht am Betriebsprozess dienenden Teilhabe verfeinert. Ferner sei die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes bei Arbeitsunfähigkeit ein Indiz für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung. Auch die mangelnde Beteiligung an der Firma zeige, dass ihr das mit dem Einsatz von Eigenkapital verbundene erhebliche Unternehmerrisiko fehle. Die Mitunterzeichnung eines Darlehensvertrages und das damit verbundene Unternehmerrisiko könne in einer Gesamtbetrachtung nicht die Annahme einer selbständigen Tätigkeit rechtfertigen.

Mit seinem dagegen am 31. Mai 2006 eingelegten Widerspruch machte der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen geltend, die Beklagte habe insbesondere unberücksichtigt gelassen, dass er aufgrund seiner Darlehensverpflichtungen exakt dasselbe Unternehmerrisiko trage wie seine Ehegattin. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2006 als unbegründet zurück. Durch die Übernahme von Bürgschaften werde keine Mitunternehmerschaft begründet. Dadurch entstehe lediglich ein finanzielles Risiko, allerdings ohne sozialversicherungsrechtliche Auswirkung.

Hiergegen hat der Kläger am 18. Juli 2006 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und darauf hingewiesen, die Beigeladene zu 1) beschäftige nunmehr 54 Mitarbeiter. Vor Gründung der Firma sei er als Prokurist in einem gleichgelagerten Betrieb tätig gewesen. Infolge einer befürchteten wettbewerbsrechtlichen Sperre habe er gemeinsam mit seiner Frau entschieden, die Beigeladene zu 1) unter dem Namen seiner Ehefrau zu gründen. Das gesamte Know-how sowie die Kundenkontakte habe er in das Unternehmen eingebracht; auch der Maschinenpark werde von ihm betreut. Zur Untermauerung seiner umfangreichen finanziellen Beteiligung am Unternehmen hat er diverse Darlehensverträge sowie Bürgschaftserklärungen vorgelegt und auf gerichtliche Anfrage ergänzend ausgeführt, er und seine Frau hätten das wirtschaftliche Risiko von Beginn an gemeinsam getragen. Fehlerhaft seien beide vom Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgegangen. Im Rahmen von Betriebsprüfungen sei niemals sein sozialversicherungsrechtlicher Status überprüft worden. Im Übrigen bedeute die Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen keine Bindung hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung des Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte ist der Klage mit der Begründung entgegengetreten, der Kläger trage kein Unternehmerrisiko, denn er erhalte unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ein festes monatliches Gehalt, das auf sein privates Bankkonto überwiesen werde. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung überwögen die Indizien, die für eine abhängige Beschäftigung sprächen.

Mit Beschluss vom 31. Januar 2008 hat das SG die r.-e. (Beigeladene zu 1), die Deutsche Rentenversicherung Bund (Beigeladene zu 2) und die Bundesagentur für Arbeit (Beigeladene zu 3) zum Verfahren beigeladen.

In der mündlichen Verhandlung am 29. Juli 2009 hat der Kläger mitgeteilt, er sehe die Firma als seine eigene an. Seine Ehefrau sei bei der Firmengründung lediglich vorgeschoben worden. Er führe die Verhandlungen mit den Banken und unterschreibe die Verträge. Über das Vorgehen im Krisenfall hätten sich die im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Ehegatten bisher keine Gedanken gemacht.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 29. Juli 2009 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei unbegründet, soweit der Klägerin die Feststellung der Sozialversicherungsfreiheit seit 1. März 1985 begehre. Insgesamt überwögen die Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprächen. Der Kläger sei zu keinem Zeitpunkt an der Beigeladenen zu 1) beteiligt gewesen und habe daher rechtlich nicht die Möglichkeit gehabt, die unternehmenspolitischen Entscheidungen zu beeinflussen oder zu verhindern. Bei seiner Tätigkeit habe es sich um eine Dienstleistung höherer Art gehandelt. Er sei nicht am Gewinn bzw Umsatz des Unternehmens beteiligt gewesen. Das monatliche Bruttoentgelt stelle nicht nur ein geringfügiges Taschengeld, sondern vielmehr den Gegenwert für die von ihm geleistete Arbeit dar. Das Bruttoentgelt sei als Betriebsausgabe verbucht worden; zudem seien Lohnsteuer und Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt worden. Aus der Übernahme von Bürgschaften könne ebenfalls keine Unternehmensbeteiligung abgeleitet werden, da Angehörige in der Regel ein gesteigertes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens hätten. Zudem sei es gängige Praxis der Banken, bei Krediten an den Betrieb Bürgschaften oder andere Sicherheiten des Ehepartners des Betriebsinhabers zu verlangen. Derartige Routineverpflichtungen hätten für sich genommen keine indizielle Wirkung für eine Mitunternehmerschaft des bürgenden oder sicherungsgebenden Ehegatten.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 14. August 2009 mittels Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. September 2009 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Das SG habe in seinem Urteil verkannt, dass seine Ehefrau nur scheinbar Unternehmerin sei. Sie verfüge über weniger Kompetenzen als er. Zudem bestimme er die Höhe seines Gehalts selbst. Dies unterscheide ihn von einem abhängig beschäftigten leitenden Angestellten. Insbesondere ergebe sich durch die Stellung der Bürgschaften, Übernahme von Darlehen und Überlassung von Wirtschaftsgütern ein Unternehmerrisiko, das für das Vorliegen eines sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisses spreche.

Mit Beschluss vom 6. Oktober 2009 hat die (frühere) Berichterstatterin die Pflegekasse bei der AOK Baden-Württemberg zum Verfahren beigeladen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. Juli 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2006 aufzuheben und festzustellen, dass seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1) seit 1. März 1985 nicht der Gesamtsozialversicherungspflicht unterliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die übrigen Beteiligten haben sich nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs 1, 55 Abs 1 SGG) zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 28. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2006 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass der Kläger bei der Beigeladenen zu 1) seit dem 1. März 1985 abhängig beschäftigt ist und deshalb der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Pflege- (seit 1. Januar 1995), Kranken- und Arbeitslosenversicherung unterliegt.

Nach § 28 h Abs 2 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) in der seit 1. Januar 2006 geltenden Fassung (BGBl I, S 86) entscheidet die Beklagte als Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw Beitragspflicht (§ 5 Abs 1 Nr 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch, § 1 Satz 1 Nr 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 25 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 7; Urteil vom 4. Juli 2007 - B 11 a AL 5/06 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 8) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit Bundesverfassungsgericht (BVerfG) SozR 3-2400 § 7 Nr 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 7).

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 4; SozR 3-4100 § 168 Nr 18). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSGE 45, 199, 200 ff; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 13; BSGE 87, 53, 56; jeweils mwN). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl hierzu insgesamt BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 7).

Hierbei hat das BSG hat in zahlreichen Entscheidungen in ständiger Rechtsprechung betont, dass es auch bei einer Familiengesellschaft wesentlich auf die Kapitalbeteiligung und die damit verbundene Einflussnahme auf die Gesellschaft und deren Betrieb ankommt. Entsprechendes gilt für die Beteiligung an einem als Einzelfirma geführten Familienbetrieb. Zwar führt das Fehlen einer (maßgeblichen) Unternehmensbeteiligung nicht zwingend zu einer abhängigen Beschäftigung, jedoch ist in diesen Fällen von einer abhängigen Beschäftigung nur in sehr eng begrenzten Einzelfällen abzusehen. Ein solcher Ausnahmefall kann zB bei Familienunternehmen vorliegen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die zB dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Hiervon ist insbesondere bei demjenigen auszugehen, der - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl BSG, Urteil vom 8. Dezember 1987 - 7 RAr 25/86 -, veröffentlicht in juris). Dies bedeutet aber nicht, dass jede familiäre Verbundenheit zum Ausschluss eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses führt. Die Grenze zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung und einer nichtversicherungspflichtigen Mitarbeit aufgrund einer familienhaften Zusammengehörigkeit ist vielmehr ebenfalls unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu ziehen (BSGE 3, 30, 39 f; 17, 1, 7 f; 74, 275, 278 f; BSG SozR 2200 § 165 Nr 90; SozR 3-4100 § 168 Nr 11).

Bei der Beschäftigung eines Familienangehörigen ist zudem neben der Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb und dem ggfs abgeschwächten Weisungsrecht des Arbeitgebers von Bedeutung, ob der Beschäftigte ein Entgelt erhält, das einen angemessenen Gegenwert für die geleistete Arbeit darstellt, mithin über einen freien Unterhalt, Taschengeld oder einer Anerkennung für Gefälligkeiten hinausgeht. Dabei kommt der Höhe des Entgelts lediglich Indizwirkung zu. Es gilt nicht der Rechtssatz, dass eine untertarifliche oder eine erheblich untertarifliche Bezahlung die Annahme eines beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausschließt (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 34/02 R -, veröffentlicht in juris). Weitere Abgrenzungskriterien sind nach der Rechtsprechung, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen worden ist, ob das gezahlte Entgelt der Lohnsteuerpflicht unterliegt, als Betriebsausgabe verbucht und dem Angehörigen zur freien Verfügung ausgezahlt wird, und schließlich, ob der Angehörige eine fremde Arbeitskraft ersetzt. Sind die genannten Voraussetzungen erfüllt, ist es für die Bejahung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht erforderlich, dass der Beschäftigte wirtschaftlich auf das Entgelt angewiesen ist (BSG SozR 3-2500 § 5 Nr 17). Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses steht grundsätzlich auch nicht entgegen, dass die Abhängigkeit in der Familie im Allgemeinen weniger stark ausgeprägt ist und deshalb das Weisungsrecht möglicherweise nur mit gewissen Einschränkungen ausgeübt wird (BSGE 34, 207, 210; SozR 3-2400 § 7 Nr 1; SozR 3-4100 § 168 Nr 11).

Vor diesem Hintergrund bestimmen sich vorliegend die rechtlich relevanten Beziehungen des Klägers und der Beigeladenen zu 1) seit 1. März 1985 nach dem handelsrechtlichen Status und dem weiterhin gültigen Anstellungsvertrag von 1985 sowie dem in der Praxis gelebten Ablauf der Tätigkeit des Klägers. Trotz der von ihm schlüssig dargelegten Freiheiten in der Ausübung seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1) überwiegen qualitativ die Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen. Der Kläger war während der gesamten Zeit nicht an der Einzelfirma seiner Ehefrau beteiligt. Selbst seit dem Jahr 2010, als die Beigeladene zu 1) das operative Geschäft in die r.-e. GmbH ausgelagert hat und damit eine Umstrukturierung des Unternehmens vorgenommen wurde, haben sich für die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen des Klägers zur Beigeladenen zu 1) keine Änderungen ergeben.

Folglich konnte der Kläger in rechtlicher Hinsicht Weisungen seiner Ehegattin als Betriebsinhaberin nicht verhindern. Selbst wenn das Weisungsrecht tatsächlich nicht ausgeübt wurde, ändert dies an diesem Ergebnis nichts. Zum einen gehört eine vorhandene Rechtsmacht auch dann zu den tatsächlichen Verhältnissen, wenn von ihr kein Gebrauch gemacht wird (vgl BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 30/04 R -, veröffentlicht in juris); zum anderen kann das Weisungsrecht des Arbeitgebers insbesondere bei Diensten höherer Art auch eingeschränkt und "zur dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein, wenn der Versicherte nur in dem Betrieb eingegliedert ist (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 - B 12 KR 8/01 R -, SozR 3-2400 § 7 Nr 19 mwN). Unter diesen Voraussetzungen sind auch Mitglieder von Vorständen juristischer Personen, die von Weisungen im täglichen Geschäft weitgehend frei sind, abhängig Beschäftigte (BSG, Urteil vom 19. Juni 2001 - B 12 KR 44/00 R -, SozR 3-2400 § 7 Nr 18).

Die Tätigkeit wurde im streitigen Zeitraum wie ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis abgewickelt. Die vertraglichen Regelungen entsprechen dem, was üblicherweise mit abhängig Beschäftigten vereinbart wird. Der Kläger erhielt ausweislich des Anstellungsvertrags vom 1. März 1985 eine feste monatliche Vergütung in Höhe von zunächst 4.250,- DM und zuletzt 4.250,- EUR pro Monat und hat Anspruch auf Urlaubsgeld, Weihnachtsgratifikation und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Seine Arbeitszeit betrug zunächst 45, später 56 Stunden. All dies sind Indizien, die für eine Arbeitnehmertätigkeit sprechen (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 - B 12 KR 10/01 R -, SozR 3-2400 § 7 Nr 20; BSG, Urteil vom 04. Juli 2007 - B 11 a AL 5/06 R -, SozR 4-2400 § 7 Nr 8). Soweit der Kläger deutlich mehr als arbeitsvertraglich geschuldet gearbeitet hat, ist darauf hinzuweisen, dass Familienangehörige in der Regel ein gesteigertes Interesse am Erhalt des Familienbetriebes haben, so dass sie regelmäßig bereit sind, überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen. Letzteres gilt in gleichem Maße für leitende Angestellte, die ebenfalls in der Regel bereit sind, auch in zeitlicher Hinsicht überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen (vgl hierzu und zum Ganzen: Urteil des erkennenden Senats vom 23. Februar 2010 - L 11 KR 2460/09 -, veröffentlicht in juris).

Aus dem Umstand, dass der Kläger in seinem Aufgabengebiet frei walten und schalten konnte, lässt sich ebenfalls keine selbständige Tätigkeit herleiten. Dies ist vielmehr geradezu typisch und der Tätigkeit eines leitenden Angestellten immanent. Der Senat vermag insbesondere nicht zu erkennen, dass der Kläger die Geschäfte der Gesellschaft faktisch wie ein Alleininhaber nach eigenem Gutdünken führte, Geschäftspolitik betrieb, strategische Entscheidungen fällte und die gegebene Betriebsordnung für ihn nicht bestimmend war. Vielmehr hat er nach seiner eigenen Darstellung den Betrieb gemeinsam mit seiner Ehefrau geführt, wobei sie den kaufmännischen Bereich und er den technischen Bereich verantwortet hat. Bei einem Einzelunternehmen verlangt der Senat für eine Mitunternehmerschaft, dass der Ehegatte, der nicht Inhaber der Firma ist, nicht nur am Gewinn, sondern auch am Verlust des Unternehmens beteiligt ist (Urteil vom 15. April 2011, L 11 KR 3922/10, sowie - zur stillen Beteiligung an einer KG - Urteil vom 20. Juli 2010, L 11 KR 3910/09, beide veröffentlicht in juris)

Ganz allgemein kann allerdings ein ständiges und bestehendes Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht den Status des abhängig Beschäftigten aufheben. Hätte der Kläger tatsächlich die Geschicke der Beigeladenen zu 1) selbst geleitet, hätte es nahegelegen, auch das Haftungsrisiko auf ihn zu übertragen und eine entsprechende gesellschaftsrechtliche Anpassung vorzunehmen. Dies war offensichtlich in der Vergangenheit gerade nicht gewollt. Die erste Möglichkeit zur Aufnahme einer Mitunternehmerschaft des Klägers hätte bereits nach Ablauf der möglichen Wettbewerbssperre aus der vorherigen Tätigkeit bei der Firma U. E., eine weitere im Zusammenhang mit der Auslagerung des operativen Geschäfts in die r.-e. GmbH im Januar 2010 bestanden; der Kläger und seine Ehefrau haben hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr erfolgte eine Beteiligung des Klägers an der Beigeladenen zu 1) zu keinem Zeitpunkt. Auch bei der r.-e. GmbH wurde der Kläger lediglich zum Geschäftsführer bestellt, eine Beteiligung am Stammkapital erfolgte jedoch nicht. Der Kläger konnte und kann bis heute trotz seiner im technischen Bereich überragenden Befugnisse aufgrund fehlender Unternehmensanteile die entscheidenden, gestaltenden und richtungsweisenden unternehmenspolitischen Entscheidungen nicht beeinflussen. Letztlich hat der Kläger keine Rechtsmacht inne, die es ihm ermöglicht, gegen den Willen seiner Ehefrau als alleiniger Inhaberin der Beigeladenen zu 1) Geschäfte zu betreiben.

An der Eigenschaft des Klägers als abhängig Beschäftigtem ändert sich schließlich nichts dadurch, dass er für den Betrieb oder die Betriebsinhaberin Bürgschaften in großem Umfang übernommen hat. Die Gewährung von Darlehen, die Übernahme von Bürgschaften und auch entsprechende Schuldbeitritte sind nicht mit der Gewährung eines Darlehens durch einen fremden Arbeitnehmer, der nicht Angehöriger des Unternehmensinhabers ist, zu vergleichen (vgl zuletzt Urteil des Senats vom 28. Juni 2011 – L 11 KR 2109/10 – mwN; Urteil des Senats vom 3. Mai 2011 - L 11 KR 2108/09; Urteil des Senats vom 23. Februar 2010 - L 11 KR 2460/09 -, veröffentlicht in juris; Urteil des Senats vom 1. Februar 2011 - L 11 KR 1541/09 -, veröffentlicht in juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. August 2008 - L 4 KR 4577/06 -, veröffentlicht in juris). Eheleute haben als solche ein gesteigertes beiderseitiges Interesse am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Hieraus ergibt sich aber kein wesentliches Unternehmerrisiko. Im Übrigen trägt jeder, der ein Darlehen gibt, das Risiko, dass der Darlehensnehmer das Darlehen nicht zurückzahlen kann. Damit lässt sich kein für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit typisches Unternehmerrisiko begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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