L 2 R 4711/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 1585/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 4711/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 7. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.

Die 1965 geborene Klägerin stammt aus der Türkei und hat keine Berufsausbildung absolviert. Sie war nach ihrer Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland 1988 von November 2001 bis Januar 2002 als Reinigungskraft versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war sie von Dezember 2004 bis Dezember 2011 mit Unterbrechungen geringfügig tätig, einer Erwerbstätigkeit geht sie seitdem nicht mehr nach, sie ist auch nicht arbeitslos gemeldet. Die Klägerin hat fünf Kinder geboren und zwar 1986 (Zwillinge), 1989, 1993 und 2004.

Am 22. Mai 2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie gab zur Begründung an, sie halte sich seit Jahren aufgrund von Depressionen, einem Bandscheibenvorfall sowie einer Migräne für erwerbsgemindert.

Der Beklagte ließ daraufhin die Klägerin am 29. Juni 2012 durch die Obermedizinalrätin (OMRin) K. begutachten. OMRin K. diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 2. Juli 2012 bei der Klägerin degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Lumboischialgie rechts, wiederkehrende Kopfschmerzen seit 1993, eine somatoforme Schmerzstörung, Übergewicht (95,3 kg bei einer Körpergröße von 1,64 m) sowie eine Eisenmangelanämie. OMRin K. gelangte hinsichtlich der Leistungseinschätzung zu der Auffassung, die Klägerin könne noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zeitweise im Stehen und überwiegend im Gehen bzw. überwiegend im Sitzen in Tages- bzw. Früh- oder Spätschicht mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Mit Bescheid vom 7. September 2012 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen nicht erfülle. Sie sei noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, der Sachverhalt sei bislang nicht hinreichend ermittelt worden. Das berufliche Leistungsvermögen sei aufgrund erheblicher Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem wie auch auf orthopädischem Fachgebiet in rentenberechtigender Weise herabgesetzt.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere Begutachtung der Klägerin am 5. Februar 2013 durch den Chirurgen Dr. R. wie auch ein nervenärztliches Zusatzgutachten durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. S. Dr. R. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 5. Februar 2013 leichte degenerative Wirbelsäulenveränderungen. Dr. S. stellte in seinem Gutachten vom 13. Februar 2013 als Diagnosen eine Normvariante der Persönlichkeit mit recht einfachen depressiven Zügen, derzeit kein Hinweis für eine endogen-depressive Erkrankung, ein somatoformes Schmerzsyndrom sowie einen anamnestischen Verdacht auf dissoziative Krampfanfälle oder auf fragliche Epilepsie. Beide Gutachter, sowohl Dr. R. als auch Dr. S. vertraten die Auffassung, dass die Klägerin zumindest körperliche leichte Arbeiten weiterhin vollschichtig verrichten könne.

Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2013 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 31. Mai 2013 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Ulm erhoben und im Wesentlichen nochmals wie schon im Widerspruchsverfahren geltend gemacht, die bei ihr bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien nicht ausreichend bewertet worden.

Das SG hat zunächst bei den behandelnden Ärzten sachverständige Zeugenauskünfte eingeholt. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G. hat mit Schreiben vom 22. August 2013 mitgeteilt, dass er im Hinblick darauf, dass sich die Klägerin bei ihm nicht in regelmäßiger Behandlung befinde, zum Leistungsvermögen keine Angaben machen könne. Ebenso hat der Allgemeinmediziner Dr. T. in seiner Auskunft vom 11. September 2013 keine Angaben zum Leistungsvermögen der Klägerin gemacht. Der Orthopäde Dr. Z. hat in seiner Auskunft vom 14. Oktober 2013 mitgeteilt, dass auf der Grundlage der von ihm erhobenen orthopädischen Befunde bei einer leichten beruflichen Tätigkeit keine qualitativen Einschränkungen weitergehend zu beachten seien.

Das SG hat sodann auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das psychiatrische Fachgutachten bei Dr. B., G., vom 31. Mai 2014 eingeholt. Dr. B. diagnostizierte in seinem Gutachten auf der Grundlage der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 23. Mai 2014 eine Konversionsneurose mit dissoziativen Anfällen (ICD-10 F 44.5), eine undifferenzierte Somatisierungsstörung (ICD-10 F 45.1), rezidivierende depressive Episoden, derzeit remittiert (ICD-10 F 33.4), eine Cervicobrachialgie beidseits (ICD-10 M 53.1), rezidivierende Lumboischialgien (ICD-10 M 54.4) sowie einen Kombinationskopfschmerz (Spannungskomponente sowie analgetikainduziert) (ICD-10 G 44.2 und G 44.4). Das Leistungsvermögen schätzte Dr. B. dahingehend ein, dass die Klägerin noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig verrichten könne.

Die Klägerin war dem entgegengetreten und hat u.a. geltend gemacht, Dr. B. habe sich nicht mit der Thematik einer Angststörung auseinandergesetzt, obwohl eine solche in der Stellungnahme von Dr. G. erwähnt worden sei. Auch die von ihr geschilderten Bewusstseinsstörungen seien nicht weiter aufgeklärt worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 7. Oktober 2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller (bzw. teilweiser) Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) nicht vorliegen würden. Die Klägerin sei vielmehr nach Überzeugung des SG im gesamten streitigen Zeitraum seit der Antragstellung bis zur Entscheidung des Gerichts noch in der Lage gewesen, mindestens sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wenn auch nur unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen, mit der Folge, dass eine Erwerbsminderung nicht vorliege. Das SG hat sich hierbei insbesondere auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten wie auch das Gutachten von Dr. B. und die eingeholten Befundberichte gestützt. Es hat darauf verwiesen, dass alle Gutachter durchgehend der Auffassung gewesen seien, dass die Klägerin zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Entgegen der Auffassung der Klägerin hätten sich die Gutachter auch sehr wohl mit den jeweiligen geschilderten Beschwerden eingehend auseinandergesetzt, umfangreiche Befunde erhoben und auch die in der Akte vorhandenen ärztlichen Unterlagen wie auch den Tagesablauf der Klägerin berücksichtigt. Dabei habe bereits OMRin K. eine Diskrepanz zwischen den geschilderten Beschwerden und den objektivierbaren Befunden festgestellt. Gegenüber dem Orthopäden/Chirurgen Dr. R. habe die Klägerin im Rahmen des Gutachtens angegeben, in den letzten drei Wochen gar keine Tabletten eingenommen zu haben, nur Magentabletten. Sie habe auch weiter angegeben, sie mache selbst Übungen, nehme aber keine physikalische oder krankengymnastische Therapie in Anspruch. Der Neurologe und Psychiater Dr. S. habe die Klägerin als bewusstseinsklar und örtlich, zeitlich und zur eigenen Person voll orientiert beschrieben. Den neurologischen Untersuchungsbefund habe er als unauffällig beschrieben. Zwar sei im Hinblick auf die Angaben der Klägerin, etwa ein- bis zweimal pro Woche hinzufallen und dabei kurz das Bewusstsein zu verlieren, die Möglichkeit einer Epilepsie schon früher diskutiert worden, indes finden sich keine weiteren anamnestischen Hinweise hierfür (z.B. Zungenbiss oder Urinabgang). Auch aus den Angaben der sachverständigen Zeugen ergebe sich nichts anderes. Dr. G. habe die Klägerin ebenfalls als wache, orientierte Patientin beschrieben und schwerwiegende kognitive Defizite hätten von ihm nicht festgestellt werden können. Zu einer Einschätzung des Leistungsvermögens habe er sich nicht in der Lage gesehen, nachdem sich die Klägerin nicht in regelmäßiger Behandlung bei ihm befinde. Auch Dr. T. habe keine Angaben zum Leistungsvermögen gemacht, wohingegen der Orthopäde Dr. Z. der Auffassung gewesen sei, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Auch das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten von Dr. B. habe nicht das klägerische Begehren gestützt. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe sich Dr. B. insbesondere auch hinreichend mit der Angstsymptomatik und den geschilderten Bewusstseinsstörungen der Klägerin auseinandergesetzt. Dr. B. habe dabei geschildert, dass weder die Vorgutachter noch die behandelnden Ärzte noch er selbst in seiner Exploration und neurologischen Untersuchung einen entsprechenden Untersuchungsbefund hätten erheben können. Die Diagnose einer Somatisierungsstörung werde auch u.a. vom behandelnden Nervenarzt Dr. G. gestellt. Schwieriger werde nach Einschätzung von Dr. B. die Einordnung der Depression der Klägerin. Jedenfalls sei die Klägerin zum Zeitpunkt seiner Exploration zu keinem Zeitpunkt als depressiv zu bezeichnen gewesen. Auch Dr. B. sei eine Diskrepanz zwischen den berichteten körperlichen Einschränkungen (20 Minuten Bügeln, 30 Minuten Stehen, nicht lange Sitzen) und der Tatsache aufgefallen, dass die Klägerin ohne Probleme eine Exploration über fast zwei Stunden Dauer gefolgt von einer testpsychologischen Untersuchung und einer neurologischen Untersuchung über sich habe ergehen lassen können, ohne dass entsprechende Schmerzen präsentiert worden seien. Eine solche Diskrepanz treffe zudem auch auf die Sprachmelodie zu, die nicht zur beklagten depressiven Symptomatik passe wie auch auf den neurologischen Befund, der sowohl in der Untersuchungssituation bei Dr. B. wie auch schon beim Gutachter Dr. S. unauffällig gewesen sei. Das SG ist daher davon überzeugt gewesen, dass die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei, insbesondere dass bei der Klägerin auch nicht etwa eine volle Erwerbsminderung deswegen vorgelegen habe, weil sie wegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts hätte tätig sein können. Schließlich scheide auch ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bei der im Jahr 1995 geborenen Klägerin schon deshalb aus, da sie erst nach dem Stichtag (1. Januar 1961) geboren sei.

Die Klägerin hat gegen den ihrem damaligen Bevollmächtigten mit Empfangsbekenntnis am 15. Oktober 2014 zugestellten Gerichtsbescheid am 14. November 2014 Berufung eingelegt. Eine Begründung der Berufung ist in der Folgezeit trotz Erinnerung nicht erfolgt, vielmehr hat der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 15. Januar 2015 das Mandat niedergelegt, da es ihm nicht gelungen sei, einen Kontakt zur Klägerin herzustellen und diese auch auf wiederholte Anschreiben bzw. Versuche, sie telefonisch zu erreichen, nicht reagiert habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 7. Oktober 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 SGG statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Das SG hat zutreffend unter Darstellung der hier maßgeblichen gesetzlichen Normen sowie Prüfung und Würdigung der vorliegenden Gutachten und ärztlichen Auskünfte in nicht zu beanstandender Weise die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen voller oder auch teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI bzw. die Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI verneint. Hierauf nimmt der Senat Bezug und sieht von der weiteren Darstellung ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Aus diesen Gründen ist die Berufung zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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