L 6 SB 2631/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 6/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2631/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Die 1962 geborene Klägerin türkischer Staatsangehörigkeit, die seit 1975 in Deutschland lebt, verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie arbeitet seit ihrem 18. Lebensjahr im Dreischichtsystem bei der Firma Langnese, die Arbeit sucht sie regelmäßig mit dem Auto auf. Seit 25 Jahren ist sie mit einem Schichtarbeiter verheiratet, mit dem sie drei Kinder hat, die noch zuhause leben. Neben ihrer Berufstätigkeit macht sie Essen sowie die Wäsche für die Familie, reinigt das Eigenheim (zwei Etagen) und räumt auf. Nur beim Einkauf unterstützt sie ihr Ehemann, mit dem sie am Wochenende eine Stunde joggt. In den Ferien fliegt sie für drei bis vier Wochen in die Türkei, übernachtet in ihrer dortigen Wohnung und entspannt sich bei Schwimmen, Einkauf und Angehörigenbesuch (Anamnese Dr. R., Prof. Dr. G.).

Seit März 2009 befand sie sich in psychiatrischer Behandlung bei Dr. J., der sie mit antidepressiver Medikation und stützenden psychiatrischen Gesprächen behandelte. 2010 wurde bei ihr das Fettgewebe entfernt und eine Bauchdeckenplastik durchgeführt.

Seit 25. März 2010 hat die Klägerin insgesamt fünf Anträge auf Feststellung des GdB gestellt. Zuletzt mit Änderungsbescheid vom 8. Juni 2010 (Bl. 34 V-Akte) wurde bei ihr ein GdB von 30 seit 6. April 2010 wegen einer Anpassungsstörung, einer depressiven Verstimmung, Funktionsbehinderungen beider Schultergelenke und der Wirbelsäule, einer Daumensattelgelenksarthrose, einer Schilddrüsenunterfunktion sowie eines Diabetes mellitus festgestellt.

Auf ihren Änderungsantrag vom 30. März 2011 wurde die Funktionsbehinderung beider Schultergelenke/Daumensattelgelenksarthrose nunmehr mit einem Teil-GdB von 20 berücksichtigt, der hinzugetretene Zustand nach Bauchdeckenplastik (keine Funktionsbeeinträchtigung) begründe keinen GdB, so dass es insgesamt bei einem Gesamt-GdB von 30 verbleibe (Bescheid vom 26. Mai 2011). Mit weiterem Bescheid vom 12. Juli 2012 berücksichtigte der Beklagte auf den Antrag vom 3. April 2012 zusätzlich eine Refluxerkrankung der Speiseröhre, chronische Magenschleimhautentzündung und Speiseröhrengleitbruch (Teil-GdB 10), der Gesamt-GdB verblieb bei 30.

Am 20. Juni 2013 stellte die Klägerin den streitgegenständlichen Antrag auf Neufeststellung des GdB und machte eine Verschlimmerung seitens der Schultergelenkserkrankung wie der Depression geltend. Nach Einholung von Befundberichten (Rotatorenmannschettenläsion bei unauffälligen muskulären Strukturen (MRT vom 16. November 2011); rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradig (Bericht Dr. F. über eine einmalige Untersuchung vom 12. Juli 2013)) lehnte der Beklagte nach versorgungsärztlicher Auswertung von Dr. E., der keine wesentliche Änderung sah, den Antrag mit Bescheid vom 26. September 2013 ab. Zur Begründung wurde dargelegt, die Gesundheitsstörungen Bluthochdruck, Schilddrüsenunterfunktion, Polypabtragung bei Coloskopie sowie Diabetes mellitus bedingten jeweils keinen Einzel-GdB von 10 und stellten deswegen keine Behinderung dar. Eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen sei damit nicht eingetreten.

Zur Begründung ihres Widerspruchs legte die Klägerin ein Attest von dem Allgemeinmediziner Dr. R. vor, wonach ein gleichbleibendes Krankheitsbild vorliege, die bekannte Depression die Klägerin aber in ihrem Alltag sehr einschränke, auch die Beweglichkeit sei bei Degeneration multipler Gelenke reduziert. Nachdem die Versorgungsärztin Dr. M. diese Einschätzung bestätigte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2013 den Widerspruch mit der Begründung zurück, über den GdB sei letztmalig mit Bescheid vom 8. Juni 2010 entschieden worden. Eine weitere Erhöhung lasse sich seitdem nach den aktenkundigen Befunden nicht objektivieren.

Hiergegen hat die Klägerin am 2. Januar 2014 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, die sie nicht begründet hat.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt und die Klägerin anschließend orthopädisch und nervenärztlich begutachten lassen.

Die Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. F., die die Klägerin seit Juli 2013 behandelt, hat die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, zuletzt mittelgradig, bestätigt, die ihrer Einschätzung nach einen Teil-GdB von 30 angesichts der Erhöhung der antidepressiven medikamentösen Therapie begründe. Der Orthopäde Dr. Sch. hat die Funktionsbehinderung seitens beider Schultergelenke nicht ausreichend bewertet gesehen, da es zu starken Beschwerden mit Bewegungseinschränkung komme.

Dr. R. hat in seinem fachorthopädischen Gutachten vom 17. November 2014 keine Hinweise auf eine Nervenwurzelkompression oder eine pseudoradikuläre oder radikuläre Schmerz- und Reizsymptomatik, Reflexausfälle oder Sensibilitätsstörungen gefunden. Die Funktionsbeeinträchtigungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten müsse daher zwar als leichtgradig eingeschätzt, aber abweichend von dem Beklagten mit einem Teil-GdB von 20 bewertet werden. Der wiederkehrende Schmerz- und Reizzustand des linken Schultergelenkes mit degenerativen Verschleißerscheinungen wie der Daumensattelgelenksarthrose bei noch erhaltener Greiffähigkeit sei ausreichend mit einem Teil-GdB von 20 eingestellt, wenngleich die Vorwärts- und Seitwärtsbeweglichkeit, zwar schmerzhaft, bis 150 Grad erhalten und auch die Hände bei seitengleicher grober Kraft funktionell frei beweglich seien. Die Verschleißveränderungen der Hüftgelenke bedingten bei fehlender Druckempfindlichkeit und freier Beweglichkeit ebenso wie der Spreizfuß mit reizloser Narbe ohne funktionelle Störungen der Geh- und Stehfähigkeit keinen eigenständigen Teil-GdB.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 19. Januar 2015 nur eine Dysthymia (ICD-10 Nr. F34.1) diagnostiziert, die bei leichter Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit lediglich einen Teil-GdB von 10 begründen könne. Die von Dr. F. berichtete rezidivierende depressive Störung lasse sich hingegen angesichts der Inkonsistenz hinsichtlich der Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe wie der berichteten Leistungsfähigkeit ohne zu beobachtende Schmerzen oder Entlastungsverhalten nicht bestätigen. Die Klägerin spreche gebrochen Deutsch, eine Verständigung sei in ausreichendem Maße möglich, dabei Bewusstsein, Orientierung, Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis, Motorik und Affektivität unauffällig gewesen.

Hierauf hat die Klägerin noch einen Befundbericht der Psychotherapeutischen Praxis des Dipl.-Psych. S. vom 17. April 2014 vorgelegt, wonach sich die Klägerin seit 21. Februar 2014 in seiner ambulanten verhaltenstherapeutischen Behandlung befinde. Eine Verhaltenstherapie mit 25 Sitzungen sei genehmigt worden. Die Klägerin leide an einer mittelgradigen depressiven Episode, die im funktionellen Zusammenhang mit der gegenwärtigen psychosozialen Lebenssituation stehe.

Auf den Einwand der Klägerin, das nervenärztliche Gutachten sei nicht verwertbar, sie könne sich nicht ausreichend auf Deutsch verständigen, ist der Sachverständige Prof. Dr. G. erneut gehört worden. Dieser hat mit Schriftsatz vom 23. März 2015 bestätigt, die Klägerin habe zwar gebrochen Deutsch gesprochen, eine Verständigung sei jedoch in ausreichendem Maße möglich gewesen, um zu einer aussagekräftigen Bewertung zu gelangen.

Nach vorangegangener Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. Mai 2015, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 1. Juni 2015, mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte habe zu Recht nur einen GdB von 30 festgestellt. Dem diätisch angegangenen und mit Metformin behandelten Diabetes mellitus, welcher der Einnahme von zwei Tabletten pro Tag neben drei Blutzuckermessungen täglich und dem Führen eines Blutzuckertagebuchs bedürfe, sei keine funktionelle Bedeutung beizumessen. Es sei nicht ersichtlich, dass dieser eine Hypoglämie auslösen könne, die Klägerin sei in ihrer Lebensführung kaum eingeschränkt. Gleiches gelte für die Hypertonie, die stabil verlaufe, keinerlei Blutdruckspitzen seien dokumentiert. Die medikamentös versorgte Schilddrüsenunterfunktion und die Behinderung "Refluxkrankheit der Speiseröhre, chronische Magenschleimhautentzündung, Speiseröhrengleitbruch" begründeten keine schwerwiegenden Beeinträchtigungen. Diese ließen sich auch den anamnestischen Angaben der Klägerin gegenüber Prof. Dr. G. und Dr. R. nicht entnehmen. Zwar leide sie an rezidivierendem Sodbrennen, welches aber grundsätzlich einer medikamentösen Therapie zugänglich sei, darüber hinaus seien auch keine hieraus resultierenden Teilhabebeeinträchtigungen zu bestätigen. Im Bereich der Wirbelsäule imponierten Veränderungen der Halswirbelsäule (HWS), chondrotische Veränderungen der Lendenwirbelsäule (LWS) mit Schmerz-, Reiz- und Verspannungszuständen, somit lediglich eine Funktionsbeeinträchtigung leichten Grades, die maximal mit einem GdB von 20 zu bewerten sei, welches zuletzt auch der Sachverständige Dr. R. dargelegt habe. Die Verschleißerscheinungen der Schultern seien mäßig und begründeten endgradige Bewegungseinschränkungen, zusätzlich liege eine Daumensattelgelenksarthrose bei noch erhaltener Greiffähigkeit vor, so dass auch insoweit der anerkannte GdB von 20 angemessen sei. Daher könne die abweichende Einschätzung von Dr. Sch. nicht überzeugen. Auf psychiatrischem Fachgebiet imponiere lediglich eine Dysthymia mit wiederkehrender leicht depressiver Verstimmung, erhöhter Erschöpfbarkeit, Schlafstörungen und einem Gefühl der Unzulänglichkeit, damit eine leichtere psychovegetative bzw. psychische Störung, die ausreichend mit einem GdB von 10 gewürdigt werde. Hierfür spreche auch der geregelte und durchstrukturierte Tagesablauf und der Umstand, dass die Klägerin ihren Haushalt mit Versorgung des Ehemannes und der Kinder sowie ihrer beruflichen Tätigkeit im Dreischichtbetrieb, zu der sie mit dem eigenen Auto fahre, bewältigen könne. Dass sie kaum Raum für Freizeitaktivitäten habe und sich deshalb häufig erschöpft fühle, begründe keinen Krankheitswert, zumal ein sozialer Rückzug nicht erkennbar sei. Gleiches gelte für das Schmerzverhalten. Dass die Klägerin der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sei, sei für das SG mangels hellseherischer Fähigkeiten nicht erkennbar gewesen, zumal sie seit ihrem 13. Lebensjahr in der Bundesrepublik Deutschland lebe sowie seit ihrem 18. Lebensjahr und damit seit rund 35 Jahren einer beruflichen Tätigkeit nachgehe. Es hätte ihr deshalb im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten ggfs. oblegen, hierauf das Gericht aufmerksam zu machen. Auch ihre Behauptung, der Sachverständige habe das Gutachten nach Aktenlage erstellt, sei unrichtig. Prof. Dr. G. habe zahlreiche Befunde erhoben, die sich so nicht den Verwaltungsakten entnehmen ließen, was ausreichend dokumentiere, dass eine Verständigung möglich gewesen sei. Insgesamt gesehen sei der Gesamt-GdB damit noch ausreichend mit 30 bewertet, wenngleich die schwankende psychische Beeinträchtigung nunmehr etwas stärker ausgeprägt sei. Aus dem Attest des Dipl.-Psych. S. sei nichts anderes zu entnehmen, zumal der Klägerin eine gute Introspektion und Reflektion bescheinigt und lediglich davon gesprochen worden sei, die Therapie solle der Gefahr einer Chronifizierung der vorhandenen Symptomatik entgegentreten.

Hiergegen hat die Klägerin am 22. Juni 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt, zu deren Begründung sie wiederholt hat, das Gutachten des Prof. Dr. G. sei nicht verwertbar, da es ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers erstattet worden sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27. Mai 2015 sowie den Bescheid vom 26. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 8. Juni 2010 abzuändern und den Grad der Behinderung mit 50 ab 20. Juni 2013 festzustellen, sowie sie hilfsweise erneut auf nervenärztlichem Gebiet begutachten zu lassen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und verweist darauf, dass es eher zweifelhaft sei, ob Verständigungsschwierigkeiten das Ergebnis der Begutachtung beeinflusst hätten.

Der Senat hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass angesichts der ausführlichen viereinhalbstündigen Exploration keinerlei Anhaltspunkte für Verständigungsschwierigkeiten bestanden hätten, zumal sich die Klägerin offenbar auch mit ihrer deutschen Psychiaterin Dr. F. verständigen könne. Einen Antrag auf Begutachtung auf eigenes Kostenrisiko hat die Klägerin nicht gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligen wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 - Sozialgerichtsgesetz - SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet. Das SG hat die als kombinierte (Teil-)Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, vgl. zur Klageart BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R -, juris, Rz. 25 m. w. N.) zulässige Klage zu Recht abgewiesen, soweit mit ihr die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung des GdB mit 50 ab 20. Juni 2013 verfolgt worden ist. Die Klägerin hat ab diesem Datum keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30, wie dies der Beklagte mit Bescheid vom 8. Juni 2010 bereits festgestellt hat. Daher ist die angefochtene Verwaltungsentscheidung rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der Rechtstreit ist entscheidungsreif. Insbesondere bedurfte es keiner erneuten nervenärztlichen Begutachtung der Klägerin mehr, das Gutachten von Prof. Dr. G. hält der Senat ebenso wie das SG für verwertbar. Das Gutachten dokumentiert mit einer Fülle an anamnestischen Angaben der Klägerin, die so nur von ihr stammen können, dass die Verständigung ausreichend möglich war, wie dies der erfahrene Sachverständige auch dargelegt hat, zumal viele wiedergegebene Eindrücke nonverbaler Natur waren, worauf das SG zu Recht hingewiesen hat. An der Verständigungsmöglichkeit hat der Senat auch deswegen keinen Zweifel, weil die Klägerin sich mit ihrer deutschen Psychiaterin Dr. F. bzw. zuvor mit Dr. J. seit 2009 verständigen kann, in Deutschland die Schule besuchen musste und hier ausreichend lange lebt, um sich zumindest verständlich zu machen.

Gegenstand der Klage ist ein Anspruch auf Neufeststellung des GdB mit 50 ab 20. Juni 2013 aufgrund einer geltend gemachten Verschlimmerung desjenigen Gesundheitszustandes, der dem bestandskräftigen Bescheid vom 8. Juni 2010 zugrunde lag. Diesem Anspruch steht der Bescheid vom 26. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2013 entgegen, weil ihn das SG nicht zumindest teilweise aufgehoben hat. Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich, bezogen auf die tatsächlichen Verhältnisse, in Fällen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34; vgl. auch BSG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 RVs 5/95 -, BSGE 79, 223 (225) zum selben Beurteilungszeitpunkt bei der isolierten Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung), mangels Durchführung einer solchen, indes zum Zeitpunkt der Entscheidung, vorliegend also bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 21. April 2016.

Rechtsgrundlage für die beanspruchte Feststellung des GdB mit 50 mit Wirkung 20. Juni 2013 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Eine wesentliche Änderung liegt vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, das sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung ist im vorliegenden Zusammenhang bei einer Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, wobei das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 allerdings regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt (vgl. VG, Teil A, Nr. 7 a; BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R - SozR 4-1300 § 48 Nr. 26). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt (teilweise) aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 9a RVs 55/85 - SozR 1300 § 48 Nr. 29 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 V 2/10 R - SozR 4-3100 § 35 Nr. 5 m. w. N.; Schütze, in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rz. 4).

Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gem. § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30. Juni 2011: § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig ihrer Ursache, also final, bezogen ist (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris). Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R - SozR 3-3870 § 4 Nr. 24). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder es erstinstanzlichen Gerichts Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze und unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung haben die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen der Klägerin - im Vergleich zur Befundlage, wie sie dem Bescheid vom 8. Juni 2010 zu Grunde gelegen haben - sich nicht wesentlich geändert. Der angefochtene Bescheid vom 26. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2013 ist daher rechtmäßig. Das hat bereits das SG in Auswertung der Befundberichte der behandelnden Ärzte wie der beiden Sachverständigengutachten ausführlich begründet und zutreffend dargelegt. Der Senat schließt sich dem nach eigener Würdigung ausdrücklich an und sieht insofern von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SGG ab.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Funktionssystem "Rumpf" bei allenfalls endgradigen leichten Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule nach dem schlüssigen Gutachten von Dr. R. zwar einen Teil-GdB von 20 zur Folge hat (VG, Teil B, Nr. 18.9). Demgegenüber kann nach den Untersuchungsbefunden des Sachverständigen eine Funktionsbehinderung der Schultergelenke bei einer Normalbeweglichkeit von 150 Grad wie funktionell frei beweglichen Händen bei seitengleicher grober Kraft für die Daumengelenksarthrose der bislang angenommene Teil-GdB von 20 nicht aufrecht erhalten bleiben (VG, Teil B Nr. 18.13), der dadurch begründete GdB beträgt nur 10. Das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" bedingt auch zur Überzeugung des Senats weiterhin nur einen Teil-GdB von 20 (VG, Teil B Nr. 3.7), was der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. G., insbesondere den Feststellungen zu den Aktivitäten, der Tagesstruktur wie dem Freizeitverhalten, entnimmt, die eine enorme Belastbarkeit der Klägerin zeigen, so dass die Einschätzung, dass Bewusstsein, Orientierung, Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis, Motorik und Affektivität unauffällig gewesen sind, gut nachvollziehbar ist. Nur vor dem Hintergrund des schwankenden psychischen Gesundheitszustands, der aktuell der erst nach der Begutachtung aufgenommenen Behandlung bei Dipl.-Psych. S. bedarf, ist überhaupt der Teil-GdB von 20 begründbar.

Liegen, wie im Falle der Klägerin, mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden (vgl. hierzu und zum Folgenden VG, Teil A, Nr. 3 a bis d). Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsstörung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn paarige Gliedmaßen oder Organe betroffen sind. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss deren Auswirkungen aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R - Juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B - Juris).

Bei der Prüfung eines Gesamt-GdB von 50 verbietet es sich nicht, einen Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern vorzunehmen (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris). Vielmehr sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind (vgl. BSG Urteil vom 30. September 2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 10).

Gemessen an diesen Voraussetzungen sind die bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen (Teil-GdB 20 für die Funktionsbehinderung Wirbelsäule und Teil-GdB 20 für die Psyche) insgesamt noch nicht mit Gesundheitsschäden zu vergleichen, deren Funktionsbeeinträchtigungen eine Schwerbehinderung mit einem Gesamt-GdB von 50 begründen, sondern vielmehr weiterhin von 30.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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