L 9 R 3530/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 3581/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3530/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1956 geborene Klägerin kam im Jahr 1977 aus dem I. in die Bundesrepublik Deutschland. Eine begonnene Ausbildung zur Erzieherin hat sie nicht abgeschlossen und war als Mitarbeiterin im Lager und Versand sowie zuletzt seit Juni 2001 als Verkäuferin und Kassiererin in einem R.-Markt 4,17 Stunden täglich an sechs Tagen in der Woche beschäftigt. Seit April 2007 war die Klägerin arbeitsunfähig und seit Januar 2008 arbeitslos. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit 17.9.2009 anerkannt (Bescheid des Landratsamts Enzkreis vom 24.2.2010).

Im Februar 2008 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, da sie an der Schulter operiert sei, eine weitere Operation an der Wirbelsäule noch anstehe und sie unter einem Schmerzsyndrom sowie hohem Cholesterin leide.

Die Beklagte ließ die Klägerin auf orthopädischem Gebiet begutachten. Der Orthopäde Dr. H. stellte bei der Klägerin im Gutachten vom 3.4.2008 einen zervikalen Bandscheibenschaden mit Myotendopathien und Gefühlsstörungen der Hände sowie zentralen Umlaufstörungen und einen chronischen lumbalen Bandscheibenschaden mit Myotendopathien, Einflussstauungen und Gefühlstörungen fest. Er gelangte zum Ergebnis, als Kassiererin sei die Klägerin weiterhin täglich sechs Stunden und mehr einsetzbar. Leichtere Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen könnten der Klägerin vollschichtig (sechs Stunden und mehr) zugemutet werden. Längeres Bücken, häufiges Klettern oder Steigen sollten vermieden werden.

Mit Bescheid vom 24.4.2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab, weil teilweise bzw. volle Erwerbsminderung nicht vorliege. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könnten noch Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer 5-Tage-Woche regelmäßig ausgeübt werden. Die Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit lägen nicht vor, da die Klägerin weiterhin in der Lage sei, in ihrem bisherigen Beruf als Verkäuferin mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Hiergegen legte die Klägerin am 5.5.2008 Widerspruch ein und trug vor, es sei nicht berücksichtigt worden, dass sie unter Schulter- und Rückenschmerzen leide und ein weiterer operativer Eingriff bevorstehe. Auch die andere Schulter bereite ihr inzwischen Probleme. Ihre rechte Hand könne sie nicht benutzen so dass ihr die Haushaltsführung weitgehend unmöglich sei. Aufgrund ihrer Einschränkungen könne sie nicht mehr mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt berufstätig sein.

Nach Beiziehung von Befundberichten des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 5.6.2008 und des Orthopäden Dr. S. vom 13.6.2008 ließ die Beklagte die Klägerin auf nervenärztlichem Gebiet begutachten. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. stellte im Gutachten vom 7.10.2008 bei der Klägerin eine somatoforme Schmerzstörung fest und führte aus, die Klägerin könne mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes aus nervenärztlicher Sicht ohne relevante Einschränkungen sechs Stunden täglich verrichten und in diesem Umfang auch als Kassiererin tätig sein.

Vom 11.2. bis 6.3.2009 befand sich die Klägerin zu einem Heilverfahren in der T.klinik Bad K ... Die dortigen Ärzte entließen die Klägerin als arbeitsunfähig und führten aus, als Kassiererin im Einzelhandel sei sie allenfalls drei Stunden einsetzbar. Leichte Tätigkeiten ohne Heben und Tragen schwerer Lasten über 10 kg, ohne Zwangshaltungen, insbesondere ohne Überkopfarbeiten und Arbeiten mit Armvorhaltung, und ohne längeres Verharren in gebückter Position könne die Klägerin sechs Stunden und mehr verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.7.2007 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 14.8.2009 Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben, mit der sie die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgt hat.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und ein nervenärztliches Gutachten eingeholt.

Der Orthopäde Dr. S. hat unter dem 9.11.2009 über fortlaufende Behandlungen der Klägerin seit November 2007 berichtet und die Auffassung vertreten, eine leichte Arbeit mit qualitativen Einschränkungen sei vollschichtig möglich. Unter dem 4.2.2010 hat er eine wesentliche Änderung verneint und seine bisherige Beurteilung aufrechterhalten. Der Nervenarzt Dr. H. hat am 12.11.2009 erklärt, er behandle die Klägerin seit Juli 1992, wobei seit April 2009 psychische Beschwerden geklagt würden. Leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen könne die Klägerin drei bis sechs Stunden täglich verrichten. Die Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit beruhe in erster Linie auf Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet und nachrangig auf psychiatrisch-psychosomatischem Gebiet. Der Arzt für am Allgemeinmedizin Dr. S. hat unter dem 16.11.2009 leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt lediglich in einem Umfang von etwa drei Stunden für möglich erachtet und der Arzt für Psychotherapeutische Medizin Dr. M. hat die Ansicht vertreten, die Klägerin könne wegen Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und psychiatrisch-neurologischem Gebiet (massive Depressionen) keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachgehen.

Der Neurologe und Psychiater Dr. R. hat bei der Klägerin im Gutachten vom 27.9.2010 eine somatoforme Schmerzstörung, ein Impingementsyndrom der rechten Schulter, eine Hypercholesterinämie und eine Hyperurikämie diagnostiziert. Er ist zum Ergebnis gelangt, die Klägerin könne körperlich leichte Tätigkeiten ohne besondere nervliche Belastung noch mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer üblichen Arbeitswoche verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit großer nervlicher Anspannung, mit dem Erfordernis erhöhter Aufmerksamkeit und Konzentration sowie gefährliche Tätigkeiten an laufenden Maschinen oder mit Absturzgefahr. Aufgrund der orthopädischen Gesundheitsstörungen seien auch schwere körperliche Arbeiten und schweres Heben und Tragen nicht mehr zumutbar.

Die Klägerin hat einen Arztbrief der Medizinischen Klinik I des Klinikums P. über eine stationäre Behandlung vom 1.3. bis 4.3.2011 wegen rezidivierender links thorakaler Schmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm vorgelegt, wobei die Herzkatheteruntersuchung unauffällige Koronararterien ergeben hat und die Beschwerden am ehesten im Rahmen der Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden gesehen wurden.

Mit Urteil vom 26. Mai 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und der gerichtlichen Beweisaufnahme habe die Klägerin keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, da sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig leistungsfähig und auch nicht von einer Berufsunfähigkeit auszugehen sei. Zu dieser Überzeugung gelange das SG aufgrund des schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens von Dr. R. sowie des im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholten Gutachtens des Orthopäden Dr. H., des Entlassungsberichts der T.klinik Bad K. und der sachverständigen Zeugenaussagen des Dr. S ... Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 21.7.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.8.2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG habe seine klageabweisende Entscheidung auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. R. gestützt. Dieser habe zwar sein Gutachten mit der Feststellung abgeschlossen, dass bei ihr eine vollschichtige Leistungsfähigkeit gegeben sei. Diese Feststellung sei allerdings nicht verwertbar, da der Sachverständige zu Unrecht davon ausgehe, sie könne ihre Gesundheitsstörungen teilweise aus eigener Kraft überwinden. Der Sachverständige erwarte von ihr, dass sie Veränderungen an ihrer persönlichen Situation vornehme. Er verlange insbesondere, dass sie sich aus ihrem familiären Umfeld herauslöse und sich emanzipiere. Sie sei jedoch weder verpflichtet noch in der Lage, sich aus der Familie herauszulösen und sich zu emanzipieren. Aufgrund ihrer persönlichen Situation, ihres Glaubens und ihres kulturellen Hintergrundes könne sie nicht anders handeln. Das Grundgesetz schütze die Familie und Glaubensfreiheit. Nachdem eine Änderung der Verhältnisse bzw. der Familiensituation von ihr nicht verlangt werden könne, stehe fest, dass sie erwerbsunfähig sei. Vorsorglich werde der Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens bei Dr. B. wiederholt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Mai 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr auf ihren Antrag vom 4. Februar 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, in Kenntnis der schlüssigen Gutachtens von Dr. R. resultiere keine sozialmedizinische Standpunktänderung. Neue medizinische Gesichtspunkte trage die Klägerin nicht vor. Die traurige reaktive Stimmung der Klägerin bedeute keine vitale rentenrelevante quantitative Leistungsreduktion. Ebenso finde der von der Klägerin geschilderte Schmerz kein entsprechendes Korrelat bei der klinischen Untersuchung.

Mit Verfügungen vom 23.1. und 2.2.2012 hat der Senat auf die Möglichkeit einer Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 23.1. und 2.2.2012 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung bzw. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit - §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil die Klägerin noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig und auch nicht berufsunfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass auch der Senat nach der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen– ebenso wie das SG – nicht festzustellen vermag, dass das Leistungsvermögen der Klägerin, insbesondere aufgrund der auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen, auf unter sechs Stunden täglich für körperlich leichte, geistig einfache und nervlich nicht belastende Tätigkeiten herabgesunken ist. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund der Gutachten des Orthopäden Dr. Hage vom 3.4.2008, des Entlassungsberichts der T.klinik Bad K. vom 13.3.2009, der sachverständigen Zeugenauskünfte des Orthopäden Dr. S. vom 9.11.2009 und 4.2.2010 sowie der Gutachten der Neurologen und Psychiater Dr. B. und Dr. R. vom 7.10.2008 und 27.9.2010.

Soweit die Klägerin meint, dem Gutachten von Dr. R. könne nicht gefolgt werden, weil er von ihr Veränderungen an ihrer persönlichen Situation, Herauslösen aus dem familiären Umfeld und Emanzipation, erwarte, ist darauf hinzuweisen, dass er seine Leistungsbeurteilung nicht davon abhängig macht, dass die Klägerin die von ihm als hilfreich zur Verbesserung ihrer psychischen Situation bzw. ihrer Stimmung vorgeschlagene Änderung auch vornimmt. Vielmehr hält er unter Berücksichtigung der von ihm gestellten Diagnosen (somatoforme Schmerzstörung, Impingementsyndrom der rechten Schulter, Hypercholesterinämie und Hyperurikämie) leichte körperliche Tätigkeiten ohne besondere nervliche Belastungen mindestens sechs Stunden täglich für zumutbar.

Der Senat hat auch keinen Anlass gesehen, bei Dr. B., die im Gutachten vom 7.10.2008 bei der Klägerin ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden angenommen hat, das von Dr. R. im Gutachten vom 27.9.2010 bestätigt wurde, nochmals ein Gutachten einzuholen, zumal eine wesentliche dauerhafte Änderung der Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet bei der Klägerin nicht ersichtlich ist, auch nicht behauptet und erst recht nicht belegt wurde.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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