L 10 R 1057/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 4912/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1057/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.01.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung streitig.

Die am 1982 geborene, im Jahr 1995 aus dem Kosovo zugezogene Klägerin absolvierte keine Ausbildung. Ihren Angaben zufolge war sie seit Juni 2002 in einem Pflegeheim als Reinigungskraft beschäftigt (vgl. Bl. 17 VerwA). Ab Januar 2006 war sie im Hinblick auf ihre im November 2005, November 2007 und August 2009 geborenen Kinder überwiegend in Elternzeit, bevor sie am 01.08.2010 ihre Tätigkeit wieder aufnahm. Ab 13.08.2010 war die Klägerin zunächst wegen einer Nierenvereiterung bzw. Nierenentzündung arbeitsunfähig. Im Hinblick auf gleichzeitig aufgetretene anfallsartige Ereignisse (Umkippen mit Bewusstlosigkeit) nahm sie ihre Tätigkeit nicht mehr auf.

Am 01.03.2011 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Ihren Antrag begründete sie mit einer symptomatischen Epilepsie mit tonischen Anfällen ungeklärter Genese. Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei, u.a. den Entlassbericht der im Epilepsiezentrum K. vom 17.03. bis 24.03.2011 erfolgten stationären Behandlung (Diagnosen: u.a. dissoziative Anfälle, kein Anhalt für das Vorliegen einer Epilepsie) und veranlasste das Gutachten des Neurologen Dr. W. , der die Klägerin im Juli 2011 untersuchte. Der Gutachter beschrieb einen unauffälligen neurologischen Befund, jedoch Verhaltensauffälligkeiten, insbesondere einen Anfall am Ende der Untersuchung, den er seinem Ablauf nach eindeutig als psychogen einordnete. Ablauf, Art und Weise hätten zwar für einen dissoziativen Krampfanfall gesprochen, der definitionsgemäß eher als bewusstseinsfern gelte, gleichwohl lasse sich auf Grund des Zeitpunkts seines Eintretens und der während des Anfalls zu beobachtenden bewussten Abwehrreaktionen gegen Untersuchungs- und Behandlungsversuche eine bewusstseinsnahe Ausgestaltung nicht völlig ausschließen. Hierzu passe auch das anschließend gezeigte emotional unbeteiligte Verhalten, ohne jegliche Besorgnis über das Geschehene. Unter Zugrundelegung eines dissoziativen Anfallsgeschehens erachtete Dr. W. die Klägerin für fähig, leichte bis mittelschwere, intellektuell nicht anspruchsvolle Verrichtungen im Umfang von zumindest sechs Stunden täglich auszuüben. Zu vermeiden seien Schichtarbeiten, Tätigkeiten mit besonderem Gefahrenpotential, besonderen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, Verantwortung für Personen und Maschinen sowie Tätigkeiten mit generell erhöhter Unfallgefahr. Aus der darüber hinaus diagnostizierten akzentuierten Persönlichkeit mit affektiven und Verhaltensauffälligkeiten resultiere keine Leistungseinschränkungen. Mit Bescheid vom 02.08.2011 und Widerspruchsbescheid vom 03.11.2011 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin daraufhin ab.

Am 30.11.2011 hat die Klägerin dagegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und im Mai 2012 zur Begründung geltend gemacht, zwischenzeitlich bis zu viermal wöchentlich Anfälle zu erleiden, wobei sich die hierbei auftretende Bewusstseinsstörung von ca. 15 Minuten im Jahr 2011 nun auf zwei Stunden pro Anfall ausgedehnt hätten und es dann den ganzen Tag dauere, bis sie wieder einen normalen Zustand erreiche. Die Anfälle überkämen sie urplötzlich, ohne dass sie sich vorher ankündigten, und sie falle dann einfach um. Dadurch erleide sie in aller Regel Verletzungen, welche meist mit erheblichen Schmerzen verbunden seien. Bereits mehrfach sei sie nach Anfällen mit dem Krankenwagen abtransportiert worden.

Das SG hat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. und die Dipl.-Psych. H.-E. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. S. hat von ca. monatlichen Vorstellungen der Klägerin seit November 2010 und Klagen über "Umstürzen" und "Anfälle" mehrmals in der Woche berichtet, wobei von psychogenen Anfällen auszugehen sei. Objektive Zeugen für das Auftreten der Anfälle gebe es allerdings nicht. Die Dipl.-Psych. H.-E. hat von psychotherapeutischen Einzelgesprächen 14-tägig seit August 2011 und von Klagen über mehrmals pro Woche auftretende Ohnmachtsanfälle mit Bewusstlosigkeit zwischen 15 Minuten und 1,5 Stunden berichtet. Das SG hat sodann bei dem Arzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten auf Grund Untersuchung der Klägerin im November 2012 eingeholt. Der Sachverständige hat auf Grund der durchgeführten Untersuchungen keinen Anhalt für eine relevante Erkrankung des neurologischen und psychiatrischen Formenkreises gefunden und ist diagnostisch von einem Rentenbegehren ausgegangen. Er hat einen Anfall vor Beginn der körperlichen Untersuchung beschrieben, der eindeutig "demonstriert" gewirkt habe. Seines Erachtens lägen keine dissoziativen Anfälle vor; ein stupor- oder tranceähnlicher Zustand habe nicht bestanden. In der Anamnese hätten sich deutliche Hinweise auf einen ausgeprägten sekundären Krankheitsgewinn in Form der Entpflichtung im beruflichen und privaten Bereich mit erheblicher Unterstützung durch die Familienangehörigen und auch ausgeprägter Fürsorge ergeben.

Am 03.03.2013 erlitt die Klägerin einen Herzinfarkt (STEMI der Vorderwand), worauf bei koronarer Eingefäßerkrankung eine PTCA/DE-Stentimplantation erfolgt ist. Aus der vom 27.03. bis 17.04.2013 durchgeführten Anschlussheilbehandlung in der Klinik L. in Bad K. wurde die Klägerin mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten entlassen, wobei im Hinblick auf die ohne Vorwarnung auftretenden Synkopen Tätigkeiten mit Verantwortung für Personen und Maschinen ebenso wie Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr zu vermeiden seien. Nach Beiziehung des entsprechenden Entlassungsberichts hat das SG auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Gutachten des Prof. Dr. E. , Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums F. , eingeholt, der die Klägerin im September 2013 untersucht hat. Dieser hat im Hinblick auf die von der Klägerin anlässlich seiner Untersuchung geklagten Durchschlafstörungen den dringenden Verdacht auf eine Narkolepsie geäußert, was einer Abklärung bedürfe.

Mit Urteil vom 14.01.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Gestützt auf die Gutachten des Dr. S. und des Dr. W. hat es sich nicht davon überzeugen können, dass die Klägerin das Anfallsleiden nicht willentlich steuern könne. Soweit der Sachverständige Prof. Dr. E. den Verdacht auf eine Narkolepsie geäußert habe, lägen dem die Angaben der Klägerin über ihr Schlafverhalten zu Grunde, das sie abweichend zu ihren früheren Angaben erstmals gegenüber Prof. Dr. E. in dieser Form geschildert habe. Ausgehend hiervon sei von einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit September 2013 aufzugehen, so dass der entsprechende Zustand - sollte es sich tatsächlich um Symptome einer Narkolepsie handeln - noch keine sechs Monate bestehe, mithin von einer Dauerhaftigkeit zum Entscheidungszeitpunkt nicht auszugehen sei.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 03.02.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 01.03.2014 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und diese mit einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht begründet. Das SG hätte entweder weitere Ermittlungen zur Sicherung der Diagnose einer Narkolepsie anstellen oder das Ergebnis weiterer Untersuchungen abwarten müssen. Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat die Klägerin den Bericht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Universitätsklinikum F. vom 03.04.2014 über die vom 17. bis 19.03.2014 durchgeführte Untersuchung im Schlaflabor sowie den Bericht des Herzzentrums L. vom 17.05.2014 über die stationäre Behandlung vom 14. bis 17.05.2014 zur Synkopendiagnostik vorgelegt, wonach sowohl eine Narkolepsie als auch eine neurokardiogene oder orthostatische Ursache der Synkopen ausgeschlossen worden ist.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.01.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.11.2011 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung seit Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheidet, ist zulässig; die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 02.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.11.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist im Sinne der maßgelblichen gesetzlichen Regelungen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Ihr steht daher weder Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zu.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs (§ 43 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB VI) im Einzelnen dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Klägerin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil sie leichte bis mittelschwere Arbeiten bei Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (überwiegend im Sitzen, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne besondere Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, ohne Verantwortung für Personen und Maschinen, ohne erhöhte Unfallgefahr, ohne Schichtdienst) zumindest noch sechs Stunden täglich verrichten kann und mit diesem Leistungsvermögen weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Der Senat teilt die Auffassung des SG, das sich nicht davon überzeugt hat, dass die Klägerin an dissoziativen, mithin bewusstseinsfernen Krampfanfällen leidet. Auch der Senat sieht gestützt auf die Gutachten des Dr. S. und des Dr. W. erhebliche Hinweise darauf, dass die beklagten Anfälle willentlich von der Klägerin gesteuert werden. Sowohl Dr. S. als auch Dr. W. haben einen von der Klägerin beklagten Anfall miterlebt und hierbei übereinstimmend eine Willkürinnervation und eine erhaltende Reaktionsfähigkeit beschrieben, insbesondere im Hinblick auf die von Dr. W. angeführte Abwehr von Untersuchungs- und Behandlungsversuche, was für einen demonstrativen Charakter des Verhaltens und gegen das Vorliegen eines dissoziativen Anfalls spricht. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht geltend gemacht hat, kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob das SG sich im Hinblick auf die von Prof. Dr. E. gestellte Verdachtsdiagnose einer Narkolepsie zu weiteren medizinischen Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Denn zwischenzeitlich steht auf Grund der durchgeführten Untersuchung im Schlaflabor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums F. ausweislich des entsprechenden, von der Klägerin vorgelegten Berichts vom 03.04.2014 fest, dass sie nicht an einer Narkolepsie leidet. Darüber hinaus ergeben sich auch auf Grund der im Herzzentrums L. erfolgten Synkopendiagnostik ausweislich des entsprechenden Berichts vom 17.05.2014 keine Hinweise auf eine neurokardiogene oder orthostatische Genese der geltend gemachten Anfälle.

Durch die erwähnten und von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Berichte sieht sich der Senat in seiner Einschätzung im Übrigen bestätigt. So ist auffällig, dass weder anlässlich des dreitägigen Aufenthalts in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, noch während des viertägigen Aufenthalts im Herzzentrums L. ein Anfall aufgetreten ist, obwohl die Klägerin im Rahmen ihrer anamnestischen Angaben zuletzt von einer deutlichen Progredienz der Symptomatik mit zuletzt zwei bis drei Ereignissen pro Woche berichtet hat. Auffällig ist darüber hinaus auch, dass die Klägerin die beklagten Anfälle im Gegensatz zu ihrem früheren Vorbringen, wonach die Anfallsereignisse urplötzlich ohne Auslöser aufträten, im Rahmen ihrer anamnestischen Angaben nunmehr in Zusammenhang mit Stresssituationen und Situationen psychischer Belastung gebracht hat, so dass auch die Inkonsistenz der Angaben der Klägerin neben den zahlreichen von Dr. W. und Dr. S. aufgeführten Gesichtspunkten gegen das Vorhandensein willentlich nicht beeinflussbarer Anfälle spricht. Schließlich sind die behandelnden Ärzte in den genannten Kliniken auch diagnostisch nicht von dissoziativen Krampfanfällen ausgegangen, sondern haben übereinstimmend lediglich den Verdacht auf eine dissoziative Störung geäußert.

Nach alle dem kann die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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