L 2 R 5161/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 3706/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 5161/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Der am 1961 geborene Kläger stammt aus Serbien und ist im Jahr 1989 in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen. Nach seinen Angaben im Rentenantrag hat er von 1976 bis 1979 den Beruf des Metallschlossers erlernt und war zuletzt als Metallbauer versicherungspflichtig beschäftigt.

Im September 2009 beantragte der Kläger erstmalig die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er begründete den Antrag mit Alkoholproblemen und anderen Diagnosen (Leistenhernie, Chondroplastik Knie, Neuralgie).

Die Beklagte zog die Reha-Entlassungsberichte über eine stationäre Maßnahme zur Rehabilitation in der Fachklinik Haus R. vom 28.10. bis 09.12.2008 (Diagnosen: Alkoholabhängigkeit, Nikotinabhängigkeit, Verdacht auf arterielle Hypertonie, lumbale Diskopathie, Meniskopathie rechtes Knie; Bl. 65 Heftschiene 1 der Verwaltungsakte - VA -) sowie über eine daran anschließende ambulante Rehabilitationsmaßnahme in der blv-Tagesklinik Karlsruhe bis zum 23.02.2009 (Diagnosen: Alkoholabhängigkeit, Nikotinabhängigkeit, Lumboischialgie, Osteochondrose, Läsion Nervus genitofemoralis, Verdacht auf arterielle Hypertonie; Bl. 77 Heftschiene 1 VA) bei. Hauptziel dieser beiden Maßnahmen war die Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Abstinenz. Der Kläger wurde mit fortbestehenden Rückenbeschwerden als vollschichtig leistungsfähig für leichte körperliche Tätigkeiten, zeitweise im Stehen und Gehen bzw. ständig im Sitzen entlassen. Mit Schwergewicht auf den orthopädischen Beeinträchtigungen fand vom 13.05. bis 04.06.2009 eine weitere Maßnahme zur stationären Rehabilitation und zwar in der Sigelklinik Bad Sch. statt (Diagnosen: Chronisch rezidivierendes sensibles radikuläres LWS-Syndrom bei NPPL5/S1 und erosiver Osteochondrose L5/S1, ISG-Blockierung links, unklarer Leistenschmerz links, Alkoholabhängigkeit, gemischte Hyperlipidämie; Bl. 83 Heftschiene 1 VA). Im Rahmen der sozialmedizinischen Epikrise wurde ausgeführt, dass der Kläger seine letzte Tätigkeit als Schweißer aufgrund von schwerem Heben und Zwangshaltungen nur noch unter drei Stunden durchführen könne. Prinzipiell könne er jedoch körperlich mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus sechs Stunden und mehr durchführen. Vermieden werden sollten häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 12 kg, ständige Rumpfzwangshaltungen, häufiges Bücken, ständige Knie-/Hockpositionen sowie eine Gefährdung durch Kälte, Nässe und Zugluft.

Im Rahmen einer von der Beklagten veranlassten medizinischen Begutachtung durch die Sozialmedizinerin Z. (Gutachten vom 8.2.2010, Bl. 22 Heftschiene 1 VA) diagnostizierte diese Lumbalgien mit geringen Funktionseinschränkungen bei röntgenologisch degenerativen Veränderungen bei L5/S1 ohne höhergradige Zeichen der Wurzelreizung, bewegungsabhängige Knieschmerzen links mehr als rechts mit beginnenden Funktionseinschränkungen ohne Reizzustand bei zweit- bis drittgradigem Knorpelschaden links, Schmerzen linke Leiste nach Leistenbruchoperation 1997 ohne wesentliche Einschränkung bei Alltagsfunktionen, wiederkehrende Krämpfe der linken Hand ohne wesentliche Funktionseinschränkungen mit Muskelminderung links, Sehschwäche (korrigiert mit Brille), Blutdruckerhöhung (medikamentös behandelt) sowie Zustand nach Alkoholentzugsbehandlung. Das Ausmaß der geklagten Beschwerden decke sich mit den Untersuchungsbefunden. Es resultierten qualitative Leistungseinschränkungen, nicht jedoch nicht quantitative Einschränkungen des Leistungsvermögen. Auszuschließen seien lediglich Tätigkeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen sowie häufiges Bücken und länger dauerndes Hocken, häufiges Ersteigen von Leitern und Gerüsten. Tätigkeiten mit erhöhter Anforderung an die Kraft sowie an die feinmotorische Fähigkeit der linken Hand seien zu vermeiden. Aufgrund des früheren Alkoholmissbrauchs sei eine Tätigkeit mit entsprechender Exposition auszuschließen. Der Kläger könne aber leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Arbeitshaltung von überwiegendem Sitzen, Gehen und Stehen zumindest sechsstündig verrichten. Die Wegefähigkeit sei nicht im rentenrelevanten Maß eingeschränkt, öffentliche Verkehrsmittel seien benutzbar.

Mit Bescheid vom 23.02.2010 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab (Bl. 15 Heftschiene 2 VA). Die Einschränkungen, die sich aus den Krankheiten des Klägers ergäben, führten nicht zu einem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Denn nach der medizinischen Beurteilung könnte der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Hiergegen erhob der Kläger am 10.03.2010 Widerspruch und trug zur Begründung vor, dass sich seine körperliche Konstitution weiterhin verschlechtert habe. Ergänzend legte der Kläger insbesondere Unterlagen aus den Krankenakten des ihn behandelnden Facharztes für psychotherapeutische Medizin, Rehabilitationswesen, Suchttherapie und Suchtmedizin Dr. Sch. vor (Bl. 97 ff. Heftschiene 1 VA: Testdiagnostik vom 30.06.2009 und 26.04.2010 sowie Anamnesegespräch vom 02.07.2009). Nach nochmaliger sozialmedizinischer Auswertung äußerte sich Dr. D. mit Datum vom 05.08.2010 dahingehend, dass keine Änderung der bisherigen Einschätzung veranlasst sei (Bl. 121 Rs. Heftschiene 1 VA).

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2010 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch des Klägers zurück (Bl. 31 Heftschiene 2 VA). In Auswertung der im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorliegenden ärztlichen Unterlagen habe der ärztliche Sachverständige festgestellt, dass der Kläger für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes über ein zeitliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich verfüge. In qualitativer Hinsicht ergäben sich Leistungseinschränkungen auf leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten zu ebener Erde in wechselnder Körperhaltung ohne häufiges Bücken sowie ohne erhöhte Anforderungen an die Kraft und Feinmotorik der linken Hand. Die Widerspruchsstelle habe keine Bedenken, diese medizinische Beurteilung ihrer Entscheidung zugrunde zulegen.

Hiergegen hat der Kläger am 03.09.2010 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass seiner Auffassung nach die orthopädische Befundsituation mit dem Wirbelsäulenleiden und den Kniegelenksveränderungen im Vordergrund stehe.

Das SG hat zunächst die den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Der Orthopäde Dr. N. hat den Kläger zweimal konsiliarisch am 25.11. und 01.12.2008 wegen Rückenschmerzen gesehen. Zur aktuellen Belastungsfähigkeit sei ihm keine Stellungnahme möglich (vgl. Auskunft vom 16.11.2010, Bl. 16 SG-Akte). Nach Einschätzung des Orthopäden Dr. St. (vgl. Auskunft vom 16.11.2010, Bl. 18 SG-Akte), der den Kläger zwischen dem 13.07.2009 und dem 01.06.2010 behandelt habe, könne der Kläger trotz der bestehenden Kniegelenksbeschwerden (Innenmeniskusteilresektion) körperlich leichten Tätigkeiten nachgehen. Der Facharzt für psychotherapeutische Medizin Dr. Sch. hat beim Kläger eine klinisch relevante Ausprägung depressiver Symptome und eine sich entwickelnde Chronifizierung gesehen. Mit Blick auf die von ihm durchgeführte Anamnese und Testdiagnostik hat er den Kläger für psychisch nicht in vollem Umfang leistungsfähig (etwa vier Stunden) gehalten, insgesamt jedoch die orthopädischen Probleme in den Vordergrund gestellt (vgl. Auskunft vom 08.12.2010, Bl. 23 SG-Akte). Der Allgemeinmediziner Dr. H. behandelt den Kläger hausärztlich mindestens seit 2006 (vgl. Auskunft vom 27.01.2011, Bl. 37 SG-Akte). Unter Vorlage zahlreicher fachärztlicher Befunde hat er Beeinträchtigungen auf orthopädischem, angiologischem und psychiatrischem Fachgebiet gesehen, vermochte allerdings wegen einer anstehenden Behandlung der linken Arteria femoralis keine Leistungsbeurteilung abzugeben. Der Chirurg Dr. S. hat den Kläger zwischen dem 22.01.2009 und dem 27.04.2009 wegen Lendenwirbelsäulenbeschwerden mit uneinheitlichem Beschwerdebild behandelt und körperlich leichte Tätigkeiten für möglich gehalten (vgl. Auskunft vom 15.05.2011, Bl. 121 SG-Akte).

Das SG hat sodann von Amts wegen bei Dr. N. das nervenärztliche Gutachten vom 20.01.2012 eingeholt (Bl. 159 SG-Akte). Dr. N. diagnostizierte ein chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren, eine Hypersomnie unklarer Genese, Spannungskopfschmerz sowie eine LWS-Funktionsstörung mit leichtgradiger S1-Reizung. Unter Berücksichtigung des erhobenen psychisch-psychiatrischen Befundes (insgesamt eine teilweise resignativ verbitterte Grundstimmung und nur teilweise depressive Stimmungsauslenkung bei Thematisierung der körperlichen Beschwerden und sozialen Umstände) sowie der erhaltenen Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung (Umgang mit der täglichen Routine, Kommunikationsfähigkeit, hinreichende Mobilität, Selbstversorgung, Zurückgezogenheit, aber dennoch fortbestehende Interessen und Aktivitäten) kam der Gutachter zu dem Entschluss, dass hinsichtlich der im Vordergrund stehenden Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie unter Berücksichtigung der körperlich-somatischen Gesundheitsstörungen zwar qualitative Leistungseinschränkungen vorlägen, quantitative aber nicht zu begründen seien. Zudem seien die vorgetragenen Beschwerden willentlich zu überwinden und hätten sich Auffälligkeiten im Rahmen der Konsistenzprüfung ergeben. Insgesamt sprächen die Fähigkeiten zur Tagesbewältigung und auch die fehlenden therapeutischen Maßnahmen gegen einen höheren Leidensdruck. Insofern seien keine quantitativen Leistungseinschränkungen zu begründen.

Nach Vorlage weiterer Arztbriefe auf orthopädischem Fachgebiet (Dr. S. vom 07.02. und 17.02.2012, vgl. Bl. 203 SG-Akte) hat das SG von Amts wegen bei Dr. J. das fachorthopädische Gutachten vom 06.07.2012 eingeholt (Bl. 211 SG-Akte). Dr. J. hat beim Kläger eine deutliche Fehlstatik der Wirbelsäule mit teilfixiertem Rundrücken, Verspannung der Lendenstreckmuskulatur sowie des oberen Trapeziusrandes beidseits und Rippenbuckelbildung rechts (keine relevante Funktionseinschränkung im Bereich der Wirbelsäule), eine Teilsteife des Kleinfingerendgelenkes links sowie Knorpelschäden im Bereich beider Kniegelenke mit allenfalls minimalem Reizzustand ohne Funktionseinschränkung diagnostiziert. Anzumerken sei, dass sich die vom Kläger angegebenen massiven Schmerzen klinisch und bildgebend nur sehr begrenzt objektivieren ließen. Mit qualitativen Einschränkungen (nur noch leichte und zeitweise mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen ohne Heben und Tragen von Lasten über 12 kg sowie vornübergebeugte Körperhaltung und Wirbelsäulenzwangshaltung, keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten in der Hocke und im Knien sowie regelmäßiges Treppensteigen) könne der Kläger noch vollschichtig tätig sein.

Mit Urteil vom 11.10.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Da er nach dem 1. Januar 1961 geboren worden sei, komme die Gewährung einer teilweise Erwerbsminderungsrente infolge Berufsunfähigkeit von vornherein nicht in Betracht. Doch auch bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sei der Kläger nicht erwerbsgemindert, da er dort noch in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Das SG hat sich hierbei auf die erfolgten Ermittlungen, beigezogenen Auskünfte sowie insbesondere die Gerichtsgutachten von Dr. J. und Dr. N. gestützt. Insgesamt sei das von Dr. J. gefundene Ergebnis, wonach die von ihm erhobenen Befunde keine quantitative Leistungseinschränkung rechtfertigten, nachvollziehbar. Eine Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit sei vielmehr lediglich vorübergehend durch die arterielle Verschlusskrankheit vom Oberschenkeltyp beidseits möglich gewesen; diese Problematik sei jedoch durch die am 24.01.2011 stattgefundene Katheterdilatation der Arteria femoralis links beseitigt worden. Den Ausführungen des nervenärztlichen Gutachters Dr. N. lasse sich entnehmen, dass der Kläger an einer chronischer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Hypersomnie unklarer Genese, unter Spannungskopfschmerzen und einer Lendenwirbelsäulenfunktionsstörung leide. Nachvollziehbar führe Dr. N. in seinem Gutachten aus, dass auch diese Gesundheitsstörungen lediglich qualitative Funktionseinbußen nach sich zögen (keine Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, kein häufiges Bücken und Treppensteigen, keine Arbeiten in Kälte und Nässe, unter Zeitdruck und Stressbelastung, keine Arbeiten unter nervlicher Belastung). Bei Beachtung dieser Einschränkungen vermöge der Kläger aber nach den überzeugenden Darstellungen des Dr. N. mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. So sei beim Kläger kein gravierender krankheitsbedingter psychischer Befund zu erheben gewesen. Der Kläger habe insgesamt eine resignative verbitterte Grundstimmung und eine nur teilweise depressive Stimmungsauslenkung bei Thematisierung der körperlichen Beschwerden und sozialen Umstände gezeigt. Im weiteren hätten sich keine Hinweise auf eine tiefergehende depressive oder Angststörung gezeigt. Der vom Kläger geschilderte Tagesablauf zeige zwar aufgrund seines vermehrten Schlafbedürfnisses eine Einschränkung der Tagesgestaltung. Allerdings könne der Kläger seinen Haushalt selbst versorgen, unternehme Spaziergänge mit dem Hund, sei am Tagesgeschehen interessiert. Er sei mithin in der Lage, mit der täglichen Routine umzugehen, könne kommunizieren, sei hinreichend mobil, versorge sich selbst, bewerkstellige das häusliche Leben, schildere Interessen und Aktivitäten. Die Fähigkeiten zur Anpassung, Umstellung und das Durchhaltevermögen seien daher nicht wesentlich eingeschränkt. Dr. N. habe keine Einschränkung der mentalen Funktionen, sondern nur leichtgradige Einschränkungen der emotionalen Funktionen und nur leichtgradige Einschränkungen von Seiten des Schmerzlebens gefunden. Insgesamt bestünden daher keine Hinweise auf einen höheren Schweregrad der somatoformen Störung. Auch aktuell führe der Kläger keine schmerztherapeutische, psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung durch. Das SG schloss sich daher der Leistungsbeurteilung des Dr. N. voll umfänglich an. Schließlich bedingten auch die weiteren Krankheitsbilder (Sehschwäche, korrigiert mit Brille, Blutdruckerhöhung, Druckschmerz des Abdomens bei Leberwerterhöhung) über die Vermeidung von Arbeiten mit besonderer Beanspruchung des Sehvermögens hinaus keine quantitative Leistungsminderung. Die Beklagte habe zu Recht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt.

Der Kläger hat gegen das seinem Bevollmächtigten mit Empfangsbekenntnis am 06.12.2012 zugestellte Urteil am 12.12.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, er gehe unter Hinweis auf seine anhaltenden Schmerzen, die ständig längere Ruhepausen erforderten, nach wie vor davon aus, dass sein Leistungsvermögen rentenrelevant eingeschränkt sei. Aufgrund der dauernden Schmerzzustände sei ein normaler Tagesablauf nicht möglich. Darüber hinaus sei den angiologischen Gesundheitsstörungen nicht ausreichend nachgegangen worden. Der Kläger habe im Rahmen der Untersuchung durch Dr. N. am 10.01.2012 eine Gehstrecke von 100 m angegeben, im Rahmen der Untersuchung durch Dr. J. am 03.07.2012 eine Gehstrecke von 50 m. Er mache nach wie vor eine eingeschränkte Wegefähigkeit geltend. Nach 50 m bekomme er Krämpfe in den Beinen. Auch seine Kniebeschwerden seien viel schlimmer geworden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2012 sowie den Bescheid vom 23. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab dem 01. September 2009 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG unter Hinweis auf eine Stellungnahme ihres prüfärztlichen Dienstes vom 21.04.2014 für zutreffend, gegebenenfalls könne eine internistische Begutachtung weitere Aufklärung ergeben.

Der Senat hat Berichte des Radiologen Dr. St. vom 12.09. und 28.11.2013 sowie des Internisten und Angiologen Dr. V. vom 25.07.2013 beigezogen. Er hat ferner (erneut) den Allgemeinmediziner Dr. H. sowie den Angiologen Dr. V. als sachverständige Zeugen gehört. Im Rahmen der weiter erfolgenden hausärztlichen Behandlung hat Dr. H. mit Auskunft vom 04.07.2013 (Bl. 37 LSG-Akte) über eine Verschlechterung der Claudicatiosymptomatik in der letzten Zeit berichtet. Nach Auskunft des Angiologen Dr. V. habe sich nach Intervention an beiden Oberschenkeln (PTA der Arterio femoralis superficialis links und rechts September und November 2013) eine Befundbesserung eingestellt. Mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten sowie längere Gehstrecken seien aufgrund der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit eher ungeeignet. Aktuell bestünden deutliche Beschwerden bei LWS-Syndrom und Zustand nach Bandscheibenvorfall mit starken Einschränkungen der Beweglichkeit. Die relevante Einschränkung im Alltag bestehe in Folge der orthopädisch-neurologischen Erkrankungen. Leichte Tätigkeiten mit wechselnden Positionen seien aus angiologischer Sicht mindestens halbschichtig möglich (Auskunft vom 23.12.2013, Bl. 111 LSG-Akte).

Der Senat hat sodann von Amtswegen bei Dr. Schu. das fachinternistische Gutachten vom 29.09.2014 eingeholt (Bl. 124 LSG-Akte). Dr. Schu. hat beim Kläger eine periphere arterielle Verschlusskrankheit der Beine (Stadium II a, zweimalige beidseitige Gefäßausdehnung 2011 und 2013), Bluthochdruck (aktuell nicht korrekt eingestellt), Alkoholkrankheit (nach Entziehungsbehandlung 2008/2009, nach eigenen Angaben seither abstinent), Funktionseinschränkungen durch wiederkehrende Wirbelsäulenbeschwerden bei Verschleißerscheinungen und Fehlstatik sowie Knorpelschäden an den Kniegelenken ohne erhebliche Funktionseinschränkungen diagnostiziert. Das Leistungsvermögen hat Dr. Schu. dahingehend eingeschätzt, dass eine anderes als die bislang von den Vorgutachtern getroffene Beurteilung nicht begründbar sei. Auch unter Berücksichtigung etwaiger Interaktionen der verschiedenen Gesundheitsstörungen sei eine andere Einschätzung nicht geboten. Die Wegefähigkeit sei nicht rentenrelevant eingeschränkt; das Ergebnis der zweiten Dilatation, welche nunmehr noch nicht ganz ein Jahr zurückliege, sei auf beiden Seiten zufrieden stellend. Klinisch seien die Extremitäten korrekt durchblutet und die Gefäßpulse seien tastbar. Die mit der Doppler-Sonde gemessenen Druckgradienten passten zu einem Fontaine-Studium II a, wobei eine Gehstrecke von ca. 500 bis 1000 m (bei Zugrundelegung eines normalen Gehtempos) anzunehmen sei. Der Proband gebe zwar eine kürzere Gehstrecke an, jedoch weiche hier wohl die Selbstwahrnehmung bzw. -darstellung von der Realität etwa ab. Selbst wenn eine Gehstrecke von 500 bis 1000 m in normalem Tempo (4 bis 5 km pro Stunde) zu optimistisch geschätzt wäre, sei zumindest eine Strecke von 500 m in 20 Min. zurückzulegen, da hier auf jeden Fall noch genügend Zeit für ausgiebige Pausen sei oder von vornherein ein so niedriges Gehtempo gewählt werden könne, dass ein ischämischer Schmerz gar nicht auftrete.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, da ein Anspruch auf eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 23.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2010, mit dem die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Dagegen geht der Kläger zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage vor.

Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1).

Voll erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Gem. § 43 Abs. 3 SGB VI ist jedoch nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Auf der Grundlage der vorliegenden Verwaltungsgutachten, Auskünfte der behandelnden Ärzte, der im Verfahren vor dem SG eingeholten Gutachten und der im Berufungsverfahren ergänzend erfolgten Sachaufklärung, insbesondere des Gutachtens von Dr. Schu. liegen auch nach Überzeugung des Senats beim Kläger die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht vor. Nach der übereinstimmenden Einschätzung der Gutachter im SG-Verfahren (Dr. N. und Dr. J.) ist der Kläger unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (nur noch leichte und zeitweise mittelschwere körperliche Tätigkeiten, mit der Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, Vermeidung von Heben und Tragen von Lasten über 12 kg, Vermeidung von Arbeiten in vor- und übergebeugter Körperhaltung und in Wirbelsäulenzwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten in der Hocke und im Knien sowie regelmäßiges Treppensteigen, Vermeidung von Arbeiten unter Zeitdruck und Stressbelastung wie Akkord, Fließband und Schichtarbeiten sowie Arbeiten unter nervlicher Belastung) noch in Lage, eine Tätigkeit vollschichtig an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Der Senat hält insoweit die Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil für voll umfänglich nachvollziehbar und zutreffend und sieht deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend wird in Bezug auf das Berufungsvorbringen folgendes ausgeführt: Soweit der Kläger im Rahmen der Berufungsbegründung erneut auf seine anhaltenden Schmerzen verwiesen hat, kann nur nochmals auf die Ausführungen im Gutachten von Dr. N. hingewiesen werden. Der Schmerzproblematik kann durch die angeführten qualitativen Einschränkungen hinreichend Rechnung getragen werden. Weder aus den Ausführungen von Dr. N. noch aus den ergänzenden Angaben von Dr. H. im Berufungsverfahren vermag der Senat ausreichende Hinweise auf eine schmerzbedingte Einschränkung des Durchhaltevermögens zu entnehmen. Hiergegen sprechen auch nach Auffassung des Senats die erhaltenen Alltagskompetenzen des Klägers. Insgesamt dürften hier im Übrigen auch noch Möglichkeiten zur Therapieoptimierung bestehen.

Der Vortrag des Klägers, seine Wegefähigkeit sei in rentenrelevantem Ausmaß eingeschränkt, ist durch die Ausführungen im Gutachten von Dr. Schu. vom 29.09.2014 widerlegt. Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Wegefähigkeit besteht nicht.

Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, großer Senat vom 19.12.1996, GS 2/95, Juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass ein Versicherter nicht viermal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urt. v. 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, Juris). Es kommt hingegen nicht auf den konkreten Weg vom Wohnort zu einer Arbeitsstelle oder zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels an, sondern darauf, welche Wege allgemein üblich sind.

Zwar hat Dr. H. im Rahmen seiner Auskunft vom 04.07.2013 mit Blick auf die eingetretene Verschlechterung der Claudicatiosymptomatik die Auffassung vertreten, der Kläger könne nicht arbeitstäglich viermal einen Fußweg von 500 m in zumutbarem Zeitaufwand zurücklegen. Bereits Dr. V. hat in seiner Auskunft vom 23.12.2013 allerdings auf die eingetretene Verbesserung nach beidseitiger PTA im September und November 2013 verwiesen. Er hat lediglich "längere Gehstrecken" als er ungeeignet eingeschätzt. Darüber hinaus hat er die relevanten Einschränkungen eher auf orthopädisch-neurologischem Fachgebiet gesehen. (Insoweit erscheint auch seine Einschätzung, dass leichte Tätigkeiten mit wechselnden Positionen aus angiologischer Sicht lediglich mindestens halbschichtig möglich seien, nicht nachvollziehbar). Gezielt mit Blick auf die Frage der Wegefähigkeit wurde der Kläger nochmals durch Dr. Schu. begutachtet. Dr. Schu. hat auf das auf beiden Seiten zufrieden stellende Ergebnis der zweiten Dilatation verwiesen. Nachdem nach dem Ergebnis der Untersuchungen durch Dr. Schu. die Extremitäten korrekt durchblutet und die Gefäßpulse tastbar waren, auch die beim Kläger vorhandene Fußsohlenbeschwielung mit einer erheblichen Minderung des Gehvermögens nicht vereinbar wäre, ist der Senat mit Dr. Schu. der Überzeugung, dass der Kläger bei Zugrundelegung eines niedrigen Gehtempos in der Lage ist, eine Strecke von 500 m in 20 Minuten zurückzulegen.

Insgesamt kann sich auf der Grundlage der beim Kläger bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen der Senat daher nicht davon überzeugen, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, noch vollschichtig einer leichten körperlichen Tätigkeit unter Beachtung entsprechender qualitativer Einschränkungen nachzugehen.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit scheidet - unabhängig vom Bestehen von Berufsschutz - bereits wegen des Alters des Klägers aus, da er nach dem 01.01.1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Aus diesen Gründen ist daher die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved