L 11 R 4555/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 2593/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4555/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 01.10.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Fortführung des Verfahrens S 13 R 162/15 vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) nach Abschluss eines Vergleichs.

Mit Bescheid vom 26.11.2014 bewilligte die Beklagte dem 1951 geborenen Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.12.2014. Die Rente werde ab 01.01.2015 laufend iHv 650,63 EUR gezahlt; die Nachzahlung für Dezember belaufe sich auf 652,81 EUR. Wegen zu klärender Ansprüche anderer Stellen (zB Krankenkasse, Bundesagentur für Arbeit) werde die Nachzahlung vorläufig nicht ausgezahlt.

Am 16.01.2015 erhob der Kläger deswegen Klage zum SG (S 13 R 162/15). Die Rente werde laut Rentenbescheid erst am Monatsende gezahlt. Dies sei Betrug am Rentner. Das Arbeitslosengeld habe er immer am Ersten eines Monats erhalten. Er könne die laufenden Kosten für den Januar nicht tragen. Er habe gegen den Rentenbescheid Einspruch erhoben und frage, wer für den Januar 2015 zur Ersatzleistung verpflichtet sei.

Im Erörterungstermin am 20.08.2015 schlossen die Beteiligten vor dem SG folgenden Vergleich: 1. Die Beklagte erklärt über den Widerspruch gegen den Rentenbescheid vom 26.11.2014 durch Widerspruchsbescheid zu entscheiden. Die Beklagte erklärt weiterhin, über den Überprüfungsantrag durch rechtsmittelfähigen Bescheid zu entscheiden. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit für erledigt.

Mit Schreiben vom 24.08.2015 hat sich der Kläger erneut ans SG gewandt und ausgeführt, der Gerichtstermin am 20.08.2015 habe keine Gültigkeit. Das SG habe selbst erwähnt, dass der Kläger Untätigkeitsklage eingereicht habe. Das Gericht sei daher beauftragt gewesen, den Widerspruchsbescheid zu erzwingen. Die Klagerücknahme müsse für ungültig erklärt werden. Es werde Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt, da der Rentner um 300 EUR monatlich um seinen tatsächlichen Bezug gebracht werde.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.10.2015 hat das SG festgestellt, dass das Klageverfahren S 13 R 162/15 durch den Vergleich vom 20.08.2015 erledigt ist. Nach § 101 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könnten die Beteiligten zur Niederschrift des Gerichts einen Vergleich schließen, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen. Einen solchen Vergleich hätten die Beteiligten am 20.08.2015 geschlossen. Die Beteiligten hätten einen Vergleich abgeschlossen, der einem Anerkenntnis entspreche. Unabhängig vom Inhalt des Rechtsstreits habe die Beklagte zudem angeboten, im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens über den Rentenbescheid zu entscheiden. Hinweise für die Unwirksamkeit des Vergleichs gebe es nicht. Wiederaufnahmegründe nach §§ 179, 180 SGG iVm §§ 579, 580, 586 Zivilprozessordnung (ZPO) seien nicht erfüllt. Das Verfahren sei wirksam beendet.

Hiergegen richtet sich die am 16.10.2015 beim SG eingegangene Berufung des Klägers. Weder das SG noch die Beklagte seien auf die Rentenhöhe eingegangen. Stattdessen würden Vergleiche geschlossen, mit denen der Kläger nur den Prozess verliere, ohne dass seine ihm zustehende Rente bezahlt werde. Aus der Renteninformation von 2004 gehe hervor, dass er bei Vollendung des 65. Lebensjahres 1.058,32 EUR monatlich bekäme; er gehe daher davon aus, dass ihm dieser Betrag zustehe. Rentner würden in großem Stil vom Land Baden-Württemberg um ihre Rente betrogen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2015 hat die Beklagte den Widerspruch vom 16.01.2015 (Klageerhebung) gegen den Bescheid vom 26.11.2014 als unzulässig verworfen wegen Versäumung der Widerspruchsfrist. Mit Bescheid vom 10.11.2015 hat sie den Überprüfungsantrag abgelehnt, da die Rente mit Bescheid vom 26.11.2014 zutreffend berechnet sei. Abweichungen gegenüber früher erteilten Rentenauskünften beruhten darauf, dass diese unter Geltung des damaligen Rechts erteilt worden seien. Zudem sei die Rentenhöhe im Rahmen einer Hochrechnung ermittelt worden, wobei unterstellt worden sei, dass weiterhin Beiträge wie im Durchschnitt der letzten fünf Jahre gezahlt würden. Änderungen wirkten sich daher auf die Rentenhöhe aus. Dagegen hat der Kläger Widerspruch eingelegt, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2015 zurückgewiesen hat.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 01.10.2015 aufzuheben und unter Fortsetzung des Verfahrens S 13 R 162/15 die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 26.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.10.2015 zu verurteilen, ihm höhere Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet, denn das SG hat zu Recht die verfahrensbeendigende Wirkung des Vergleichs festgestellt.

Der Kläger hat dem verfahrensbeendenden Vergleich zugestimmt. Durch diesen Vergleich hat sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt. Der gerichtliche Vergleich hat eine Doppelnatur, er ist sowohl öffentlich-rechtlicher Vertrag, für den materielles Recht gilt, als auch Prozesshandlung der Beteiligten (Prozessvertrag), die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechts richtet. Die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs kann daher darauf beruhen, dass entweder der materiell-rechtliche Vertrag nicht wirksam zustande gekommen, nichtig oder wirksam angefochten ist oder die zum Abschluss des Vergleichs notwendigen Prozesshandlungen nicht wirksam vorgenommen worden sind. Materiell-rechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Vergleichs sind nicht ersichtlich. Die Beteiligten haben im Termin vom 20.08.2015 einen Vergleichsvertrag iSd §§ 54 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch, 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geschlossen. Sinngemäß will der Kläger die Zustimmung zum Vergleich anfechten bzw widerrufen. Ihm steht jedoch kein Anfechtungsrecht bzw -grund zur Seite. Dass bei dem Kläger Willens- oder Erklärungsmängel iSv §§ 116 bis 123 BGB – zB Irrtum, arglistige Täuschung oder Drohung - vorgelegen hätten, behauptet der Kläger nicht einmal selbst. Damit scheidet die Anfechtung der abgegebenen Willenserklärung aus. Ein Widerruf ist rechtlich ausgeschlossen, da der Vergleich keinen Widerrufsvorbehalt enthält.

Auch unter prozessrechtlichen Gesichtspunkten bestehen an der Wirksamkeit des Vergleichs keine Zweifel. Der Vergleich ist im Erörterungstermin des SG ordnungsgemäß auf Tonträger vorläufig aufgezeichnet, den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden (§ 122 SGG iVm §§ 160a Abs 1, 160 Abs 3 Nr 1, 162 Abs 1 ZPO), wie in der Sitzungsniederschrift beurkundet.

Ein Widerruf der Zustimmung zum gerichtlichen Vergleich ist nur in den engen Grenzen des Vorliegens der Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens denkbar (§§ 179, 180 SGG). Danach kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung wieder aufgenommen werden (§ 179 Abs 1 SGG). Es fehlt hier an den Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß den Vorschriften der Nichtigkeitsklage oder Restitutionsklage (§§ 579, 580 ZPO). Die Anfechtungsgründe sind abschließend aufgeführt. Es handelt sich im Wesentlichen um schwerste Verfahrensmängel bzw um eine Entscheidung, die auf einer unrichtigen, insbesondere einer verfälschten Grundlage beruht, wie zB auf einer Urkundenfälschung oder einer strafbaren Urteilserschleichung. Die Wiederaufnahme ist ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat. Derartige Gründe liegen hier ersichtlich nicht vor und werden auch vom Kläger nicht behauptet.

Das SG hat daher zu Recht in der Sache bezüglich der Rentenhöhe nicht entschieden und konnte hierüber auch nicht entschieden, da das Verfahren durch den zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich vollumfänglich beendet war. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Überprüfung der Rentenhöhe im Rahmen des Überprüfungsverfahrens erfolgt (Bescheid vom 10.11.2015).

Da das Verfahren durch den erstinstanzlich geschlossenen Vergleich beendet wurde, ist dem Senat eine Entscheidung in der Sache verwehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved