L 5 R 1749/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 19 R 897/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 1749/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27.02.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1954 in K. geborene Klägerin lebt seit Mai 1973 in Deutschland. Sie war zunächst in verschiedenen ungelernten Berufen tätig; nach einer Umschulung zur Bürokauffrau von 1995 bis 1997 auf Kosten der Agentur für Arbeit war sie bis Oktober 2001 als kaufmännische Angestellte versicherungspflichtig beschäftigt. Danach war sie - abgesehen von einer 3-monatigen selbstständigen Tätigkeit als Kosmetikerin von September bis November 2005 - arbeitslos. Die Klägerin steht seit 01.01.2005 im Bezug von Leistungen nach dem SGB II.

Am 12.10.2010 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie teilte bei der Antragstellung mit, dass sie sich wegen einer starken Schädigung der Wirbelsäule, Schmerzen und Lähmung der linken Hand und im Brustbereich, fortgeschrittener Arthrose und Drehschwindel seit 2009 für erwerbsgemindert halte. Leichte Tätigkeiten wie z.B. Betreuung/Vorlesen könne sie nach ihrer Auffassung noch zwei Mal wöchentlich zwei Stunden lang ausüben. Sie gab weiter an, durch die Agentur für Arbeit F. am 02.08.2010 begutachtet worden zu sein.

Im - beigefügten - Gutachten der Agentur für Arbeit nach Aktenlage (Dr. Dr. D.; 02.08.2010) wird aufgeführt, dass bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen vorliegen: &61485; schmerzhafte Bewegungseinschränkungen in umschriebenen Abschnitten der Wirbelsäule mit daraus resultierender körperlicher Minderbelastbarkeit, &61485; krankheitswertige Befindlichkeitsstörungen in weiteren Körperregionen ohne direkten organischen Ursprung, &61485; gesundheitliche Vorbehalte gegenüber hohen geistig-seelischen Belastungen im Erwerbsleben. Als mögliches Leistungsbild wird eine vollschichtige (täglich sechs Stunden und mehr dauernde) leichte Tätigkeit angegeben. Die Körperhaltung könne gelegentlich stehend, überwiegend sitzend oder überwiegend gehend eingenommen werden. Auszuschließen seien Zwangshaltungen der Wirbelsäule, einseitige Körperhaltungen, häufiges Heben und Tragen ohne mechanische Hilfsmittel, häufiges Bücken und Hocken, häufige ungedämpfte Stoßbelastungen, Überkopfarbeiten und anhaltende Armvorhalte. Die einseitige oder kraftvolle Beanspruchung von Armen und Händen sei zu vermeiden; ebenso seien das häufige Steigen auf Treppen, Leitern und Gerüste und Tätigkeiten in der Höhe mit Absturzgefahr sowie extreme Witterungsbedingungen nicht mehr leidensgerecht. Höhere Anforderungen an Konzentration, Aufmerksamkeit, Flexibilität und Durchhaltevermögen sowie Nacht- und Akkordarbeit seien ebenfalls auszuschließen. Dr. Dr. D. führte weiter aus, dass die medizinische Versorgung der Klägerin in vielerlei Hinsicht verbesserungsbedürftig sei und zeitnah intensiviert werden sollte. Die seit nahezu neun Jahren bestehende Erwerbslatenz sei aus sozialmedizinischer Sicht "in keiner Weise nachvollziehbar, zumal die Kundin im Vorfeld immer einer Bürotätigkeit nachgegangen sei". Eine solche Tätigkeit wäre auch mit den offensichtlich seit Jahren bestehenden Gesundheitsstörungen mit gewissen Einschränkungen durchaus vereinbar gewesen.

Darüber hinaus legte die Klägerin den Bescheid des Landratsamts B.-H. Versorgungsamt vom 12.10.2009 vor, wonach ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 seit 08.05.2009 festgestellt wird.

Die Beklagte beauftragte Dr. N., Facharzt für Orthopädie, Sozialmedizin, Sportmedizin und Chirotherapie, mit der Erstattung eines ärztlichen Gutachtens. Nach Untersuchung der Klägerin am 18.11.2010 stellte dieser in seinem Gutachten vom 19.11.2010 die Diagnosen: &61485; HWS-Syndrom, &61485; BWS-Syndrom, &61485; LWS-Syndrom. Die Klägerin sei in orthopädischer und physiotherapeutischer Behandlung wegen wiederkehrender Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule, diese hätten 2009 zugenommen, vor allem bei Rumpfbewegungen und beim Vorneigen von Rumpf und Kopf sowie bei Heben und Tragen von Gegenständen. Zur Schmerzlinderung nehme die Klägerin ausschließlich Naturheilpräparate. Bei der klinischen Untersuchung finde sich eine mäßige Funktionseinschränkung der Lenden- und Halswirbelsäule. Außerdem bestünden Druckschmerzen im Bereich des Trapecius beidseits und paravertebral der Brust- und Lendenwirbelsäule. Hinweise für eine Wurzelreizsymptomatik fehlten an den oberen und unteren Extremitäten. Die Röntgenuntersuchung und die computertomografische Untersuchung zeigten vor allem degenerative Veränderungen, welche die Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule erklärten. Radiologische Befunde der Brust- und Lendenwirbelsäule seien nicht vorhanden. Dieser Untersuchungsbefund reiche nicht aus, um eine wesentliche Leistungseinschränkung zu begründen. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bürokauffrau könne die Klägerin weiterhin vollschichtig ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien unter Berücksichtigung der zervikalen und thorakalen Beschwerden leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen, vollschichtig möglich. Vermieden werden müssten die regelmäßige Einnahme von Zwangshaltungen, das regelmäßige Bücken, ebenso regelmäßige Überkopfarbeiten und Tätigkeiten in Nässe, Kälte und Zug. Die Klägerin könne sowohl der Tätigkeit als Bürokauffrau sechs Stunden und mehr pro Arbeitstag nachgehen als auch einer Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts, die den qualitativen Anforderungen genüge. Leistungen zur Besserung einer erheblich gefährdeten oder geminderten Leistungsfähigkeit würden nicht vorgeschlagen.

Mit Bescheid vom 06.12.2010 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Die medizinischen Voraussetzungen seien unter Berücksichtigung der erfolgten Ermittlungen nicht erfüllt. Die Einschränkungen, die sich aus den degenerativen Veränderungen der BWS und LWS und der fortgeschrittenen Osteochondrose der HWS ergeben würden, führten nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Die Klägerin könne in ihrem bisherigen Beruf als kaufmännische Angestellte mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Deshalb sei sie auch nicht berufsunfähig.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 16.12.2010, den der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 07.07.2011 begründete. Die Klägerin sei seit zwei Jahren krankgeschrieben. Sie leide ausweislich des CT-Untersuchungsbefundes vom 29.04.2009 unter einer Stenose C 5/6 mit Wurzelkompression C 6/7. Dieses Krankheitsbild führe zu starken Schmerzzuständen. Gerade das Nach-unten-Sehen, das mit der beruflichen Tätigkeit zwingend verbunden wäre, führe zu Schmerz- und Schwindelzuständen.

Die Klägerin wurde daraufhin um Vorlage von aktuellen Befundberichten ihres Hausarztes und ihres Orthopäden gebeten. Der behandelnde Hausarzt Dr. F. gab in seinem Befundbericht vom 02.09.2011 an, dass die Klägerin sich regelmäßig in seiner Behandlung befinde. Sie sei zur Zeit wegen eines HWS-Syndroms arbeitsunfähig. In den letzten zwölf Monaten habe sich keine Befundänderung ergeben. Unter Funktionseinschränkungen gab er an: "Schweres Heben oder Tragen nicht möglich, Überkopf nicht möglich". Unter Therapie teilte der Hausarzt mit: "Cervikalstütze, Gymnastik, Wärme, Fango, Massage, Ibuprofen, Opipramol". Vorgelegt wurde weiter der Befundbericht des L.-Krankenhauses F., Dr. H., vom 18.06.2009. Der Klägerin sei danach zu einer Infiltration der kleinen Facettengelenke geraten worden. Eine ventrale Fusion sei diskutiert worden. Die Klägerin werde sich bei Bedarf mit der Wirbelsäulenchirurgie in Verbindung setzen. Bei der Neurologin Dr. G. befand sich die Klägerin wegen eines "benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel" in Behandlung. Im - beigefügten - Arztbrief vom 19.03.2009 teilte Dr. G. mit, dass der neurologische Befund unauffällig sei. Die komplizierten Koordinationsprüfungen seien regelrecht durchgeführt worden. Bei der Lagerung nach Brandt und Daroff habe die Klägerin Drehschwindel beim Aufrichten von rechts angegeben. Kein Nystagmus. Unter Therapie wurde angegeben, dass der Patientin im Hinblick auf den klassischen benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel "Befreiungsmanöver" beigebracht worden seien. Einen Befundbericht des Dr. H. (Orthopäde) reichte die Klägerin nicht ein, weil sie sich dort seit zweieinhalb Jahren nicht mehr in Behandlung befunden habe.

Die Beklagte veranlasste daraufhin die neurologisch-psychiatrische Untersuchung durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H.-K. am 05.10.2011. Die Gutachterin führte in ihrem Gutachten vom 06.10.2011 die Diagnosen &61485; Spannungskopfschmerzen (G 44.2) und &61485; Anpassungsstörung (F 43.2) auf. Die Klägerin sei in gutem Allgemeinzustand. Bei der Prüfung der Sensibilität seien keine neurologischen Ausfälle festzustellen. Die Klägerin wirke freundlich, affektiv schwingungsfähig und nicht schwer depressiv. Sie habe lediglich kurz geweint, als sie über den Besuch bei ihrem Bruder in K. erzählt habe. Die Klägerin fühle sich in K. besser aufgehoben und nicht so "ausgegrenzt" wie in Deutschland. In Deutschland fühle sich die Klägerin "aussortiert". Ihr formales und inhaltliches Denken sei nicht gestört. Kognitive Leistungsstörungen seien nicht zu beobachten. Die Klägerin habe über ihre Freizeitaktivitäten, nämlich Laufen und Yoga sowie ihre Kreativität, berichtet. Sie habe angegeben, dass sie leichte Tätigkeiten machen könne, sich aber am besten zu fühlen, wenn sie keinen Stress habe und sich in der freien Natur befinde. Die Klägerin habe im Hinblick auf die orthopädischen Beschwerden der HWS nur CT-Aufnahmen anfertigen lassen, sodass nur die knöchernen Strukturen beurteilt werden könnten. Weitere diagnostische Maßnahmen habe sie abgelehnt. Auf psychiatrischem Gebiet könnten keine Krankheiten festgestellt werden, die eine Erwerbsminderung bedingten. Die geklagte Müdigkeit und die verminderte Belastbarkeit sei durch eine ergänzende Pharmakotherapie kurzfristig und gut behandelbar. Die Klägerin lehne die schulmedizinischen Maßnahmen jedoch ab. Bei adäquater Willensanstrengung und Bereitschaft zur Behandlung, die ihr zuzumuten sei, sei auf neuropsychiatrischem Gebiet mit einer raschen Besserung des Allgemeinbefindens zu rechnen. Sowohl die früheren Tätigkeiten als auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin sechs Stunden und mehr pro Arbeitstag ausüben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der vom behandelnden Hausarzt eingeholte Befundbericht sowie das neurologisch-psychiatrische Fachgutachten hätten keine weiteren Einschränkungen des festgestellten Leistungsvermögens ergeben. Die therapeutischen Möglichkeiten seien auch nicht ausgeschöpft. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids ist angegeben, dass beim Sozialgericht Fulda Klage erhoben werden könne.

Der Klägerbevollmächtigte erhob am 27.12.2011 Klage zum Sozialgericht Fulda, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 02.02.2012 an das örtlich zuständige Sozialgericht Freiburg (SG) verwies.

Am 19.03.2012 legte die Klägerin die Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht vor. Hierin gab sie an, sich bei Dr. F. in Behandlung zu befinden. Weiter gab sie an, sich zuletzt im April 2009 bei dem Orthopäden Dr. Sch., am 17.06.2009 im L.-Krankenhaus, Wirbelsäulenchirurgie, sowie vor Jahren (2009) bei Dr. G. wegen Drehschwindels in Behandlung befunden zu haben. Eine Klagebegründung erfolgte im Übrigen nicht.

Mit Verfügung vom 02.07.2012 teilte das Gericht mit, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt sei. Die Klägerin werde nach § 106 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgefordert, bis 20.08.2012 die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sie sich beschwert fühle. Eine weitere Äußerung der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten ist hierauf nicht mehr erfolgt.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.02.2014 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass die Klägerin im Verwaltungsverfahren in erster Linie verschiedene Beeinträchtigungen orthopädischer sowie neurologischer Genese geltend gemacht habe. Diese Beeinträchtigungen bedingten für sich betrachtet und auch zusammengenommen zwar qualitative, nicht aber quantitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Dr. N. komme in seinem orthopädischen Gutachten vom 19.11.2010 überzeugend zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch einer mindestens sechsstündigen täglichen Arbeitstätigkeit nachgehen könne. Dr. N. habe lediglich eine mäßige Funktionseinschränkung der Lenden- und Halswirbelsäule sowie Druckschmerzen im Bereich des Trapecius beidseits und paravertebral der Brust- und Lendenwirbelsäule mit fehlenden Hinweisen für eine Wurzelreizsymptomatik feststellen können. Damit bestehe auch für das Gericht kein Zweifel, dass orthopädischerseits zumindest körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich auszuüben seien. Dr. N. habe im Rahmen seiner Begutachtung auch den CT-Befund vom 29.04.2009 berücksichtigt. Auch Dr. H.-K. komme in ihrem neurologisch-psychiatrischem Gutachten vom 06.10.2011 überzeugend, schlüssig und nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne. Rentenrechtlich relevante Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit seien nicht gegeben. Die Klägerin habe bei ihrer Untersuchung Hobbies wie Laufen, Meditation und Yoga angegeben. Die Gutachterin habe auch weder neurologisch noch psychiatrisch bedingte, gravierende Erkrankungen der Klägerin feststellen können. Dies stehe im Einklang mit dem Gutachten nach Aktenlage für die Bundesagentur für Arbeit vom 02.08.2010 durch Dr. Dr. D ... Die Klägerin befinde sich überdies ausweislich der übereinstimmenden Angaben im Rahmen beider Begutachtungen im Verwaltungsverfahren in keinerlei fachärztlicher Behandlung mehr. Die Klägerin könne ihren bisherigen Beruf als Bürokauffrau noch verrichten, sodass auch eine Berufsunfähigkeit nicht vorliege.

Am 08.04.2014 hat die Klägerin beim SG Berufung gegen den ihrem Bevollmächtigten am 08.03.2014 zugestellten Gerichtsbescheid eingelegt. Diese wurde am 17.04.2014 dem Landessozialgericht Baden-Württemberg vorgelegt.

Am 05.12.2014 hat der Klägerbevollmächtigte zur Begründung der Berufung im Wesentlichen mitgeteilt, es sei zu bemängeln, dass im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keine Arztatteste eingeholt worden seien. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin seien auch nicht richtig eingestuft worden. Mit Schreiben vom 22.12.2014 hat der Klägerbevollmächtigte die Auffassung vertieft, dass das SG zum Gesundheitszustand der Klägerin hätte Beweis erheben müssen. Der orthopädische Gutachter Dr. N. habe die Klägerin nicht richtig körperlich untersucht, sondern sich nur auf ältere Arztbriefe gestützt. Diagnosen im Arztbrief des Hausarztes Dr. F. vom 02.11.2011 seien unberücksichtigt geblieben. Dr. F. habe die Klägerin länger als sechs Monate arbeitsunfähig krankgeschrieben. Das erstinstanzliche Gericht habe sich auch nicht damit auseinandergesetzt, dass 2010 der behandelnde Orthopäde schon eine deutliche Beschwerdezunahme festgestellt habe. Zumindest nunmehr sei die Klägerin aufgrund zunehmender Schmerzen nicht mehr arbeitsfähig.

Mit Schreiben vom 10.03.2015 hat der Klägerbevollmächtigte auf die gerichtliche Anfrage, bei welchen Fachärzten sich die Klägerin in Behandlung befinde, mitgeteilt, dass der einzige behandelnde Arzt weiterhin Hausarzt Dr. F. sei.

Hierauf wurde dem Bevollmächtigten mitgeteilt, dass angesichts dessen eine Begutachtung im Berufungsverfahren nicht stattfinden werde. Zugleich wurde angeregt, eine Rücknahme der Berufung zu erwägen. Der Klägerbevollmächtigte hat sich daraufhin unter Beifügung von Arztbriefen aus den Jahren 2000 und 2009 und einer ärztlichen Bescheinigung des Dr. F. vom 23.07.2015, in der ohne weitere Erläuterung die Erkrankungen der Klägerin wegen derer sie sich in Behandlung befinde, aufgezählt sind, dahingehend geäußert, dass ursächlich für die alleinige Behandlung bei Dr. F. sei, dass die anderen Ärzte der Klägerin nicht mehr helfen könnten.

Die Klägerin beantragt sachdienlich,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27.02.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung und weiter hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit seit 01.10.2010 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. An der Schlüssigkeit der Gutachten im Rentenverfahren bestünden keine Zweifel. Es habe im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens keinerlei fachärztliche Behandlung bzw. fachärztliche Medikation der Klägerin stattgefunden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft. Die Berufung ist auch sonst gemäß § 151 SGG zulässig.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27.02.2014 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung und auch nicht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch (SGB) VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 12 RV Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll- bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden und den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Klägerin kann zur Überzeugung des Senats leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten, weshalb eine Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das SG hat in seinem Gerichtsbescheid vom 27.02.2014 zutreffend dargelegt, weshalb der Klägerin nach dem genannten Maßstab Rente nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend führt der Senat aus, dass auch er der Überzeugung ist, dass in orthopädischer Hinsicht rentenberechtigende Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht vorliegen. Der Senat stützt sich insoweit auf das Verwaltungsgutachten des Orthopäden Dr. N., welches der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat. Neben der persönlichen Untersuchung hat der Gutachter auch die Unterlagen über die sporadische Behandlung der Klägerin bei Dr. Sch., den MRT-Befund sowie den Bericht des L.-Krankenhauses vom 17.06.2009 berücksichtigt. Danach besteht bei der Klägerin ein HWS-, BWS- und LWS-Syndrom. Dieses bedingt eine unwesentliche Funktionseinschränkung der Lenden- und Halswirbelsäule. Außerdem bestehen Druckschmerzen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule. Eine Wurzelreizsymptomatik fehlt an den oberen und unteren Extremitäten. Der Gutachter kommt daher zu der nachvollziehbaren und schlüssigen Einschätzung, dass die genannten Erkrankungen nur qualitative Leistungseinschränkungen bedingen. Nicht zumutbar ist danach eine regelmäßige Einnahme von Zwangshaltungen, ein regelmäßiges Bücken, eine regelmäßige Überkopfarbeit sowie Tätigkeiten in Nässe, Kälte und Zug. Es besteht ein positives Leistungsbild für leichte Tätigkeiten zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen und überwiegend im Sitzen.

Dieses Leistungsbild stimmt dabei auch mit dem Befundbericht des behandelnden Hausarztes der Klägerin, Dr. F., vom 02.09.2011 überein. Auch dieser hat Funktionseinschränkungen nur bezüglich Heben, Tragen und Überkopfarbeit formuliert. Dessen Auskunft vermag daher eine zeitliche Leistungseinschränkung aus orthopädischer Sicht ebenfalls nicht zu begründen.

Gegen eine quantitative Leistungseinschränkung spricht zudem, dass eine fachärztliche orthopädische Behandlung der Klägerin seit Jahren nicht stattfindet. Die Beschwerden der Klägerin wurden ausweislich der vorgelegten Arztbriefe mit Gymnastik bzw. Bewegungsbädern behandelt. Bei der Begutachtung durch Dr. H.-K. gab die Klägerin im Übrigen an, außer Glucosamin keine Medikamente einzunehmen. Hiervon abgesehen sprechen auch ihre Hobbies "Laufen" und "Yoga" gegen eine gravierende orthopädische Schädigung.

Erkrankungen des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets vermögen ebenfalls keine Erwerbsminderung zu begründen. Als Diagnosen sind insoweit lediglich "Spannungskopfschmerzen" und eine "Anpassungsstörung" zu berücksichtigen. Dies stützt der Senat auf das Verwaltungsgutachten der Dr. H.-K ... Diese Erkrankungen bedingen ebenfalls keine quantitative Leistungseinschränkung. Die Senat folgt insoweit dem auch diesbezüglich nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten von Dr. H.-K ... Danach war die Klägerin nicht depressiv und ihre Konzentration nicht eingeschränkt. Vielmehr berichtete die Klägerin über sportliche Aktivitäten in Form von Laufen und Yoga. Zutreffend hat die Gutachterin darauf hingewiesen, dass diese Aktivität im Alltag gegen eine gravierende Leistungseinschränkung aufgrund einer psychischen Erkrankung spricht. Des Weiteren setzt sich die Gutachterin damit auseinander, dass die Klägerin eine erfolgversprechende medikamentöse Therapie nicht wünscht, mit Hilfe einer solchen jedoch mit einer raschen Besserung zu rechnen sei. Die Annahme eines noch vollschichtigen Leistungsvermögens (sechs Stunden und mehr) aus neurologisch-psychiatrischer Sicht ist vor diesem Hintergrund plausibel. Qualitative Einschränkungen der Tätigkeit nennt die Gutachterin ebenfalls nicht. Eine Verschlimmerung des psychischen Leidens ist nicht explizit dargetan. Im Gegenteil, das Gutachten der Dr. H.-K., die keine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens feststellte, zeigte deutliche Besserungschancen bei adäquater und zumutbarer fachärztlicher Behandlung (Pharmakotherapie) auf.

Aus den beiden Gutachten des Verwaltungsverfahrens ergibt sich ein klares und eindeutiges Bild der (lediglich qualitativen) Leistungseinschränkungen. Zudem wird - auch im Gutachten des Dr. Dr. D. - auf ungenutzte Behandlungsoptionen verwiesen. Bei einer Gesamtbetrachtung sind dauerhafte gravierende Leistungseinschränkungen damit nicht ersichtlich. In der Zusammenschau der aus den Erkrankungen resultierenden qualitativen Leistungseinschränkungen ergibt sich keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liegt angesichts der sportlichen Aktivitäten der Klägerin ebenfalls fern (zu den Voraussetzungen: BSG Urt. v. 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, v. 19.11.1997, 5 RJ 16/97 u. v. 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R, alle in juris).

Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen nicht auf. Die das Erwerbsleben der Klägerin beeinträchtigenden orthopädischen Erkrankungen sind im Verwaltungsverfahren vollumfänglich durch eine Begutachtung und Beiziehung von Befundunterlagen ermittelt. Auch hinsichtlich der angegebenen psychischen Leiden der Klägerin fand eine Begutachtung statt. Angesichts der Tatsache, dass allein der Hausarzt Dr. F. die Klägerin behandelt, ist auch nicht erkennbar, dass während des erstinstanzlichen Verfahrens oder des Berufungsverfahrens eine relevante gravierende Verschlimmerung des Gesundheitszustands der Klägerin bzw. eine Zunahme der Leistungseinschränkungen stattgefunden haben könnte. Das Vorbringen des Klägerbevollmächtigten im Berufungsverfahren zu einer Verschlechterung ihrer Erkrankung ist nicht durch Angabe einer entsprechenden Behandlung untermauert. Bei einer Verschlimmerung der orthopädischen Erkrankung wäre bei einem entsprechenden Leidensdruck, der zu Einschränkungen im Alltag führt, damit zu rechnen, dass zumindest eine Mitbehandlung durch einen Facharzt erfolgte. Dies ist nicht der Fall. Nachdem eine fachärztliche Behandlung seit Jahren nicht in Anspruch genommen wurde und bereits das Gutachten der Agentur für Arbeit (Dr. Dr. D.), aber auch der Befundbericht des L.-Krankenhauses (Dr. H.) Behandlungsoptionen benennt, es sich also nicht so verhält, dass die Fachärzte der Klägerin nicht helfen könnten, spricht auch bei einem denkbaren Fortschreiten der degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule nichts dafür, dass diese orthopädische Erkrankung der Klägerin zwischenzeitlich selbst bei einer adäquaten Behandlung eine überdauernde zeitliche Leistungsminderung bewirken könnte.

Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) kann die Kläger ebenfalls nicht beanspruchen. Sie ist weiterhin in der Lage, die zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit einer Bürokauffrau wahrzunehmen. Die Tätigkeit einer Bürokauffrau stellt eine überwiegend sitzende Tätigkeiten, ohne schweres Heben oder anderweitige Einschränkungen dar (Landessozialgericht Thüringen, Urt. v. 28.09.2010 - L 6 R 675/08 -, in juris) und stimmt damit mit dem zuvor dargestellten positiven und negativen Leistungsbild überein.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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