Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 4241/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 535/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Januar 2015 aufgehoben und die Klage in vollem Umfange abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit (1. Februar 2015 bis 31. Januar 2018) aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die am 19. Dezember 1953 geborene Klägerin erlernte in der Zeit vom 1. September 1968 bis zum 31. August 1971 den Beruf einer ländlichen Hauswirtschaftsgehilfin. Als solche war sie im Anschluss bis zum 31. August 1976 im elterlichen Betrieb nicht versicherungspflichtig tätig. Von September 1976 bis 2011 war sie als selbständige Landwirtin (ohne Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung) tätig. In diesem Zeitraum wurden ihre sechs Kinder geboren. Von März 1999 bis Juli 2012 legte sie Pflichtbeitragszeiten für nicht erwerbsmäßige Pflegetätigkeit zurück. Seit dem 1. Dezember 2013 bezieht die Klägerin eine vorgezogene Altersrente aus der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau.
Im Rahmen eines Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG) über eine Rente wegen Erwerbsminderung aus der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (S 3 LW 3850/11) erstattete Dr. T., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, aufgrund einer Untersuchung am 22. Juni 2012 unter dem 4. Juli 2012 ein fachorthopädisches Zusatzgutachten, in dem er endgradige Funktionseinschränkungen der Halswirbel- und Lendenwirbelsäule, jeweils ohne radikuläre Ausfallsymptomatik, sowie beider Hüftgelenke beschrieb. Die Klägerin sei noch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Es sollten wechselnde Körperhaltungen eingenommen werden können. Ausgeschlossen seien Zwangshaltungen wie ständiges Bücken oder Knien, das Tragen und Heben von Lasten über 10 kg ohne technische Hilfsmittel, permanentes Arbeiten über Kopf, auf Leitern und Gerüsten, in ständigem Gehen und Stehen oder mit ständigem Treppensteigen, permanente Arbeiten im Freien oder unter ständiger Exposition von Hitze, Kälte, Nässe, Zugluft und Temperaturschwankungen. Das integrierende neurologisch-psychiatrische Hauptgutachten wurde aufgrund einer Untersuchung vom 22. Juni 2012 unter dem 6. Juli 2012 von Dr. S., Arzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, erstattet. Dieser diagnostizierte auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet ein Erschöpfungssyndrom/Neurasthenie, Somatisierungstendenzen, Hinweise auf ein Karpaltunnelsyndrom rechts (keine signifikanten sensomotorischen Ausfälle) sowie ein Wirbelsäulen-Syndrom ohne signifikante sensomotorische Ausfälle. Es liege ein arbeitstägliches Leistungsvermögen ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit von mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor. Über die qualitativen Ausschlüsse seitens des orthopädischen Fachgebiets hinaus seien Tätigkeiten mit vermehrt geistigen und psychischen Belastungen nicht mehr vertretbar. Hierzu gehörten Tätigkeiten mit vermehrt emotionalen Belastungen oder erhöhtem Konfliktpotenzial, z.B. in der unmittelbaren Heil- und Krankenpflege oder bei Sicherheits- und Ordnungsdiensten. Vermehrte Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen seien nicht zu stellen. Eine vermehrte Lärmexposition sei zu vermeiden.
Am 18. März 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Im Auftrag der Beklagten erstellte der Unfallchirurg und Orthopäde Dr. Sc. aufgrund einer Untersuchung am 22. April 2013 unter dem 24. April 2013 ein sozialmedizinisches Gutachten, in dem er eine chronische Lumbalgie mit Funktionseinschränkung, eine beginnende Coxarthrose beidseits, eine Polyarthralgie (anamnestisch auch Fibromyalgie), ein beginnendes Karpaltunnelsyndrom rechts sowie eine leichte depressive Episode diagnostizierte. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen oder Stehen verrichten; Einschränkungen bestünden für langes Stehen, häufiges Bücken, kniende oder hockende Tätigkeiten, Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie das Besteigen von Leitern oder Gerüsten.
Mit Bescheid vom 14. Juni 2013 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die Klägerin noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Die Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit seien mangels Berufsschutzes nicht erfüllt. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2013 als unbegründet zurück. Er führte unter anderem aus, die Klägerin sei dem Kreis der ungelernten Arbeiter(innen) zuzuordnen und könne deshalb auf alle ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden, die ihr gesundheitlich zumutbar seien.
Hiergegen erhob die Klägerin am 5. Dezember 2013 Klage beim SG, zu deren Begründung sie vortrug, durch die körperliche und mentale Dauerbelastung infolge der jahrzehntelangen schweren körperlichen Arbeit in der Landwirtschaft, des Großziehens ihrer sechs Kinder und der Pflege ihrer Mutter in den vergangenen zehn Jahren sei sie außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Das Begutachtungsergebnis des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten werde dem nicht gerecht. Es bestehe ein eingeschränktes Gangbild mit Hinken. Neben Schmerzen in verschiedenen Körperregionen mit Steifheit in den Gelenken und eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit leide sie an andauernder Müdigkeit bis hin zur Erschöpfung und zunehmenden Schlafstörungen.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. In der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 4. September 2014 führte Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, physikalische Therapie, Sozialmedizin Dr. Ed. aus, der Annahme eines eingeschränkten Leistungsvermögens im Gutachten von Dr. Sch. (dazu unten) könne nicht gefolgt werden. Aus der Anamnese gingen einzelne Items einer Schmerzstörung nicht hervor. Eine Abgrenzung zwischen einer anhaltend somatoformen Schmerzstörung und einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren erfolge nicht. Der wiedergegebene psychiatrische Befund zeichne nicht eine schwere Depression im Sinne einer schweren depressiven Episode ab. Bei einer solchen müssten drei Kernsymptome und zumindest vier Zusatzsymptome vorliegen, was vorliegend nicht dargelegt werde. Psychometrische Testungen seien nicht durchgeführt worden. Anhand der epikritischen Diskussion werde weder der Ausprägungsgrad der einzelnen depressiven Episode noch die Tatsache einer rezidivierend depressiven Störung deutlich. Aktenlage und Anamnese ließen einen fluktuierenden Verlauf einer möglichen depressiven Symptomatik mit einzelnen Phasen von Remission oder Teilremission nicht erkennen. Es sei nicht erkennbar, ob bei der Klägerin eine leitliniengerechte antidepressive Therapie mit adäquaten Änderungen und Ergänzungen vorgenommen werde; eine Psychotherapie als zweiter Pfeiler einer solchen Therapie erfolge nicht. Gemäß den Leitlinien für die Sozialmedizinische Begutachtung der Deutschen Rentenversicherung bedingten einzelne mittelgradige oder schwere depressive Episoden auch im Rahmen einer rezidivierend depressiven Störung vorübergehende Arbeitsunfähigkeiten und erforderten Krankenbehandlung, stellten jedoch in Anbetracht der üblicherweise vollständigen Remission oder auch Teilremission keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit dar. Anhand der Angaben zur Medikation mit Auslassung entsprechender Psychopharmaka und ausschließlicher Applikation von Diclofenac könne auch gefolgert werden, dass der Leidensdruck der Klägerin recht gering sei.
Das SG holte schriftliche Aussagen der behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen ein. Orthopäde Dr. Br. schloss sich in seiner Auskunft vom 4. März 2014 der Einschätzung von Dr. Sc. im Gutachten vom 14. April 2013 soweit an, dass die Klägerin leichten Tätigkeiten überwiegend im Sitzen vollschichtig nachgehen könne. Abweichend hiervon seien mittelschwere Tätigkeiten nicht mehr möglich. Des Weiteren gehe er davon aus, dass durchaus ein Fibromyalgie-Syndrom vorliege. Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. Z. beschrieb unter dem 21. Mai 2014 eine Rückenschmerzsymptomatik bei degenerativen Veränderungen der gesamten Wirbelsäule, Hüftgelenksarthrose beidseits, vor allem rechtsseitige belastungsabhängige Schmerzen der Knie und im rechten oberen Sprunggelenk bei Senk-Spreiz-Füßen beidseits, wiederholt auftretende bakterielle Hautentzündungen der Unterschenkel (Erysipel) bei chronischem, venostatischem Lymphödem beider Beine, chronisch entzündliche Hautrötungen im Gesicht und an beiden Händen unklarer, vermutlich allergischer Genese, chronisch entzündliche Reaktion der Kopfhaut sowie einen psychophysischen Erschöpfungszustand bei körperlicher Belastung und verschiedenen Dysstress-Situationen.
Das SG bestellte den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. zum gerichtlichen Sachverständigen, der aufgrund einer Untersuchung am 8. Juli 2014 in seinem am 22. August 2014 beim SG eingegangenen Gutachten eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, und eine somatoforme Schmerzstörung diagnostizierte. Die Klägerin könne leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt derzeit halbschichtig (unter sechs Stunden täglich) verrichten. Das Leistungsvermögen sei vor allem durch die Depression mit Einengung der affektiven Schwingungsfähigkeit, leichter Agitiertheit bei zugleich deutlichen Antriebsstörungen, Rückzugstendenzen und vegetativen Symptomen tangiert. Ausgeschlossen seien überwiegend mittelschwere bis schwere Tätigkeiten, Arbeiten mit besonders hohen Anforderungen an die Konzentration, die Dauerbelastbarkeit und Durchhaltefähigkeit sowie die Flexibilität sowie Tätigkeiten mit überwiegenden und ausschließlichem Publikumsverkehr. Nach der Anamnese bestehe die Minderung der Leistungsfähigkeit bereits seit der Zeit der orthopädischen Begutachtung im Rentenverfahren. Eine begrenzte Besserung unter Therapie sei denkbar, zumal derzeit keine spezifische Behandlung erfolge.
Im Erörterungstermin vor dem SG vom 10.12.2014 beantragte die Klägerin zur Niederschrift die Verurteilung der Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013 zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung und erklärte, seit ca. einem Jahr nicht mehr im psychiatrischer Behandlung gewesen zu sein.
Mit Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2015 verurteilte das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013, der Klägerin ausgehend von einem am 8. Juli 2014 eingetretenen Leistungsfall eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Februar 2015 bis zum Ablauf des Januar 2018 zu gewähren, und wies die Klage im Übrigen ab. Dem Gutachten von Dr. Sch. folgend, liege bei der Klägerin aufgrund einer somatoformen Schmerzstörung und eine rezidivierenden depressiven Störung, zum Untersuchungszeitpunkt schwer ausgeprägt, ein nur noch drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen auch für körperlich leichte Tätigkeiten vor. Die Darstellungen im Gutachten von Dr. Sch. deckten sich vollständig mit dem Eindruck, den es (das SG) im Erörterungstermin vom 10. Dezember 2014 von der Klägerin habe gewinnen können. Bei dieser bestehe zweifellos eine somatoforme Schmerzstörung, wobei die Klägerin nicht nur durch die Schmerzen an sich beeinträchtigt sei, sondern insbesondere darunter leide, dass ihr kein Arzt die Schmerzen in diesem Umfange durch eine organische Ursache erklären könne. Die von der Beklagten an diesem Gutachten geübte Kritik sei nicht nachvollziehbar, zumal auch die Beklagte Dr. Sch. wiederholt als Rentengutachter heranziehe. Auf die genaue Bezeichnung der Diagnose komme es vorliegend nicht an; entscheidend seien allein die Funktionseinschränkungen, die vorliegend erheblich seien. Die Klägerin habe im Termin vollkommen glaubhaft geschildert, dass sie viel lieber arbeiten würde, wenn sie nur könne, weil sie dies auch in der Vergangenheit stets getan habe und es letztlich auch nicht anders kenne. Gerade weil sie aufgrund der Schmerzen nicht mehr wie gewohnt und gewollt arbeiten könne, habe sich zudem eine Depression entwickelt, die den von Dr. Sch. beschriebenen Umfang erreicht habe. Die Behandlungsfähigkeit einer Gesundheitsstörung stehe der Annahme der Erwerbsminderung nicht entgegen. Die eigentlich gegebene teilweise Erwerbsminderung schlage in eine Rente wegen voller Erwerbsminderung durch, weil die Klägerin keinen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz innehabe. Als Eintritt des Leistungsfalles sei der 8. Juli 2014, der Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. Sch., zugrunde zu legen, da erst durch diese der volle Nachweis einer Erwerbsminderung zweifelsfrei erbracht worden sei. Die orthopädischen Gesundheitsstörungen führten nicht zu einer weitergehenden Einschränkung des Leistungsvermögens. Die Rente sei bereits deswegen zu befristen, weil sie nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand, sondern darauf beruhe, dass der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen sei.
Gegen den ihr am 23. Januar 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 16. Februar 2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ausgeführt, entgegen der Auffassung des SG belege das Gutachten von Dr. Sch. den Rentenanspruch der Klägerin nicht. Deren konkrete Teilhabe am Lebensalltag werde im Gutachten für eine Meinungsbildung nicht ausreichend abgebildet. Ein schlüssiger Tagesablauf fehle ebenso wie Plausibilitätsprüfungen zu bestimmten Angaben der Klägerin. Da der Schweregrad psychischer Krankheiten aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet werde, sei es erforderlich, gerade Teilbereiche exploratorisch zu erforschen und zu würdigen. Entgegen der Angaben der Klägerin zeigten frühere regelmäßige ärztliche Behandlungen, dass sie sich durchaus Zeit für solche nehmen könne und auch nehme. Aus dem relativ kurzen Tagesablauf im Gutachten von Dr. Sch. sei jedenfalls zu entnehmen, dass die Klägerin einen strukturierten Tagesablauf sowie Interesse an der Außenwelt habe und den Haushalt mache. Auf Grundlage der, wenn auch spärlichen, Angaben der Klägerin müsse davon ausgegangen werden, dass sie den Haushalt bewältige, noch in der Lage sei, Auto zu fahren, Interesse am Stricken und Gartenarbeit habe, den Computer nutze, um Kontakt mit den Kindern zu halten, und als Hobby Radfahren betreibe. Dr. Sch. dokumentiere zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Einbußen der Klägerin, die eine Rentengewährung begründen könnten. So berichte er von keinem krankheitswertigen Auffassungs- und Konzentrationsvermögen oder verstärkt ausgeprägten kognitiven Ermüdungszeichen oder unzureichender Konzentration während der Untersuchung. Angesichts der Feststellungen im Gutachten des Dr. Sc. vom 24. April 2013 und der dortigen Angaben der Klägerin zur medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva sei auch der von Dr. Sch. angenommenen Zeitpunkt des Eintrittes der Leistungsminderung nicht plausibel. Nach Aktenlage sei festzustellen, dass die Klägerin hinsichtlich ihrer orthopädischen Beschwerden fachärztliche Hilfe in Anspruch nehme, auf nervenfachärztliche Gebiet diese anscheinend seit Oktober 2012 nicht mehr benötige; eine antidepressive Behandlung lehne sie ohne nachvollziehbare Gründe ab. Die Behandlungsoptionen seien nicht ausgeschöpft. Verwiesen werde insoweit auf die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 20. Februar 2014 (L 10 R 1572/11, nicht veröffentlicht), wonach trotz Annahme eines derzeit auf unter sechs Stunden abgesunkenen Leistungsvermögens keine rentenrelevante Erwerbsminderung bestehe, wenn diese durch psychische Störungen bedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit nach Beginn einer adäquaten Behandlung voraussichtlich nicht für länger als sechs Monate vorliege.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Januar 2015 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat ausgeführt, das Gutachten von Dr. Sch., einem in der Rentenbegutachtung erfahrenen Facharzt, weise keinerlei Defizite auf. Das SG habe ausdrücklich festgehalten, dass sich die Darstellungen des Sachverständigen vollständig mit dem Eindruck deckten, den es im Erörterungstermin von ihr habe gewinnen können. Aktuell befinde sie sich nicht in nervenärztlicher Behandlung; die letzte Behandlung bei Dr. Se. habe 2013 stattgefunden. Das Gutachten von Dr. M. (dazu unten) divergiere in mehreren Punkten zum Gutachten von Dr. Sch ... Dem resümierten Ergebnis von Dr. M., im Rahmen der Untersuchung fänden sich multiple Auffälligkeiten im Sinne eines Tendenzverhaltens, werde widersprochen, da ihre besondere Situation und Historie bei der Bewertung nicht einbezogen worden sei. Unberücksichtigt geblieben sei, dass sie nicht durch die Schmerzen an sich, sondern auch insbesondere darunter leide, dass ihr kein Arzt die Schmerzen in diesem Umfange durch eine organische Ursache erklären könne. Dass sie bisher keine kontinuierliche psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen habe, beruhe darauf, dass sie ihr bisheriges Leben dem landwirtschaftlichen Betrieb, ihren sechs Kindern und ihrer schwerstpflegebedürftigen Mutter gewidmet habe. Die im Gutachten von Dr. M. ausdrücklich hervorgehobene kräftige Verhornung und Verfärbung der beiden Handinnenflächen und Fingernägel resultierten nicht aus aktueller körperlicher Tätigkeit, sondern aus der jahrzehntelang ausgeübten schweren körperlichen Arbeit in der Landwirtschaft.
Der Senat hat die Akten des SG über Rechtsstreite auf eine Rente wegen Erwerbsminderung gegen die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (S 4 LW 4479/10, S 3 LW 3850/11 und S 3 LW 3833/13) beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Die durch den Senat zur Sachverständigen bestellte Dr. M., Ärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, hat in ihrem aufgrund einer Untersuchung am 22. Juni 2015 erstellten Gutachten vom 8. Juli 2015 eine Neurasthenie und ein beginnendes Karpaltunnelsyndrom diagnostiziert. Eine Depressivität lasse sich nicht feststellen. Im Rahmen der Untersuchung und der Psychometrie fänden sich multiple Auffälligkeiten im Sinne von Tendenzverhalten. Es bestehe kein Hinweis auf einen erheblichen Leidensdruck. Medikamente nehme die Klägerin nur bedarfsweise im Sinne einer niedrigen Dosis von Schmerzmitteln, wodurch sie eine Besserung erfahre. Bei der Neurasthenie handle es sich um eine Diagnose ohne funktionelle Bedeutung; die von der Klägerin vorgetragenen Beschwerden bewirkten per se keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Gleiches gelte für das Karpaltunnelsyndrom. Die Klägerin sei daher in der Lage, eine leichte Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Dem Gutachten von Dr. Sch. könne nicht gefolgt werden, da dieser trotz deutlicher Hinweise auf ein Tendenzverhalten und völlig fehlende Behandlungsmaßnahmen keine Beschwerdevalidierung durchgeführt habe. Der dargestellte psychopathologische Befund entspreche nicht dem einer schweren depressiven Episode nach ICD 10-Kriterien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft gem. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da laufende Rentenleistungen für mehr als ein Jahr streitig sind. Der Senat konnte über die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein ein Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Januar 2018. Gegen die entsprechende Verurteilung wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Die Klägerin selbst hat gegen die Klageabweisung im Übrigen keine Berufung eingelegt. Streitbefangen ist damit der Bescheid vom 14. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013.
3. Die Berufung ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Januar 2018 verurteilt. Der - ablehnende - Bescheid vom 14. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013 ist im Umfang, in dem er im Berufungsverfahren noch streitbefangen ist, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
b) Diese Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung liegen bei der Klägerin nicht vor. Der Senat ist davon überzeugt, dass sie zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann.
(1) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet (nur) unter einer Neurasthenie leidet und die vom SG angenommenen somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende depressive Störung in gegenwärtig schwerer Episode nicht vorliegen. Dies entnimmt der Senat insbesondere dem Gutachten von Dr. M., darüber hinaus auch dem im Verfahren S 3 LW 3850/11 ebenfalls zur Fragestellung des Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von Dr. S. erstatteten Gutachten vom 6. Juli 2012, der dieselbe Diagnose gestellt hat. Bereits Dr. S. hatte anschaulich dargelegt, dass die von der Klägerin beklagten gesundheitlichen Einbußen (vermehrte Müdigkeit nach geistigen Anstrengungen, abnehmende Arbeitsleistung oder Effektivität bei der Bewältigung täglicher Aufgaben, Konzentrationsschwäche, Gefühle körperlicher Schwäche und Erschöpfung nach nur geringer Anstrengung, begleitet von Schmerzen und der Unfähigkeit, sich zu entspannen, Sorge über ein abnehmendes geistiges und körperliches Wohlbefinden, Freudlosigkeit und unterschiedliche, leichtere Grade von Depression) Hauptcharakteristika der Neurasthenie sind. Zu den diagnostischen Leitlinien gehört danach auch, dass die autonomen oder depressiven Symptome nicht anhaltend und schwer genug sind, um die Kriterien für eine der spezifischen Störungen zu erfüllen. Dass diese Schwere jeweils nicht erreicht wird, haben sowohl Dr. S. als auch Dr. M. für den Senat überzeugend anhand der von ihnen erhobenen Befunde dargelegt. Bereits bei Dr. S. fanden sich keine Anhaltspunkte für eine mittelschwere bis schwere depressive Störung. Die Klägerin zeigte eine gewisse Agitiertheit und wirkte vom Gesamteindruck her erschöpft. Allerdings konnten signifikante kognitive oder mnestische Defizite nicht erhoben werden. Die Stimmungslage war in der damaligen Gutachtenssituation lediglich leicht niedergeschlagen; eine tiefgehende oder vitale depressive Stimmungslage lag nicht vor. Die affektive Resonanzfähigkeit war nicht eingeschränkt. In der körperlichen Untersuchung ergaben sich keine Hinweise auf eine relevante schmerzbedingte Einschränkung. Alle Gelenke der oberen und unteren Extremitäten waren aktiv beweglich. Die Klägerin erreichte einen Fingerkuppen-Boden-Abstand von ca. 15 cm. Das Gangbild zeigte sich kleinschrittig, aber nur angedeutet etwas rechtshinkend. Der erhobene Tagesablauf war strukturiert, zeigte aber, dass die Klägerin in der Lage war, den Haushalt zu führen und jedenfalls leichte Gartenarbeiten – gerne – zu verrichten. Gegenüber dem früheren Zustand zeigten sich zwar Rückzugstendenzen, gleichwohl bestanden noch ausreichend Sozialkontakte. Die Klägerin zeigte Interessen und die Fähigkeit, Freude zu empfinden. Bei der Begutachtung durch Dr. M. zeigte sich eine normale affektive Schwingung; kognitive Einschränkungen bestanden nicht. Eine depressive Stimmungslage konnte nicht erhoben werden. Trotz der angegebenen Schmerzen wurde auch aktuell eine gute Beweglichkeit in der Untersuchungssituation inklusive kräftigem Einsatz beider Hände beschrieben. Das Bücken war möglich, die Bewegungen flink und geschickt; eine Verlangsamung bestand nicht. Es erfolgt lediglich eine bedarfsweise Einnahme von Schmerzmedikamenten. Antidepressiva werden nicht eingenommen. Wiederum zeigte sich ein strukturierter Tagesablauf, in dessen Rahmen die Klägerin Haushaltstätigkeiten durchführt und leichte Gartenarbeiten verrichtet. Eine psychotherapeutische Behandlung wurde zu keinem Zeitpunkt durchgeführt.
Die abweichende Einschätzung von Dr. Sch. ist für den Senat nicht überzeugend. Der nachvollziehbaren Beurteilung von Dr. M. folgend, entspricht der dargestellte psychopathologische Befund nicht dem einer schweren depressiven Episode nach ICD 10-Kriterien. Bereits Dr. Ed. hatte in ihrer als qualifizierter Parteivortrag zu berücksichtigenden sozialmedizinischen Stellungnahme vom 4. September 2014 dargelegt, dass bei einer schweren depressiven Episode drei Kern- und mindestens vier Zusatzsymptome für eine entsprechende Diagnose verlangt werden. Kernsymptome sind dabei gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Verminderung des Antriebs und Ermüdbarkeit. Zusatzsymptome sind verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken oder Suizidhandlungen, Schlafstörungen und verminderter Appetit. Dagegen findet sich im wiedergegebenen psychiatrischen Befund des Gutachtens von Dr. Sch. keine explizite Stellungnahme zur Stimmung. Die Klägerin wird beschrieben als in der Kontaktaufnahme "leicht" verlangsamt, in Gestik, Mimik und Körperhaltung "eher" gebunden und bei der Schilderung ihrer aktuellen und früheren Situation "gelegentlich etwas" hilflos. Vor allem bei Berührung affektiv besetzter Themenbereiche sei sie im Gedankengang agitiert, der Gedankengang etwas formal beschleunigt, die Assoziationen wirkten gedrängt. Ausdrücklich hat der Sachverständige hingegen festgehalten, dass die mnestischen und intellektuellen Funktionen sowie die Konzentration ausreichend gewesen seien, die Auffassung (nur) gelegentlich erschwert, im ganzen jedoch hinreichend. Damit sind, wie Dr. Ed. und Dr. M. plausibel kritisiert haben, die Kernsymptome einer schweren depressiven Episode nicht dargelegt. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Tagesablaufes, soweit er dem Gutachten von Dr. Sch. entnommen werden kann. Dieser zeigt sich wiederum strukturiert. Die Klägerin war – wenn auch langsamer als früher – in der Lage, den Haushalt zu führen. Sie konnte Interessen und Hobbies bezeichnen. So surfe sie am PC, halte - auch per E-Mail - Kontakte, fahre gerne Rad (4-5 km), stricke gerne und verrichte Gartenarbeiten. Soweit sie angab, mit dem Stricken und den Gartenarbeiten "nicht mehr so wie früher zu Recht" kommen, wurde dies von Dr. Sch. nicht mehr hinterfragt. Dem Gutachten von Dr. M. ist jedoch zu entnehmen, dass dies nicht auf Konzentrationsmängeln beruht, sondern sich die Klägerin in der Handbeweglichkeit eingeschränkt sieht. Eine Einschränkung der Erlebnisfähigkeit oder der Fähigkeit, Freude zu empfinden, ist dem Befund nicht zu entnehmen. Eine Agitiertheit war bereits von Dr. S. beschrieben und der Neurasthenie zugeordnet worden. Ein krankheitswertig eingeschränktes Auffassungs- und Konzentrationsvermögen oder verstärkt ausgeprägte Ermüdungszeichen in der Untersuchung werden nicht beschrieben. Der Senat vermag die fehlende psychotherapeutische und lediglich zwischenzeitlich – und auch nur sporadisch – durchgeführte psychiatrische Behandlung nicht als Ausdruck einer krankheitsbedingten Antriebsminderung werten, da die Klägerin im selben Zeitraum in regelmäßiger hausärztlicher und orthopädischer Behandlung stand. Zutreffend weist die Beklagte in der Berufungsbegründung daher darauf hin, dass dies eher für einen fehlenden Leidensdruck spricht. Angesichts des beschrieben, verbliebenen Aktivitätsniveaus und fehlender objektiv festgestellter Einbußen in der körperlichen Untersuchung vermag auch die Annahme einer ausgeprägten somatoformen Störung nicht zu überzeugen.
Orthopädisch bestehen bei der Klägerin eine chronische Lumbalgie mit nur endgradiger Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule, ohne radikuläre Ausfallsymptomatik und eine beginnende Coxarthrose beidseits, ebenfalls nur mit endgradiger Funktionseinschränkung. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. Sc. vom 24. April 2013, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51), und der damit übereinstimmenden Auskunft von Dr. Br ... Das von diesem als Fibromyalgie und von Dr. Sc. als Polyarthralgie beschriebene Beschwerdebild von Schmerzen ohne unmittelbares körperliches Korrelat ist in den Auswirkungen der Neurasthenie zuzuordnen. Daneben besteht das von Dr. Sc. und Dr. M. beschriebene beginnendes Karpaltunnelsyndrom, das noch nicht zu objektivierbaren Funktionsbeeinträchtigungen der Hände geführt hat.
(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränkten das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin nur in qualitativer, nicht in zeitlicher Hinsicht ein.
Ausgeschlossen sind aufgrund der orthopädischen Gesundheitsstörungen Tätigkeiten mit langem Stehen, häufigem Bücken, kniende oder hockende Tätigkeiten, Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie das Besteigen von Leitern oder Gerüsten. Dies entnimmt der Senat den übereinstimmenden Einschätzungen von Dr. Sc. und Dr. Br ... Zugunsten der Klägerin geht der Senat aufgrund des Gutachtens von Dr. T. davon aus, dass aufgrund einer - ebenfalls nur endgradigen - Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule auch ein permanentes Arbeiten über Kopf ausgeschlossen ist. Ebenfalls diesem Gutachten entnimmt der Senat den überzeugenden Ausschluss für permanente Arbeiten im Freien oder unter ständiger Exposition von Hitze, Kälte, Nässe, Zugluft und Temperaturschwankungen. Darüber hinausgehende Einschränkungen des Leistungsvermögens ergeben sich aus psychiatrischer Sicht nicht. Der Senat entnimmt dies dem aktuellen Gutachten von Dr. M ... Soweit im Gutachten von Dr. S. noch darüber hinausgehende qualitative Ausschlüsse angenommen worden sind, sind diese aufgrund des aktuellen, verbesserten Befundes aktuell nicht mehr zuzugestehen. Dabei berücksichtigt der Senat auch die eigenen Angaben der Klägerin gegenüber der Sachverständigen im Berufungsverfahren, wonach früher bestehende Sorgen inzwischen alle bewältigt seien. Unter Berücksichtigung der genannten Ausschlüsse war und ist die Klägerin in der Lage, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Der abweichenden Leistungsbeurteilung im Gutachten von Dr. Sch. vermag der Senat nicht zu folgen, da bereits die von ihm zugrunde gelegte Schwere der psychischen Gesundheitsstörungen aus oben genannten Gründen nicht überzeugend dargelegt worden ist.
(3) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.
(4) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.
Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.
(5) Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus den ärztlichen Äußerungen ergeben sich keine Befunde, die für eine unter den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit (1. Februar 2015 bis 31. Januar 2018) aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die am 19. Dezember 1953 geborene Klägerin erlernte in der Zeit vom 1. September 1968 bis zum 31. August 1971 den Beruf einer ländlichen Hauswirtschaftsgehilfin. Als solche war sie im Anschluss bis zum 31. August 1976 im elterlichen Betrieb nicht versicherungspflichtig tätig. Von September 1976 bis 2011 war sie als selbständige Landwirtin (ohne Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung) tätig. In diesem Zeitraum wurden ihre sechs Kinder geboren. Von März 1999 bis Juli 2012 legte sie Pflichtbeitragszeiten für nicht erwerbsmäßige Pflegetätigkeit zurück. Seit dem 1. Dezember 2013 bezieht die Klägerin eine vorgezogene Altersrente aus der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau.
Im Rahmen eines Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG) über eine Rente wegen Erwerbsminderung aus der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (S 3 LW 3850/11) erstattete Dr. T., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, aufgrund einer Untersuchung am 22. Juni 2012 unter dem 4. Juli 2012 ein fachorthopädisches Zusatzgutachten, in dem er endgradige Funktionseinschränkungen der Halswirbel- und Lendenwirbelsäule, jeweils ohne radikuläre Ausfallsymptomatik, sowie beider Hüftgelenke beschrieb. Die Klägerin sei noch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Es sollten wechselnde Körperhaltungen eingenommen werden können. Ausgeschlossen seien Zwangshaltungen wie ständiges Bücken oder Knien, das Tragen und Heben von Lasten über 10 kg ohne technische Hilfsmittel, permanentes Arbeiten über Kopf, auf Leitern und Gerüsten, in ständigem Gehen und Stehen oder mit ständigem Treppensteigen, permanente Arbeiten im Freien oder unter ständiger Exposition von Hitze, Kälte, Nässe, Zugluft und Temperaturschwankungen. Das integrierende neurologisch-psychiatrische Hauptgutachten wurde aufgrund einer Untersuchung vom 22. Juni 2012 unter dem 6. Juli 2012 von Dr. S., Arzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, erstattet. Dieser diagnostizierte auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet ein Erschöpfungssyndrom/Neurasthenie, Somatisierungstendenzen, Hinweise auf ein Karpaltunnelsyndrom rechts (keine signifikanten sensomotorischen Ausfälle) sowie ein Wirbelsäulen-Syndrom ohne signifikante sensomotorische Ausfälle. Es liege ein arbeitstägliches Leistungsvermögen ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit von mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor. Über die qualitativen Ausschlüsse seitens des orthopädischen Fachgebiets hinaus seien Tätigkeiten mit vermehrt geistigen und psychischen Belastungen nicht mehr vertretbar. Hierzu gehörten Tätigkeiten mit vermehrt emotionalen Belastungen oder erhöhtem Konfliktpotenzial, z.B. in der unmittelbaren Heil- und Krankenpflege oder bei Sicherheits- und Ordnungsdiensten. Vermehrte Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen seien nicht zu stellen. Eine vermehrte Lärmexposition sei zu vermeiden.
Am 18. März 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Im Auftrag der Beklagten erstellte der Unfallchirurg und Orthopäde Dr. Sc. aufgrund einer Untersuchung am 22. April 2013 unter dem 24. April 2013 ein sozialmedizinisches Gutachten, in dem er eine chronische Lumbalgie mit Funktionseinschränkung, eine beginnende Coxarthrose beidseits, eine Polyarthralgie (anamnestisch auch Fibromyalgie), ein beginnendes Karpaltunnelsyndrom rechts sowie eine leichte depressive Episode diagnostizierte. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen oder Stehen verrichten; Einschränkungen bestünden für langes Stehen, häufiges Bücken, kniende oder hockende Tätigkeiten, Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie das Besteigen von Leitern oder Gerüsten.
Mit Bescheid vom 14. Juni 2013 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die Klägerin noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Die Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit seien mangels Berufsschutzes nicht erfüllt. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2013 als unbegründet zurück. Er führte unter anderem aus, die Klägerin sei dem Kreis der ungelernten Arbeiter(innen) zuzuordnen und könne deshalb auf alle ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden, die ihr gesundheitlich zumutbar seien.
Hiergegen erhob die Klägerin am 5. Dezember 2013 Klage beim SG, zu deren Begründung sie vortrug, durch die körperliche und mentale Dauerbelastung infolge der jahrzehntelangen schweren körperlichen Arbeit in der Landwirtschaft, des Großziehens ihrer sechs Kinder und der Pflege ihrer Mutter in den vergangenen zehn Jahren sei sie außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Das Begutachtungsergebnis des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten werde dem nicht gerecht. Es bestehe ein eingeschränktes Gangbild mit Hinken. Neben Schmerzen in verschiedenen Körperregionen mit Steifheit in den Gelenken und eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit leide sie an andauernder Müdigkeit bis hin zur Erschöpfung und zunehmenden Schlafstörungen.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. In der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 4. September 2014 führte Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, physikalische Therapie, Sozialmedizin Dr. Ed. aus, der Annahme eines eingeschränkten Leistungsvermögens im Gutachten von Dr. Sch. (dazu unten) könne nicht gefolgt werden. Aus der Anamnese gingen einzelne Items einer Schmerzstörung nicht hervor. Eine Abgrenzung zwischen einer anhaltend somatoformen Schmerzstörung und einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren erfolge nicht. Der wiedergegebene psychiatrische Befund zeichne nicht eine schwere Depression im Sinne einer schweren depressiven Episode ab. Bei einer solchen müssten drei Kernsymptome und zumindest vier Zusatzsymptome vorliegen, was vorliegend nicht dargelegt werde. Psychometrische Testungen seien nicht durchgeführt worden. Anhand der epikritischen Diskussion werde weder der Ausprägungsgrad der einzelnen depressiven Episode noch die Tatsache einer rezidivierend depressiven Störung deutlich. Aktenlage und Anamnese ließen einen fluktuierenden Verlauf einer möglichen depressiven Symptomatik mit einzelnen Phasen von Remission oder Teilremission nicht erkennen. Es sei nicht erkennbar, ob bei der Klägerin eine leitliniengerechte antidepressive Therapie mit adäquaten Änderungen und Ergänzungen vorgenommen werde; eine Psychotherapie als zweiter Pfeiler einer solchen Therapie erfolge nicht. Gemäß den Leitlinien für die Sozialmedizinische Begutachtung der Deutschen Rentenversicherung bedingten einzelne mittelgradige oder schwere depressive Episoden auch im Rahmen einer rezidivierend depressiven Störung vorübergehende Arbeitsunfähigkeiten und erforderten Krankenbehandlung, stellten jedoch in Anbetracht der üblicherweise vollständigen Remission oder auch Teilremission keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit dar. Anhand der Angaben zur Medikation mit Auslassung entsprechender Psychopharmaka und ausschließlicher Applikation von Diclofenac könne auch gefolgert werden, dass der Leidensdruck der Klägerin recht gering sei.
Das SG holte schriftliche Aussagen der behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen ein. Orthopäde Dr. Br. schloss sich in seiner Auskunft vom 4. März 2014 der Einschätzung von Dr. Sc. im Gutachten vom 14. April 2013 soweit an, dass die Klägerin leichten Tätigkeiten überwiegend im Sitzen vollschichtig nachgehen könne. Abweichend hiervon seien mittelschwere Tätigkeiten nicht mehr möglich. Des Weiteren gehe er davon aus, dass durchaus ein Fibromyalgie-Syndrom vorliege. Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. Z. beschrieb unter dem 21. Mai 2014 eine Rückenschmerzsymptomatik bei degenerativen Veränderungen der gesamten Wirbelsäule, Hüftgelenksarthrose beidseits, vor allem rechtsseitige belastungsabhängige Schmerzen der Knie und im rechten oberen Sprunggelenk bei Senk-Spreiz-Füßen beidseits, wiederholt auftretende bakterielle Hautentzündungen der Unterschenkel (Erysipel) bei chronischem, venostatischem Lymphödem beider Beine, chronisch entzündliche Hautrötungen im Gesicht und an beiden Händen unklarer, vermutlich allergischer Genese, chronisch entzündliche Reaktion der Kopfhaut sowie einen psychophysischen Erschöpfungszustand bei körperlicher Belastung und verschiedenen Dysstress-Situationen.
Das SG bestellte den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. zum gerichtlichen Sachverständigen, der aufgrund einer Untersuchung am 8. Juli 2014 in seinem am 22. August 2014 beim SG eingegangenen Gutachten eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, und eine somatoforme Schmerzstörung diagnostizierte. Die Klägerin könne leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt derzeit halbschichtig (unter sechs Stunden täglich) verrichten. Das Leistungsvermögen sei vor allem durch die Depression mit Einengung der affektiven Schwingungsfähigkeit, leichter Agitiertheit bei zugleich deutlichen Antriebsstörungen, Rückzugstendenzen und vegetativen Symptomen tangiert. Ausgeschlossen seien überwiegend mittelschwere bis schwere Tätigkeiten, Arbeiten mit besonders hohen Anforderungen an die Konzentration, die Dauerbelastbarkeit und Durchhaltefähigkeit sowie die Flexibilität sowie Tätigkeiten mit überwiegenden und ausschließlichem Publikumsverkehr. Nach der Anamnese bestehe die Minderung der Leistungsfähigkeit bereits seit der Zeit der orthopädischen Begutachtung im Rentenverfahren. Eine begrenzte Besserung unter Therapie sei denkbar, zumal derzeit keine spezifische Behandlung erfolge.
Im Erörterungstermin vor dem SG vom 10.12.2014 beantragte die Klägerin zur Niederschrift die Verurteilung der Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013 zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung und erklärte, seit ca. einem Jahr nicht mehr im psychiatrischer Behandlung gewesen zu sein.
Mit Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2015 verurteilte das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013, der Klägerin ausgehend von einem am 8. Juli 2014 eingetretenen Leistungsfall eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Februar 2015 bis zum Ablauf des Januar 2018 zu gewähren, und wies die Klage im Übrigen ab. Dem Gutachten von Dr. Sch. folgend, liege bei der Klägerin aufgrund einer somatoformen Schmerzstörung und eine rezidivierenden depressiven Störung, zum Untersuchungszeitpunkt schwer ausgeprägt, ein nur noch drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen auch für körperlich leichte Tätigkeiten vor. Die Darstellungen im Gutachten von Dr. Sch. deckten sich vollständig mit dem Eindruck, den es (das SG) im Erörterungstermin vom 10. Dezember 2014 von der Klägerin habe gewinnen können. Bei dieser bestehe zweifellos eine somatoforme Schmerzstörung, wobei die Klägerin nicht nur durch die Schmerzen an sich beeinträchtigt sei, sondern insbesondere darunter leide, dass ihr kein Arzt die Schmerzen in diesem Umfange durch eine organische Ursache erklären könne. Die von der Beklagten an diesem Gutachten geübte Kritik sei nicht nachvollziehbar, zumal auch die Beklagte Dr. Sch. wiederholt als Rentengutachter heranziehe. Auf die genaue Bezeichnung der Diagnose komme es vorliegend nicht an; entscheidend seien allein die Funktionseinschränkungen, die vorliegend erheblich seien. Die Klägerin habe im Termin vollkommen glaubhaft geschildert, dass sie viel lieber arbeiten würde, wenn sie nur könne, weil sie dies auch in der Vergangenheit stets getan habe und es letztlich auch nicht anders kenne. Gerade weil sie aufgrund der Schmerzen nicht mehr wie gewohnt und gewollt arbeiten könne, habe sich zudem eine Depression entwickelt, die den von Dr. Sch. beschriebenen Umfang erreicht habe. Die Behandlungsfähigkeit einer Gesundheitsstörung stehe der Annahme der Erwerbsminderung nicht entgegen. Die eigentlich gegebene teilweise Erwerbsminderung schlage in eine Rente wegen voller Erwerbsminderung durch, weil die Klägerin keinen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz innehabe. Als Eintritt des Leistungsfalles sei der 8. Juli 2014, der Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. Sch., zugrunde zu legen, da erst durch diese der volle Nachweis einer Erwerbsminderung zweifelsfrei erbracht worden sei. Die orthopädischen Gesundheitsstörungen führten nicht zu einer weitergehenden Einschränkung des Leistungsvermögens. Die Rente sei bereits deswegen zu befristen, weil sie nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand, sondern darauf beruhe, dass der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen sei.
Gegen den ihr am 23. Januar 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 16. Februar 2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ausgeführt, entgegen der Auffassung des SG belege das Gutachten von Dr. Sch. den Rentenanspruch der Klägerin nicht. Deren konkrete Teilhabe am Lebensalltag werde im Gutachten für eine Meinungsbildung nicht ausreichend abgebildet. Ein schlüssiger Tagesablauf fehle ebenso wie Plausibilitätsprüfungen zu bestimmten Angaben der Klägerin. Da der Schweregrad psychischer Krankheiten aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet werde, sei es erforderlich, gerade Teilbereiche exploratorisch zu erforschen und zu würdigen. Entgegen der Angaben der Klägerin zeigten frühere regelmäßige ärztliche Behandlungen, dass sie sich durchaus Zeit für solche nehmen könne und auch nehme. Aus dem relativ kurzen Tagesablauf im Gutachten von Dr. Sch. sei jedenfalls zu entnehmen, dass die Klägerin einen strukturierten Tagesablauf sowie Interesse an der Außenwelt habe und den Haushalt mache. Auf Grundlage der, wenn auch spärlichen, Angaben der Klägerin müsse davon ausgegangen werden, dass sie den Haushalt bewältige, noch in der Lage sei, Auto zu fahren, Interesse am Stricken und Gartenarbeit habe, den Computer nutze, um Kontakt mit den Kindern zu halten, und als Hobby Radfahren betreibe. Dr. Sch. dokumentiere zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Einbußen der Klägerin, die eine Rentengewährung begründen könnten. So berichte er von keinem krankheitswertigen Auffassungs- und Konzentrationsvermögen oder verstärkt ausgeprägten kognitiven Ermüdungszeichen oder unzureichender Konzentration während der Untersuchung. Angesichts der Feststellungen im Gutachten des Dr. Sc. vom 24. April 2013 und der dortigen Angaben der Klägerin zur medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva sei auch der von Dr. Sch. angenommenen Zeitpunkt des Eintrittes der Leistungsminderung nicht plausibel. Nach Aktenlage sei festzustellen, dass die Klägerin hinsichtlich ihrer orthopädischen Beschwerden fachärztliche Hilfe in Anspruch nehme, auf nervenfachärztliche Gebiet diese anscheinend seit Oktober 2012 nicht mehr benötige; eine antidepressive Behandlung lehne sie ohne nachvollziehbare Gründe ab. Die Behandlungsoptionen seien nicht ausgeschöpft. Verwiesen werde insoweit auf die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 20. Februar 2014 (L 10 R 1572/11, nicht veröffentlicht), wonach trotz Annahme eines derzeit auf unter sechs Stunden abgesunkenen Leistungsvermögens keine rentenrelevante Erwerbsminderung bestehe, wenn diese durch psychische Störungen bedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit nach Beginn einer adäquaten Behandlung voraussichtlich nicht für länger als sechs Monate vorliege.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Januar 2015 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat ausgeführt, das Gutachten von Dr. Sch., einem in der Rentenbegutachtung erfahrenen Facharzt, weise keinerlei Defizite auf. Das SG habe ausdrücklich festgehalten, dass sich die Darstellungen des Sachverständigen vollständig mit dem Eindruck deckten, den es im Erörterungstermin von ihr habe gewinnen können. Aktuell befinde sie sich nicht in nervenärztlicher Behandlung; die letzte Behandlung bei Dr. Se. habe 2013 stattgefunden. Das Gutachten von Dr. M. (dazu unten) divergiere in mehreren Punkten zum Gutachten von Dr. Sch ... Dem resümierten Ergebnis von Dr. M., im Rahmen der Untersuchung fänden sich multiple Auffälligkeiten im Sinne eines Tendenzverhaltens, werde widersprochen, da ihre besondere Situation und Historie bei der Bewertung nicht einbezogen worden sei. Unberücksichtigt geblieben sei, dass sie nicht durch die Schmerzen an sich, sondern auch insbesondere darunter leide, dass ihr kein Arzt die Schmerzen in diesem Umfange durch eine organische Ursache erklären könne. Dass sie bisher keine kontinuierliche psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen habe, beruhe darauf, dass sie ihr bisheriges Leben dem landwirtschaftlichen Betrieb, ihren sechs Kindern und ihrer schwerstpflegebedürftigen Mutter gewidmet habe. Die im Gutachten von Dr. M. ausdrücklich hervorgehobene kräftige Verhornung und Verfärbung der beiden Handinnenflächen und Fingernägel resultierten nicht aus aktueller körperlicher Tätigkeit, sondern aus der jahrzehntelang ausgeübten schweren körperlichen Arbeit in der Landwirtschaft.
Der Senat hat die Akten des SG über Rechtsstreite auf eine Rente wegen Erwerbsminderung gegen die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (S 4 LW 4479/10, S 3 LW 3850/11 und S 3 LW 3833/13) beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Die durch den Senat zur Sachverständigen bestellte Dr. M., Ärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, hat in ihrem aufgrund einer Untersuchung am 22. Juni 2015 erstellten Gutachten vom 8. Juli 2015 eine Neurasthenie und ein beginnendes Karpaltunnelsyndrom diagnostiziert. Eine Depressivität lasse sich nicht feststellen. Im Rahmen der Untersuchung und der Psychometrie fänden sich multiple Auffälligkeiten im Sinne von Tendenzverhalten. Es bestehe kein Hinweis auf einen erheblichen Leidensdruck. Medikamente nehme die Klägerin nur bedarfsweise im Sinne einer niedrigen Dosis von Schmerzmitteln, wodurch sie eine Besserung erfahre. Bei der Neurasthenie handle es sich um eine Diagnose ohne funktionelle Bedeutung; die von der Klägerin vorgetragenen Beschwerden bewirkten per se keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Gleiches gelte für das Karpaltunnelsyndrom. Die Klägerin sei daher in der Lage, eine leichte Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Dem Gutachten von Dr. Sch. könne nicht gefolgt werden, da dieser trotz deutlicher Hinweise auf ein Tendenzverhalten und völlig fehlende Behandlungsmaßnahmen keine Beschwerdevalidierung durchgeführt habe. Der dargestellte psychopathologische Befund entspreche nicht dem einer schweren depressiven Episode nach ICD 10-Kriterien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft gem. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da laufende Rentenleistungen für mehr als ein Jahr streitig sind. Der Senat konnte über die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein ein Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Januar 2018. Gegen die entsprechende Verurteilung wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Die Klägerin selbst hat gegen die Klageabweisung im Übrigen keine Berufung eingelegt. Streitbefangen ist damit der Bescheid vom 14. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013.
3. Die Berufung ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Januar 2018 verurteilt. Der - ablehnende - Bescheid vom 14. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013 ist im Umfang, in dem er im Berufungsverfahren noch streitbefangen ist, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
b) Diese Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung liegen bei der Klägerin nicht vor. Der Senat ist davon überzeugt, dass sie zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann.
(1) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet (nur) unter einer Neurasthenie leidet und die vom SG angenommenen somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende depressive Störung in gegenwärtig schwerer Episode nicht vorliegen. Dies entnimmt der Senat insbesondere dem Gutachten von Dr. M., darüber hinaus auch dem im Verfahren S 3 LW 3850/11 ebenfalls zur Fragestellung des Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von Dr. S. erstatteten Gutachten vom 6. Juli 2012, der dieselbe Diagnose gestellt hat. Bereits Dr. S. hatte anschaulich dargelegt, dass die von der Klägerin beklagten gesundheitlichen Einbußen (vermehrte Müdigkeit nach geistigen Anstrengungen, abnehmende Arbeitsleistung oder Effektivität bei der Bewältigung täglicher Aufgaben, Konzentrationsschwäche, Gefühle körperlicher Schwäche und Erschöpfung nach nur geringer Anstrengung, begleitet von Schmerzen und der Unfähigkeit, sich zu entspannen, Sorge über ein abnehmendes geistiges und körperliches Wohlbefinden, Freudlosigkeit und unterschiedliche, leichtere Grade von Depression) Hauptcharakteristika der Neurasthenie sind. Zu den diagnostischen Leitlinien gehört danach auch, dass die autonomen oder depressiven Symptome nicht anhaltend und schwer genug sind, um die Kriterien für eine der spezifischen Störungen zu erfüllen. Dass diese Schwere jeweils nicht erreicht wird, haben sowohl Dr. S. als auch Dr. M. für den Senat überzeugend anhand der von ihnen erhobenen Befunde dargelegt. Bereits bei Dr. S. fanden sich keine Anhaltspunkte für eine mittelschwere bis schwere depressive Störung. Die Klägerin zeigte eine gewisse Agitiertheit und wirkte vom Gesamteindruck her erschöpft. Allerdings konnten signifikante kognitive oder mnestische Defizite nicht erhoben werden. Die Stimmungslage war in der damaligen Gutachtenssituation lediglich leicht niedergeschlagen; eine tiefgehende oder vitale depressive Stimmungslage lag nicht vor. Die affektive Resonanzfähigkeit war nicht eingeschränkt. In der körperlichen Untersuchung ergaben sich keine Hinweise auf eine relevante schmerzbedingte Einschränkung. Alle Gelenke der oberen und unteren Extremitäten waren aktiv beweglich. Die Klägerin erreichte einen Fingerkuppen-Boden-Abstand von ca. 15 cm. Das Gangbild zeigte sich kleinschrittig, aber nur angedeutet etwas rechtshinkend. Der erhobene Tagesablauf war strukturiert, zeigte aber, dass die Klägerin in der Lage war, den Haushalt zu führen und jedenfalls leichte Gartenarbeiten – gerne – zu verrichten. Gegenüber dem früheren Zustand zeigten sich zwar Rückzugstendenzen, gleichwohl bestanden noch ausreichend Sozialkontakte. Die Klägerin zeigte Interessen und die Fähigkeit, Freude zu empfinden. Bei der Begutachtung durch Dr. M. zeigte sich eine normale affektive Schwingung; kognitive Einschränkungen bestanden nicht. Eine depressive Stimmungslage konnte nicht erhoben werden. Trotz der angegebenen Schmerzen wurde auch aktuell eine gute Beweglichkeit in der Untersuchungssituation inklusive kräftigem Einsatz beider Hände beschrieben. Das Bücken war möglich, die Bewegungen flink und geschickt; eine Verlangsamung bestand nicht. Es erfolgt lediglich eine bedarfsweise Einnahme von Schmerzmedikamenten. Antidepressiva werden nicht eingenommen. Wiederum zeigte sich ein strukturierter Tagesablauf, in dessen Rahmen die Klägerin Haushaltstätigkeiten durchführt und leichte Gartenarbeiten verrichtet. Eine psychotherapeutische Behandlung wurde zu keinem Zeitpunkt durchgeführt.
Die abweichende Einschätzung von Dr. Sch. ist für den Senat nicht überzeugend. Der nachvollziehbaren Beurteilung von Dr. M. folgend, entspricht der dargestellte psychopathologische Befund nicht dem einer schweren depressiven Episode nach ICD 10-Kriterien. Bereits Dr. Ed. hatte in ihrer als qualifizierter Parteivortrag zu berücksichtigenden sozialmedizinischen Stellungnahme vom 4. September 2014 dargelegt, dass bei einer schweren depressiven Episode drei Kern- und mindestens vier Zusatzsymptome für eine entsprechende Diagnose verlangt werden. Kernsymptome sind dabei gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Verminderung des Antriebs und Ermüdbarkeit. Zusatzsymptome sind verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken oder Suizidhandlungen, Schlafstörungen und verminderter Appetit. Dagegen findet sich im wiedergegebenen psychiatrischen Befund des Gutachtens von Dr. Sch. keine explizite Stellungnahme zur Stimmung. Die Klägerin wird beschrieben als in der Kontaktaufnahme "leicht" verlangsamt, in Gestik, Mimik und Körperhaltung "eher" gebunden und bei der Schilderung ihrer aktuellen und früheren Situation "gelegentlich etwas" hilflos. Vor allem bei Berührung affektiv besetzter Themenbereiche sei sie im Gedankengang agitiert, der Gedankengang etwas formal beschleunigt, die Assoziationen wirkten gedrängt. Ausdrücklich hat der Sachverständige hingegen festgehalten, dass die mnestischen und intellektuellen Funktionen sowie die Konzentration ausreichend gewesen seien, die Auffassung (nur) gelegentlich erschwert, im ganzen jedoch hinreichend. Damit sind, wie Dr. Ed. und Dr. M. plausibel kritisiert haben, die Kernsymptome einer schweren depressiven Episode nicht dargelegt. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Tagesablaufes, soweit er dem Gutachten von Dr. Sch. entnommen werden kann. Dieser zeigt sich wiederum strukturiert. Die Klägerin war – wenn auch langsamer als früher – in der Lage, den Haushalt zu führen. Sie konnte Interessen und Hobbies bezeichnen. So surfe sie am PC, halte - auch per E-Mail - Kontakte, fahre gerne Rad (4-5 km), stricke gerne und verrichte Gartenarbeiten. Soweit sie angab, mit dem Stricken und den Gartenarbeiten "nicht mehr so wie früher zu Recht" kommen, wurde dies von Dr. Sch. nicht mehr hinterfragt. Dem Gutachten von Dr. M. ist jedoch zu entnehmen, dass dies nicht auf Konzentrationsmängeln beruht, sondern sich die Klägerin in der Handbeweglichkeit eingeschränkt sieht. Eine Einschränkung der Erlebnisfähigkeit oder der Fähigkeit, Freude zu empfinden, ist dem Befund nicht zu entnehmen. Eine Agitiertheit war bereits von Dr. S. beschrieben und der Neurasthenie zugeordnet worden. Ein krankheitswertig eingeschränktes Auffassungs- und Konzentrationsvermögen oder verstärkt ausgeprägte Ermüdungszeichen in der Untersuchung werden nicht beschrieben. Der Senat vermag die fehlende psychotherapeutische und lediglich zwischenzeitlich – und auch nur sporadisch – durchgeführte psychiatrische Behandlung nicht als Ausdruck einer krankheitsbedingten Antriebsminderung werten, da die Klägerin im selben Zeitraum in regelmäßiger hausärztlicher und orthopädischer Behandlung stand. Zutreffend weist die Beklagte in der Berufungsbegründung daher darauf hin, dass dies eher für einen fehlenden Leidensdruck spricht. Angesichts des beschrieben, verbliebenen Aktivitätsniveaus und fehlender objektiv festgestellter Einbußen in der körperlichen Untersuchung vermag auch die Annahme einer ausgeprägten somatoformen Störung nicht zu überzeugen.
Orthopädisch bestehen bei der Klägerin eine chronische Lumbalgie mit nur endgradiger Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule, ohne radikuläre Ausfallsymptomatik und eine beginnende Coxarthrose beidseits, ebenfalls nur mit endgradiger Funktionseinschränkung. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. Sc. vom 24. April 2013, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51), und der damit übereinstimmenden Auskunft von Dr. Br ... Das von diesem als Fibromyalgie und von Dr. Sc. als Polyarthralgie beschriebene Beschwerdebild von Schmerzen ohne unmittelbares körperliches Korrelat ist in den Auswirkungen der Neurasthenie zuzuordnen. Daneben besteht das von Dr. Sc. und Dr. M. beschriebene beginnendes Karpaltunnelsyndrom, das noch nicht zu objektivierbaren Funktionsbeeinträchtigungen der Hände geführt hat.
(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränkten das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin nur in qualitativer, nicht in zeitlicher Hinsicht ein.
Ausgeschlossen sind aufgrund der orthopädischen Gesundheitsstörungen Tätigkeiten mit langem Stehen, häufigem Bücken, kniende oder hockende Tätigkeiten, Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie das Besteigen von Leitern oder Gerüsten. Dies entnimmt der Senat den übereinstimmenden Einschätzungen von Dr. Sc. und Dr. Br ... Zugunsten der Klägerin geht der Senat aufgrund des Gutachtens von Dr. T. davon aus, dass aufgrund einer - ebenfalls nur endgradigen - Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule auch ein permanentes Arbeiten über Kopf ausgeschlossen ist. Ebenfalls diesem Gutachten entnimmt der Senat den überzeugenden Ausschluss für permanente Arbeiten im Freien oder unter ständiger Exposition von Hitze, Kälte, Nässe, Zugluft und Temperaturschwankungen. Darüber hinausgehende Einschränkungen des Leistungsvermögens ergeben sich aus psychiatrischer Sicht nicht. Der Senat entnimmt dies dem aktuellen Gutachten von Dr. M ... Soweit im Gutachten von Dr. S. noch darüber hinausgehende qualitative Ausschlüsse angenommen worden sind, sind diese aufgrund des aktuellen, verbesserten Befundes aktuell nicht mehr zuzugestehen. Dabei berücksichtigt der Senat auch die eigenen Angaben der Klägerin gegenüber der Sachverständigen im Berufungsverfahren, wonach früher bestehende Sorgen inzwischen alle bewältigt seien. Unter Berücksichtigung der genannten Ausschlüsse war und ist die Klägerin in der Lage, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Der abweichenden Leistungsbeurteilung im Gutachten von Dr. Sch. vermag der Senat nicht zu folgen, da bereits die von ihm zugrunde gelegte Schwere der psychischen Gesundheitsstörungen aus oben genannten Gründen nicht überzeugend dargelegt worden ist.
(3) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.
(4) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.
Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.
(5) Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus den ärztlichen Äußerungen ergeben sich keine Befunde, die für eine unter den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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