Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 23 KR 4008/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3259/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.06.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung der Klägerin mit einem Rollstuhl in einer 10 – 15 km/h-Ausführung anstelle des bereits gewährten Elektrorollstuhls in 6 km/h-Ausführung streitig.
Die 1956 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einer Parese beider Beine und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Von der IKK classic Pflegekasse erhält sie seit dem 01.01.2015 Leistungen im Rahmen der Pflegestufe I (Pflegegeld iHv 244 EUR monatlich). Ergänzend erhält sie vom zuständigen Sozialhilfeträger Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII, monatlich 283,14 EUR, vgl Bl 67 Senatsakte).
Mit Kostenvoranschlag vom 29.04.2011 beantragte das Sanitätsgeschäft S., B., die Versorgung der Klägerin mit einem Elektrorollstuhl in 15 km/h-Ausführung im Austausch für den vorhandenen defekten Elektrorollstuhl. Der Kostenvoranschlag wurde mit der ärztlichen Verordnung des Allgemeinarztes Dr. B. vom 15.04.2011 begründet. Der bisherige Elek-trorollstuhl der Klägerin war im Dezember 1997 in 10 km/h-Ausführung genehmigt worden.
Am 16.05.2011 genehmigte die Beklagte einen Elektrorollstuhl in 6 km/h-Ausführung gegenüber dem Sanitätshaus iHv 4.761,50 EUR. Der Eigenanteil der Klägerin für die gewünschte schnellere Ausführung würde 998,96 EUR betragen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 01.06.2011 Widerspruch. In der Vergangenheit seien ihr schnellere Rollstühle verordnet und bewilligt worden. Sie könne alleine nirgendwo mehr hingehen, da der jetzige Rollstuhl zu langsam sei. Es sei zwar ein Auto in der Familie vorhanden, jedoch könne dieses nur vom Ehemann gefahren werden und dabei könne auch nur ein Schieberollstuhl mitgenommen werden. Mit dem Elektrorollstuhl könne sie keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und sich somit kaum einen gewissen Freiraum erschließen.
Mit einem förmlichen Bescheid vom 25.01.2012 lehnte die Beklagte eine Versorgung mit einem Elektrorollstuhl in 10 km/h- bzw 15 km/h-Ausführung ab (Bl 28 Verwaltungsakte).
Die Klägerin trug hierauf vor, dass die Züge der Deutschen Bundesbahn sowie die S-Bahnen auf der Verbindung S.-M. nicht barrierefrei seien, sie jedoch wegen der Wahrnehmung von Arztterminen mobil sein müsse. Ihr Augenarzt befinde sich in M., ihr Orthopäde in B.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2012 als unbegründet zurückgewiesen (Bl 58 Verwaltungsakte). Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der von den Krankenkassen geschuldete Basisausgleich auch das Grundbedürfnis des Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums umfasse. Dies sei indes durch die zur Verfügungstellung eines Rollstuhls in 6 km/h-Ausführung gewährleistet. Soweit die Klägerin geltend mache, sie müsse Ärzte in Nachbarorten besuchen, bestehe die Möglichkeit eines Krankentransports.
Hiergegen hat die Klägerin am 19.07.2012 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie müsse größere Strecken mit dem Rollstuhl zurücklegen, weshalb sie auf ein schnelleres Hilfsmittel angewiesen sei. Für die von der Beklagten vorgenommene Begrenzung gebe es keine sachliche Rechtfertigung.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründung des Widerspruchsbescheids Bezug genommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.06.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Beim sogenannten mittelbaren Behinderungsausgleich habe die gesetzliche Krankenversicherung nur für den Basisausgleich einzustehen. Maßstab hierfür sei, ob die Klägerin den Nahbereich zumutbar erreichen könne. Dies sei mit dem gewährten 6 km/h-Rollstuhl der Fall. Die Krankenkasse sei nicht dafür zuständig, der Klägerin zu ermöglichen, Ziele außerhalb des Nahbereichs mit günstigem Zeitaufwand zu erreichen.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 02.07.2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 31.07.2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat darauf hingewiesen, dass sie Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuches (SGB XII) beziehe. Das SG sei von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen. Sie könne im Nahbereich keinen ausreichenden Basisausgleich erreichen. Ihre Ärzte seien in Nachbarorten (B., M.). In ihrem Wohnort S. gebe es außerdem keine ausreichenden Einkaufsmöglichkeiten. Die Wegstrecke zwischen S. und B. betrage 10 - 15 km. Der ÖPNV sei nicht barrierefrei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.06.2015 und die Bescheide der Beklagten vom 16.05.2011 und 25.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Elektrorollstuhl in mindestens 10 km/h-Ausführung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Begründung des Widerspruchsbescheids und die Ausführungen des SG Bezug.
In einem Erörterungstermin am 21.01.2016 hat der Berichterstatter die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten eingehend erörtert.
Die Klägerin hat auf die Frage, welche Teilhabezwecke sie mit einem schnelleren Elektrorollstuhl verfolge erklärt, es gehe ihr darum, ab und zu andere Luft zu sehen. Mitglied in einem Verein oä sei sie nicht. KFZ-Beihilfe oder Beförderungsgutscheine vom Sozialamt sei nicht ihr Ziel. Sie bestehe auf dem schnelleren Rollstuhl, um selbstbestimmt mobil sein zu können. Sie fahre mit dem Rollstuhl auch auf Bundes- oder Landstraßen, soweit es keine Nebenwege gebe. Ein gewisses Risiko nehme sie in Kauf.
Die Bevollmächtigte der Beklagten hat nochmals auf die Möglichkeit der Krankentransporte wegen der Arztbesuche hingewiesen. Sie hat auch darauf hingewiesen, dass sich aus ihren Akten ergebe, dass solche Krankentransporte in der Vergangenheit häufig stattgefunden hätten. Aus Sicht der Beklagten sei es auch unproblematisch, wenn nach einem Arztbesuch noch ein Einkauf in der anderen Ortschaft getätigt werde.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat weder gegen die Beklagte noch gegen den SGB-XII-Träger einen Anspruch auf den begehrten schnelleren Rollstuhl.
Die Beklagte ist nach § 14 SGB IX zuständiger Reha-Träger, denn sie hat den im Kostenvoranschlag des Sanitätsgeschäft S.s liegenden Antrag vom 29.04.2011 auf Rehabilitationsleistungen nicht innerhalb der Fristen des § 14 SGB IX weitergeleitet (vgl zu der Fallgestaltung, dass ein Dritter den Antrag stellt: BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, 40, SozR 4-3250 § 14 Nr 19).
Versicherte haben nach § 33 Abs 1 S 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Zum Behinderungsausgleich in dem von der GKV abzudeckenden Bereich der medizinischen Rehabilitation (§ 33 Abs 1 Satz 1, 3. Variante SGB V) ist der schnellere Rollstuhl nicht erforderlich. Die mit dem Leistungsbegehren der Klägerin verfolgten Zwecke reichen über die Versorgungsziele hinaus, für die die Krankenkassen im Bereich der Mobilitätshilfen aufzukommen haben.
Zur Frage der Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zum Behinderungsausgleich iS des § 33 Abs 1 S 1 3. Variante SGB V wird vom Bundessozialgericht (BSG), dem der Senat sich anschließt, stets unterschieden zwischen dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel unmittelbar zum Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst eingesetzt wird, und dem mittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird (vgl BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl)).
Im Ausgangspunkt bemisst sich die Leistungszuständigkeit der GKV im Bereich des Behinderungsausgleichs gemäß ständiger Rechtsprechung des BSG danach, ob eine Leistung zum unmittelbaren oder mittelbaren Behinderungsausgleich beansprucht wird. Im Vordergrund steht zumeist der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, wie es zB bei Prothesen der Fall ist. Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Daher kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (vgl BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8 RdNr 4 (C-Leg II)).
Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Fall hat die GKV nur für den Basisausgleich einzustehen; es geht nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V sowie § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolgs, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl zB § 5 Nr 2 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder § 5 Nr 4 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (stRspr, vgl BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl) mwN).
Als solches allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens ist in Bezug auf die Mobilität nur die Erschließung des Nahbereichs um die Wohnung eines Versicherten anerkannt, nicht aber das darüber hinausreichende Interesse an der Erweiterung des Aktionsraums. Maßgebend für den von der GKV insoweit zu gewährleistenden Basisausgleich ist der Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise noch zu Fuß erreicht (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29, 31 und 32 sowie BSG SozR 3-1200 § 33 Nr 1). Dazu haben die Krankenkassen die Versicherten so auszustatten, dass sie sich nach Möglichkeit in der eigenen Wohnung bewegen und die Wohnung verlassen können, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 (Rollstuhl-Bike II)). Dagegen können die Versicherten - von besonderen zusätzlichen qualitativen Momenten abgesehen - grundsätzlich nicht beanspruchen, den Radius der selbstständigen Fortbewegung in Kombination von Auto und Rollstuhl (erheblich) zu erweitern, auch wenn im Einzelfall die Stellen der Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich liegen, dafür also längere Strecken zurückzulegen sind, die die Kräfte eines Rollstuhlfahrers möglicherweise übersteigen (BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl) mwN).
Die Beklagte ist auch nicht nach dem Leistungsrecht eines anderen Rehabilitationsträgers zur Gewährung des begehrten Sportrollstuhls verpflichtet. Allerdings oblag der Beklagten nach § 14 Abs 2 S 1 SGB IX als erstangegangenem Rehabilitationsträger die Prüfung aller weiter in Betracht zu ziehenden rehabilitationsrechtlichen Anspruchsgrundlagen. Sie hätte aufgrund des Vorbringens der Klägerin prüfen müssen, ob der schnellere Rollstuhl als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII zur Verfügung zu stellen ist (BSG 12.12.2013, B 8 SO 18/12 R, FEVS 66, 5; BSG 14.05.2014, B 11 AL 6/13 R, SozR 4-3500 § 14 Nr 1). Denn der materiell-rechtlich - eigentlich - zuständige Rehabilitationsträger verliert im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine originäre Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger (hier: die beklagte Krankenkasse) eine iS von § 14 Abs 1 SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist. Eine so begründete Zuständigkeit der Krankenkasse nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (vgl BSGE 93, 283, SozR 4-3250 § 14 Nr 1; BSGE 98, 267, SozR 4-3250 § 14 Nr 4). Zuständig ist also derjenige Träger, der von dem Versicherten bzw Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist, hier die beklagte Krankenkasse.
Im Ergebnis ist die Entscheidung der Beklagten indes auch unter Berücksichtigung von § 14 Abs 2 S 1 SGB IX nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat nach der vom Senat nachgeholten Prüfung der Teilhabezwecke und Lebensumstände keinen Anspruch auf Zurverfügungstellung des gewünschten schnelleren Rollstuhls als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII, weshalb der Senat auf die Beiladung des SGB-XII-Trägers verzichten konnte (vgl Senatsurteil vom 09.05.2006, L 11 KR 5004/05, juris).
Nach § 53 Abs 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs 3 SGB XII ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.
Nach § 55 Abs 2 Nr 1 SGB IX gehört zu den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft insbesondere die Versorgung mit Hilfsmitteln, die nicht bereits durch die Versorgung mit Körperersatzstücken sowie orthopädischen und anderen Hilfsmitteln nach § 31 SGB IX oder durch die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX erfasst sind. Andere Hilfsmittel oder Hilfen sind danach solche, die über eine medizinische Zweckbestimmung hinausreichen und zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel und Einschränkungen beitragen (vgl BSG 19.05.2009, B 8 SO 32/07 R, BSGE 103, 171, Behindertenrecht 2010, 108).
In welchem Maß und durch welche Aktivitäten ein behinderter Mensch am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt, ist abhängig von seinen individuellen Bedürfnissen unter Berücksichtigung seiner Wünsche. Es gilt ein individueller und personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht (BSG 12.12.2013, B 8 SO 18/12 R, FEVS 66, 5). Im Zuge eines Wertewandels seit den 60er Jahren, der Einführung von Art 3 Abs 3 S 2 GG, des SGB IX und der UN-BRK hat sich auch in der Rechtsprechung eine deutlich veränderte Sicht auf die Integration behinderter Menschen und ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft vollzogen (vgl noch BVerwG 11.11.1970, 5 C 32.70, BVerwGE 36, 256, Buchholz 436.0 § 40 BSHG Nr 3: "die Sozialhilfe ist nicht dazu bestimmt, dem Hilfesuchenden ein Leben zu gewährleisten, das ihn aus seiner Umgebung heraushebt"; BSG 12.12.2013, B 8 SO 18/12 R, FEVS 66, 5: "der behinderte Mensch muss sich nicht mit einer Integration in das nähere häusliche Umfeld begnügen").
Ausgehend hiervon hat die Klägerin keine Zwecke genannt, die über das SGB V hinaus im SGB XII einen schnelleren Rollstuhl zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erfordern würden. Der Nahbereich ist mit dem bisherigen Rollstuhl zumutbar erreichbar und erschließbar. Krankentransporte zu den Ärzten in den Nachbarorten werden nach § 60 SGB V von der Beklagten sichergestellt und nach Auskunft im Erörterungstermin von der Klägerin auch in Anspruch genommen. In diesem Zusammenhang sind auch Einkäufe möglich. Mitglied in einem Verein in den Nachbarorten ist die Klägerin nicht. Der aus ihrer Sicht im Vordergrund stehende Zweck ist eine abstrakt verstandene Mobilität, die Möglichkeit sich fortzubewegen, herumzufahren, in den Worten der Klägerin "ab und zu andere Luft zu sehen". Das ist auch mit dem von der Beklagten bereit gestellten 6 km/h-Rollstuhl möglich. Auf eine besondere Geschwindigkeit, um etwa in einer bestimmten Zeit von A nach B zu kommen, kommt es bei diesem Zweck nicht an. Ob Kfz-Beihilfe oder Beförderungsgutscheine vom SGB-XII-Träger zu gewähren sind, kann offen bleiben, denn die Klägerin hat dies im Erörterungstermin ausdrücklich von ihrem Begehren ausgeschlossen. Der Senat weist aber darauf hin, dass es aufgrund des Alters und des Gesundheitszustands der Klägerin durchaus angezeigt sein dürfte, in der Zukunft über die Beantragung dieser Leistungen nachzudenken, soweit ein entsprechender Bedarf besteht. Dies gilt auch für die von der Klägerin gewünschten Besuche ihres sich derzeit im Krankenhaus befindlichen Ehemannes. Für diese kurzfristige Bedarfsspitze sind Beförderungsgutscheine/Fahrdienste geeigneter als die Anschaffung eines auf eine lange Haltbarkeit angelegten Hilfsmittels.
Auch aus der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ergibt sich vorliegend kein Anspruch der Klägerin auf die Zurverfügungstellung des begehrten schnelleren Rollstuhls. Die UN-BRK steht im Rang eines Bundesgesetzes und ist als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte heranzuziehen, insbesondere auch des Art 3 Abs 3 S 2 GG, denn das unmittelbar anwendbare UN-konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot entspricht dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot behinderter Menschen (eingehend zum Ganzen BSG 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R, BSGE 110, 194, SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 Rn 31 mwN). Art 20 UN-BRK, der von den Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen verlangt, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen, ist keine unmittelbare Anspruchsgrundlage, denn die Norm ist nicht derart hinreichend bestimmt, dass sie den Sozialleistungsträgern unmittelbar angewandt werden könnte ("non-self-executing", vgl dazu BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 35 Rn 19; 02.09.2014, B 1 KR 12/13 R, juris Rn 22 f). Verlangt wird von Art 20 UN-BRK, dass die Vertragsstaaten die persönliche Mobilität von Menschen mit Behinderungen in der Art und Weise und zum Zeitpunkt ihrer Wahl und zu erschwinglichen Kosten erleichtern sollen. Dies ist im vorliegenden Fall durch den vorhandenen Rollstuhl und die Krankentransporte in den wesentlichen Punkten abgedeckt; die weiter in Betracht kommenden Mobilitätshilfen nach dem SGB XII (Beförderungsgutscheine, KFZ-Hilfe) will die Klägerin derzeit nicht. Weitergehende Ansprüche auf ein bestimmtes gewünschtes Hilfsmittel unter Umgehung vorhandener Möglichkeiten ergeben sich aus der UN-BRK im konkreten Einzelfall nicht. Auch eine Auslegung der §§ 53 ff SGB XII, 55 SGB IX im Licht der UN-BRK führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Versorgung mit Hilfsmitteln und technischen Hilfen nach dem SGB IX unterstützt bereits die möglichst weitgehende Selbstständigkeit und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen und erfüllt damit die von der UN-BRK vorgegebenen Zwecke (vgl BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 35 Rn 19 und speziell zu Art 20 UN-BRK BT-Drucks 16/10808, S 55).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung der Klägerin mit einem Rollstuhl in einer 10 – 15 km/h-Ausführung anstelle des bereits gewährten Elektrorollstuhls in 6 km/h-Ausführung streitig.
Die 1956 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einer Parese beider Beine und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Von der IKK classic Pflegekasse erhält sie seit dem 01.01.2015 Leistungen im Rahmen der Pflegestufe I (Pflegegeld iHv 244 EUR monatlich). Ergänzend erhält sie vom zuständigen Sozialhilfeträger Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII, monatlich 283,14 EUR, vgl Bl 67 Senatsakte).
Mit Kostenvoranschlag vom 29.04.2011 beantragte das Sanitätsgeschäft S., B., die Versorgung der Klägerin mit einem Elektrorollstuhl in 15 km/h-Ausführung im Austausch für den vorhandenen defekten Elektrorollstuhl. Der Kostenvoranschlag wurde mit der ärztlichen Verordnung des Allgemeinarztes Dr. B. vom 15.04.2011 begründet. Der bisherige Elek-trorollstuhl der Klägerin war im Dezember 1997 in 10 km/h-Ausführung genehmigt worden.
Am 16.05.2011 genehmigte die Beklagte einen Elektrorollstuhl in 6 km/h-Ausführung gegenüber dem Sanitätshaus iHv 4.761,50 EUR. Der Eigenanteil der Klägerin für die gewünschte schnellere Ausführung würde 998,96 EUR betragen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 01.06.2011 Widerspruch. In der Vergangenheit seien ihr schnellere Rollstühle verordnet und bewilligt worden. Sie könne alleine nirgendwo mehr hingehen, da der jetzige Rollstuhl zu langsam sei. Es sei zwar ein Auto in der Familie vorhanden, jedoch könne dieses nur vom Ehemann gefahren werden und dabei könne auch nur ein Schieberollstuhl mitgenommen werden. Mit dem Elektrorollstuhl könne sie keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und sich somit kaum einen gewissen Freiraum erschließen.
Mit einem förmlichen Bescheid vom 25.01.2012 lehnte die Beklagte eine Versorgung mit einem Elektrorollstuhl in 10 km/h- bzw 15 km/h-Ausführung ab (Bl 28 Verwaltungsakte).
Die Klägerin trug hierauf vor, dass die Züge der Deutschen Bundesbahn sowie die S-Bahnen auf der Verbindung S.-M. nicht barrierefrei seien, sie jedoch wegen der Wahrnehmung von Arztterminen mobil sein müsse. Ihr Augenarzt befinde sich in M., ihr Orthopäde in B.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2012 als unbegründet zurückgewiesen (Bl 58 Verwaltungsakte). Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der von den Krankenkassen geschuldete Basisausgleich auch das Grundbedürfnis des Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums umfasse. Dies sei indes durch die zur Verfügungstellung eines Rollstuhls in 6 km/h-Ausführung gewährleistet. Soweit die Klägerin geltend mache, sie müsse Ärzte in Nachbarorten besuchen, bestehe die Möglichkeit eines Krankentransports.
Hiergegen hat die Klägerin am 19.07.2012 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie müsse größere Strecken mit dem Rollstuhl zurücklegen, weshalb sie auf ein schnelleres Hilfsmittel angewiesen sei. Für die von der Beklagten vorgenommene Begrenzung gebe es keine sachliche Rechtfertigung.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründung des Widerspruchsbescheids Bezug genommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.06.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Beim sogenannten mittelbaren Behinderungsausgleich habe die gesetzliche Krankenversicherung nur für den Basisausgleich einzustehen. Maßstab hierfür sei, ob die Klägerin den Nahbereich zumutbar erreichen könne. Dies sei mit dem gewährten 6 km/h-Rollstuhl der Fall. Die Krankenkasse sei nicht dafür zuständig, der Klägerin zu ermöglichen, Ziele außerhalb des Nahbereichs mit günstigem Zeitaufwand zu erreichen.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 02.07.2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 31.07.2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat darauf hingewiesen, dass sie Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuches (SGB XII) beziehe. Das SG sei von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen. Sie könne im Nahbereich keinen ausreichenden Basisausgleich erreichen. Ihre Ärzte seien in Nachbarorten (B., M.). In ihrem Wohnort S. gebe es außerdem keine ausreichenden Einkaufsmöglichkeiten. Die Wegstrecke zwischen S. und B. betrage 10 - 15 km. Der ÖPNV sei nicht barrierefrei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.06.2015 und die Bescheide der Beklagten vom 16.05.2011 und 25.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Elektrorollstuhl in mindestens 10 km/h-Ausführung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Begründung des Widerspruchsbescheids und die Ausführungen des SG Bezug.
In einem Erörterungstermin am 21.01.2016 hat der Berichterstatter die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten eingehend erörtert.
Die Klägerin hat auf die Frage, welche Teilhabezwecke sie mit einem schnelleren Elektrorollstuhl verfolge erklärt, es gehe ihr darum, ab und zu andere Luft zu sehen. Mitglied in einem Verein oä sei sie nicht. KFZ-Beihilfe oder Beförderungsgutscheine vom Sozialamt sei nicht ihr Ziel. Sie bestehe auf dem schnelleren Rollstuhl, um selbstbestimmt mobil sein zu können. Sie fahre mit dem Rollstuhl auch auf Bundes- oder Landstraßen, soweit es keine Nebenwege gebe. Ein gewisses Risiko nehme sie in Kauf.
Die Bevollmächtigte der Beklagten hat nochmals auf die Möglichkeit der Krankentransporte wegen der Arztbesuche hingewiesen. Sie hat auch darauf hingewiesen, dass sich aus ihren Akten ergebe, dass solche Krankentransporte in der Vergangenheit häufig stattgefunden hätten. Aus Sicht der Beklagten sei es auch unproblematisch, wenn nach einem Arztbesuch noch ein Einkauf in der anderen Ortschaft getätigt werde.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat weder gegen die Beklagte noch gegen den SGB-XII-Träger einen Anspruch auf den begehrten schnelleren Rollstuhl.
Die Beklagte ist nach § 14 SGB IX zuständiger Reha-Träger, denn sie hat den im Kostenvoranschlag des Sanitätsgeschäft S.s liegenden Antrag vom 29.04.2011 auf Rehabilitationsleistungen nicht innerhalb der Fristen des § 14 SGB IX weitergeleitet (vgl zu der Fallgestaltung, dass ein Dritter den Antrag stellt: BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, 40, SozR 4-3250 § 14 Nr 19).
Versicherte haben nach § 33 Abs 1 S 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Zum Behinderungsausgleich in dem von der GKV abzudeckenden Bereich der medizinischen Rehabilitation (§ 33 Abs 1 Satz 1, 3. Variante SGB V) ist der schnellere Rollstuhl nicht erforderlich. Die mit dem Leistungsbegehren der Klägerin verfolgten Zwecke reichen über die Versorgungsziele hinaus, für die die Krankenkassen im Bereich der Mobilitätshilfen aufzukommen haben.
Zur Frage der Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zum Behinderungsausgleich iS des § 33 Abs 1 S 1 3. Variante SGB V wird vom Bundessozialgericht (BSG), dem der Senat sich anschließt, stets unterschieden zwischen dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel unmittelbar zum Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst eingesetzt wird, und dem mittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird (vgl BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl)).
Im Ausgangspunkt bemisst sich die Leistungszuständigkeit der GKV im Bereich des Behinderungsausgleichs gemäß ständiger Rechtsprechung des BSG danach, ob eine Leistung zum unmittelbaren oder mittelbaren Behinderungsausgleich beansprucht wird. Im Vordergrund steht zumeist der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, wie es zB bei Prothesen der Fall ist. Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Daher kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (vgl BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8 RdNr 4 (C-Leg II)).
Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Fall hat die GKV nur für den Basisausgleich einzustehen; es geht nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V sowie § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolgs, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl zB § 5 Nr 2 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder § 5 Nr 4 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (stRspr, vgl BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl) mwN).
Als solches allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens ist in Bezug auf die Mobilität nur die Erschließung des Nahbereichs um die Wohnung eines Versicherten anerkannt, nicht aber das darüber hinausreichende Interesse an der Erweiterung des Aktionsraums. Maßgebend für den von der GKV insoweit zu gewährleistenden Basisausgleich ist der Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise noch zu Fuß erreicht (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29, 31 und 32 sowie BSG SozR 3-1200 § 33 Nr 1). Dazu haben die Krankenkassen die Versicherten so auszustatten, dass sie sich nach Möglichkeit in der eigenen Wohnung bewegen und die Wohnung verlassen können, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 (Rollstuhl-Bike II)). Dagegen können die Versicherten - von besonderen zusätzlichen qualitativen Momenten abgesehen - grundsätzlich nicht beanspruchen, den Radius der selbstständigen Fortbewegung in Kombination von Auto und Rollstuhl (erheblich) zu erweitern, auch wenn im Einzelfall die Stellen der Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich liegen, dafür also längere Strecken zurückzulegen sind, die die Kräfte eines Rollstuhlfahrers möglicherweise übersteigen (BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 (Sportrollstuhl) mwN).
Die Beklagte ist auch nicht nach dem Leistungsrecht eines anderen Rehabilitationsträgers zur Gewährung des begehrten Sportrollstuhls verpflichtet. Allerdings oblag der Beklagten nach § 14 Abs 2 S 1 SGB IX als erstangegangenem Rehabilitationsträger die Prüfung aller weiter in Betracht zu ziehenden rehabilitationsrechtlichen Anspruchsgrundlagen. Sie hätte aufgrund des Vorbringens der Klägerin prüfen müssen, ob der schnellere Rollstuhl als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII zur Verfügung zu stellen ist (BSG 12.12.2013, B 8 SO 18/12 R, FEVS 66, 5; BSG 14.05.2014, B 11 AL 6/13 R, SozR 4-3500 § 14 Nr 1). Denn der materiell-rechtlich - eigentlich - zuständige Rehabilitationsträger verliert im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine originäre Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger (hier: die beklagte Krankenkasse) eine iS von § 14 Abs 1 SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist. Eine so begründete Zuständigkeit der Krankenkasse nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (vgl BSGE 93, 283, SozR 4-3250 § 14 Nr 1; BSGE 98, 267, SozR 4-3250 § 14 Nr 4). Zuständig ist also derjenige Träger, der von dem Versicherten bzw Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist, hier die beklagte Krankenkasse.
Im Ergebnis ist die Entscheidung der Beklagten indes auch unter Berücksichtigung von § 14 Abs 2 S 1 SGB IX nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat nach der vom Senat nachgeholten Prüfung der Teilhabezwecke und Lebensumstände keinen Anspruch auf Zurverfügungstellung des gewünschten schnelleren Rollstuhls als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII, weshalb der Senat auf die Beiladung des SGB-XII-Trägers verzichten konnte (vgl Senatsurteil vom 09.05.2006, L 11 KR 5004/05, juris).
Nach § 53 Abs 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs 3 SGB XII ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen.
Nach § 55 Abs 2 Nr 1 SGB IX gehört zu den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft insbesondere die Versorgung mit Hilfsmitteln, die nicht bereits durch die Versorgung mit Körperersatzstücken sowie orthopädischen und anderen Hilfsmitteln nach § 31 SGB IX oder durch die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX erfasst sind. Andere Hilfsmittel oder Hilfen sind danach solche, die über eine medizinische Zweckbestimmung hinausreichen und zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel und Einschränkungen beitragen (vgl BSG 19.05.2009, B 8 SO 32/07 R, BSGE 103, 171, Behindertenrecht 2010, 108).
In welchem Maß und durch welche Aktivitäten ein behinderter Mensch am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt, ist abhängig von seinen individuellen Bedürfnissen unter Berücksichtigung seiner Wünsche. Es gilt ein individueller und personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht (BSG 12.12.2013, B 8 SO 18/12 R, FEVS 66, 5). Im Zuge eines Wertewandels seit den 60er Jahren, der Einführung von Art 3 Abs 3 S 2 GG, des SGB IX und der UN-BRK hat sich auch in der Rechtsprechung eine deutlich veränderte Sicht auf die Integration behinderter Menschen und ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft vollzogen (vgl noch BVerwG 11.11.1970, 5 C 32.70, BVerwGE 36, 256, Buchholz 436.0 § 40 BSHG Nr 3: "die Sozialhilfe ist nicht dazu bestimmt, dem Hilfesuchenden ein Leben zu gewährleisten, das ihn aus seiner Umgebung heraushebt"; BSG 12.12.2013, B 8 SO 18/12 R, FEVS 66, 5: "der behinderte Mensch muss sich nicht mit einer Integration in das nähere häusliche Umfeld begnügen").
Ausgehend hiervon hat die Klägerin keine Zwecke genannt, die über das SGB V hinaus im SGB XII einen schnelleren Rollstuhl zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erfordern würden. Der Nahbereich ist mit dem bisherigen Rollstuhl zumutbar erreichbar und erschließbar. Krankentransporte zu den Ärzten in den Nachbarorten werden nach § 60 SGB V von der Beklagten sichergestellt und nach Auskunft im Erörterungstermin von der Klägerin auch in Anspruch genommen. In diesem Zusammenhang sind auch Einkäufe möglich. Mitglied in einem Verein in den Nachbarorten ist die Klägerin nicht. Der aus ihrer Sicht im Vordergrund stehende Zweck ist eine abstrakt verstandene Mobilität, die Möglichkeit sich fortzubewegen, herumzufahren, in den Worten der Klägerin "ab und zu andere Luft zu sehen". Das ist auch mit dem von der Beklagten bereit gestellten 6 km/h-Rollstuhl möglich. Auf eine besondere Geschwindigkeit, um etwa in einer bestimmten Zeit von A nach B zu kommen, kommt es bei diesem Zweck nicht an. Ob Kfz-Beihilfe oder Beförderungsgutscheine vom SGB-XII-Träger zu gewähren sind, kann offen bleiben, denn die Klägerin hat dies im Erörterungstermin ausdrücklich von ihrem Begehren ausgeschlossen. Der Senat weist aber darauf hin, dass es aufgrund des Alters und des Gesundheitszustands der Klägerin durchaus angezeigt sein dürfte, in der Zukunft über die Beantragung dieser Leistungen nachzudenken, soweit ein entsprechender Bedarf besteht. Dies gilt auch für die von der Klägerin gewünschten Besuche ihres sich derzeit im Krankenhaus befindlichen Ehemannes. Für diese kurzfristige Bedarfsspitze sind Beförderungsgutscheine/Fahrdienste geeigneter als die Anschaffung eines auf eine lange Haltbarkeit angelegten Hilfsmittels.
Auch aus der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ergibt sich vorliegend kein Anspruch der Klägerin auf die Zurverfügungstellung des begehrten schnelleren Rollstuhls. Die UN-BRK steht im Rang eines Bundesgesetzes und ist als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte heranzuziehen, insbesondere auch des Art 3 Abs 3 S 2 GG, denn das unmittelbar anwendbare UN-konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot entspricht dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot behinderter Menschen (eingehend zum Ganzen BSG 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R, BSGE 110, 194, SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 Rn 31 mwN). Art 20 UN-BRK, der von den Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen verlangt, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen, ist keine unmittelbare Anspruchsgrundlage, denn die Norm ist nicht derart hinreichend bestimmt, dass sie den Sozialleistungsträgern unmittelbar angewandt werden könnte ("non-self-executing", vgl dazu BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 35 Rn 19; 02.09.2014, B 1 KR 12/13 R, juris Rn 22 f). Verlangt wird von Art 20 UN-BRK, dass die Vertragsstaaten die persönliche Mobilität von Menschen mit Behinderungen in der Art und Weise und zum Zeitpunkt ihrer Wahl und zu erschwinglichen Kosten erleichtern sollen. Dies ist im vorliegenden Fall durch den vorhandenen Rollstuhl und die Krankentransporte in den wesentlichen Punkten abgedeckt; die weiter in Betracht kommenden Mobilitätshilfen nach dem SGB XII (Beförderungsgutscheine, KFZ-Hilfe) will die Klägerin derzeit nicht. Weitergehende Ansprüche auf ein bestimmtes gewünschtes Hilfsmittel unter Umgehung vorhandener Möglichkeiten ergeben sich aus der UN-BRK im konkreten Einzelfall nicht. Auch eine Auslegung der §§ 53 ff SGB XII, 55 SGB IX im Licht der UN-BRK führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Versorgung mit Hilfsmitteln und technischen Hilfen nach dem SGB IX unterstützt bereits die möglichst weitgehende Selbstständigkeit und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen und erfüllt damit die von der UN-BRK vorgegebenen Zwecke (vgl BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 35 Rn 19 und speziell zu Art 20 UN-BRK BT-Drucks 16/10808, S 55).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
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