L 5 KR 477/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 5010/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 477/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.01.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Nachdem der Kläger den Rechtsstreit teilweise für erledigt erklärt hat, streiten die Beteiligten noch um die Kostenerstattungspflicht der Beklagten für orthopädische Straßenschuhe aus der Rechnung der Firma Schuh O. vom 06.08.2013.

Der 1945 geborene Kläger leidet an Typ II Diabetes, diabetischem Fußsyndrom, Amputation von D4 und D5 des linken Fußes, Polyneuropathie, Hypertonie, Nadelphobie, chronischer Herzinsuffizienz und einer Sehbehinderung.

Im Jahr 2013 bat der Kläger die Beklagte um die Erstattung der Eigenbeteiligung an seinen orthopädischen Schuhen, was die Beklagte mit Bescheid vom 27.11.2013 ablehnte.

Am 15.01.2014 verordnete der Facharzt für Innere Medizin W. dem Kläger für die Zeit vom 01.02.2014 bis 31.01.2015 häusliche Krankenpflege in Form der täglichen Blutzuckermessung, Injektion, zweimal täglicher Medikamentengabe, dem Anziehen von Kompressionsstrümpfen sowie einmal wöchentlich eine dreimal tägliche Blutzuckermessung. Nachdem die Beklagte die verordnete häusliche Krankenpflege für Februar und März 2014 mit Bescheiden vom 26.02.2014 und 16.04.2014 übernommen hatte, bewilligte sie diese mit Bescheid vom 11.06.2014 auch für die Zeit vom 01.04.2014 bis 30.06.2014 und mit Ausnahme der Blutzuckermessung auch für die Zeit vom 01.07.2014 bis 31.01.2015. Die weitere Kostenübernahme für die verordnete wöchentliche Blutzuckermessung lehnte die Beklagte ab dem 01.07.2014 im Rahmen der häuslichen Krankenpflege ab. Gem. der häuslichen Krankenpflege-Richtlinien (HKP-Richtlinien) seien Blutzuckermessungen nur bei Erst- und Neueinstellungen eines Diabetes in der Regel bis zu vier Wochen oder zur Fortsetzung der intensivierten Insulintherapie verordnungsfähig. Vorliegend sei eine Insulinumstellung im August 2013 erfolgt. Aus den vorliegenden Blutzuckermessprotokollen gehe hervor, dass der Diabetes sehr gut eingestellt sei und keine Anpassung der Insulineinheiten mehr nötig sei. Aufgrund der langen Bearbeitungsdauer würden die Kosten für die verordneten wöchentlichen Blutzuckermessungen im Rahmen einer Einzelfallentscheidung letztmalig bis zum 30.06.2014 übernommen.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 18.06.2014 Widerspruch ein. Aufgrund seiner starken Sehschwäche könne er nicht mehr mit dem Auto zum Arzt fahren. Auch brauche er beim Laufen sowie bei Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine Begleitperson. Aufgrund der Nadelphobie und seiner Sehschwäche könne er den Blutzucker auch nicht selbst messen. Auch die Kosten für den notwendigen Hausbesuch der Firma O. habe ihm die Beklagte nicht erstattet.

Am 24.06.2014 ging bei der Beklagten der Antrag des Klägers vom 14.05.2014 auf Genehmigung häuslicher Krankenpflege für eine zweimal wöchentliche und einmal tägliche Blutzuckermessung für die Zeit vom 13.05.2014 bis 31.01.2015 entsprechend der dazu vorgelegten Verordnung des Internisten W. vom 13.05.2014 ein. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25.06.2014 erneut ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Häusliche Krankenpflege zur Blutzuckermessung könne nur bei einer Erst- und Neueinstellung eines Diabetes oder der Fortsetzung einer intensivierten Insulintherapie gewährt werden.

Hiergegen richtete sich die am 08.09.2014 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Die Kontrolle des Blutzuckers im Rahmen der häuslichen Krankenpflege sei aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers dringend nötig.

Mit Schriftsatz vom 21.11.2014 machte der Kläger darüber hinaus eine Entschädigung bzw. den Ersatz entstandener Unkosten im Zusammenhang mit der Verordnung orthopädischer Schuhe geltend. Die Firma G. habe einen orthopädischen Schuh ohne Sichtkontrolle und Fußabdruck mit einem zu kurzem Schließband geliefert, bei deren Benutzung eine Kippgefahr und damit die Gefahr eines Fußbruchs bestanden habe. Da die Firma G. das Hilfsmittel im Namen der Beklagten erbracht habe, sei der Beklagten dieses Fehlverhalten zuzurechnen. Insoweit legte der Kläger die von ihm beglichene Rechnung der Firma Schuh O. vom 06.08.2013 vor, wonach ihm für einen orthopädischen Straßenschuh ein Betrag von 76,00 EUR und für einen Hausbesuch ein Betrag von 22,58 EUR, damit insgesamt 98,58 EUR in Rechnung gestellt wurden.

Die Beklagte trat der Klage hinsichtlich der Blutzuckermessung entgegen. Eine sachliche Einlassung hinsichtlich der Klageerweiterung erfolgte nicht.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.01.2015 wies das SG die Klage ab. Die Klage sei bereits unzulässig. Soweit sich der Kläger mit seiner Klage gegen den Bescheid vom 11.06.2014 wende, habe die Beklagte nach Erlass des angefochtenen Bescheids auf den erneuten, am 24.06.2014 eingegangenen Antrag des Klägers, eine Leistungsgewährung für den streitigen Zeitraum durch Bescheid vom 25.06.2014 abgelehnt. Mit Erteilung dieses Bescheides habe sich der angefochtene Bescheid für die von dem neuen Bescheid erfasste Zeit nach § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) X erledigt (BSG, Urteil vom 11.02.2007, - B 8/9b SO 12/06 R -, juris). Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 21.11.2014 darüber hinaus eine Entschädigung bzw. den Ersatz entstandener Unkosten im Zusammenhang mit der Verordnung orthopädischer Schuhe begehre, stelle dies eine unzulässige Klageänderung nach § 99 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dar. Die Sachdienlichkeit der Einbeziehung des neuen, vom bisherigen Streitgegenstand völlig unabhängigen Sachverhalts sei nicht zu erkennen. Im Übrigen sei die Klageänderung auch insofern nicht sachdienlich, als für etwaige Schadenersatzansprüche der Zivilrechtsweg und nicht der Sozialrechtsweg gegeben sei (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.12.1996, - L 5 KA 2453/96 -, juris).

Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger mittels Postzustellungsurkunde am 29.01.2015 zugestellt.

Hiergegen richtet sich die am 11.02.2015 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Berufung. Zur Begründung trägt der Kläger vor, dass mehrere Klagebegehren durchaus gem. § 56 SGG in einer Klage zusammen verfolgt werden könnten, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richteten, im Zusammenhang stünden und dasselbe Gericht zuständig sei.

Im Erörterungstermin vor der früheren Berichterstatterin am 29.04.2015 und bestätigt im weiteren Erörterungstermin vor dem nunmehrigen Berichterstatter am 22.12.2015 hat der Kläger den Rechtsstreit hinsichtlich der Blutzuckermessung für erledigt erklärt.

Der Kläger beantragt - teilweise sachgerecht gefasst -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.01.2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten gemäß der Rechnung der Firma Schuh O. vom 06.08.2013 in Höhe von 98,58 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter am 22.12.2015 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nach der teilweisen Erledigungserklärung und der Antragstellung des Klägers nur noch die Frage der Kostenerstattung der Beklagten hinsichtlich der Rechnung der Firma Schuh O. vom 06.08.2013 in Höhe von 98,58 EUR.

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, sie ist auch statthaft. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750,00 EUR) war bei Berufungseinlegung überschritten. Nach § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Ermittlung des Berufungsstreitwerts die Einlegung der Berufung (Leitherer in: Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 144 Rdnr. 19 m. w. N.). Die teilweise Erledigungserklärung hat damit auf die Zulässigkeit der Berufung keine Auswirkungen. Da der Kläger im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung als Sachleistung bzw. im Rahmen der Kostenerstattung eine zumindest einmal wöchentliche dreimal tägliche Blutzuckermessung über sieben Monate (31 Wochen x 3 mal tägliche Messung à 9,15 EUR gemäß der Preisvereinbarung zum Rahmenvertrag nach § 132a Abs. 2 SGB V vom 01.10.2009 = 850,95 EUR) sowie darüber hinaus die Kostenerstattung gem. der Rechnung der Firma Schuh O. vom 06.08.2013 begehrte, war der Berufungsstreitwert von 750,00 EUR überschritten.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Zutreffend hat das SG die Klageerweiterung hinsichtlich des allein noch anhängigen streitigen Anspruchs als unzulässig abgewiesen.

Gem. § 99 Abs. 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Eine Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben (§ 99 Abs. 2 SGG). Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes

1. die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden, 2. der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. 3. statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird (§ 99 Abs. 2 SGG).

Mit der Erweiterung der Klage vor dem SG hinsichtlich der Rechnung der Firma Schuh O. vom 06.08.2013 liegt eine Klageänderung vor. Der Kläger hat nicht nur seine bisherigen tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt, den Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf eine Nebenforderung erweitert oder beschränkt oder wegen Veränderung des Sachverhalts eine andere Leistung verlangt. Vielmehr basiert der von ihm geltend gemachte Anspruch aus der Rechnung vom August 2013 auf einem völlig anders gelagerten Sachverhalt als die ursprünglich geltend gemachte Blutzuckermessung im Zeitraum ab 01.07.2014 bis 31.01.2015.

Liegt damit eine Klageänderung vor, hat vorliegend die Beklagte in diese weder ausdrücklich eingewilligt noch sich in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung in der Sache auf den geltend gemachten Anspruch eingelassen. Zwar haben die Beteiligten im Erörterungstermin vor der früheren Berichterstatterin im Rahmen eines Vergleichs die Möglichkeiten einer teilweisen Kostenübernahme erörtert. Da ein Vergleich jedoch über den Streitgegenstand hinaus gehen kann, ist allein in der Durchführung von Vergleichsverhandlungen noch keine sachdienliche Einlassung zu sehen. Im Übrigen hat aber auch der Beklagtenvertreter darauf hingewiesen, dass er zur Prüfung eines entsprechenden Anspruchs noch Unterlagen des Klägers benötige, weshalb ein Vergleich nicht zustande kam. Auch hierdurch wird deutlich, dass eine Einlassung in der Sache hinsichtlich der Klageerweiterung nicht erfolgt ist.

Fehlt es damit an einer Einwilligung der Beklagten, so hat das SG auch zutreffend die Sachdienlichkeit abgelehnt. Bei der Prüfung der Sachdienlichkeit soll das Gericht die Interessen der Beteiligten und die Prozessökonomie berücksichtigen. Eine Klageänderung ist sachdienlich, wenn sie dazu führt, dass Streit zwischen den Beteiligten in einem Verfahren beigelegt und endgültig bereinigt werden kann, sodass ein neuer Prozess vermieden wird. Nicht sachdienlich ist eine Klageänderung, wenn sie dazu führt, dass der Rechtsstreit auf völlig neue Grundlagen gestellt wird, wenn also z. B. der Prozess entscheidungsreif ist und durch die Änderung bisherige Ergebnisse nicht verwertet werden können oder über die geänderte Klage mangels Prozessvoraussetzungen sachlich nicht entschieden werden kann (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 99 Rdnr. 10a, m. w. N.).

Zutreffend hat das SG insoweit darauf hingewiesen, dass die zunächst geltend gemachte häusliche Krankenpflege für den Zeitraum 01.07.2014 bis 31.01.2015 und die Rechnung vom August 2013 auf völlig unterschiedlichen Sachverhalten basiert. Darüber hinaus fehlt es hinsichtlich der Klageerweiterung aber auch an den notwendigen Prozessvoraussetzungen.

Mit Bescheid vom 27.11.2013 hat die Beklagte dem Kläger mitgeteilt, dass die vorgelegte Rechnung und der Antrag auf Erstattung der Eigenbeteiligung an den orthopädischen Schuhen in Höhe nicht erfolgen könne. Da nicht ersichtlich ist, dass der Kläger hiergegen Widerspruch eingelegt hat, ist die Entscheidung der Beklagten hinsichtlich der Eigenbeteiligung vorliegend bestandkräftig geworden. Eine Klage wäre daher unzulässig. Nichts anderes ergibt sich, wenn man davon ausgehen würde, dass die genannte Entscheidung vom 27.11.2013 nach dem Wortlaut nur die Eigenbeteiligung und nicht auch die vom Kläger begehrten Kosten für den Hausbesuch umfasst. In diesem Fall läge zwar keine bestandskräftige Entscheidung diesbzgl. vor, es würde jedoch an einem entsprechenden Antrag und einer Verwaltungsentscheidung der Beklagten fehlen, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt die Klage auf Kostenerstattung aus der Rechnung vom 13.08.2013 unzulässig wäre. Sofern der Kläger im Übrigen eine isolierte Leistungsklage auf der Grundlage von Amtshaftungsansprüchen erhoben hätte, wäre hierfür der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Eine Teilverweisung kommt insoweit nicht in Betracht (vgl. Keller in: Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 51 Rdnr. 41).

Ist damit aber eine Klage auf Kostenerstattung aus der Rechnung vom 06.08.2013 unter allen Gesichtspunkt unzulässig, so hat das SG zutreffend die Sachdienlichkeit und damit die Voraussetzung der Klageerweiterung abgelehnt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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