L 9 R 1136/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 4335/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1136/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1966 geborene Kläger war nach einer abgeschlossenen Ausbildung zum Gärtner überwiegend als angelernter LKW-Fahrer und zuletzt als Lagerarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Februar 2008 ist er arbeitsunfähig erkrankt; seit Juli 2008 ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt.

Ein erster Rentenantrag des Klägers vom 08.10.2008 wurde durch die Beklagte mit Bescheid vom 22.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2009 nach Einholung eines Gutachtens bei der Ärztin für Psychiatrie Dr. H. abgelehnt. Die zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage (S 16 R 1738/09) wurde gestützt auf das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. vom 31.03.2011 mit Urteil vom 19.10.2011 abgewiesen, die hiergegen eingelegte Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 9 R 5536/11) zurückgenommen.

Am 01.03.2013 stellte der Kläger bei der Beklagten erneut einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, den er mit einer Bandscheibenvorwölbung, Hüftarthrose, einem verkürzten linken Bein, einer Wirbelsäulenkrümmung, Depressionen, Kopfschmerzen, einem Burn-Out-Syndrom, trockenen Augen und einer Hauterkrankung begründete. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch die Fachärztin für Arbeitsmedizin, Umweltmedizin Dr. R., die in ihrem Gutachten vom 19.06.2013 folgende Diagnosen mitteilte: 1. kombinierte Persönlichkeitsstörung mit abhängigen, ängstlich vermeidenden, zwanghaften Zügen, 2. rezidivierende depressive Symptomatik, zur Zeit remittiert, 3. leichte Funktionsstörung linkes Knie bei leichtgradiger Gonarthrose links und Zustand nach Kniebinnenverletzung mit Kreuzbandbeteiligung, 4. anamnestisch Hüftgelenksbeschwerden links mehr als rechts ohne wesentliche Funktionsstörung bei sonographischen Hinweisen auf leichtgradige Coxarthrose, 5. anamnestisch chronische Rückenschmerzen ohne Wurzelreizsymptomatik, ohne wesentliche Funktionsstörung. Nach ihrer Einschätzung könne der Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes weiterhin vollschichtig verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit, Stressbelastbarkeit und soziale Kompetenz sowie Tätigkeiten mit ständigem Gehen und Stehen, Absturzgefahr oder mit langdauernder kniender oder hockender Position und längerer Wirbelsäulenzwangshaltung.

Mit Bescheid vom 24.06.2013 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die Einschränkungen, die sich aus den bei dem Kläger vorliegenden Krankheiten oder Behinderungen ergäben, nicht zu einem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung führten. Der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Zur Begründung seines hiergegen am 26.07.2013 eingelegten Widerspruchs verwies der Kläger auf die Funktionsstörungen im Bereich des linken Knies und die rezidivierende depressive Symptomatik, die nicht remittiert sei. Die Beklagte veranlasste sodann eine Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B., der in seinem Gutachten vom 10.09.2013 ausführte, der Kläger leide auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit möglicherweise mit hineinspielender, ins Erwachsenenalter überdauernder Hyperaktivitätskomponente, einer deutlichen Neigung zu funktioneller Beschwerdeausweitung/Überlagerung und Spannungskopfschmerz. Überdauernde quantitative Leistungseinschränkungen ließen sich neurologisch-psychiatrisch bei dem Kläger nicht herleiten. Tätigkeiten mit regelmäßigem Zeitdruck, unter ständiger nervöser Anspannung, Tätigkeiten mit einem "unübersichtlichen" Arbeitsablauf sowie mit überdurchschnittlich fordernden sozialen Interaktionen oder auch anderen "Stressfaktoren" wie Nacht- oder Wechselschicht seien auszuschließen; leichte bis mittelschwere Tätigkeiten seien vollschichtig möglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 12.12.2013 Klage beim SG erhoben und zu deren Begründung vorgetragen, er sei zur Zeit nicht in der Lage, irgendeiner Arbeit nachzugehen. Er leide u. a. unter starken Depressionen, fast ständigen Kopfschmerzen, Sodbrennen, Schmerzen am Rücken, an beiden Hüften und am linken Knie. Er könne sich nicht konzentrieren und sei vergesslich.

Das SG hat im Rahmen der Beweisaufnahme die Fachärztin für Allgemeinmedizin H., den Orthopäden Dr. M., den Internisten Dr. S. sowie den Arzt für Psychiatrie S. schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen und den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Wegen der Aussagen der behandelnden Ärzte wird auf Blatt 19/24, 25/27, 28/31 und 37/38 der SG-Akte Bezug genommen. Dr. E. hat in seinem Gutachten vom 10.12.2014 angegeben, der Kläger leide unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Neigung zu rezidivierenden depressiven Verstimmungen sowie degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit chronischen Rückenschmerzen, beidseitigen Coxarthrosen und Gonarthrose links. Infolge seiner körperlichen und psychischen Defizite sei er nicht mehr in der Lage, ohne Gesundheitsgefährdung seine früher ausgeübten Berufe regelmäßig drei Stunden täglich auszuüben. Eine leichte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes könne er ohne Gefährdung seiner Gesundheit mit Leistungseinschränkungen (nicht unter Stress, kein Heben, Bewegen oder Tragen von Lasten über 5 kg, keine Zwangshaltungen, keine Anforderungen an Konzentration und soziale Kompetenz und keine Nachtschicht) mindestens sechs Stunden täglich ausüben.

Mit Urteil vom 24.02.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die - näher dargelegten - Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Insoweit schließe sich die Kammer der Leistungsbeurteilung durch Dr. E. an. Der Gutachter habe sich ausführlich mit der Lebens- und Leidensgeschichte des Klägers auseinandergesetzt und die bestehenden Gesundheitsstörungen entsprechend gewürdigt. Für die Kammer ergäben sich keine Anhaltspunkte, von dieser Beurteilung abzuweichen. Insbesondere bestehe Übereinstimmung mit den bereits im Rentenverfahren bei Dr. H. und Dr. B. auf nervenärztlichem Fachgebiet eingeholten Gutachten. Die sachverständigen Zeugenauskünfte führten ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung. Der Orthopäde Dr. M. habe auf seinem Fachgebiet ein über sechsstündiges Leistungsvermögen des Klägers bestätigt. Der Arzt für Psychiatrie S. habe dieses zwar aufgrund des sehr hohen Grades an Desorganisation bei den Diagnosen Depression mit zwanghaften-psychotischen Anteilen, psychotraumatische Belastungen, generalisierte Angststörung und Verdacht auf Hortungssyndrom verneint. Es sei aber zu beachten, dass die Neigung zu depressiven Verstimmungen neben den generalisierten Kopfschmerzen und dem mangelnden Konzentrations- und Durchhaltevermögen schon lebenslang bestünde und der Kläger damit auch viele Jahre gearbeitet habe. Neurologische Normabweichungen und schwerwiegende psychische Störungen seien durch Dr. E. in seinem Gutachten nicht festgestellt worden, sodass der Ansicht des Psychiaters S. nicht gefolgt werden könne.

Gegen das ihm am 03.03.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.03.2015 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, zur Zeit bestünden sehr starke Rückenschmerzen mit dem Erfordernis einer ärztlichen Behandlung bei Dr. S. und Dr. M. Des Weiteren leide er unter starken Depressionen, finde aber entweder aufgrund sehr langer Wartezeiten oder fehlender Patientenannahme keinen Psychiater. Er leide außerdem unter Platzangst und fahre deswegen keine öffentlichen Verkehrsmittel. Die tägliche Hin- und Rückfahrt zu einem Arbeitsplatz wäre eine sehr große Herausforderung. Er müsse dann jeden Tag mit dem Taxi abgeholt und wieder nach Hause gebracht werden. Ein Sammeltaxi mit anderen Menschen komme nicht in Betracht. Er könne sich auch sehr schlecht konzentrieren. Er sei nicht in der Lage, zu arbeiten, auch wenn die Arbeit noch so leicht wäre und unter zwei Stunden täglich.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Februar 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2013 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Klageverfahren.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat der Senat den behandelnden Orthopäden des Klägers Dr. M. schriftlich als Zeugen vernommen. Dieser hat unter dem 01.09.2015 angegeben, den Kläger letztmalig am 17.04.2015 ambulant behandelt zu haben. Anhand der von ihm erhobenen Befunde sei eine Erwerbsminderungsrente aus orthopädischer Sicht nicht zu begründen.

Mit Schreiben vom 09.09.2015 sind die Beteiligten auf die beabsichtigte Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden; ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG vom 24.02.2015 sowie der angefochtene Bescheid vom 24.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2013 sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 09.09.2015 hat die Berichterstatterin des Senats die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung - § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil der Kläger noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat ein Absinken der beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, was zumindest zu einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes führen würde (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Juni 2014, § 43 SGB VI Rdnr. 58 und 30 ff.), nicht feststellen konnte. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund der Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. R. vom 19.06.2013 und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B., die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, der sachverständigen Zeugenaussagen des Orthopäden Dr. M. vom 24.02.2014 und vom 01.09.2015 sowie des Internisten Dr. S. vom 24.03.2014 und des Sachverständigengutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. vom 10.12.2014.

Durch die eingeholten Gutachten ist die Einschätzung des Arztes für Psychiatrie S. in seiner Stellungnahme vom 30.05.2014, der auch leichte Tätigkeiten nur noch unter sechs Stunden täglich für möglich hielt, widerlegt. Im Übrigen steht bei den behandelnden Ärzten die Behandlung des Patienten im Vordergrund und nicht die kritische Auseinandersetzung mit dem Leistungsvermögen.

Durch die im Berufungsverfahren eingeholte Aussage des Dr. M. hat sich keine wesentliche Änderung des Sachverhalts ergeben. Vielmehr bestätigt der behandelnde Orthopäde, dass von orthopädischer Seite eine Erwerbsminderung derzeit nicht zu begründen ist und von einer Verschlechterung auf keinen Fall ausgegangen werden kann. Dies wird auch durch die - fehlende - Behandlungsintensität - der Kläger hat sich seit Februar 2014 lediglich einmalig am 17.04.2015 in die Behandlung von Dr. M. begeben - bestätigt. Der Senat vermochte sich unter Berücksichtigung der vorliegenden orthopädischen Befunde auch nicht von einer bereits eingetretenen zeitlichen Leistungsminderung auf weniger als sechs Stunden gerade auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu überzeugen. In der klinischen Untersuchung durch Dr. M. fand sich am 17.04.2015 ein Druckschmerz L5/S1 linksseitig ohne Ausstrahlung; am Hüftgelenk wurde die Rotation als schmerzhaft angegeben. Sowohl anhand der aktuellen als auch der Befunde von 2014 und 2015 sind nur (gering ausgeprägte) Restbeschwerden bzw. 2014 auch eine Vorstellung mit quasi Beschwerdefreiheit dokumentiert. Durch den Kläger wurden nur anamnestisch jeweils starke Beschwerden mitgeteilt, die zum Untersuchungszeitpunkt jeweils nicht mehr bestanden. Gegen die durch den Kläger selbst angegebene Schmerzintensität spricht, dass nach den Angaben von Dr. M. die vorhandenen Hilfsmittel (Lumbalorthese, Kniegelenksbandage) nur sporadisch genutzt sowie die empfohlene Therapie (Hyaluronsäureinjektion, LWS-Extension, Neuraltherapie, Elektrotherapie) nicht wahrgenommen wurden. Die Einschätzung von Dr. M., wonach bei beginnender Coxarthrose und Gonarthrose sowie mäßigen degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule eine Tätigkeit mit dauerhaftem Stehen und Gehen sowie Arbeiten auf unebenem Grund nicht angemessen sind, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit wechselnder Körperhaltung aber vollschichtig durchgeführt werden können, ist für den Senat daher nachvollziehbar und überzeugend. Eine auch zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens resultiert aus den orthopädischen Erkrankungen nicht.

Hinsichtlich der Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet stützt sich der Senat, nachdem mangels laufender psychiatrischer Behandlung keine aktuellen Befunde und damit auch keine Verschlechterung dokumentiert werden konnten, auch weiterhin auf das Gutachten von Dr. E. Der Kläger leidet danach unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Neigung zu rezidivierenden depressiven Verstimmungen. Diese Diagnosen leitet der Gutachter schlüssig und nachvollziehbar aus den von ihm erhobenen Befunden ab. Der Kläger war danach im Rahmen der Begutachtung voll orientiert, freundlich zugewandt und kooperativ. Er zeigte eine normothyme Stimmungslage mit kaum zu bremsendem Redefluss (Logorrhoe) bei leicht assoziativ gelockertem Denken. Der Kläger war nervös und ein wenig unkonzentriert bei freundlich-infantilem Verhalten, aber doch geduldig und ausreichend selbstkritisch. Die kognitiven Leistungen waren bei bereits ursprünglich grenzwertiger bis leicht unterdurchschnittlicher Intelligenz leicht vermindert, insbesondere im Hinblick auf Informationsverarbeitung, Flexibilität und Umstellungsfähigkeit. Inhaltlich war das Denken etwas infantil und unreflektiert, formal etwas gelockert durch den assoziativen Redefluss. Weder aktuell noch in der Langzeitanamnese ergaben sich Hinweise auf eine zusätzliche psychotische Störung. Da neurologische Normabweichungen (keine Paresen, keine Reflex- oder Sensibilitätsstörungen, keine Ataxie) und schwerwiegende psychische Störungen bei der Untersuchung nicht feststellbar waren, kommt Dr. E. überzeugend zu der Einschätzung, dass dem Kläger leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden täglich möglich sind. Befunde, die eine andere Beurteilung des Leistungsvermögens zuließen, ergeben sich auch nicht aus der sachverständigen Zeugenaussage des Psychiaters S., so dass die von ihm angenommene zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens auf unter drei Stunden nicht nachvollziehbar ist.

Die aufgrund der orthopädischen und psychiatrischen Gesundheitsstörungen zu berücksichtigenden qualitativen Einschränkungen (Tragen, Heben und Bewegen von Lasten über 5 kg, häufiges Bücken, Knien, länger dauernde Zwangshaltungen, Zeitdruck und stärkere Anforderungen an Konzentrationsvermögen und Stresstoleranz) sind durch das Erfordernis einer leichten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erfasst und führen nicht zu einer darüber hinaus gehenden schweren spezifischen Leistungseinschränkung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen.

Zweifel an der Wegefähigkeit des Klägers bestehen für den Senat nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (BSG, Urteile vom 09.08.2001 – B 10 LW 18/00 RSozR 3-5864 § 13 Nr. 2 m. w. N. und vom 28.08.2002 – B 5 RJ 12/02 R – Juris). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (BSG, Urteile vom 17.12.1991 – 13/5 RJ 73/90SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10, vom 09.08.2001 – B 10 LW 18/00 RSozR 3-5864 § 13 Nr. 2 und vom 14.03.2002 – B 13 RJ 25/01 R – Juris); das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, viermal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß bewältigen und zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG, Urteile vom 17.12.1991 – 13/5 RJ 73/90SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10, vom 19.11.1997 – 5 RJ 16/97SozR 3-2600 § 44 Nr. 10 und vom 30.01.2002 – B 5 RJ 36/01 R – Juris). Dazu gehört auch die zumutbare Benutzung eines vorhandenen, ggf. im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 16 SGB VI, § 33 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX)) subventionierten Kraftfahrzeugs (vgl. BSG, Urteile vom 19.11.1997 – 5 RJ 16/97SozR 3-2600 § 44 Nr. 10, vom 30.01.2002 – B 5 RJ 36/01 R und vom 14.03.2002 – B 13 RJ 25/01 R – Juris). Gesundheitsstörungen, die eine Einschränkung der Wegefähigkeit in rentenrelevantem Ausmaß begründen würden, liegen bei dem Kläger nicht vor. Soweit der Kläger vorträgt, er sei auf die Benutzung von Krücken angewiesen, wird dies durch die Stellungnahme von Dr. M. nicht bestätigt; orthopädische Erkrankungen, die die Notwendigkeit der Benutzung von Gehhilfen erforderlich machten, bestehen nicht. Die durch Dr. M. mitgeteilte beginnende Coxarthrose sowie die Gonarthrose führen nicht zu einer Einschränkung der Wegefähigkeit. Auch die durch Dr. E. mitgeteilte therapieresistente psychogene Gehstörung mit sekundärem Krankheitsgewinn führt zu keiner Einschränkung der Wegefähigkeit. Dr. E. hat angegeben, der Kläger sei mit den Gehstützen durchaus in der Lage, vier Mal täglich eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern in jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und auch zwei Mal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Dieser Einschätzung folgt der Senat.

Nachdem der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren wurde, kommt ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI nicht in Betracht.

Das angefochtene Urteil des SG ist daher nicht zu beanstanden, weshalb die Berufung des Klägers zurückgewiesen werden musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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