L 10 R 2187/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 2805/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2187/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 28.04.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Verzinsung einer Rentennachzahlung streitig.

Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin der am 1923 geborenen und am 2006 verstorbenen (M.R.), die von der Beklagten seit Januar 1998 Regelaltersrente und ab Juni 1968 große Witwenrente bezog. In dem zwischen M.R. bzw. der Klägerin und der Beklagten vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG) geführten Rechtsstreit S 1 R 4698/10 (zuvor S 1 RA 1044/03), dessen Ausgangspunkt ein Überprüfungsantrag der M.R. war, mit dem sie höhere Witwenrente geltend gemacht hatte, schlossen die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 22.02.2012 folgenden Vergleich:

1. Die Beklagte nimmt den Bescheid vom 07.05.2003 ganz zurück. Der mit der Nachzahlung der Regelaltersrente der Frau M. R. verrechnete Erstattungsbetrag von 1.479,89 EUR (für die im Zeitraum vom 01.06.1998 bis 30.06.2003 erbrachten Leistungen) wird der Klägerin ausgezahlt. 2. Die Beklagte nimmt den Bescheid vom 24.09.2002 insoweit zurück, als mit diesem die Bewilligung der Witwenrente durch Bescheid vom 12.01.2000 rückwirkend für die Zeit vom 01.06.1998 bis 30.09.2002 zurückgenommen und die Erstattung der in diesem Zeitraum erbrachten Leistungen in Höhe von 5.759,44 EUR verlangt worden ist. Der mit der Nachzahlung der Regelaltersrente verrechnete Erstattungsbetrag wird der Klägerin ausgezahlt. 3. Der Regelung in Ziffer 1 entsprechend ist die Witwenrente auf der Grundlage des Bescheids vom 21.08.2002 und der darin enthaltenen Neuberechnung ab 01.10.2002 bis zum Tod der Frau M. R. zu gewähren. Die hieraus resultierende Nachzahlung wird der Klägerin erbracht. 4. Die Beteiligten verzichten auf etwaige Mehrforderungen. 5. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit für erledigt. 6. Die Beklagte trägt drei Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. 7. Der Vergleich kann von der Beklagten bis 19.03.2012 (Tag des Eingangs bei Gericht) widerrufen werden.

Ausweislich der Niederschrift wurde der Vergleich vorläufig aufgezeichnet, abgespielt und von den Beteiligten genehmigt.

In Ausführung dieses Vergleichs berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 26.04.2012 die Witwenrente der M.R. vom 01.06.1998 bis 31.03.2006 neu, wodurch sich - ohne Verzinsung - eine Nachzahlung in Höhe von 12.889,45 EUR ergab, die sie an die Klägerin auszahlte. Im Hinblick auf die unterbliebene Verzinsung der Nachzahlung führte die Beklagte zur Begründung aus, eine solche beginne nach § 44 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB I) erst nach Ablauf eines Kalendermonats nach Bekanntgabe des Bescheides. Ein Anspruch auf Verzinsung bestehe daher nicht.

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin eine Verzinsung des Nachzahlungsbetrages geltend, was auch der Verfahrensweise der Beklagten in anderen Verfahren entspreche. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.2012 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der angefochtene Bescheid beruhe maßgeblich auf dem vor dem SG am 22.02.2012 geschlossenen Vergleich, in dessen Nr. 4 festgelegt sei, dass die Beteiligten auf etwaige Mehrforderungen verzichteten. Dieser nicht näher konkretisierte Verzicht gelte für sämtliche Mehrforderungen und damit auch für die nunmehr geltend gemachten Zinsen.

Am 22.08.2012 hat die Klägerin dagegen beim SG Klage erhoben und in Zweifel gezogen, dass von dem Verzicht auch Zinsen umfasst seien. Die Beklagte nenne weder eine Gerichtsentscheidung noch eine interne Anweisung, die dies bestätige. Offenbar gebe es insoweit auch keine einheitliche Linie bzw. Arbeitsanweisung.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.04.2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Nr. 4 des am 22.02.2012 geschlossenen Vergleichs stehe dem geltend gemachten Zinsanspruch entgegen, da die Klägerin hiermit auf sämtliche etwaige Mehrforderungen, worunter auch etwaige Zinszahlungen fielen, verzichtet habe. Im Verhältnis zu dem Anerkenntnis der Beklagten in Nrn. 1 bis 3 des Vergleichs, mit dem diese sich verpflichtet habe, die Witwenrente ab 1998 neu zu berechnen, sei Nr. 4 als allgemeiner Verzicht auf sämtliche weiteren Zahlungen zu verstehen. Der Vergleich sei schließlich auch formell und materiell-rechtlich wirksam.

Am 15.05.2014 hat die Klägerin dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und den geltend gemachten Anspruch auf Verzinsung des Nachzahlungsbetrags damit begründet, dass in dem Verfahren S 1 R 4698/10 eine Erhöhung der Witwenrente "mit" Verzinsung geltend gemacht worden sei, sie - ohne ihren Bevollmächtigten zu informieren - zu dem Termin gefahren sei, zwar der Beklagten, jedoch nicht ihr ein Widerrufsrecht eingeräumt worden sei, für einen normalen Menschen eine Nachzahlung und deren Verzinsung eine Einheit bilde und die Beklagte offenbar auch intern ihre Verzinsungspflicht unterschiedlich beurteile.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 28.04.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 26.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.08.2012 zu verurteilen, die Rentennachzahlung zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Akten beider Rechtszüge sowie der Akten der Verfahren S 1 RA 1040/03 sowie S 1 R 4698/10 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, diese ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 26.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.08.2012 ist, soweit die Beklagte eine Verzinsung des Nachzahlungsbetrags von 12.889,45 EUR ablehnte, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verzinsung diese Betrages.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass der zwischen den Beteiligten vor dem SG am 22.02.2012 in dem Verfahren S 1 R 4698/10 geschlossene Vergleich dem geltend gemachten Zinsanspruch entgegensteht.

Ein Vergleich ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Beteiligten über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (BSG, Urteil vom 17.05.1989, 10 RKg 16/88 in SozR 1500 § 101 Nr. 8 unter Hinweis auf § 779 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Er hat eine Doppelnatur. So ist er einerseits ein materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits Prozesshandlung (BSG, a.a.O. und Urteil vom 24.01.1991, 2 RU 51/90), welche gemäß § 101 Abs. 1 SGG die Beendigung des Rechtsstreits bewirkt.

Ausgehend hiervon lehnte die Beklagte es zu Recht ab, den an die Klägerin zur Auszahlung gebrachten Betrag zu verzinsen. Denn im Anschluss an die Regelungen in den Nrn. 1 bis 3 des Vergleichs, mit denen die Beteiligten bestimmten, in welchem Umfang aus den Ansprüchen der M.R. auf Regelaltersrente und Witwenrente an die Klägerin noch Rentenzahlungen zu erbringen sind, haben diese sich in Nr. 4 dahingehend geeinigt, dass sie auf etwaige Mehrforderungen verzichten. Damit haben die Beteiligten klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sich der Anspruch der Klägerin auf die Zahlung der in den Nrn. 1 bis 3 des Vergleichs jeweils bestimmten bzw. bestimmbaren Beträge beschränkt. Da diese Bestimmungen gerade keine Verzinsung der jeweiligen Beträge vorsehen, werden von dem vereinbarten Verzicht zweifellos gerade auch die aus der Zahlungsverpflichtung der Beklagten resultierenden Nebenforderungen erfasst, mithin auch der von der Klägerin nunmehr geltend gemachte Zinsanspruch.

Die Ausführungen der Klägerin in der Berufungsbegründung ändern an dieser Beurteilung nichts. Dass die Klägerin vor Abschluss des Vergleichs nach ihren Angaben eine Verzinsung der Rentennachzahlung begehrte, stützt die Auffassung der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats. Denn Kennzeichen eines Vergleichs ist, dass ein Streitverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Damit liegt es aber gerade im Wesen eines Vergleichs, dass ursprünglich vertretene Rechtspositionen nicht in vollem Umfang aufrecht erhalten werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich Nr. 4 des Vergleichs gerade (auch) als Regelung des geltend gemachten weiteren Anspruchs auf Zinsen dar. Dem entsprechend kommt es auch nicht darauf an, wie "normale Menschen" eine Nachzahlung und deren Verzinsung beurteilen und ob seitens der Mitarbeiter der Beklagten hinsichtlich der zu beurteilenden Frage Übereinstimmung besteht. Denn maßgebend ist, dass mit Nr. 4 des Vergleichs eine Bestimmung zur umfassenden und abschließenden Regelung des Streits und damit insbesondere in Bezug auf die geltend gemachten Ansprüche, also gerade den Zinsanspruch, erfolgte.

Die übrigen Ausführungen der Klägerin sind ohne erkennbare Relevanz. Soweit ihr Prozessbevollmächtigter rügt, die Klägerin sei zu der mündlichen Verhandlung erschienen, ohne ihn, ihren Bevollmächtigten, zu informieren, ist dies ohne Belang für den Inhalt des Vergleichs. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Vergleich ohne Widerrufsrecht der Klägerin abgeschlossen wurde.

Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit des Vergleichs bestehen nicht.

Die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs kann darauf beruhen, dass entweder der materiell-rechtliche Vertrag nach den Bestimmungen des über § 61 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) anwendbaren BGB nichtig oder wirksam angefochten ist oder die zum Abschluss des Vergleichs notwendigen Prozesshandlungen nicht wirksam vorgenommen sind, insbesondere die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben (BSG, Urteile vom 17.05.1989 und vom 24.01.1991). Gleiches gilt nach § 779 Abs. 1 BGB, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.

Prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Prozessvergleichs sind nicht ersichtlich. Auf Grund des im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22.02.2012 angefertigten Protokolls steht fest (§ 122 SGG i.V.m. § 165 Zivilprozessordnung [ZPO]), dass die Beteiligten die im Tatbestand wiedergegebenen - und nach nochmaligem Vorspielen (§ 122 i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 Abs. 1 ZPO) genehmigten - Erklärungen auch abgaben. Hieran ändert der Umstand nichts, dass die Klägerin ohne ihren Prozessbevollmächtigten zum Termin erschien und dies - so sein Vortrag -, ohne ihn zu informieren. Zweifellos konnte die Klägerin wirksame Prozesserklärungen auch ohne ihren Bevollmächtigten abgeben.

Ebenso fehlen Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Prozessvergleichs, etwa nach den §§ 116 ff. BGB, oder für seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB.

Die Beklagte lehnte eine Verzinsung des Nachzahlungsbetrags von 12.889,45 EUR nach alledem zu Recht ab, weshalb die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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