Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 2173/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1314/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des beim Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) streitig, insb. ob bei ihm die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch festzustellen ist.
Bei dem im Jahr 1964 geborenen Kläger stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales - Versorgungsamt - A. (VA) mit Bescheid vom 25.1.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.2.2012 einen GdB von 30 fest. Es berücksichtigte hierbei "Bewegungsstörung durch Erkrankung des zentralen Nervensystems, Ruhe-Tremor" mit einem Einzel-GdB von 30 sowie "Seelische Störungen" und "Herzrhythmusstörungen" jeweils mit einem Einzel-GdB von 10.
Am 31.8.2012 beantragte der Kläger beim VA die Neufeststellung des Behinderungsrechtsverhältnisses. Er leide an Migräne und hohem Blutdruck, habe einen Herzinfarkt erlitten und eine Meniskus-OP durchführen lassen. Das VA forderte bei Dr. B., Facharzt für Allgemeinmedizin, einen Befundbericht an und führte diesen sowie die vorgelegten Arztbriefe, u.a. den Rehabilitationsentlassungsbericht des Klinikzentrums C. vom 11.1.2012 über eine dortige Rehabilitationsmaßnahme vom 17.11. - 15.12.2011 und den Bericht über eine stationäre Behandlung des Klägers in der D. Orthopädische Klinik vom 2. - 5.5.2012 einer versorgungsärztlichen Überprüfung zu. In seiner Stellungnahme vom 19.11.2012 bewertete Dr. E. zusätzlich zu den bereits berücksichtigten Funktionsbeeinträchtigungen eine "Migräne" und eine "Funktionsstörung im Knie (rechts)" jeweils mit einem Einzel-GdB von 10, schätzte den GdB insg. jedoch weiterhin mit 30 ein. Gestützt hierauf lehnte das VA den Antrag des Klägers auf Neufeststellung mit Bescheid vom 28.11.2012 ab. Es führte begründend aus, eine wesentliche Zunahme der Funktionseinschränkungen, die einen höheren GdB begründen könnte, sei nicht eingetreten.
Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs führte der Kläger unter Vorlage von an Dr. B. gerichteten Arztbriefen aus, der bestehende Tremor zeige mittelgradige Folgen und sei mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Auch die Herzrhythmusstörungen und die Migräne wirkten sich gravierender aus, als dies im GdB zum Ausdruck komme.
Nachdem der Kläger sodann zum 1.5.2013 seinen Wohnort an die im Rubrum benannte Adresse, in den Zuständigkeitsbereich des Landratsamts Karlsruhe, verlegte, führte dieses, nachdem ihm die Akten zuständigkeitshalber übersandt wurden, die vorliegenden Unterlagen abermals einer versorgungsärztlichen Überprüfung zu, in der ein GdB von 30 bestätigt wurde. Der Beklagte wies sodann mit Widerspruchsbescheid vom 4.6.2013 den Widerspruch des Klägers zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20.6.2013 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, er leide an einem essentiellen Tremor und habe mit einer Migräne zu kämpfen, die sich akut verschlimmert habe. Die Kopfschmerzen, die aktuell ein- bis zweimal pro Woche aufträten, führten zu Rückzugstendenzen. Hierzu hat der Kläger ein Gutachten von Dr. E., Facharzt für Innere Medizin, Psychotherapie, Allergologie, Sozialmedizin und des Arztes für Chirurgie Linde vom 11.10.2011 vorgelegt, das für die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See erstattet wurde. Hierin wird berichtet, dass sich bei der Untersuchung ein deutlicher Vorhaltetremor (rechts mehr als links) gezeigt habe.
Das SG hat die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Dr. F., Fachärztin für Neurologie, hat in ihrer Stellungnahme vom 14.8.2013 von einem ausgeprägten Neintremor des Kopfes und einem ausgeprägten Haltetremor der Hände ohne sichere Seitenbetonung berichtet. Ferner hat sie den Verdacht auf Migräne ohne Aura geäußert. Die Fachärztin für Innere Medizin, Notfallmedizin G. hat unter dem 14.8.2013 gleichfalls von einem ausgeprägtem Ruhe-Tremor unklarer Genese sowie von einer Lumboischialgie und einem Alkoholismus berichtet. Dr. B. hat unter dem 22.8.2013 u.a. mitgeteilt, ein permanentes Vorhofflimmern bei absoluter Arrhythmie, einen essentiellen Tremor, eine Gonarthrose rechts und eine chronisch aktive Hepatitis B diagnostiziert zu haben. Dr. H., Orthopäde/Unfallchirurg, hat in seiner Stellungnahme vom 2.9.2013 ausgeführt, er habe beim Kläger anlässlich der Konsultationen im Juli und August 2013 eine Lumboischialgie, einen Morbus Scheuermann, eine lumbale Bandscheibenprotrusion, eine Spinalkanalstenose und ein Taubheitsgefühl der Haut diagnostiziert. Schließlich hat Dr. Jungblut, Facharzt für Urologie, unter dem 12.9.2013 bekundet, beim Kläger bestehe eine jeweils gering- bis leichtgradig ausgeprägte Pollakisurie und Nykturie sowie eine erektile Dysfunktion.
Der Beklagte hat daraufhin unter dem 27.11.2013 ein Vergleichsangebot des Inhalts unterbreitet, den GdB des Klägers ab dem 31.8.2012 mit 40 festzustellen. Gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. I. vom 14.11.2013 hat es hierbei unter Erweiterung der Bezeichnung der Gesundheitsstörung für "Ruhe-Tremor, Bewegungsstörung durch Erkrankung des zentralen Nervensystems" unverändert einen Einzel-GdB von 30, für "Herzrhythmusstörungen" einen solchen von 20 und für "Seelische Störung", "Migräne" und "Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks" jeweils einen solchen von 10 zu Grunde gelegt. Nachdem der Kläger dem Vergleichsangebot nicht beigetreten ist, hat das SG den Beklagten mit Urteil vom 19.2.2014 verurteilt, den GdB des Klägers ab dem 31.8.2012 mit 40 festzustellen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, der beim Kläger bestehende Ruhetremor sei mit einem Einzel-GdB von 30 korrekt bewertet. Eine weitergehende Berücksichtigung sei nicht möglich, da keine Anhaltspunkte für latente Paresen vorlägen und darüber hinausgehende Störungen der Motorik, Koordination, der Oberflächen- und Tiefensensibilität nicht bekundet worden seien. Das Vorhofflimmern rechtfertige, wie der Bandscheibenschaden, einen Einzel-GdB von 20. Die Migräne-Erkrankung könne in Ansehung der Behandlungsfrequenz nicht mit einem höheren Einzel-GdB als 10 bewertet werden. In diesem Maße sei auch die bestehende Gonarthrose zu berücksichtigen. Insg. sei, so das SG weiter, ein GdB von 40 angemessen.
Gegen das ihm am 26.2.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.3.2014 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, bei ihm liege eine Migräne in mittelgradiger Verlaufsform vor, die einen Einzel-GdB von 20 rechtfertige. Ihm sei zwischenzeitlich ein Migräne-Mittel verordnet worden, aktuell führe er kein Kopfschmerztagebuch. Wegen seiner Wirbelsäulenbeschwerden sei ihm mehrfach eine Operation angeraten worden. Er habe Schmerzen im Rücken und im Gesäß, die ins rechte Bein ausstrahlten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Februar 2014 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 28. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2013 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung seines Vortrages auf den aus seiner Sicht zutreffenden Inhalt des angefochten Urteils. Ergänzend hat er nach der gerichtlichen Beweisaufnahme eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. J. vom 12.3.2015 vorgelegt.
Der Senat hat weitere, den Kläger behandelnde Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Dr. H., Facharzt für Orthopädie und Chirurgie hat unter dem 18.11.2014 ausgeführt, beim Kläger bestehe eine Lumboischialgie mit deutlicher Wurzelreizsymptomatik re. ohne nachweisbare Paresen, die als mittel- bis schwergradig zu graduieren sei. Dr. K., Fachärztin für Neurologie, hat in ihrer Stellungnahme vom 18.11.2014 mitgeteilt, der Kläger habe sich dreimal bei ihr vorgestellt. Er habe von ca. 7 Migräneanfällen pro Monat berichtet, die mit Übelkeit und teilweise mit Sehstörungen einhergingen. Zuletzt habe er von Migräneanfällen an 5 Tagen im Februar und an 6 Tagen im März 2014 berichtet. Die Fachärztin für Innere Medizin G. hat unter dem 6.12.2014 berichtet, beim Kläger bestehe bei einem Zustand nach Myokardinfarkt ein permanentes Vorhofflimmern.
Mit Schriftsatz vom 24.6.2014 hat der Beklagte, mit solchem vom 17.7.2014 der Kläger das Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für die Klägerin geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung, über die der Senat nach dem erteilten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, führt jedoch für den Kläger inhaltlich nicht zum Erfolg.
Obschon der angegriffene Bescheid vom 28.11.2012 noch vom VA erlassen wurde, ist Beteiligter des gerichtlichen Verfahrens, nachdem der Kläger zum 1.5.2013 seinen Wohnsitz in das Land Baden-Württemberg verlegt hat, einzig das Land Baden-Württemberg. Das LRA ist durch den Umzug des Klägers örtlich zuständig geworden. Dem folgend hat das Land Baden-Württemberg durch seine Behörde, das Regierungspräsidium Stuttgart, über den Widerspruch des Klägers entschieden (vgl. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung in der Fassung vom 13.12.2007 [BGBl. I 2904]).
Das SG hat den Beklagten zu Recht verurteilt, die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 40 festzustellen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ein GdB von 50 festzustellen ist.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung - vorliegend dem vom 25.1.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.2.2012 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine wesentliche Änderung ist im gegebenen Zusammenhang im Hinblick auf die Feststellung des GdB anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des festgestellten (Gesamt-) GdB um wenigstens 10 ergibt (u.a. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - veröffentlicht in juris). Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen ohne Auswirkung auf den GdB stellen hingegen keine wesentliche Änderung in diesem Sinne dar (BSG, Urteil vom 24.6.1998 - B 9 SB 18/97 R - veröffentlicht in juris). Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist durch einen Vergleich der gegenwärtigen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mit dem verbindlich festgestellten objektiven Behinderungszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des zuletzt bindend gewordenen Bescheides zu ermitteln. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Hochrechnung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.9.2000 - B 9 SB 3/00 R - veröffentlicht in juris).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX). Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung des am 15.1.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 7.1.2015 (BGBl. II S. 15) ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht, indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der ab dem 15.1.2015 geltenden Fassung, dass, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 1.1.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG; die jeweilige Seitenangabe bezieht sich auf das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebene Printexemplar) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung [VersMedV]) heranzuziehen, die auf Grundlage von § 30 Abs. 16 BVG erlassen wurde.
In Anlegung der dortigen Maßstäbe können die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen nicht mit einem höheren GdB als 40 bewertet werden.
Nach Nr. 3.12 (S. 37) der VG sind Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen (spino-) zerebraler Ursache je nach dem Ausmaß der Störung der Ziel- und Feinmotorik einschließlich der Schwierigkeiten beim Gehen und Stehen mit einem Einzel-GdB von 30 - 100 zu bewerten. Die Fachärztin für Neurologie Dr. F. hat in ihrer Stellungnahme gegenüber dem SG vom 14.8.2013 ausgeführt, dass beim Kläger neben einem deutlichen Tremor des Kopfes und einem Haltetremor der Hände keine weiteren Auffälligkeiten bestehen, weswegen eine weitergehende Berücksichtigung des beim Kläger bestehenden essentiellen Tremors als mit einem Einzel-GdB von 30 nicht möglich ist. Dies gilt insb. auch in Ansehung dessen, dass Dr. K. einen Ruhetremor ausdrücklich verneint hat, woraus ersichtlich wird, dass die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung nicht schwerwiegenderer Natur sind.
Die GdB-Bewertung der beim Kläger bestehenden Migräne-Erkrankung erfolgt nach Nr. 2.3. (S. 35) der VG je nach Häufigkeit und Dauer der Anfälle sowie der Ausprägung der Begleiterscheinungen. Eine leichte Verlaufsform (Anfälle durchschnittlich einmal monatlich) ist mit einem Einzel-GdB von 0 - 10, eine mittelgradige Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils ein oder mehrere Tage anhaltend) mit einem solchen von 20 - 40 und eine schwere Verlaufsform (lang andauernde Anfälle mit stark ausgeprägten Begleiterscheinungen, Anfallspausen von nur wenigen Tagen) mit einem Einzel-GdB von 50 - 60 zu bewerten. Vor dem Hintergrund, dass die Fachärztin für Neurologie Dr. K. in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Senat mitgeteilt hat, dass der Kläger im Februar 2014 an 5 Tagen und im März 2014 an 6 Tagen an Migräneanfällen gelitten habe, ist der Senat - entgegen der Einschätzung von Dr. I. und Dr. J. - davon überzeugt, dass beim Kläger eine mittelgradige Verlaufsform der Erkrankung vorliegt. Da indes keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Anfälle jeweils einen oder mehrere Tage anhalten, ist der GdB-Rahmen von 20 - 40 nicht auszuschöpfen. Die durch die Erkrankung bedingten Einschränkungen sind vielmehr mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten.
Die beim Kläger nach der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. H. bestehende Lumboischialgie ist in Ansehung der befundeten Wurzelreizsymptomatik, deren Intensität, deren Dauer und deren dokumentierter Ausstrahlung in das rechte Bein als mittelschwer zu graduieren und führt nach Nr. 18.9 (S. 107) der VG, da lediglich ein Wirbelsäulenabschnitt betroffen ist, zu einer Berücksichtigung mit einem Einzel-GdB von 20.
Da nach dem Inhalt des Arztbriefes von Dr. L. vom 28.11.2013 der Kläger anlässlich einer Belastungsergometrie-Untersuchung am 28.11.2013 bis zu 125 Watt belastbar war, ohne dass angina-pectoris-artige Beschwerden oder Ischämiezeichen aufgetreten sind, kann das beim Kläger bestehende permanente Vorhofflimmern nicht mit einem höheren Einzel-GdB als 20 berücksichtigt werden (vgl. Nr. 9.1. der VG [S. 63 ff.] der VG).
Die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks kann nicht mit einem höheren GdB als 10 bewertet werden, da die hierfür erforderlichen stärkeren Bewegungseinschränkungen (vgl. Nr. 18.14 [S. 117] der VG) nicht belegt sind.
In Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ist zur Überzeugung des Senats ein GdB von mehr als 40, wie klägerseits begehrt, nicht festzustellen. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist, bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft, der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berück¬sichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzu¬stellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind (vgl. Nr. 3 [S. 22 f.] Teil A der VG). Die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind zur Überzeugung des Senats weder gänzlich voneinander unabhängig, noch wirken sie sich besonders nachteilig aufeinander aus. Eine Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt vielmehr, dass diese mit funktionellen Einschränkungen, die bei dem Verlust eines Armes im Unterarm oder dem Verlust eines Beines im Unterschenkel auftreten, die jeweils einen GdB von 50 begründen, nicht vergleichbar sind.
Das SG hat mithin die Klage, soweit ein höherer GdB als 40 begehrt wird, zu Recht abgewiesen; die Berufung gegen das Urteil vom 19.2.2014 ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des beim Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) streitig, insb. ob bei ihm die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch festzustellen ist.
Bei dem im Jahr 1964 geborenen Kläger stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales - Versorgungsamt - A. (VA) mit Bescheid vom 25.1.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.2.2012 einen GdB von 30 fest. Es berücksichtigte hierbei "Bewegungsstörung durch Erkrankung des zentralen Nervensystems, Ruhe-Tremor" mit einem Einzel-GdB von 30 sowie "Seelische Störungen" und "Herzrhythmusstörungen" jeweils mit einem Einzel-GdB von 10.
Am 31.8.2012 beantragte der Kläger beim VA die Neufeststellung des Behinderungsrechtsverhältnisses. Er leide an Migräne und hohem Blutdruck, habe einen Herzinfarkt erlitten und eine Meniskus-OP durchführen lassen. Das VA forderte bei Dr. B., Facharzt für Allgemeinmedizin, einen Befundbericht an und führte diesen sowie die vorgelegten Arztbriefe, u.a. den Rehabilitationsentlassungsbericht des Klinikzentrums C. vom 11.1.2012 über eine dortige Rehabilitationsmaßnahme vom 17.11. - 15.12.2011 und den Bericht über eine stationäre Behandlung des Klägers in der D. Orthopädische Klinik vom 2. - 5.5.2012 einer versorgungsärztlichen Überprüfung zu. In seiner Stellungnahme vom 19.11.2012 bewertete Dr. E. zusätzlich zu den bereits berücksichtigten Funktionsbeeinträchtigungen eine "Migräne" und eine "Funktionsstörung im Knie (rechts)" jeweils mit einem Einzel-GdB von 10, schätzte den GdB insg. jedoch weiterhin mit 30 ein. Gestützt hierauf lehnte das VA den Antrag des Klägers auf Neufeststellung mit Bescheid vom 28.11.2012 ab. Es führte begründend aus, eine wesentliche Zunahme der Funktionseinschränkungen, die einen höheren GdB begründen könnte, sei nicht eingetreten.
Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs führte der Kläger unter Vorlage von an Dr. B. gerichteten Arztbriefen aus, der bestehende Tremor zeige mittelgradige Folgen und sei mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Auch die Herzrhythmusstörungen und die Migräne wirkten sich gravierender aus, als dies im GdB zum Ausdruck komme.
Nachdem der Kläger sodann zum 1.5.2013 seinen Wohnort an die im Rubrum benannte Adresse, in den Zuständigkeitsbereich des Landratsamts Karlsruhe, verlegte, führte dieses, nachdem ihm die Akten zuständigkeitshalber übersandt wurden, die vorliegenden Unterlagen abermals einer versorgungsärztlichen Überprüfung zu, in der ein GdB von 30 bestätigt wurde. Der Beklagte wies sodann mit Widerspruchsbescheid vom 4.6.2013 den Widerspruch des Klägers zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20.6.2013 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, er leide an einem essentiellen Tremor und habe mit einer Migräne zu kämpfen, die sich akut verschlimmert habe. Die Kopfschmerzen, die aktuell ein- bis zweimal pro Woche aufträten, führten zu Rückzugstendenzen. Hierzu hat der Kläger ein Gutachten von Dr. E., Facharzt für Innere Medizin, Psychotherapie, Allergologie, Sozialmedizin und des Arztes für Chirurgie Linde vom 11.10.2011 vorgelegt, das für die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See erstattet wurde. Hierin wird berichtet, dass sich bei der Untersuchung ein deutlicher Vorhaltetremor (rechts mehr als links) gezeigt habe.
Das SG hat die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Dr. F., Fachärztin für Neurologie, hat in ihrer Stellungnahme vom 14.8.2013 von einem ausgeprägten Neintremor des Kopfes und einem ausgeprägten Haltetremor der Hände ohne sichere Seitenbetonung berichtet. Ferner hat sie den Verdacht auf Migräne ohne Aura geäußert. Die Fachärztin für Innere Medizin, Notfallmedizin G. hat unter dem 14.8.2013 gleichfalls von einem ausgeprägtem Ruhe-Tremor unklarer Genese sowie von einer Lumboischialgie und einem Alkoholismus berichtet. Dr. B. hat unter dem 22.8.2013 u.a. mitgeteilt, ein permanentes Vorhofflimmern bei absoluter Arrhythmie, einen essentiellen Tremor, eine Gonarthrose rechts und eine chronisch aktive Hepatitis B diagnostiziert zu haben. Dr. H., Orthopäde/Unfallchirurg, hat in seiner Stellungnahme vom 2.9.2013 ausgeführt, er habe beim Kläger anlässlich der Konsultationen im Juli und August 2013 eine Lumboischialgie, einen Morbus Scheuermann, eine lumbale Bandscheibenprotrusion, eine Spinalkanalstenose und ein Taubheitsgefühl der Haut diagnostiziert. Schließlich hat Dr. Jungblut, Facharzt für Urologie, unter dem 12.9.2013 bekundet, beim Kläger bestehe eine jeweils gering- bis leichtgradig ausgeprägte Pollakisurie und Nykturie sowie eine erektile Dysfunktion.
Der Beklagte hat daraufhin unter dem 27.11.2013 ein Vergleichsangebot des Inhalts unterbreitet, den GdB des Klägers ab dem 31.8.2012 mit 40 festzustellen. Gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. I. vom 14.11.2013 hat es hierbei unter Erweiterung der Bezeichnung der Gesundheitsstörung für "Ruhe-Tremor, Bewegungsstörung durch Erkrankung des zentralen Nervensystems" unverändert einen Einzel-GdB von 30, für "Herzrhythmusstörungen" einen solchen von 20 und für "Seelische Störung", "Migräne" und "Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks" jeweils einen solchen von 10 zu Grunde gelegt. Nachdem der Kläger dem Vergleichsangebot nicht beigetreten ist, hat das SG den Beklagten mit Urteil vom 19.2.2014 verurteilt, den GdB des Klägers ab dem 31.8.2012 mit 40 festzustellen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, der beim Kläger bestehende Ruhetremor sei mit einem Einzel-GdB von 30 korrekt bewertet. Eine weitergehende Berücksichtigung sei nicht möglich, da keine Anhaltspunkte für latente Paresen vorlägen und darüber hinausgehende Störungen der Motorik, Koordination, der Oberflächen- und Tiefensensibilität nicht bekundet worden seien. Das Vorhofflimmern rechtfertige, wie der Bandscheibenschaden, einen Einzel-GdB von 20. Die Migräne-Erkrankung könne in Ansehung der Behandlungsfrequenz nicht mit einem höheren Einzel-GdB als 10 bewertet werden. In diesem Maße sei auch die bestehende Gonarthrose zu berücksichtigen. Insg. sei, so das SG weiter, ein GdB von 40 angemessen.
Gegen das ihm am 26.2.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.3.2014 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, bei ihm liege eine Migräne in mittelgradiger Verlaufsform vor, die einen Einzel-GdB von 20 rechtfertige. Ihm sei zwischenzeitlich ein Migräne-Mittel verordnet worden, aktuell führe er kein Kopfschmerztagebuch. Wegen seiner Wirbelsäulenbeschwerden sei ihm mehrfach eine Operation angeraten worden. Er habe Schmerzen im Rücken und im Gesäß, die ins rechte Bein ausstrahlten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Februar 2014 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 28. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2013 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung seines Vortrages auf den aus seiner Sicht zutreffenden Inhalt des angefochten Urteils. Ergänzend hat er nach der gerichtlichen Beweisaufnahme eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. J. vom 12.3.2015 vorgelegt.
Der Senat hat weitere, den Kläger behandelnde Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Dr. H., Facharzt für Orthopädie und Chirurgie hat unter dem 18.11.2014 ausgeführt, beim Kläger bestehe eine Lumboischialgie mit deutlicher Wurzelreizsymptomatik re. ohne nachweisbare Paresen, die als mittel- bis schwergradig zu graduieren sei. Dr. K., Fachärztin für Neurologie, hat in ihrer Stellungnahme vom 18.11.2014 mitgeteilt, der Kläger habe sich dreimal bei ihr vorgestellt. Er habe von ca. 7 Migräneanfällen pro Monat berichtet, die mit Übelkeit und teilweise mit Sehstörungen einhergingen. Zuletzt habe er von Migräneanfällen an 5 Tagen im Februar und an 6 Tagen im März 2014 berichtet. Die Fachärztin für Innere Medizin G. hat unter dem 6.12.2014 berichtet, beim Kläger bestehe bei einem Zustand nach Myokardinfarkt ein permanentes Vorhofflimmern.
Mit Schriftsatz vom 24.6.2014 hat der Beklagte, mit solchem vom 17.7.2014 der Kläger das Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für die Klägerin geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung, über die der Senat nach dem erteilten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, führt jedoch für den Kläger inhaltlich nicht zum Erfolg.
Obschon der angegriffene Bescheid vom 28.11.2012 noch vom VA erlassen wurde, ist Beteiligter des gerichtlichen Verfahrens, nachdem der Kläger zum 1.5.2013 seinen Wohnsitz in das Land Baden-Württemberg verlegt hat, einzig das Land Baden-Württemberg. Das LRA ist durch den Umzug des Klägers örtlich zuständig geworden. Dem folgend hat das Land Baden-Württemberg durch seine Behörde, das Regierungspräsidium Stuttgart, über den Widerspruch des Klägers entschieden (vgl. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung in der Fassung vom 13.12.2007 [BGBl. I 2904]).
Das SG hat den Beklagten zu Recht verurteilt, die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 40 festzustellen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ein GdB von 50 festzustellen ist.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung - vorliegend dem vom 25.1.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.2.2012 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine wesentliche Änderung ist im gegebenen Zusammenhang im Hinblick auf die Feststellung des GdB anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des festgestellten (Gesamt-) GdB um wenigstens 10 ergibt (u.a. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - veröffentlicht in juris). Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen ohne Auswirkung auf den GdB stellen hingegen keine wesentliche Änderung in diesem Sinne dar (BSG, Urteil vom 24.6.1998 - B 9 SB 18/97 R - veröffentlicht in juris). Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist durch einen Vergleich der gegenwärtigen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mit dem verbindlich festgestellten objektiven Behinderungszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des zuletzt bindend gewordenen Bescheides zu ermitteln. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Hochrechnung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.9.2000 - B 9 SB 3/00 R - veröffentlicht in juris).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX). Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung des am 15.1.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 7.1.2015 (BGBl. II S. 15) ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht, indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der ab dem 15.1.2015 geltenden Fassung, dass, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 1.1.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG; die jeweilige Seitenangabe bezieht sich auf das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebene Printexemplar) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung [VersMedV]) heranzuziehen, die auf Grundlage von § 30 Abs. 16 BVG erlassen wurde.
In Anlegung der dortigen Maßstäbe können die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen nicht mit einem höheren GdB als 40 bewertet werden.
Nach Nr. 3.12 (S. 37) der VG sind Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen (spino-) zerebraler Ursache je nach dem Ausmaß der Störung der Ziel- und Feinmotorik einschließlich der Schwierigkeiten beim Gehen und Stehen mit einem Einzel-GdB von 30 - 100 zu bewerten. Die Fachärztin für Neurologie Dr. F. hat in ihrer Stellungnahme gegenüber dem SG vom 14.8.2013 ausgeführt, dass beim Kläger neben einem deutlichen Tremor des Kopfes und einem Haltetremor der Hände keine weiteren Auffälligkeiten bestehen, weswegen eine weitergehende Berücksichtigung des beim Kläger bestehenden essentiellen Tremors als mit einem Einzel-GdB von 30 nicht möglich ist. Dies gilt insb. auch in Ansehung dessen, dass Dr. K. einen Ruhetremor ausdrücklich verneint hat, woraus ersichtlich wird, dass die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung nicht schwerwiegenderer Natur sind.
Die GdB-Bewertung der beim Kläger bestehenden Migräne-Erkrankung erfolgt nach Nr. 2.3. (S. 35) der VG je nach Häufigkeit und Dauer der Anfälle sowie der Ausprägung der Begleiterscheinungen. Eine leichte Verlaufsform (Anfälle durchschnittlich einmal monatlich) ist mit einem Einzel-GdB von 0 - 10, eine mittelgradige Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils ein oder mehrere Tage anhaltend) mit einem solchen von 20 - 40 und eine schwere Verlaufsform (lang andauernde Anfälle mit stark ausgeprägten Begleiterscheinungen, Anfallspausen von nur wenigen Tagen) mit einem Einzel-GdB von 50 - 60 zu bewerten. Vor dem Hintergrund, dass die Fachärztin für Neurologie Dr. K. in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Senat mitgeteilt hat, dass der Kläger im Februar 2014 an 5 Tagen und im März 2014 an 6 Tagen an Migräneanfällen gelitten habe, ist der Senat - entgegen der Einschätzung von Dr. I. und Dr. J. - davon überzeugt, dass beim Kläger eine mittelgradige Verlaufsform der Erkrankung vorliegt. Da indes keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Anfälle jeweils einen oder mehrere Tage anhalten, ist der GdB-Rahmen von 20 - 40 nicht auszuschöpfen. Die durch die Erkrankung bedingten Einschränkungen sind vielmehr mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten.
Die beim Kläger nach der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. H. bestehende Lumboischialgie ist in Ansehung der befundeten Wurzelreizsymptomatik, deren Intensität, deren Dauer und deren dokumentierter Ausstrahlung in das rechte Bein als mittelschwer zu graduieren und führt nach Nr. 18.9 (S. 107) der VG, da lediglich ein Wirbelsäulenabschnitt betroffen ist, zu einer Berücksichtigung mit einem Einzel-GdB von 20.
Da nach dem Inhalt des Arztbriefes von Dr. L. vom 28.11.2013 der Kläger anlässlich einer Belastungsergometrie-Untersuchung am 28.11.2013 bis zu 125 Watt belastbar war, ohne dass angina-pectoris-artige Beschwerden oder Ischämiezeichen aufgetreten sind, kann das beim Kläger bestehende permanente Vorhofflimmern nicht mit einem höheren Einzel-GdB als 20 berücksichtigt werden (vgl. Nr. 9.1. der VG [S. 63 ff.] der VG).
Die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks kann nicht mit einem höheren GdB als 10 bewertet werden, da die hierfür erforderlichen stärkeren Bewegungseinschränkungen (vgl. Nr. 18.14 [S. 117] der VG) nicht belegt sind.
In Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ist zur Überzeugung des Senats ein GdB von mehr als 40, wie klägerseits begehrt, nicht festzustellen. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist, bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft, der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berück¬sichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzu¬stellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind (vgl. Nr. 3 [S. 22 f.] Teil A der VG). Die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind zur Überzeugung des Senats weder gänzlich voneinander unabhängig, noch wirken sie sich besonders nachteilig aufeinander aus. Eine Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt vielmehr, dass diese mit funktionellen Einschränkungen, die bei dem Verlust eines Armes im Unterarm oder dem Verlust eines Beines im Unterschenkel auftreten, die jeweils einen GdB von 50 begründen, nicht vergleichbar sind.
Das SG hat mithin die Klage, soweit ein höherer GdB als 40 begehrt wird, zu Recht abgewiesen; die Berufung gegen das Urteil vom 19.2.2014 ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
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