Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 2378/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1086/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.01.2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) "aG" (außergewöhnlich gehbehindert) hat.
Der 1973 geborene Kläger ist t. Staatsangehöriger und hält sich aufgrund einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG (vgl. Blatt 8 der Beklagtenakte) in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er erlitt am 29.09.2009 einen Arbeitsunfall, aufgrund dessen ihm das linke Bein im Oberschenkel amputiert wurde. Er arbeitet vollschichtig in der Lagerlogistik. Er ist mit einer Prothese ausgestattet, einem Rollstuhl, den er bei Beschwerden während der Arbeit nutzt, und mit Krücken, die er bei Bedarf benutzt.
Das Landratsamt H. (LRA) stellte auf den Antrag des Klägers vom 24.11.2009 (Blatt 1/7 der Beklagtenakte) mit Bescheid vom 23.03.2011 (Blatt 40/43 der Beklagtenakte) in der Fassung des Abhilfebescheids vom 07.06.2011 beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 seit 24.11.2009 fest (zur versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.05.2011 vgl. Blatt 56/57 der Beklagtenakte; zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Verlust des linken Beines im Oberschenkel Einzel-GdB 80; depressive Verstimmung, posttraumatische Belastungsstörung Einzel-GdB 20), ebenso das Merkzeichen "G".
Am 14.09.2011 beantragte der Kläger beim LRA die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" (Blatt 73/74 der Beklagtenakte). Das LRA holte eine Auskunft des behandelnden Orthopäden Dr. M. ein. Dieser führte in seiner Antwort (Blatt 77/81 der Beklagtenakte) u.a. aus, am 31.05.2011 habe die Gehstrecke 2 km betragen, der Kläger verfüge über einen Schrittzähler, auf dem er 700.000 Schritte gezählt habe. Darüber hinaus wird immer wieder von Folikulitis am Stumpf berichtet.
Anregungen der Versorgungsärztin Dr. H. (Blatt 82/83 und Blatt 110 der Beklagtenakte) folgend zog das LRA von der BG Nahrungsmittel und Gastgewerbe Gutachten (dazu vgl. Blatt 85/109 der Beklagtenakte; nervenfachärztliches Gutachten Prof. Dr. T. vom 02.05.2011 und auf orthopädischem Fachgebiet: Erstes Rentengutachten Dr. G. vom 19.04.2011) und den Rentenbescheid vom 04.07.2011 (Blatt 112/116 der Beklagtenakte) bei.
In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.12.2011 (Blatt 118/119 der Beklagtenakte) führte Dr. H. aus, die Gehfähigkeit sei nicht auf das Schwerste eingeschränkt. Daraufhin lehnte das LRA mit Bescheid vom 20.03.2012 (Blatt 120/121 der Beklagtenakte) die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab. Den vom Kläger hiergegen am 02.04.2013 erhobenen Widerspruch (Blatt 125 der Beklagtenakte), mit dem er geltend machte (Blatt 129 der Beklagtenakte), es lägen eine erhebliche Einschränkung der Wege- und Gehfähigkeit und somit die Voraussetzungen von "aG" vor, wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium S. – Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2012 (Blatt 132/133 der Beklagtenakte) zurück.
Am 19.07.2012 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Heilbronn Klage erhoben. Die Geh- und Wegefähigkeit sei aufgrund der bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen erheblich eingeschränkt. Er könne nur kurze Wegstrecken zurücklegen und leide unter Schmerzen im Bereich des Stumpfes sowie im Rückenbereich.
Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der den Kläger behandelnden Ärzte. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 17/33, 40/42 und 49/50 der SG-Akte Bezug genommen. Der Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. M. hat dem SG am 17.10.2012 geschrieben, durch die Amputation sei die Funktion des linken Beines und damit das Gehen und Stehen, Bücken und Treppensteigen stark eingeschränkt. Es bestehe keine außergewöhnliche Gehbehinderung. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie N. hat gegenüber dem SG mit Schreiben vom 13.12.2012 ausgeführt, beim Kläger liege eine außergewöhnliche Gehbehinderung vor, da er auch einseitig oberschenkelamputiert sei und aufgrund seiner wiederholten Knochen- und Hautentzündungen am Stumpf häufig außerstande sei, eine Prothese zu tragen. Erneut befragt hat Dr. M. mit Schreiben vom 22.03.2013 angegeben, Es bestünden Hautentzündungen, Knochenentzündungen bestünden nicht. Auch wenn immer wieder Follikulitiden bestünden, die auch zeitweise zur Unfähigkeit führten, die Prothese zu tragen, liege derzeit keine außergewöhnliche Gehbehinderung vor.
Der Kläger hat ausgeführt (Schreiben vom 26.11.2012, Blatt 36 der SG-Akte), er müsse die Autotüre vollständig öffnen um ein- bzw. aussteigen zu können.
Der Beklagte hat unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. C. vom 28.02.2013 (Blatt 43/45 der SG-Akte) ausgeführt, die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" seien nicht gegeben.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 24.10.2013 (dazu vgl. die Niederschrift auf Blatt 60 der SG-Akte) hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.01.2014 abgewiesen. Die angegriffenen Entscheidungen seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Bei ihm lägen die Voraussetzungen des Merkzeichen "aG" nicht vor. Da der Kläger nicht zu einer der in der Verwaltungsvorschrift - VwV - zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung - StVO - beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehöre, könne er nur als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn er diesem Personenkreis gleichzustellen sei. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger jedoch nicht. Zwar sei er durch sein im Oberschenkel amputiertes linkes Bein im Gehvermögen eingeschränkt, weswegen ihm das Merkzeichen/der Nachteilsausgleich "G" zuerkannt sei. Er sei jedoch nicht dauernd außerstande, eine Prothese zu tragen. Er sei auch nicht nur mit fremder Hilfe oder nur unter großer Anstrengung gehfähig. Der Aussage der Nervenfachärztin sei nicht folgen. Die vom Kläger vorgebrachte Begründung, die Autotüre weit öffnen zu müssen, berechtige nicht die Zuerkennung des begehrten Merkzeichens, da sich dieser Umstand nicht auf das Gehvermögen an sich beziehe.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 04.02.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04.03.2014 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Entgegen den Feststellungen des SG lägen bei ihm auf Grund besonderer Umstände die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" vor. Gerade bei ihm sei es der Fall, dass er in der Gehfähigkeit so stark eingeschränkt sei, dass es ihm unzumutbar sei längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb das SG nicht der Einschätzung der Neurologin und Psychiaterin N. folge. Dies sei so nicht hinnehmbar. Er könne sich nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Fahrzeuges bewegen. Hinzu komme die psychische Komponente, d.h. die Angst vor der Bewegung und das Erkennen der Hilflosigkeit.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.01.2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheid des Landratsamts H. vom 20.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 06.07.2012 zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" seit 14.09.2011 festzustellen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Wenngleich die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie N. ausgeführt habe, der Kläger könne wegen wiederholter Knochen- und Hautentzündungen am Stumpf seine Prothese häufig nicht tragen, sei darin kein Dauerzustand zu sehen. Dies wurde im Übrigen auch durch den Orthopäden Dr. M. bestätigt worden. Eine dauerhafte Hinderung am Tragen der Prothese links liege nicht vor.
Mit Schreiben vom 12.06.2014 und 20.06.2014 (Blatt 34, 36 der Senatsakte) Teilte der Kläger mit, er halte sich vom 05.06.2014 bis zum 07.07.2014 im Ausland auf; Grund für die überstürzte Abreise sei ein Krankheitsfall in der Familie.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten. Dr. S., Internist, Betriebsmedizin und Sozialmedizin, hat in seinem Gutachten vom 15.10.2014 (Blatt 38/ 91 der Senatsakte) unter Berücksichtigung des orthopädischen Zusatzgutachtens des Facharztes für Orthopädie Dr. H. (Blatt 47/70 der Senatsakte) vom 01.08.2014 und des psychiatrischen Zusatzgutachtens der Fachärztin für Psychiatrie, Suchtmedizin und Sozialmedizin F. (Blatt 71/89) vom 12.10.2014 ausgeführt, es hätten sich aus internistischer Sicht keine Erkrankungen von Belang ergeben. Die Funktionsbehinderungen bedingten auch insgesamt keine außergewöhnliche Gehbehinderung. Auch sei der Kläger diesem Personenkreis nicht gleichzustellen. Im Übrigen hat Dr. S. ein ihm vom Kläger überlassenes Gutachten des Chefarztes der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I, W., Dr. S., vom 19.06.2011, das im Verfahren S 3 U 3870/11 vorgelegt (Blatt 92/134 der Senatsakte), das die unfallbedingte, psychiatrische MdE mit 30 einschätzte.
Der Kläger hat zur Beweisaufnahme ausgeführt (Schreiben vom 21.11.2014, Blatt 140/141 der Senatsakte), wenn Dr. S. in seinem Gutachten ausgeführt habe, dass sein Begehren nach dem Merkzeichen "aG" zur Parkerleichterung subjektiv nachvollziehbar sei, so müsse dieser Gesichtspunkt ausreichend sein um der Klage stattzugeben.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 136, 140/141 der Senatsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt hatten und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich war.
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig aber unbegründet.
Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nach Durchführung der Beweisaufnahme und eigener Prüfung durch den Senat genau so wenig zu beanstanden wie die angefochtenen Entscheidungen des LRA und des Beklagten. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG"/ Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 SGB IX i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert Art. 1 der Verordnung vom 07.06.2012 (BGBl. I Seite 1275). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206), in der Fassung vom 11.11.2014. Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO 1 sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen: - Querschnittsgelähmte, - doppeloberschenkelamputierte, doppelunterschenkelamputierte, hüftexartikulierte und einseitig oberschenkelamputierte Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie - andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger gehört nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten. Er ist weder querschnittsgelähmt noch doppeloberschenkelamputiert, doppelunterschenkelamputiert oder hüftexartikuliert. Er ist vielmehr am linken Bein im Oberschenkel amputiert. Dennoch fällt er nicht in die Gruppe der ausdrücklich genannten Personen. Denn er ist nicht dauernd außerstand, ein Kunstbein zu tragen. Zwar hat der behandelnde Orthopäde angegeben, dass der Kläger zeitweise unfähig sei, die Prothese zu tragen. Ursache sind immer wieder auftretende Follikulitiden (Entzündung des oberen (äußeren) Anteils eines Haarbalgs) an dem behaarten Stumpf; Knochenentzündungen liegen dagegen nicht vor. Diese Follikulitiden lassen sich konservativ behandeln und sind jeweils nur vorübergehend. Ein Dauerzustand i.S. von dauernd bestehenden Follikulitiden besteht nicht. Insoweit hatte der Kläger auch gegenüber den Gutachtern angegeben, mit der Prothese am Bein zu arbeiten, daheim zu laufen. Im Betrieb habe er einen Raum, wo er die Prothese ausziehen könne, wenn er Probleme habe. Im Betrieb gehe er teilweise auch ohne Krücken (zum Ganzen vgl. z.B. Blatt 41 der Senatsakte = Seite 7 des Gutachtens Dr. S.). Daraus ist ersichtlich, dass das Tragen einer Prothese nicht dauerhaft unmöglich ist. Dies hatte auch die Neurologin und Psychiaterin N. so bestätigt, jedoch Schlüsse gezogen, die mit dem Gesetzeswortlaut und der Auslegung durch die Rechtsprechung (dazu vgl. z.B. die vom SG benannten Zitate) nicht vereinbar sind, weshalb ihrer Einschätzung nicht zu folgen ist. Ist es dem Kläger aber nicht dauernd unmöglich eine Prothese zu tragen, so unterfällt der Kläger nicht der genannten Gruppe außergewöhnlich Gehbehinderter.
Er kann aber dem genannten Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich auch nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht für den Senat aufgrund der zu den Akten gelangten ärztlichen Unterlagen, der vom SG und vom Senat selbst durchgeführten Ermittlungen fest.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Diese Anlage VG zur VersMedV ist für die vorliegend zu beantwortende Frage nach der außergewöhnlichen Gehbehinderung rechtlich allerdings nicht beachtlich, denn eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 16 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "aG" (wie auch "G") sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 – juris; vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 - juris; zuletzt: Senatsurteil vom 24.01.2014 - L 8 SB 2723/13 - juris RdNr. 31 und Senatsurteil vom 20.03.2015 - L 8 SB 3980/14 - ). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Ein Betroffener ist danach gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 und BSG 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).
Dass der Kläger überhaupt nicht Gehen oder Stehen kann und daher auf den Rollstuhl angewiesen ist, ist zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen. Zwar hat er an seinem Arbeitsplatz einen solchen deponiert (vgl. Blatt 41 der Senatsakte = Seite 7 des Gutachtens Dr. S.). Doch hat er gegenüber den Gutachtern angegeben, diesen nur zu benutzen, wenn er Beschwerden mit dem Stumpf habe. Er geniere sich auch den Rollstuhl zu nehmen. Er könne daheim aber auch im Betrieb teilweise ohne Stöcke gehen, bei Beschwerden helfe er sich mit zwei Krücken. Das spricht gegen ein ständiges Angewiesensein auf einen Rollstuhl, weshalb sich der Senat nicht von einer Rollstuhlpflichtigkeit des Klägers überzeugen konnte. Nach alledem ist somit zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen, dass der Kläger zur Fortbewegung auf den Rollstuhl angewiesen ist, weil er weder Gehen noch Stehen kann.
Darüber hinaus konnte sich der Senat davon überzeugen, dass der Kläger noch in der Lage ist, sich ohne fremde Hilfe und nicht nur mit großer Anstrengung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an aus eigener Kraft fortzubewegen. So konnte der Senat auf Grundlage der Ausführungen der Gutachter Dr. S., Dr. H. und Faust feststellen, dass der Kläger alleine täglich mit dem Auto zur Arbeit fährt, dort alleine aus dem PKW aussteigt, zur Arbeit geht, während der Arbeit mit Krücken, teilweise mit dem Rollstuhl, aber auch ohne solche seine Arbeit verrichtet und dann wieder selbständig den PKW besteigt um nach Hause zu fahren. Er fährt die Söhne zu den Fußballspielen bzw. zum Training (dazu vgl. z.B. Blatt 41 der Senatsakte = Seite 7 des Gutachtens Dr. S.; Blatt 55/56 der Senatsakte = Seite 9/10 des Gutachtens Dr. H.; Blatt 80 der Senatsakte = Seite 10 des Gutachtens F.); Probleme beim Gehen und der Fortbewegung sind nur insoweit geschildert, als er die PKW-Türe vollständig öffnen muss um aus- bzw. einsteigen zu können (Blatt 81 der Senatsakte = Seite 11 des Gutachtens F.). Zwar hat der Kläger glaubhaft Beschwerden mit dem Stumpf in Form von Schmerzen und den bereits angesprochenen Follikulitiden angegeben. Doch konnte der Senat nicht feststellen, dass diese eine Fortbewegung dauerhaft unzumutbar machen. Vielmehr handelt es sich jeweils nur um vorübergehende und rasch therapierbare Beschwerden. Insoweit hat der Kläger auch Dr. S., dessen Gutachten der Kläger vorgelegt hat, mitgeteilt (vgl. Blatt 111 der Senatsakte = Seite 20 des Gutachtens), er könne bei schönem Wetter ohne Schmerzen gehen, auch ohne Gehstützen könne er vor dem Haus spazieren, jeweils kürzere Strecken. Auf der Arbeit habe er am Arbeitsplatz Unterarmgehstützen. Er nutze eine, wenn er müde sei, bei sehr starken Schmerzen auch beide. Auch dies spricht nach Überzeugung des Senats nicht dafür, dass der Kläger sich nicht ohne fremde Hilfe bzw. nur mit großer Anstrengung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen könnte. Vielmehr ist er zwar in Folge der Amputation links in seiner Gehfähigkeit beeinträchtigt, jedoch nicht in außergewöhnlichem Maß.
Internistische Erkrankungen, die eine außergewöhnliche Beeinträchtigung des Gehvermögens verursachen konnte der Senat mit dem Gutachter Dr. S. ausschließen. So sind gerade Herz- und Lungenerkrankungen nicht vorhanden.
Auch soweit der Kläger psychische Beschwerden geltend macht konnte der Senat eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht feststellen. So hat die Gutachterin F. eine anhaltende affektive Störung und eine posttraumatische Belastungsstörung (vgl. Blatt 87 der Senatsakte = Seite 17 des Gutachtens) feststellen könne, jedoch keine Auswirkungen auf die Gehfähigkeit des Klägers. Darüber hinaus wäre eine psychogene Gangstörung, die aus einer psychiatrischen Diagnose ableitbar wäre und den Kläger hindert, sei körperlich bestehendes Gehvermögen auszunutzen, nicht geeignet, die Gleichstellung mit dem in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO genannten Personenkreis zu begründen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind für die Prüfung der Gleichstellung nur die Beeinträchtigungen des Gehvermögens selbst und nicht Funktionsstörungen, die das Gehvermögen nicht oder nur peripher einschränken, maßgebend. Dies folgt unmittelbar aus den aufgeführten schwerwiegenden Gehbehinderungen der in Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO genannten Personen, mit denen eine Gleichstellung zu prüfen ist (Urteil des Senats vom 23.07.2010 – L 8 SB 3119/08 – juris RdNr. 30; zuletzt Senatsurteil vom 24.01.2014 – L 8 SB 2723/13 – juris). Der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG ergibt, dass es allein auf das Maß der Gehbehinderung ankommt. Auch der Zusammenhang mit der Regelung in der VwV-StVO macht den Gesetzeszweck deutlich, dass das Restgehvermögen für den Nachteilsausgleich "aG" maßgebend ist. Nach der an diesem Gesetzeszweck orientierten Rechtsprechung des BSG muss daher der Leidenszustand die Möglichkeit der Fortbewegung auf das Schwerste behindern (grundlegend BSG 08.05.1981 - 9 RVs 5/80). Die genannte Rechtsprechung ist in der Folgezeit durch weitere Entscheidungen des BSG bestätigt worden (z.B. BSG 06.11.1985 - 9a RVs 7/83 - und vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - betreffend Anfallsleiden und Störungen der Orientierungsfähigkeit; zuletzt BSG 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - und 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R betreffend den Begriff der großen Anstrengung). Allen genannten Entscheidungen gemein ist, dass der Nachteilsausgleich "aG" eine Einschränkung des Gehvermögens des betreffenden Behinderten auf das Schwerste erfordert. Danach sind maßgebend für den Nachteilsausgleich "aG" nur die Beeinträchtigungen des Gehvermögens selbst (die auch auf schweren Herz- und Lungenkrankheiten beruhen können) und nicht Funktionsstörungen, die das Gehvermögen als solches nicht beeinträchtigen. Aus Gesundheitsstörungen, die das Gehvermögen nicht oder nur peripher einschränken, sondern lediglich bewirken, dass ein tatsächlich vorhandenes Gehvermögen nicht ausgenützt wird, kann eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht abgeleitet werden (vgl. z.B. Urteile des Senats 24.02.2012 – L 8 SB 1738/11 – betreffend eine phobische Gangbildstörung, vom 20.05.2011 - L 8 SB 4848/10 - betreffend Stuhlinkontinenz und vom 29.07.2011 - L 8 SB 576/10 - betreffend Orientierungslosigkeit; alle nicht veröffentlicht).
Auf Grundlage der Gutachten und der Auskünfte des behandelnden Orthopäden sowie des Vortrages der Klägers und seiner Angaben gegenüber den Gutachtern ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in der Lage ist, sich ohne fremde Hilfe und nicht nur mit großer Anstrengung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an aus eigener Kraft fortzubewegen. Dieses Gehvermögen rechtfertigt die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nach den oben dargestellten Maßstäben nicht.
Dass der Kläger – was er gegenüber der Gutachterin F. als Antrieb für das Gerichtsverfahren angegeben hatte (Blatt 81 der Senatsakte = Seite 11 des Gutachtens) - deshalb die Einräumung der Möglichkeit einer rechtmäßigen Nutzung von Behindertenparkplätzen begehrt, weil er gesundheitsbedingt beim Ein- und Aussteigen auf die vollständige Öffnung der Autotür angewiesen ist, ändert nichts an dieser Beurteilung. Denn die Notwendigkeit einer weit geöffneten Tür beim Ein- und Aussteigen erfüllt die Voraussetzungen für die Annahme einer Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße nicht. Zum Ausgleich derartiger Nachteile ist die Ausnahme durch die VwV-StVO nicht geschaffen. Sie ist vielmehr dazu gedacht, einen behinderten Menschen wegen der Beeinträchtigung seiner Gehfähigkeit möglichst nahe an sein Ziel fahren zu lassen (vgl. BSG 03.02.1988 - 9/9a RVs 19/88 - SozR 3870 § 3 Nr. 28; LSG Baden-Württemberg 23.02.2007 - L 8 SB 763/06 – n.v.; LSG Baden-Württemberg 20.06.2013 – L 6 SB 5053/12 – juris RdNr. 34). Auch dass Dr. S. dieses Begehren als subjektiv nachvollziehbar betrachtet hatte, ermöglicht es dem Senat nicht, von den gesetzlichen Voraussetzungen abzuweichen.
Die Berufung war damit zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) "aG" (außergewöhnlich gehbehindert) hat.
Der 1973 geborene Kläger ist t. Staatsangehöriger und hält sich aufgrund einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG (vgl. Blatt 8 der Beklagtenakte) in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er erlitt am 29.09.2009 einen Arbeitsunfall, aufgrund dessen ihm das linke Bein im Oberschenkel amputiert wurde. Er arbeitet vollschichtig in der Lagerlogistik. Er ist mit einer Prothese ausgestattet, einem Rollstuhl, den er bei Beschwerden während der Arbeit nutzt, und mit Krücken, die er bei Bedarf benutzt.
Das Landratsamt H. (LRA) stellte auf den Antrag des Klägers vom 24.11.2009 (Blatt 1/7 der Beklagtenakte) mit Bescheid vom 23.03.2011 (Blatt 40/43 der Beklagtenakte) in der Fassung des Abhilfebescheids vom 07.06.2011 beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 seit 24.11.2009 fest (zur versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.05.2011 vgl. Blatt 56/57 der Beklagtenakte; zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Verlust des linken Beines im Oberschenkel Einzel-GdB 80; depressive Verstimmung, posttraumatische Belastungsstörung Einzel-GdB 20), ebenso das Merkzeichen "G".
Am 14.09.2011 beantragte der Kläger beim LRA die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" (Blatt 73/74 der Beklagtenakte). Das LRA holte eine Auskunft des behandelnden Orthopäden Dr. M. ein. Dieser führte in seiner Antwort (Blatt 77/81 der Beklagtenakte) u.a. aus, am 31.05.2011 habe die Gehstrecke 2 km betragen, der Kläger verfüge über einen Schrittzähler, auf dem er 700.000 Schritte gezählt habe. Darüber hinaus wird immer wieder von Folikulitis am Stumpf berichtet.
Anregungen der Versorgungsärztin Dr. H. (Blatt 82/83 und Blatt 110 der Beklagtenakte) folgend zog das LRA von der BG Nahrungsmittel und Gastgewerbe Gutachten (dazu vgl. Blatt 85/109 der Beklagtenakte; nervenfachärztliches Gutachten Prof. Dr. T. vom 02.05.2011 und auf orthopädischem Fachgebiet: Erstes Rentengutachten Dr. G. vom 19.04.2011) und den Rentenbescheid vom 04.07.2011 (Blatt 112/116 der Beklagtenakte) bei.
In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.12.2011 (Blatt 118/119 der Beklagtenakte) führte Dr. H. aus, die Gehfähigkeit sei nicht auf das Schwerste eingeschränkt. Daraufhin lehnte das LRA mit Bescheid vom 20.03.2012 (Blatt 120/121 der Beklagtenakte) die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab. Den vom Kläger hiergegen am 02.04.2013 erhobenen Widerspruch (Blatt 125 der Beklagtenakte), mit dem er geltend machte (Blatt 129 der Beklagtenakte), es lägen eine erhebliche Einschränkung der Wege- und Gehfähigkeit und somit die Voraussetzungen von "aG" vor, wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium S. – Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2012 (Blatt 132/133 der Beklagtenakte) zurück.
Am 19.07.2012 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Heilbronn Klage erhoben. Die Geh- und Wegefähigkeit sei aufgrund der bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen erheblich eingeschränkt. Er könne nur kurze Wegstrecken zurücklegen und leide unter Schmerzen im Bereich des Stumpfes sowie im Rückenbereich.
Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der den Kläger behandelnden Ärzte. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 17/33, 40/42 und 49/50 der SG-Akte Bezug genommen. Der Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. M. hat dem SG am 17.10.2012 geschrieben, durch die Amputation sei die Funktion des linken Beines und damit das Gehen und Stehen, Bücken und Treppensteigen stark eingeschränkt. Es bestehe keine außergewöhnliche Gehbehinderung. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie N. hat gegenüber dem SG mit Schreiben vom 13.12.2012 ausgeführt, beim Kläger liege eine außergewöhnliche Gehbehinderung vor, da er auch einseitig oberschenkelamputiert sei und aufgrund seiner wiederholten Knochen- und Hautentzündungen am Stumpf häufig außerstande sei, eine Prothese zu tragen. Erneut befragt hat Dr. M. mit Schreiben vom 22.03.2013 angegeben, Es bestünden Hautentzündungen, Knochenentzündungen bestünden nicht. Auch wenn immer wieder Follikulitiden bestünden, die auch zeitweise zur Unfähigkeit führten, die Prothese zu tragen, liege derzeit keine außergewöhnliche Gehbehinderung vor.
Der Kläger hat ausgeführt (Schreiben vom 26.11.2012, Blatt 36 der SG-Akte), er müsse die Autotüre vollständig öffnen um ein- bzw. aussteigen zu können.
Der Beklagte hat unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. C. vom 28.02.2013 (Blatt 43/45 der SG-Akte) ausgeführt, die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" seien nicht gegeben.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 24.10.2013 (dazu vgl. die Niederschrift auf Blatt 60 der SG-Akte) hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.01.2014 abgewiesen. Die angegriffenen Entscheidungen seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Bei ihm lägen die Voraussetzungen des Merkzeichen "aG" nicht vor. Da der Kläger nicht zu einer der in der Verwaltungsvorschrift - VwV - zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung - StVO - beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehöre, könne er nur als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn er diesem Personenkreis gleichzustellen sei. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger jedoch nicht. Zwar sei er durch sein im Oberschenkel amputiertes linkes Bein im Gehvermögen eingeschränkt, weswegen ihm das Merkzeichen/der Nachteilsausgleich "G" zuerkannt sei. Er sei jedoch nicht dauernd außerstande, eine Prothese zu tragen. Er sei auch nicht nur mit fremder Hilfe oder nur unter großer Anstrengung gehfähig. Der Aussage der Nervenfachärztin sei nicht folgen. Die vom Kläger vorgebrachte Begründung, die Autotüre weit öffnen zu müssen, berechtige nicht die Zuerkennung des begehrten Merkzeichens, da sich dieser Umstand nicht auf das Gehvermögen an sich beziehe.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 04.02.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04.03.2014 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Entgegen den Feststellungen des SG lägen bei ihm auf Grund besonderer Umstände die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" vor. Gerade bei ihm sei es der Fall, dass er in der Gehfähigkeit so stark eingeschränkt sei, dass es ihm unzumutbar sei längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb das SG nicht der Einschätzung der Neurologin und Psychiaterin N. folge. Dies sei so nicht hinnehmbar. Er könne sich nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Fahrzeuges bewegen. Hinzu komme die psychische Komponente, d.h. die Angst vor der Bewegung und das Erkennen der Hilflosigkeit.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.01.2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheid des Landratsamts H. vom 20.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 06.07.2012 zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" seit 14.09.2011 festzustellen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Wenngleich die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie N. ausgeführt habe, der Kläger könne wegen wiederholter Knochen- und Hautentzündungen am Stumpf seine Prothese häufig nicht tragen, sei darin kein Dauerzustand zu sehen. Dies wurde im Übrigen auch durch den Orthopäden Dr. M. bestätigt worden. Eine dauerhafte Hinderung am Tragen der Prothese links liege nicht vor.
Mit Schreiben vom 12.06.2014 und 20.06.2014 (Blatt 34, 36 der Senatsakte) Teilte der Kläger mit, er halte sich vom 05.06.2014 bis zum 07.07.2014 im Ausland auf; Grund für die überstürzte Abreise sei ein Krankheitsfall in der Familie.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten. Dr. S., Internist, Betriebsmedizin und Sozialmedizin, hat in seinem Gutachten vom 15.10.2014 (Blatt 38/ 91 der Senatsakte) unter Berücksichtigung des orthopädischen Zusatzgutachtens des Facharztes für Orthopädie Dr. H. (Blatt 47/70 der Senatsakte) vom 01.08.2014 und des psychiatrischen Zusatzgutachtens der Fachärztin für Psychiatrie, Suchtmedizin und Sozialmedizin F. (Blatt 71/89) vom 12.10.2014 ausgeführt, es hätten sich aus internistischer Sicht keine Erkrankungen von Belang ergeben. Die Funktionsbehinderungen bedingten auch insgesamt keine außergewöhnliche Gehbehinderung. Auch sei der Kläger diesem Personenkreis nicht gleichzustellen. Im Übrigen hat Dr. S. ein ihm vom Kläger überlassenes Gutachten des Chefarztes der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I, W., Dr. S., vom 19.06.2011, das im Verfahren S 3 U 3870/11 vorgelegt (Blatt 92/134 der Senatsakte), das die unfallbedingte, psychiatrische MdE mit 30 einschätzte.
Der Kläger hat zur Beweisaufnahme ausgeführt (Schreiben vom 21.11.2014, Blatt 140/141 der Senatsakte), wenn Dr. S. in seinem Gutachten ausgeführt habe, dass sein Begehren nach dem Merkzeichen "aG" zur Parkerleichterung subjektiv nachvollziehbar sei, so müsse dieser Gesichtspunkt ausreichend sein um der Klage stattzugeben.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 136, 140/141 der Senatsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt hatten und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich war.
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig aber unbegründet.
Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nach Durchführung der Beweisaufnahme und eigener Prüfung durch den Senat genau so wenig zu beanstanden wie die angefochtenen Entscheidungen des LRA und des Beklagten. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG"/ Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 SGB IX i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert Art. 1 der Verordnung vom 07.06.2012 (BGBl. I Seite 1275). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206), in der Fassung vom 11.11.2014. Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO 1 sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen: - Querschnittsgelähmte, - doppeloberschenkelamputierte, doppelunterschenkelamputierte, hüftexartikulierte und einseitig oberschenkelamputierte Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie - andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger gehört nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten. Er ist weder querschnittsgelähmt noch doppeloberschenkelamputiert, doppelunterschenkelamputiert oder hüftexartikuliert. Er ist vielmehr am linken Bein im Oberschenkel amputiert. Dennoch fällt er nicht in die Gruppe der ausdrücklich genannten Personen. Denn er ist nicht dauernd außerstand, ein Kunstbein zu tragen. Zwar hat der behandelnde Orthopäde angegeben, dass der Kläger zeitweise unfähig sei, die Prothese zu tragen. Ursache sind immer wieder auftretende Follikulitiden (Entzündung des oberen (äußeren) Anteils eines Haarbalgs) an dem behaarten Stumpf; Knochenentzündungen liegen dagegen nicht vor. Diese Follikulitiden lassen sich konservativ behandeln und sind jeweils nur vorübergehend. Ein Dauerzustand i.S. von dauernd bestehenden Follikulitiden besteht nicht. Insoweit hatte der Kläger auch gegenüber den Gutachtern angegeben, mit der Prothese am Bein zu arbeiten, daheim zu laufen. Im Betrieb habe er einen Raum, wo er die Prothese ausziehen könne, wenn er Probleme habe. Im Betrieb gehe er teilweise auch ohne Krücken (zum Ganzen vgl. z.B. Blatt 41 der Senatsakte = Seite 7 des Gutachtens Dr. S.). Daraus ist ersichtlich, dass das Tragen einer Prothese nicht dauerhaft unmöglich ist. Dies hatte auch die Neurologin und Psychiaterin N. so bestätigt, jedoch Schlüsse gezogen, die mit dem Gesetzeswortlaut und der Auslegung durch die Rechtsprechung (dazu vgl. z.B. die vom SG benannten Zitate) nicht vereinbar sind, weshalb ihrer Einschätzung nicht zu folgen ist. Ist es dem Kläger aber nicht dauernd unmöglich eine Prothese zu tragen, so unterfällt der Kläger nicht der genannten Gruppe außergewöhnlich Gehbehinderter.
Er kann aber dem genannten Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich auch nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht für den Senat aufgrund der zu den Akten gelangten ärztlichen Unterlagen, der vom SG und vom Senat selbst durchgeführten Ermittlungen fest.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Diese Anlage VG zur VersMedV ist für die vorliegend zu beantwortende Frage nach der außergewöhnlichen Gehbehinderung rechtlich allerdings nicht beachtlich, denn eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 16 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "aG" (wie auch "G") sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 – juris; vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 - juris; zuletzt: Senatsurteil vom 24.01.2014 - L 8 SB 2723/13 - juris RdNr. 31 und Senatsurteil vom 20.03.2015 - L 8 SB 3980/14 - ). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Ein Betroffener ist danach gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 und BSG 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).
Dass der Kläger überhaupt nicht Gehen oder Stehen kann und daher auf den Rollstuhl angewiesen ist, ist zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen. Zwar hat er an seinem Arbeitsplatz einen solchen deponiert (vgl. Blatt 41 der Senatsakte = Seite 7 des Gutachtens Dr. S.). Doch hat er gegenüber den Gutachtern angegeben, diesen nur zu benutzen, wenn er Beschwerden mit dem Stumpf habe. Er geniere sich auch den Rollstuhl zu nehmen. Er könne daheim aber auch im Betrieb teilweise ohne Stöcke gehen, bei Beschwerden helfe er sich mit zwei Krücken. Das spricht gegen ein ständiges Angewiesensein auf einen Rollstuhl, weshalb sich der Senat nicht von einer Rollstuhlpflichtigkeit des Klägers überzeugen konnte. Nach alledem ist somit zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen, dass der Kläger zur Fortbewegung auf den Rollstuhl angewiesen ist, weil er weder Gehen noch Stehen kann.
Darüber hinaus konnte sich der Senat davon überzeugen, dass der Kläger noch in der Lage ist, sich ohne fremde Hilfe und nicht nur mit großer Anstrengung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an aus eigener Kraft fortzubewegen. So konnte der Senat auf Grundlage der Ausführungen der Gutachter Dr. S., Dr. H. und Faust feststellen, dass der Kläger alleine täglich mit dem Auto zur Arbeit fährt, dort alleine aus dem PKW aussteigt, zur Arbeit geht, während der Arbeit mit Krücken, teilweise mit dem Rollstuhl, aber auch ohne solche seine Arbeit verrichtet und dann wieder selbständig den PKW besteigt um nach Hause zu fahren. Er fährt die Söhne zu den Fußballspielen bzw. zum Training (dazu vgl. z.B. Blatt 41 der Senatsakte = Seite 7 des Gutachtens Dr. S.; Blatt 55/56 der Senatsakte = Seite 9/10 des Gutachtens Dr. H.; Blatt 80 der Senatsakte = Seite 10 des Gutachtens F.); Probleme beim Gehen und der Fortbewegung sind nur insoweit geschildert, als er die PKW-Türe vollständig öffnen muss um aus- bzw. einsteigen zu können (Blatt 81 der Senatsakte = Seite 11 des Gutachtens F.). Zwar hat der Kläger glaubhaft Beschwerden mit dem Stumpf in Form von Schmerzen und den bereits angesprochenen Follikulitiden angegeben. Doch konnte der Senat nicht feststellen, dass diese eine Fortbewegung dauerhaft unzumutbar machen. Vielmehr handelt es sich jeweils nur um vorübergehende und rasch therapierbare Beschwerden. Insoweit hat der Kläger auch Dr. S., dessen Gutachten der Kläger vorgelegt hat, mitgeteilt (vgl. Blatt 111 der Senatsakte = Seite 20 des Gutachtens), er könne bei schönem Wetter ohne Schmerzen gehen, auch ohne Gehstützen könne er vor dem Haus spazieren, jeweils kürzere Strecken. Auf der Arbeit habe er am Arbeitsplatz Unterarmgehstützen. Er nutze eine, wenn er müde sei, bei sehr starken Schmerzen auch beide. Auch dies spricht nach Überzeugung des Senats nicht dafür, dass der Kläger sich nicht ohne fremde Hilfe bzw. nur mit großer Anstrengung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen könnte. Vielmehr ist er zwar in Folge der Amputation links in seiner Gehfähigkeit beeinträchtigt, jedoch nicht in außergewöhnlichem Maß.
Internistische Erkrankungen, die eine außergewöhnliche Beeinträchtigung des Gehvermögens verursachen konnte der Senat mit dem Gutachter Dr. S. ausschließen. So sind gerade Herz- und Lungenerkrankungen nicht vorhanden.
Auch soweit der Kläger psychische Beschwerden geltend macht konnte der Senat eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht feststellen. So hat die Gutachterin F. eine anhaltende affektive Störung und eine posttraumatische Belastungsstörung (vgl. Blatt 87 der Senatsakte = Seite 17 des Gutachtens) feststellen könne, jedoch keine Auswirkungen auf die Gehfähigkeit des Klägers. Darüber hinaus wäre eine psychogene Gangstörung, die aus einer psychiatrischen Diagnose ableitbar wäre und den Kläger hindert, sei körperlich bestehendes Gehvermögen auszunutzen, nicht geeignet, die Gleichstellung mit dem in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO genannten Personenkreis zu begründen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind für die Prüfung der Gleichstellung nur die Beeinträchtigungen des Gehvermögens selbst und nicht Funktionsstörungen, die das Gehvermögen nicht oder nur peripher einschränken, maßgebend. Dies folgt unmittelbar aus den aufgeführten schwerwiegenden Gehbehinderungen der in Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO genannten Personen, mit denen eine Gleichstellung zu prüfen ist (Urteil des Senats vom 23.07.2010 – L 8 SB 3119/08 – juris RdNr. 30; zuletzt Senatsurteil vom 24.01.2014 – L 8 SB 2723/13 – juris). Der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG ergibt, dass es allein auf das Maß der Gehbehinderung ankommt. Auch der Zusammenhang mit der Regelung in der VwV-StVO macht den Gesetzeszweck deutlich, dass das Restgehvermögen für den Nachteilsausgleich "aG" maßgebend ist. Nach der an diesem Gesetzeszweck orientierten Rechtsprechung des BSG muss daher der Leidenszustand die Möglichkeit der Fortbewegung auf das Schwerste behindern (grundlegend BSG 08.05.1981 - 9 RVs 5/80). Die genannte Rechtsprechung ist in der Folgezeit durch weitere Entscheidungen des BSG bestätigt worden (z.B. BSG 06.11.1985 - 9a RVs 7/83 - und vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - betreffend Anfallsleiden und Störungen der Orientierungsfähigkeit; zuletzt BSG 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - und 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R betreffend den Begriff der großen Anstrengung). Allen genannten Entscheidungen gemein ist, dass der Nachteilsausgleich "aG" eine Einschränkung des Gehvermögens des betreffenden Behinderten auf das Schwerste erfordert. Danach sind maßgebend für den Nachteilsausgleich "aG" nur die Beeinträchtigungen des Gehvermögens selbst (die auch auf schweren Herz- und Lungenkrankheiten beruhen können) und nicht Funktionsstörungen, die das Gehvermögen als solches nicht beeinträchtigen. Aus Gesundheitsstörungen, die das Gehvermögen nicht oder nur peripher einschränken, sondern lediglich bewirken, dass ein tatsächlich vorhandenes Gehvermögen nicht ausgenützt wird, kann eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht abgeleitet werden (vgl. z.B. Urteile des Senats 24.02.2012 – L 8 SB 1738/11 – betreffend eine phobische Gangbildstörung, vom 20.05.2011 - L 8 SB 4848/10 - betreffend Stuhlinkontinenz und vom 29.07.2011 - L 8 SB 576/10 - betreffend Orientierungslosigkeit; alle nicht veröffentlicht).
Auf Grundlage der Gutachten und der Auskünfte des behandelnden Orthopäden sowie des Vortrages der Klägers und seiner Angaben gegenüber den Gutachtern ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in der Lage ist, sich ohne fremde Hilfe und nicht nur mit großer Anstrengung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an aus eigener Kraft fortzubewegen. Dieses Gehvermögen rechtfertigt die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nach den oben dargestellten Maßstäben nicht.
Dass der Kläger – was er gegenüber der Gutachterin F. als Antrieb für das Gerichtsverfahren angegeben hatte (Blatt 81 der Senatsakte = Seite 11 des Gutachtens) - deshalb die Einräumung der Möglichkeit einer rechtmäßigen Nutzung von Behindertenparkplätzen begehrt, weil er gesundheitsbedingt beim Ein- und Aussteigen auf die vollständige Öffnung der Autotür angewiesen ist, ändert nichts an dieser Beurteilung. Denn die Notwendigkeit einer weit geöffneten Tür beim Ein- und Aussteigen erfüllt die Voraussetzungen für die Annahme einer Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße nicht. Zum Ausgleich derartiger Nachteile ist die Ausnahme durch die VwV-StVO nicht geschaffen. Sie ist vielmehr dazu gedacht, einen behinderten Menschen wegen der Beeinträchtigung seiner Gehfähigkeit möglichst nahe an sein Ziel fahren zu lassen (vgl. BSG 03.02.1988 - 9/9a RVs 19/88 - SozR 3870 § 3 Nr. 28; LSG Baden-Württemberg 23.02.2007 - L 8 SB 763/06 – n.v.; LSG Baden-Württemberg 20.06.2013 – L 6 SB 5053/12 – juris RdNr. 34). Auch dass Dr. S. dieses Begehren als subjektiv nachvollziehbar betrachtet hatte, ermöglicht es dem Senat nicht, von den gesetzlichen Voraussetzungen abzuweichen.
Die Berufung war damit zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
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