L 11 R 5050/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 2719/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5050/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.08.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten.

Der Kläger ist 1964 geboren. Er hat von 1980 bis 1983 den Beruf des Metzgers erlernt. 1987 bis 2008 war er als Arbeiter, zuletzt als Verpacker, beschäftigt, seit März 2008 ist er arbeitssuchend. Aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 14.12.1989 erhält er von der Berufsgenossenschaft Energie, Textil, Elektro eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vH auf unbestimmte Zeit.

Vom 01.07. bis 21.07.2010 fand ein stationäres Heilverfahren in der S.-Klinik in Bad Sch. statt. Im Reha-Entlassungsbericht vom 21.07.2010 sind folgende Diagnosen aufgeführt: - Chronisch-rezidivierendes pseudoradikuläres LWS-Syndrom, Bandscheiben-Protrusion L 3/4 und L 5/S 1 sowie degenerative Veränderungen, - Chronisches myofasciales HWS-Syndrom bei Bandscheiben -Protrusion C 2/3, C 3/4 mit degenerativen Veränderungen - Cubitalarthrose links bei Zustand nach osteosynthetisch versorgter Fraktur 1989, - Impingementsyndrom rechts - Fibromyalgie-Syndrom. Die letzte berufliche Tätigkeit als Arbeiter /Verpacker könne nur noch unter drei Stunden täglich verrichtet werden, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 8 kg, ohne Rumpfzwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, ohne häufige Überkopfarbeiten mindestens sechs Stunden täglich.

Am 06.12.2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung und verwies auf die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet. Die Beklagte zog ärztliche Befundberichte bei und veranlasste eine sozialmedizinische Stellungnahme bei dem Rheumatologen, Internisten und Sozialmediziner Dr. L ... Dieser vertrat unter dem 15.12.2010 die Auffassung, dass der Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich verrichten könne.

Mit Bescheid vom 20.12.2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Hiergegen erhob der Kläger am 13.01.2011 Widerspruch. Er leide unter progredienten schmerzhaften Bewegungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlungen in die unteren Extremitäten. Wegen schwerwiegender Veränderungen der Halswirbelsäule sei die Drehbeweglichkeit des Kopfes reduziert und es würden Kopfschmerzen sowie ausgeprägte Gefühlsstörungen in den Fingern sowie den oberen Extremitäten vorliegen. Das Leistungsvermögen sei zusätzlich durch ein schlecht eingestelltes Bluthochdruckleiden und eine Analfistel eingeschränkt. Der Kläger fügte aktuelle Befundberichte bei.

Unter dem 03.05.2011 führte der Facharzt für Innere Medizin, Rheumatologie und Sozialmedizin Dr. L. aus, dass sich aufgrund der vorgelegten ärztlichen Unterlagen keine Änderung der Leistungsbeurteilung ergeben würde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.05.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 24.06.2011 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Wegen des Bluthochdruckleidens komme es öfters zu einem Flimmern vor den Augen. Die Beschwerden infolge der Analfistel hätten sich verschlimmert. Er benötige betriebsunübliche Pausen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründung der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte. Der Internist Dr. Z. hat mit Schreiben vom 02.11.2011 mitgeteilt, dass er den Kläger nur einmal behandelt habe und dass keine Einschränkungen der Arbeits- und Belastungsfähigkeit vorgelegen habe. Der Chirurg Dr. G. hat im Schreiben vom 09.11.2011 ausgeführt, dass er zwischen Juli 2007 und Oktober 2011 keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit festgestellt habe. Die Orthopädin Dr. S. hat mit Schreiben vom 16.11.2011 mitgeteilt, sie erachte den Kläger wegen ausgeprägter Schmerzen und Bewegungseinschränkungen am linken Ellenbogengelenk und an den Schultergelenken sowie wegen einer schweren Coxarthrose rechts für nur noch zwischen drei und maximal sechs Stunden täglich leistungsfähig. Der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. A. hat im Schreiben vom 15.12.2011 keine quantitative Leistungseinschränkung beschrieben. Der Allgemeinmediziner Dr. H. hat im Schreiben vom 15.12.2011 den Kläger für in der Lage erachtet, noch drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Grund hierfür seien die orthopädischen Leiden, eine chronische Gastritis, Bluthochdruck und ein Fibromyalgie-Syndrom.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das SG gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Chirurgen Dr. Sch ... Im Gutachten vom 10.12.2012 hat der Sachverständige folgende Erkrankungen beschrieben: eine degenerative Erkrankung der Wirbelsäule, die eine Funktionsbeeinträchtigung der Halswirbelsäule in den Rotationsbewegungen, der Brustwirbelsäule im Beugen und Strecken als auch der Lendenwirbelsäule bedinge. Im Bereich der HWS würden mehrere Bandscheibenvorwölbungen sowie eine Arthrose der Zwischenwirbelgelenke vorliegen. Im Bereich der BWS hätten sich Deckplattenveränderungen mit Arthrose der Gelenke gefunden sowie am Übergang zur LWS Deckplattenveränderungen im Sinne von stattgehabten Frakturen BWK12, BWK1 und LWK2. Im Bereich des linken Ellenbogens liege bei Zustand nach Arbeitsunfall 1998 (richtig 1989) eine massive Fehlstellung mit Bewegungseinschränkung vor. Im Bereich der Hüftgelenke würde eine Arthrose Grad II beidseits vorliegen, ebenso im Bereich der Kniegelenke, rechts mehr als links. Sonographisch hätten sich Veränderungen der Supraspinatussehne im Sinne einer degenerativen Erkrankung beider Schultergelenke mit Bewegungseinschränkungen ergeben. Die vom Kläger angegebene Schwerhörigkeit sei primär so nicht nachweisbar gewesen, ebenfalls nicht die Durchblutungsstörungen. Schwere und mittelschwere Tätigkeiten seien zu vermeiden. Der Kläger solle Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten. Zusammengenommen bestehe beim Kläger die Arbeitsfähigkeit wie von mehreren Vorbefunden ergebend als auch in der Reha-Maßnahme attestiert zwischen drei und sechs Stunden für körperlich leichte wenig beanspruchende Arbeiten. Der Kläger könne viermal täglich einen Fußweg von 500 m in jeweils unter 20 Minuten zurücklegen.

Das SG hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Orthopäden Dr. J., K. Im Gutachten vom 06.05.2013 hat der Sachverständige folgende Erkrankungen festgestellt: eine leichte Fehlstatik der Wirbelsäule; ein wiederkehrendes Lendenwirbelsäulensyndrom, vermutlich durch deutliche degenerative Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke L3 bis S1, keine wesentlichen funktionellen Einschränkungen, keine neurologischen Ausfälle, keine Nervenwurzelreizung. An beiden Schultergelenken liege eine endgradige Bewegungseinschränkung vor. Es bestehe eine deutliche Bewegungseinschränkung am linken Ellenbogengelenk bei fortgeschrittener Ellenbogengelenksarthrose mit Weichteilverknöcherungen; ein Ganglion rechtes Handgelenk, Schwellung rechter Zeigefinger; rechtsbetonte Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke bei fortgeschrittener Coxarthrose rechts und mäßiger links; eingeschränkte Hebung der Füße in beiden Sprunggelenken; Knick-Senkfuß beidseits; geringe Bewegungseinschränkung der Großzehengrundgelenke. Der Kläger könne nur noch leichte und zeitweise mittelschwere Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu 10kg verrichten. Die Tätigkeiten sollten vorwiegend im Sitzen ausgeübt werden können mit der Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen. Nicht möglich seien Überkopfarbeiten beidseits, kraftvolle Handarbeiten links, Arbeiten in der Hocke und im Knien, auf Leitern und Gerüsten sowie in Nässe/Kälte oder wiederkehrendes Treppensteigen. Der Kläger könne viermal täglich einen Fußweg von 500 m in jeweils unter 20 Minuten zurücklegen. Durch eine endoprothetische Versorgung des rechten Hüftgelenkes könne in der Regel eine deutliche Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung erzielt werden. Eine Fibromyalgie könne nicht ausreichend wahrscheinlich gemacht werden. Eine deutliche Bandscheibenverschmälerung im Halswirbelsäulenbereich erkenne er auf den vorliegenden Bildern nicht, ebenso keine deutliche Kyphosierung im Bereich der Brustwirbelsäule, auch keine relevante Schultereckgelenksarthrose beidseits, ebenso wenig könne er die Kniegelenksarthrose Grad II innenseitig bestätigen. Es hätten sich keine Hinweise für eine dauerhafte Nervenkompression im LWS-Bereich gefunden. Der Kläger könne im Rahmen einer 5-Tage-Woche sechs Stunden täglich arbeitstätig sein.

Mit Urteil vom 20.08.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und würden den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen. Er habe keinen Anspruch auf die Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Das SG hat sich im Wesentlichen auf die Ausführungen von Dr. J. gestützt.

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 05.11.2013 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 22.11.2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er hat auf sein bisheriges Vorbringen Bezug genommen und ergänzend darauf hingewiesen, dass die bisherigen Sachverständigen die bestehenden Schmerzen nicht ausreichend gewürdigt hätten. Diese müssten im Rahmen der Leistungsbeurteilung eigenständig berücksichtigt werden. Auch die internistischen Beschwerden (exzessiver Belastungshypertonus, chronische Analfistel) seien bislang nicht ausreichend gewürdigt worden. Es sei davon auszugehen, dass der Arbeitsmarkt aufgrund erforderlicher betriebsunüblicher Arbeitsbedingungen und nicht mehr gegebener Wegefähigkeit verschlossen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.08.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 20.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.05.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 01.12.2010 Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und die Ausführungen des SG Bezug.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischem Gutachtens bei dem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, physikalische Therapie, Rehabilitationswesen, Sozialmedizin, spezielle Schmerztherapie Prof. Dr. R., Bad Sch. Im Gutachten vom 24.07.2014 hat der Sachverständige folgende Diagnosen gestellt: - leichte, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, - degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und mehrerer Gelenke und leichter Ner- venwurzelschaden L5 rechts bzw S1 rechts. - leichte chronischen Depression im Sinne einer Dysthymia. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen der Intensität bzw dem Ausbreitungsgebiet der geklagten Schmerzen und den organisch nachweisbaren Befunden. Die Analyse der Alltagsaktivitäten und der nur geringfügig gestörte psychische Befund zeigten, dass es sich um einen leichten und nicht um einen mittelschweren oder gar schweren Ausprägungsgrad handle. Aus neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischer Sicht sei es dem Kläger noch möglich, leichte körperliche Arbeiten ohne Akkord- oder Fließbandtätigkeiten zu verrichten. Der Kläger solle keine Lasten mit einem Gewicht von über 10kg tragen. Die Tätigkeiten sollten in wechselnder Körperhaltung ausgeführt werden können. Zwangshaltungen der Wirbelsäule sollten vermieden werden. Tätigkeiten an Büromaschinen seien möglich. Früh- bzw Spätschicht sei möglich, Nachtschicht sei zu vermeiden. Angesichts der nur geringfügigen psychischen Einschränkungen sei auch eine besondere geistige Beanspruchung mit einer höheren oder hohen Verantwortung, zB beim Anleiten oder beim Beaufsichtigen mehrerer Personen bzw beim Überwachen komplexer oder laufender Maschinen möglich. Zusammengefasst könne der Kläger leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche ausüben. Besondere Unterbrechungen seien trotz der Analfistel nicht notwendig, da diese innerhalb der regulären Pausen gereinigt bzw hygienisch versorgt werden könne und keine besonderen Arbeitsbedingungen unerlässlich seien. Der Kläger könne viermal täglich eine Wegstrecke von 500m unter 20 Minuten zurücklegen. Er könne öffentliche Verkehrsmittel benutzen und mit einem PKW fahren.

Der Kläger hat mitgeteilt, mit dem Ergebnis des Gutachtens des Dr. R. nicht einverstanden zu sein. Er hat drei Atteste des Allgemeinmediziners Dr. H. vom 20.09.2014, 19.11.2014 und 14.01.2015 mit weiteren Arztbriefen als Anlagen sowie eine Stellungnahme der Orthopädin Dr. S. vom 24.11.2014 vorgelegt und mitgeteilt, er sei im Juni 2014 ambulant wegen seiner Analfistel behandelt worden.

Die Beklagte hat zwei sozialmedizinische Stellungnahmen der Chirurgin und Sozialmedizinerin Dr. L. vom 06.11.2014 und 23.11.2014 vorgelegt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbs-minderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraus-setzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.

Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Der Kläger kann zur Überzeugung des Senats unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich noch mindestens sechs Stunden arbeiten und ist deshalb nicht erwerbs-gemindert (§ 43 Abs 3 SGB VI). Diese Überzeugung schöpft der Senat aus den nachvollziehbaren und plausiblen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. R. und Dr. J.

Dr. J. hat im Gutachten vom 06.05.2013 eine leichte Fehlstatik der Wirbelsäule; ein wiederkehrendes Lendenwirbelsäulensyndrom ohne wesentliche funktionelle Einschränkungen, ohne neurologische Ausfälle und ohne Nervenwurzelreizung diagnostiziert. Hinweise für eine dauerhafte Nervenkompression im LWS-Bereich haben sich nicht gefunden. Am linken Ellenbogengelenk besteht bei fortgeschrittener Ellenbogengelenksarthrose mit Weichteilverknöcherungen eine deutliche Bewegungseinschränkung; an den Schultergelenken eine nur endgradige Bewegungseinschränkung. Ferner besteht ein Ganglion am rechten Handgelenk, eine Schwellung des rechten Zeigefingers; eine rechtsbetonte Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke bei fortgeschrittener Coxarthrose rechts und mäßiger links; eine eingeschränkte Hebung der Füße in beiden Sprunggelenken; Knick-Senkfuß beidseits; geringe Bewegungseinschränkung der Großzehengrundgelenke. Der Sachverständige hat für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger nur noch leichte und zeitweise mittelschwere Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu 10kg verrichten kann. Die Tätigkeiten sollen vorwiegend im Sitzen ausgeübt werden können mit der Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen. Nicht mehr möglich sind Überkopfarbeiten beidseits, Tätigkeiten mit besonderer Belastung des linken Arms, kraftvolle Handarbeiten links, Arbeiten in der Hocke und im Knien, auf Leitern und Gerüsten sowie in Nässe/Kälte oder wiederkehrendes Treppensteigen. Der Kläger kann nach den plausiblen Darlegungen des Sachverständigen unter Beachtung der qualitativen Einschränkung im Rahmen einer 5-Tage-Woche mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein.

Prof. Dr. R. hat im Gutachten vom 24.07.2014 eine leichte, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und mehrerer Gelenke und einen leichten Nervenwurzelschaden L5 rechts bzw S1 rechts sowie eine leichte chronische Depression im Sinne einer Dysthymia diagnostiziert. Der Sachverständige hat im Rahmen der erforderlichen Konsistenzprüfung für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass die Analyse der Alltagsaktivitäten und der nur geringfügig gestörte psychische Befund zeigen, dass ein leichter und nicht ein mittelschwerer oder gar schwerer Ausprägungsgrad vorliegt. So geht der Kläger regelmäßig zur Jagd, verrichtet Tätigkeiten im Haushalt und daneben in geringem Umfang als Hausmeister. Er benutzt täglich sein Auto, um einzukaufen und nimmt am sozialen Leben teil (Mitgliedschaft im Schützenverein, gelegentliche Restaurantbesuche etc., vgl Bl 42 ff Senatsakte). Wie Dr. J. ist auch Prof. Dr. R. nachvollziehbar zu der Schlussfolgerung gelangt, dass der Kläger leichte körperliche Arbeiten ohne Akkord- oder Fließbandtätigkeiten, ohne Heben und Tragen von Lasten mit einem Gewicht von über 10kg, ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule in wechselnder Körperhaltung sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche ausüben kann. Tätigkeiten an Büromaschinen, Früh- bzw Spätschicht, besondere geistige Beanspruchung mit einer höheren oder hohen Verantwortung, zB beim Anleiten oder beim Beaufsichtigen mehrerer Personen bzw beim Überwachen komplexer oder laufender Maschinen sind möglich, Nachtschicht ist zu vermeiden.

Prof. Dr. R. hat für den Senat auch nachvollziehbar dargelegt, dass besondere betriebsunübliche Unterbrechungen trotz der Analfistel nicht notwendig sind, da diese innerhalb der regulären Pausen gereinigt bzw hygienisch versorgt werden kann und auch keine besonderen Arbeitsbedingungen erforderlich sind. Aus dem Bericht der Klinik B. über eine Akutbehandlung vom 15.06.2014 (Bl 81 Senatsakte) ergibt sich nichts gegenteiliges. Als weiteres Procedere werden dort bedarfsgerechte Schmerztherapie und Befundkontrollen beim Hausarzt genannt. Die Behandlung erfolgt also mit den üblichen therapeutischen Maßnahmen; Auswirkungen auf das quantitative Leistungsvermögen resultieren hieraus nicht, wie Dr. L. für den Senat überzeugend ausgeführt hat. Die Notwendigkeit, häufig eine Toilette aufsuchen zu müssen (Reinigung/Versorgung der Analfistel), rechtfertigt nicht die Annahme, dass der Versicherte nur noch unter betriebsunüblichen Bedingungen arbeiten kann (vgl Senatsurteil vom 26.10.2010, L 11 R 5203/09). Denn die Notwendigkeit von kurzen Pausen, zB um die Toilette aufzusuchen, ist noch im Rahmen der persönlichen Verteilzeiten möglich, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (s. auch Urteil vom 20.04.2010, L 11 R 267/09). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber nach § 6 Abs 2 Satz 1 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) Toilettenräume bereitzustellen hat. Nach Nr 4.1 Abs 1 Satz 2 der Anlage zur ArbStättV müssen sich diese Toilettenräume sowohl in der Nähe der Arbeitsplätze als auch in der Nähe von Pausen- und Bereitschaftsräumen, Wasch- und Umkleideräumen befinden. Nach Nr 3 der Arbeitsstättenrichtlinie 37/1 (vgl § 7 Abs 4 ArbStättV) sind die Toilettenräume bzw die Toiletten unabhängig von Nr 2 der Vorschrift innerhalb einer Arbeitsstätte so zu verteilen, dass sie von ständigen Arbeitsplätzen nicht mehr als 100 m und, sofern keine Fahrtreppen vorhanden sind, höchstens eine Geschoßhöhe entfernt sind; der Weg von ständigen Arbeitsplätzen in Gebäuden zu Toiletten soll nicht durchs Freie führen. Nach § 4 ArbZG steht Beschäftigten mit einer Tätigkeit von mehr als sechs Stunden außerdem täglich eine Ruhepause von 30 Minuten bzw zweimal 15 Minuten zu. Neben den betriebsüblichen Pausen werden den Arbeitnehmern in gewissem Umfang auch noch so genannte Verteilzeiten zugestanden für zB den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten beziehungsweise Aufräumen des Arbeitsplatzes, den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte usw (vgl Senatsurteil vom 26.10.2010, L 11 R 5203/09; Bayerisches LSG 23.07.2009, L 14 R 311/06, juris Rn 87).

Die Schlussfolgerungen Dr. Sch.s im Gutachten vom 10.12.2012 und die Ausführungen Dr. S.s im Schreiben vom 24.11.2014, die den Kläger nur noch für fähig erachten, täglich zwischen drei und sechs Stunden zu arbeiten, haben den Senat nicht überzeugt. Die Bezugnahme Dr. Sch.s auf einen Reha-Bericht, der zu demselben Ergebnis komme, ist unzutreffend, denn der Entlassungsbericht des Heilverfahrens 2010 geht von einem sechsstündigen-Leistungsvermögen aus. Eine deutliche Bandscheibenverschmälerung im Halswirbelsäulenbereich hat Dr. J. auf den vorliegenden Bildern nicht erkennen können, ebenso keine deutliche Kyphosierung im Bereich der Brustwirbelsäule, auch keine relevante Schultereckgelenksarthrose beidseits, ebenso wenig konnte er die Kniegelenksarthrose innenseitig bestätigen. Damit sind die sachlichen Voraussetzungen für Dr. Sch.s Schlussfolgerung nicht bewiesen. Dr. J. hat für den Senat auch überzeugend dargelegt, dass eine Fibromyalgie nicht ausreichend wahrscheinlich gemacht werden kann. In diesem Zusammenhang hat auch Prof. Dr. R. darauf hingewiesen, dass eine Diskrepanz zwischen der Intensität bzw dem Ausbreitungsgebiet der geklagten Schmerzen und den organisch nachweisbaren Befunden besteht. Aus dem vom Kläger vorgelegten internistischen Bericht des Dr. W. vom 03.12.2013 (Bl 87 Senatsakte) ergibt sich, dass eine Belastung bis 100 Watt erfolgen konnte, sodass für leichte körperliche Arbeiten auch von Seiten des Herz-Kreislauf-Systems aus ein ausreichendes Leistungsvermögen festzustellen ist, worauf Dr. L. zutreffend hingewiesen hat. Dr. L. hat des Weiteren in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 06.11.2014 für den Senat überzeugend dargelegt, dass sich aus den vom Kläger vorgelegten radiologischen Befundbericht vom September 2013 und dem neurologische Befundbericht vom Dezember 2013 keine neuen Krankheitsbilder ergeben. Weder sei eine Einengung des Spinalkanals noch eine Schädigung des Rückenmarks oder anderer neuronaler Strukturen nachgewiesen worden. Die leichtgradige Schädigung der Ellennerven am linken Ellenbogen sei bereits bei den qualitativen Einschränkungen (keine Tätigkeiten mit besonderer Belastung des linken Armes) berücksichtigt worden.

Der Kläger kann nach den übereinstimmenden und für den Senat überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. J. und Prof. Dr. R. viermal täglich einen Fußweg von 500 m in jeweils unter 20 Minuten zurücklegen. Dr. J. hat nachvollziehbar dargelegt, dass eine rechtsbetonte Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke bei fortgeschrittener Coxarthrose rechts und mäßiger links; eine eingeschränkte Hebung der Füße in beiden Sprunggelenken; Knick-Senkfuß beidseits und eine geringe Bewegungseinschränkung der Großzehengrundgelenke vorliegt und dass diese Beschwerden nicht so gravierend sind, dass die Wegefähigkeit in rentenrechtlich relevanter Weise beeinträchtigt ist. Auch Dr. Sch. hat im Gutachten vom 10.12.2012 diese Auffassung vertreten und ausgeführt, dass die vom Kläger angegebenen Durchblutungsstörungen nicht nachweisbar seien.

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre bestehen nicht, ein Teil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit dem Kläger noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI. Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Der Kläger ist 1964 und damit nach dem Stichtag geboren.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Die vorliegenden Gutachten von Dr. J. und Dr. R. haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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