Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
50
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 50 KN 119/16 KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Abänderung des Bescheides vom 07.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2016 wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 23.12.2015 bis 29.12.2015 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Berufung wird zugelassen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 23.12.2015 bis 29.12.2015 in Höhe von 73,22 EUR brutto kalendertäglich.
Der am 09.03.19xx geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er ist bei der RWE Power AG als Spezialwerker Bergbau (Rohrverleger) tätig.
Ab dem 22.06.2015 erkrankte er wegen einer schweren depressiven Episode arbeitsunfähig.
Der den Kläger behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. med., Dipl.-Psych. Wolfgang W. aus Essen bescheinigte dem Kläger am 29.10.2015 eine weitere Arbeitsunfähigkeit bis zum 19.11.2015.
Am 24.11.2015 ging bei der Beklagten per Fax und am 26.11.2015 im Original ein von Dr. W. erstellter, auf den 12.11.2015 datierender Wiedereingliederungsplan ein. Dieser sah eine stufenweise Wiedereingliederung des Klägers für die Zeit vom 23.11.2015 bis zum 03.01.2016 vor. Als Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit war der 04.01.2016 angegeben.
Am 22.12.2015 stellte Dr. W. eine weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 03.01.2016 auf einer Bescheinigung für die Krankengeldzahlung (Muster 17) fest. Der Eingangsstempel der Beklagten auf dieser Bescheinigung datiert auf den 30.12.2015. Mit Bescheid vom 07.01.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dem Kläger für die Zeit vom 30.12.2015 bis zum 03.01.2016 Krankengeld gewährt werde. Für die Zeit vom 23.12.2015 bis zum 29.12.2015 lehnte die Beklagte die Krankengeldzahlung mit der Begründung ab, dass die erneute Attestierung der Arbeitsunfähigkeit erst am 30.12.2015 und damit nicht innerhalb einer Woche nach ärztlicher Feststellung am 22.12.2015 angezeigt worden sei.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2016 Widerspruch ein und begründete ihn dahingehend, dass er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 23.12.2015 per Einschreiben bei der Post aufgegeben habe. Die Frist sei somit eingehalten worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers unter erneutem Verweis darauf, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 22.12.2015 der Beklagten erst am 30.12.2015 vorgelegt worden sei, zurück.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ergänzend vertritt er die Auffassung, dass dem Kläger ein unter Umständen längerer Postumlauf über die Weihnachtstage nicht zuzurechnen sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 07.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2016 Krankengeld für den Zeitraum 23.12.2015 bis 29.12.2015 zu zahlen.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt ebenfalls bei ihrer Auffassung. Im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR hat sie ergänzend die Auffassung vertreten, dass das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit vom Vertragsarzt ausschließlich auf der Bescheinigung für die Arbeitsunfähigkeit bzw. für die Krankengeldzahlung (Auszahlungsschein für Krankengeld) zu attestieren sei und nicht durch den Wiedereingliederungsplan ersetzt werden könne. Auf Nachfrage des Gerichts im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR hat Dr. W. mit Schreiben vom 10.08.2017 mitgeteilt, dass der Kläger am 12.11.2015 bei ihm vorstellig gewesen sei und an diesem Tag der Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 erstellt und besprochen worden sei.
Im Verhandlungstermin hat die Beklagte des Weiteren die Auffassung vertreten, dass sofern unterstellt werde, dass der Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, in diesem Wiedereingliederungsplan ein Arbeitsunfähig- keitszeitraum von mehr als vier Wochen bescheinigt werde, was nach den Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien nicht vorgesehen sei. Darüber hinaus hat sie im Verhandlungstermin des Parallelverfahrens S 50 KN 118/16 KR die Auffassung vertreten, dass aufgrund der gerichtlichen Anfrage an Dr. W. nicht geklärt worden sei, ob Dr. W. am 12.11.2015 bei dem Kläger auch tatsächlich die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. Auch sei nicht geklärt worden, aufgrund welcher Diagnose er eine etwaige Arbeitsunfähigkeit des Klägers an diesem Tag festgestellt hat. Schließlich sei - sofern unterstellt werde, dass mit dem Wiedereingliederungsplan eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden ist - die Arbeitsunfähigkeit auch nicht rechtzeitig gemeldet worden, denn der Wiedereingliederungsplan sei nicht binnen einer Woche ab dem 12.11.2015 bei der Beklagten eingegangen, sondern erst per Fax am 24.11.2015.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakte des Parallelverfahrens S 50 KN 118/16 KR Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -, da der von der Beklagten erlassene Bescheid vom 07.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2016 rechtswidrig ist.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 23.12.2015 bis zum 29.12.2015.
Gemäß § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an.
Vorliegend hat die Beklagte nicht bestritten, dass der Kläger in der streitgegenständlichen Zeit wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen ist.
Der Anspruch auf Krankengeld ist auch für die streitgegenständliche Zeit vom 23.12.2015 bis zum 29.12.2015 entstanden, weil Dr. W. am 12.11.2015 eine weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 20.11.2015 bis zum 03.01.2016 festgestellt hat.
Am 29.10.2015 hat Dr. W. unstreitig eine weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 19.11.2015 festgestellt. Vor Ablauf der bis zum 19.11.2015 festgestellten Arbeitsunfähigkeit stellte sich der Kläger laut Mitteilung des Herrn Dr. W. im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR bereits am 12.11.2015 erneut bei ihm vor. An diesem Tag ist der Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 besprochen und erstellt worden, der eine stufenweise Wiedereingliederung des Klägers für die Zeit vom 23.11.2015 bis zum 03.01.2016 vorsah. Als Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit war der 04.01.2016 angegeben. Indem Herr Dr. W. somit diesen Wiedereingliederungsplan am 12.11.2015 für den Kläger erstellt hat, in welchem eine Wiedereingliederungsmaßnahme vom 23.11.2015 bis zum 03.01.2015 vorgesehen war, hat er auch am 12.11.2015 eine weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers über den 19.11.2015 hinaus bis zum Ende der Wiedereingliederungsmaßnahme am 03.01.2016 – und damit auch für den streitgegenständlichen Zeitraum - festgestellt.
Wird ein Wiedereingliederungsplan erstellt, so ergibt sich aus diesem logischerweise, dass eine volle Arbeitsfähigkeit noch nicht wieder hergestellt, der Versicherte somit weiterhin arbeitsunfähig ist (SG Duisburg, Urteil vom 16.02.2017 – S 50 KN 492/14 KR; SG Duisburg, Urteil vom 24.04.2017 - S 50 KN 537/14 KR). Insofern hat auch das Bundessozialgericht entschieden, dass die Arbeitsunfähigkeit des Leistungsberechtigten nicht dadurch entfällt, dass er zum Zwecke der stufenweisen Wiedereingliederung in nicht vollschichtigem Umfang bei seinem Arbeitgeber tätig geworden ist. Arbeitsunfähigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Arbeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann. Solange ein Versicherter die bisherige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht in vollem Umfang wieder ausüben kann, z. B. weil ihn seine Erkrankung noch an zuvor geleisteter vollschichtiger Arbeit hindert und ihm stattdessen nur eine Teilzeitarbeit zur Wiedereingliederung erlaubt, ist er weiterhin arbeitsunfähig, weil es im rechtlichen Sinne keine Teil-Arbeitsunfähigkeit gibt, sog. "Alles-oder-Nichts-Prinzip" (BSG, Urteil vom 21.03.2007 – B 11a AL 31/06 R – juris; BSG, Urteil vom 07.12.2004 – B 1 KR 5/03 R – juris). Im Übrigen regelt § 2 Abs. 2 Satz 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL), dass Arbeitsunfähigkeit auch während einer stufenweisen Wiederaufnahme der Arbeit fortbesteht, durch die Versicherten die dauerhafte Wiedereingliederung in das Erwerbsleben durch eine schrittweise Heranführung an die volle Arbeitsbelastung ermöglicht werden soll. Insofern ist der Einwand der Beklagten im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR, dass nach ihrer Auffassung aufgrund der gerichtlichen Anfrage an Dr. W. nicht geklärt worden sei, ob Dr. W. am 12.11.2015 bei dem Kläger auch tatsächlich die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat, nicht nachvollziehbar, da allein aufgrund des Vorliegens des Wiedereingliederungsplans auf die weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers geschlossen werden kann und dass vor seiner Erstellung Dr. W. auch festgestellt hat, dass der Kläger noch nicht in vollem Umfang arbeitsfähig, also arbeitsunfähig ist. Anhaltspunkte dafür, dass Dr. W. den Wiedereingliederungsplan willkürlich, ohne Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustands des Klägers erstellt hat, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen worden. Vielmehr hat Dr. W. im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR mitgeteilt, dass er den Wiedereingliederungsplan auch mit dem Kläger besprochen habe. Im Übrigen enthält der Wiedereingliederungsplan das Feld "Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit absehbar? Ja, ggf. wann / z. Z. nicht absehbar". In diesem Feld enthält der Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 den Eintrag, dass die volle Arbeitsfähigkeit des Klägers am 04.01.2016 absehbar sei. Insofern war für die Beklagte aus dem Wiedereingliederungsplan eindeutig erkennbar, dass der Kläger auch über den 19.11.2015 hinaus weiterhin bis zum 03.01.2016 arbeitsunfähig ist.
Der Wiedereingliederungsplan reicht auch als Nachweis bzw. Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit aus (LSG NRW, Urteil vom 11.02.2016 – L 16 KR 391/15 – juris; SG Duisburg, Urteil vom 16.02.2017 – S 50 KN 492/14 KR; SG Duisburg, Urteil vom 11.04.2014 – S 9 KR 702/16; SG Duisburg, Urteil vom 24.04.2017 - S 50 KN 537/14 KR). Nicht überzeugend ist insofern der Einwand der Beklagten im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR, dass das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit vom Vertragsarzt ausschließlich auf der Bescheinigung für die Arbeitsunfähigkeit bzw. für die Krankengeldzahlung (Auszahlungsschein für Krankengeld) zu attestieren sei und nicht durch den Wiedereingliederungsplan ersetzt werden könne und nicht geklärt sei, aufgrund welcher Diagnose Dr. W. eine etwaige Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 12.11.2015 festgestellt hat. Vielmehr hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 10.05.2012 (B 1 KR 20/11 R, juris) ausdrücklich festgestellt, dass mit der Notwendigkeit einer ärztlichen, nicht unbedingt vertragsärztlichen Feststellung harmoniere, dass unbeschadet des § 91 Abs. 6 SGB V die Regelungen in den AU-Richtlinien über den Zeitpunkt der AU-Feststellung und ihren retro- und prospektiven Feststellungszeitraum sowie über die Art und Weise der ärztlichen AU-Feststellung den leistungsrechtlichen Krankengeldtatbestand nicht ausgestalten. Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfülle somit auch dann die Voraussetzungen des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (a. F.), wenn sie nicht auf dem durch § 5 Abs. 1 oder § 6 Abs. 1 AU-RL dafür vorgesehenen Vordruck erfolgt (vgl. auch BSG, Beschluss vom 30.09.2015 – B 3 KR 40/15 B – juris). Darüber hinaus war der Beklagten die Diagnose aufgrund der vorherigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bekannt. Im Übrigen hätte die Beklagte nach Kenntnis vom Wiedereingliederungsplan die Diagnose bei dem Kläger oder Dr. W. erfragen können, falls sie der Auffassung gewesen ist, dass es sich nunmehr um eine andere Diagnose handelt oder den Sozialmedizinischen Dienst mit der Prüfung des Wiedereingliederungsplans und der mit diesem automatisch einher gehenden weiteren Arbeitsunfähigkeit beauftragen können.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand der Beklagten, dass in dem Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 ein Arbeitsunfähigkeitszeitraum von mehr als vier Wochen bescheinigt werde, was nach den Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien nicht vorgesehen sei. Zum einen enthalten weder die Regelungen im SGB V noch diejenigen in der zum Zeitpunkt des am 12.11.2015 erstellten Wiedereingliederungsplans geltenden AU-RL in der Fassung vom 14.11.2013, in Kraft getreten am 28.01.2014 eine starre Höchstgrenze bezüglich der Dauer der vom Arzt zu bescheinigenden Arbeitsunfähigkeit. Auch der von der Beklagten angeführte Vier-Wochen-Zeitraum ist der AU-RL, in der zum streitgegenständlichen Zeitpunkt geltenden Fassung nicht zu entnehmen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall die Arbeitsunfähigkeit aufgrund des erstellten Wiedereingliederungsplans vom 12.11.2015 festgestellt und bescheinigt worden ist. Im Falle einer Wiedereingliederungsmaßnahme sehen aber die AU-RL in Nr. 1 Satz 4 der Anlage (Empfehlungen zur Umsetzung der stufenweisen Wiedereingliederung) vor, dass die Wiedereingliederungsphase in der Regel einen Zeitraum von sechs Monaten nicht überschreiten soll. Insofern steht ein Wiedereingliederungsplan mit einer Wiedereingliederungsphase von bis zu sechs Monaten in der Regel im Einklang mit den Regelungen der AU-RL. Die von Dr. W. im Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 festgelegte Wiedereingliederungsphase vom 23.11.2015 bis 03.01.2016 überschreitet diesen Sechs-Monats-Zeitraum nicht.
Die am 12.11.2015 von Dr. W. festgestellte Arbeitsunfähigkeit über den 19.11.2015 hinaus bis zum 03.01.2016 ist der Beklagten auch rechtzeitig binnen der gesetzlichen Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 2 SGB V gemeldet worden.
Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Vorliegend begann die (weitere) Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 20.11.2015, weil Dr. W. zuvor am 29.10.2015 die weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 19.11.2015 festgestellt hat. Die weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 20.11.2015 bis zum 03.01.2016 ist der Beklagten auch innerhalb einer Woche nach ihrem Beginn gemeldet worden, weil der Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 bei der Beklagten am 24.11.2015 per Fax eingegangen ist. Soweit die Beklagte im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR die Auffassung vertritt, dass für die Berechnung der gesetzlichen Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 2 SGB V vorliegend auf den 12.11.2015 abzustellen sei, also dem Zeitpunkt der Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit vom 20.11.2015 bis zum 03.01.2016, schließt sich die Kammer dieser Auffassung aufgrund des ausdrücklichen gesetzlichen Wortlauts nicht an. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 2 SGB V regelt ausdrücklich, dass die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgen soll. Die Meldefristregelung stellt somit auf den Beginn der (weiteren) Arbeitsunfähigkeit ab und nicht auf deren Feststellung, während § 46 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB V für die Entstehung des Krankengeldanspruchs auf die Feststellung der (weiteren) Arbeitsunfähigkeit abstellen. Der Gesetzgeber differenziert somit zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und deren Feststellung. Diese streng am Wortlaut orientierte Auslegung ist nach Auffassung der Kammer auch aufgrund des in § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I - explizit hervorgehoben Schutzbedürfnisses der Versicherten in der sozialen Krankenversicherung geboten. Danach ist bei der Auslegung der Vorschriften des SGB sicherzustellen, dass die sozialen Rechte (hier: insbesondere dasjenige auf wirtschaftliche Sicherung bei Krankheit nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB I) "möglichst weitgehend" verwirklicht werden (BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 22/15 R – juris). In diese Richtung geht letztlich auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach trotz des grundsätzlich fehlenden verfassungsrechtlichen Anspruchs auf bestimmte Leistungen der GKV gesetzliche bzw. auf dem Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen ebenso wie die nachteilige Auslegung und Anwendung von Regelungen des Leistungsrechts der GKV durch die Fachgerichte stets daran gemessen werden müssen, ob sie im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz - GG - gerechtfertigt sind, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen; das gilt insbesondere für diejenigen Personen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen, die in der GKV pflichtversichert sind und denen die Möglichkeit einer davon abweichenden Absicherung nicht offen steht (BSG, Urteil vom 11.05.2017, aaO unter Verweis auf BVerfGE 115, 25, 42 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 RdNr. 20 ff).
Aufgrund des Vorgenannten war somit die erneute Feststellung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 22.12.2015 bis zum 03.01.2016 nicht mehr erforderlich, so dass dahinstehen kann, wann die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 22.12.2015 tatsächlich bei der Beklagten eingegangen ist und ob etwaige verlängerte Postlaufzeiten über die Weihnachtstage dem Kläger nicht zugerechnet werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG war die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil dem Gericht bekannt ist, dass sowohl in anderen KR-Kammern des Sozialgerichts Duisburg als auch an anderen Sozialgerichten in Nordrhein-Westfalen eine Vielzahl von Verfahren mit der Rechtsfrage, ob durch die Erstellung eines Wiedereingliederungsplans die Arbeitsunfähigkeit festgestellt und bescheinigt werden kann, anhängig ist.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Berufung wird zugelassen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 23.12.2015 bis 29.12.2015 in Höhe von 73,22 EUR brutto kalendertäglich.
Der am 09.03.19xx geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er ist bei der RWE Power AG als Spezialwerker Bergbau (Rohrverleger) tätig.
Ab dem 22.06.2015 erkrankte er wegen einer schweren depressiven Episode arbeitsunfähig.
Der den Kläger behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. med., Dipl.-Psych. Wolfgang W. aus Essen bescheinigte dem Kläger am 29.10.2015 eine weitere Arbeitsunfähigkeit bis zum 19.11.2015.
Am 24.11.2015 ging bei der Beklagten per Fax und am 26.11.2015 im Original ein von Dr. W. erstellter, auf den 12.11.2015 datierender Wiedereingliederungsplan ein. Dieser sah eine stufenweise Wiedereingliederung des Klägers für die Zeit vom 23.11.2015 bis zum 03.01.2016 vor. Als Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit war der 04.01.2016 angegeben.
Am 22.12.2015 stellte Dr. W. eine weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 03.01.2016 auf einer Bescheinigung für die Krankengeldzahlung (Muster 17) fest. Der Eingangsstempel der Beklagten auf dieser Bescheinigung datiert auf den 30.12.2015. Mit Bescheid vom 07.01.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dem Kläger für die Zeit vom 30.12.2015 bis zum 03.01.2016 Krankengeld gewährt werde. Für die Zeit vom 23.12.2015 bis zum 29.12.2015 lehnte die Beklagte die Krankengeldzahlung mit der Begründung ab, dass die erneute Attestierung der Arbeitsunfähigkeit erst am 30.12.2015 und damit nicht innerhalb einer Woche nach ärztlicher Feststellung am 22.12.2015 angezeigt worden sei.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2016 Widerspruch ein und begründete ihn dahingehend, dass er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 23.12.2015 per Einschreiben bei der Post aufgegeben habe. Die Frist sei somit eingehalten worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers unter erneutem Verweis darauf, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 22.12.2015 der Beklagten erst am 30.12.2015 vorgelegt worden sei, zurück.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ergänzend vertritt er die Auffassung, dass dem Kläger ein unter Umständen längerer Postumlauf über die Weihnachtstage nicht zuzurechnen sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 07.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2016 Krankengeld für den Zeitraum 23.12.2015 bis 29.12.2015 zu zahlen.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt ebenfalls bei ihrer Auffassung. Im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR hat sie ergänzend die Auffassung vertreten, dass das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit vom Vertragsarzt ausschließlich auf der Bescheinigung für die Arbeitsunfähigkeit bzw. für die Krankengeldzahlung (Auszahlungsschein für Krankengeld) zu attestieren sei und nicht durch den Wiedereingliederungsplan ersetzt werden könne. Auf Nachfrage des Gerichts im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR hat Dr. W. mit Schreiben vom 10.08.2017 mitgeteilt, dass der Kläger am 12.11.2015 bei ihm vorstellig gewesen sei und an diesem Tag der Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 erstellt und besprochen worden sei.
Im Verhandlungstermin hat die Beklagte des Weiteren die Auffassung vertreten, dass sofern unterstellt werde, dass der Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, in diesem Wiedereingliederungsplan ein Arbeitsunfähig- keitszeitraum von mehr als vier Wochen bescheinigt werde, was nach den Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien nicht vorgesehen sei. Darüber hinaus hat sie im Verhandlungstermin des Parallelverfahrens S 50 KN 118/16 KR die Auffassung vertreten, dass aufgrund der gerichtlichen Anfrage an Dr. W. nicht geklärt worden sei, ob Dr. W. am 12.11.2015 bei dem Kläger auch tatsächlich die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. Auch sei nicht geklärt worden, aufgrund welcher Diagnose er eine etwaige Arbeitsunfähigkeit des Klägers an diesem Tag festgestellt hat. Schließlich sei - sofern unterstellt werde, dass mit dem Wiedereingliederungsplan eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden ist - die Arbeitsunfähigkeit auch nicht rechtzeitig gemeldet worden, denn der Wiedereingliederungsplan sei nicht binnen einer Woche ab dem 12.11.2015 bei der Beklagten eingegangen, sondern erst per Fax am 24.11.2015.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakte des Parallelverfahrens S 50 KN 118/16 KR Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -, da der von der Beklagten erlassene Bescheid vom 07.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2016 rechtswidrig ist.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 23.12.2015 bis zum 29.12.2015.
Gemäß § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an.
Vorliegend hat die Beklagte nicht bestritten, dass der Kläger in der streitgegenständlichen Zeit wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen ist.
Der Anspruch auf Krankengeld ist auch für die streitgegenständliche Zeit vom 23.12.2015 bis zum 29.12.2015 entstanden, weil Dr. W. am 12.11.2015 eine weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 20.11.2015 bis zum 03.01.2016 festgestellt hat.
Am 29.10.2015 hat Dr. W. unstreitig eine weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 19.11.2015 festgestellt. Vor Ablauf der bis zum 19.11.2015 festgestellten Arbeitsunfähigkeit stellte sich der Kläger laut Mitteilung des Herrn Dr. W. im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR bereits am 12.11.2015 erneut bei ihm vor. An diesem Tag ist der Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 besprochen und erstellt worden, der eine stufenweise Wiedereingliederung des Klägers für die Zeit vom 23.11.2015 bis zum 03.01.2016 vorsah. Als Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit war der 04.01.2016 angegeben. Indem Herr Dr. W. somit diesen Wiedereingliederungsplan am 12.11.2015 für den Kläger erstellt hat, in welchem eine Wiedereingliederungsmaßnahme vom 23.11.2015 bis zum 03.01.2015 vorgesehen war, hat er auch am 12.11.2015 eine weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers über den 19.11.2015 hinaus bis zum Ende der Wiedereingliederungsmaßnahme am 03.01.2016 – und damit auch für den streitgegenständlichen Zeitraum - festgestellt.
Wird ein Wiedereingliederungsplan erstellt, so ergibt sich aus diesem logischerweise, dass eine volle Arbeitsfähigkeit noch nicht wieder hergestellt, der Versicherte somit weiterhin arbeitsunfähig ist (SG Duisburg, Urteil vom 16.02.2017 – S 50 KN 492/14 KR; SG Duisburg, Urteil vom 24.04.2017 - S 50 KN 537/14 KR). Insofern hat auch das Bundessozialgericht entschieden, dass die Arbeitsunfähigkeit des Leistungsberechtigten nicht dadurch entfällt, dass er zum Zwecke der stufenweisen Wiedereingliederung in nicht vollschichtigem Umfang bei seinem Arbeitgeber tätig geworden ist. Arbeitsunfähigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Arbeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann. Solange ein Versicherter die bisherige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht in vollem Umfang wieder ausüben kann, z. B. weil ihn seine Erkrankung noch an zuvor geleisteter vollschichtiger Arbeit hindert und ihm stattdessen nur eine Teilzeitarbeit zur Wiedereingliederung erlaubt, ist er weiterhin arbeitsunfähig, weil es im rechtlichen Sinne keine Teil-Arbeitsunfähigkeit gibt, sog. "Alles-oder-Nichts-Prinzip" (BSG, Urteil vom 21.03.2007 – B 11a AL 31/06 R – juris; BSG, Urteil vom 07.12.2004 – B 1 KR 5/03 R – juris). Im Übrigen regelt § 2 Abs. 2 Satz 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL), dass Arbeitsunfähigkeit auch während einer stufenweisen Wiederaufnahme der Arbeit fortbesteht, durch die Versicherten die dauerhafte Wiedereingliederung in das Erwerbsleben durch eine schrittweise Heranführung an die volle Arbeitsbelastung ermöglicht werden soll. Insofern ist der Einwand der Beklagten im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR, dass nach ihrer Auffassung aufgrund der gerichtlichen Anfrage an Dr. W. nicht geklärt worden sei, ob Dr. W. am 12.11.2015 bei dem Kläger auch tatsächlich die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat, nicht nachvollziehbar, da allein aufgrund des Vorliegens des Wiedereingliederungsplans auf die weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers geschlossen werden kann und dass vor seiner Erstellung Dr. W. auch festgestellt hat, dass der Kläger noch nicht in vollem Umfang arbeitsfähig, also arbeitsunfähig ist. Anhaltspunkte dafür, dass Dr. W. den Wiedereingliederungsplan willkürlich, ohne Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustands des Klägers erstellt hat, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen worden. Vielmehr hat Dr. W. im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR mitgeteilt, dass er den Wiedereingliederungsplan auch mit dem Kläger besprochen habe. Im Übrigen enthält der Wiedereingliederungsplan das Feld "Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit absehbar? Ja, ggf. wann / z. Z. nicht absehbar". In diesem Feld enthält der Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 den Eintrag, dass die volle Arbeitsfähigkeit des Klägers am 04.01.2016 absehbar sei. Insofern war für die Beklagte aus dem Wiedereingliederungsplan eindeutig erkennbar, dass der Kläger auch über den 19.11.2015 hinaus weiterhin bis zum 03.01.2016 arbeitsunfähig ist.
Der Wiedereingliederungsplan reicht auch als Nachweis bzw. Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit aus (LSG NRW, Urteil vom 11.02.2016 – L 16 KR 391/15 – juris; SG Duisburg, Urteil vom 16.02.2017 – S 50 KN 492/14 KR; SG Duisburg, Urteil vom 11.04.2014 – S 9 KR 702/16; SG Duisburg, Urteil vom 24.04.2017 - S 50 KN 537/14 KR). Nicht überzeugend ist insofern der Einwand der Beklagten im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR, dass das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit vom Vertragsarzt ausschließlich auf der Bescheinigung für die Arbeitsunfähigkeit bzw. für die Krankengeldzahlung (Auszahlungsschein für Krankengeld) zu attestieren sei und nicht durch den Wiedereingliederungsplan ersetzt werden könne und nicht geklärt sei, aufgrund welcher Diagnose Dr. W. eine etwaige Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 12.11.2015 festgestellt hat. Vielmehr hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 10.05.2012 (B 1 KR 20/11 R, juris) ausdrücklich festgestellt, dass mit der Notwendigkeit einer ärztlichen, nicht unbedingt vertragsärztlichen Feststellung harmoniere, dass unbeschadet des § 91 Abs. 6 SGB V die Regelungen in den AU-Richtlinien über den Zeitpunkt der AU-Feststellung und ihren retro- und prospektiven Feststellungszeitraum sowie über die Art und Weise der ärztlichen AU-Feststellung den leistungsrechtlichen Krankengeldtatbestand nicht ausgestalten. Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfülle somit auch dann die Voraussetzungen des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (a. F.), wenn sie nicht auf dem durch § 5 Abs. 1 oder § 6 Abs. 1 AU-RL dafür vorgesehenen Vordruck erfolgt (vgl. auch BSG, Beschluss vom 30.09.2015 – B 3 KR 40/15 B – juris). Darüber hinaus war der Beklagten die Diagnose aufgrund der vorherigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bekannt. Im Übrigen hätte die Beklagte nach Kenntnis vom Wiedereingliederungsplan die Diagnose bei dem Kläger oder Dr. W. erfragen können, falls sie der Auffassung gewesen ist, dass es sich nunmehr um eine andere Diagnose handelt oder den Sozialmedizinischen Dienst mit der Prüfung des Wiedereingliederungsplans und der mit diesem automatisch einher gehenden weiteren Arbeitsunfähigkeit beauftragen können.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand der Beklagten, dass in dem Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 ein Arbeitsunfähigkeitszeitraum von mehr als vier Wochen bescheinigt werde, was nach den Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien nicht vorgesehen sei. Zum einen enthalten weder die Regelungen im SGB V noch diejenigen in der zum Zeitpunkt des am 12.11.2015 erstellten Wiedereingliederungsplans geltenden AU-RL in der Fassung vom 14.11.2013, in Kraft getreten am 28.01.2014 eine starre Höchstgrenze bezüglich der Dauer der vom Arzt zu bescheinigenden Arbeitsunfähigkeit. Auch der von der Beklagten angeführte Vier-Wochen-Zeitraum ist der AU-RL, in der zum streitgegenständlichen Zeitpunkt geltenden Fassung nicht zu entnehmen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall die Arbeitsunfähigkeit aufgrund des erstellten Wiedereingliederungsplans vom 12.11.2015 festgestellt und bescheinigt worden ist. Im Falle einer Wiedereingliederungsmaßnahme sehen aber die AU-RL in Nr. 1 Satz 4 der Anlage (Empfehlungen zur Umsetzung der stufenweisen Wiedereingliederung) vor, dass die Wiedereingliederungsphase in der Regel einen Zeitraum von sechs Monaten nicht überschreiten soll. Insofern steht ein Wiedereingliederungsplan mit einer Wiedereingliederungsphase von bis zu sechs Monaten in der Regel im Einklang mit den Regelungen der AU-RL. Die von Dr. W. im Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 festgelegte Wiedereingliederungsphase vom 23.11.2015 bis 03.01.2016 überschreitet diesen Sechs-Monats-Zeitraum nicht.
Die am 12.11.2015 von Dr. W. festgestellte Arbeitsunfähigkeit über den 19.11.2015 hinaus bis zum 03.01.2016 ist der Beklagten auch rechtzeitig binnen der gesetzlichen Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 2 SGB V gemeldet worden.
Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Vorliegend begann die (weitere) Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 20.11.2015, weil Dr. W. zuvor am 29.10.2015 die weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 19.11.2015 festgestellt hat. Die weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 20.11.2015 bis zum 03.01.2016 ist der Beklagten auch innerhalb einer Woche nach ihrem Beginn gemeldet worden, weil der Wiedereingliederungsplan vom 12.11.2015 bei der Beklagten am 24.11.2015 per Fax eingegangen ist. Soweit die Beklagte im Parallelverfahren S 50 KN 118/16 KR die Auffassung vertritt, dass für die Berechnung der gesetzlichen Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 2 SGB V vorliegend auf den 12.11.2015 abzustellen sei, also dem Zeitpunkt der Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit vom 20.11.2015 bis zum 03.01.2016, schließt sich die Kammer dieser Auffassung aufgrund des ausdrücklichen gesetzlichen Wortlauts nicht an. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 2 SGB V regelt ausdrücklich, dass die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgen soll. Die Meldefristregelung stellt somit auf den Beginn der (weiteren) Arbeitsunfähigkeit ab und nicht auf deren Feststellung, während § 46 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB V für die Entstehung des Krankengeldanspruchs auf die Feststellung der (weiteren) Arbeitsunfähigkeit abstellen. Der Gesetzgeber differenziert somit zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und deren Feststellung. Diese streng am Wortlaut orientierte Auslegung ist nach Auffassung der Kammer auch aufgrund des in § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I - explizit hervorgehoben Schutzbedürfnisses der Versicherten in der sozialen Krankenversicherung geboten. Danach ist bei der Auslegung der Vorschriften des SGB sicherzustellen, dass die sozialen Rechte (hier: insbesondere dasjenige auf wirtschaftliche Sicherung bei Krankheit nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB I) "möglichst weitgehend" verwirklicht werden (BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 22/15 R – juris). In diese Richtung geht letztlich auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach trotz des grundsätzlich fehlenden verfassungsrechtlichen Anspruchs auf bestimmte Leistungen der GKV gesetzliche bzw. auf dem Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen ebenso wie die nachteilige Auslegung und Anwendung von Regelungen des Leistungsrechts der GKV durch die Fachgerichte stets daran gemessen werden müssen, ob sie im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz - GG - gerechtfertigt sind, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen; das gilt insbesondere für diejenigen Personen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen, die in der GKV pflichtversichert sind und denen die Möglichkeit einer davon abweichenden Absicherung nicht offen steht (BSG, Urteil vom 11.05.2017, aaO unter Verweis auf BVerfGE 115, 25, 42 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 RdNr. 20 ff).
Aufgrund des Vorgenannten war somit die erneute Feststellung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 22.12.2015 bis zum 03.01.2016 nicht mehr erforderlich, so dass dahinstehen kann, wann die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 22.12.2015 tatsächlich bei der Beklagten eingegangen ist und ob etwaige verlängerte Postlaufzeiten über die Weihnachtstage dem Kläger nicht zugerechnet werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG war die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil dem Gericht bekannt ist, dass sowohl in anderen KR-Kammern des Sozialgerichts Duisburg als auch an anderen Sozialgerichten in Nordrhein-Westfalen eine Vielzahl von Verfahren mit der Rechtsfrage, ob durch die Erstellung eines Wiedereingliederungsplans die Arbeitsunfähigkeit festgestellt und bescheinigt werden kann, anhängig ist.
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