L 5 R 2652/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 3297/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2652/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 01.06.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsbehandlung.

Der 1951 geborene Kläger war bis 1998 als Maschinenbautechniker (technischer Angestellter in der Qualitätssicherung) versicherungspflichtig beschäftigt. Seitdem übt er keine Erwerbstätigkeit mehr aus; er bezieht Arbeitslosengeld II. Anträge auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente wurden abgelehnt.

Am 29.02.2012 stellte der Kläger (der zuvor bereits Rehabilitationsbehandlungen absolviert hatte) einen Rehabilitationsantrag. Nach erfolglosem Verwaltungsverfahren (Ablehnungsbescheid vom 21.03.2012, Widerspruchsbescheid vom 04.09.2012) erhob der Kläger am 12.09.2012 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG, Verfahren S 3 R 2946/12).

Das SG holte den Bericht des Internisten Dr. K. vom 03.01.2013 ein (einmalige Untersuchung am 27.11.2012; Verdacht auf Morbus Reiter; Erwerbsfähigkeit gemindert und vermutlich durch stationäre Rehabilitationsbehandlung Besserung möglich) und erhob das Gutachten des Internisten und Rheumatologen F. (Oberarzt der Rehabilitationsklinik Bad W.) vom 12.06.2013. Dieser fand keinen sicheren Anhalt für das Vorliegen einer entzündlich-rheumatischen Systemerkrankung und auch klinisch keinen Anhalt für das Vorliegen familiärer oder periodischer Fiebersyndrome; die Verdachtsdiagnose des Dr. K. (Morbus Reiter) konnte der Gutachter nicht bestätigen. Er diagnostizierte ein chronisches Schmerzsyndrom bei linksbetontem Zervikobrachialsyndrom, arterielle Hypertonie, unter Medikation normoton, sowie leichtgradiges Übergewicht. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sowie für die vor Jahren zuletzt ausgeübte Tätigkeit als technischer Angestellter in der Qualitätssicherung sei weder erheblich gefährdet noch gemindert. Der Kläger könne leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) verrichten. Medizinische Teilhabeleistungen seien derzeit aus gesundheitlichen Gründen nicht dringend erforderlich. Langfristig werde die Fortsetzung bzw. Einleitung einer psychiatrisch/psychologischen Therapie bei Persönlichkeitsstörung und möglicher Somatisierungsstörung für angezeigt erachtet. Bei führendem zervikobrachialem Beschwerdebild sei die Fortsetzung bzw. Einleitung einer regelmäßigen krankengymnastischen Beübung angezeigt. Auffällig sei die Fixierung des Klägers auf seine Körpertemperatur. Subfebrile bis febrile Temperaturen seien bislang einmal aktenkundig geworden; insoweit solle ggf. eine weitere Abklärung erfolgen. Stationäre oder teilstationäre Rehabilitationsmaßnahmen seien aufgrund der vorhandenen Persönlichkeitsstruktur des Klägers nicht zielführend.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.12.2013 (- S 3 R 2946/12 -) wies das SG die Klage ab. Die dagegen erhobene Berufung des Klägers wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 26.02.2014 (- L 2 R 96/14 -) zurück. Zur Begründung führte es unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG) u.a. aus, soweit der Kläger das Vorliegen eines Chronic-Fatigue-Syndroms (CFS) geltend mache, ändere das nichts daran, dass von einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht auszugehen sei und dass auch eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme die Erwerbsfähigkeit nicht verbessern würde. Obwohl eine beträchtliche Anzahl ärztlicher Äußerungen (Sachverständigengutachten, ärztliche Behandlungs- und Befundberichte) vorlägen, habe kein Arzt beim Kläger ein CFS diagnostiziert; nur in einer ärztlichen Bescheinigung des Allgemeinarztes Dr. M. vom 08.07.2011 werde ein CFS, und das auch nur als Therapie- bzw. Behandlungsoption, nicht jedoch als Diagnose, erwähnt. Beim Kläger liege danach weder ein CFS noch ein Morbus Reiter vor. Die Erkrankungen des Klägers lägen auf psychiatrischem Fachgebiet. Insoweit fehle dem Kläger aber jegliche Behandlungseinsicht, so dass die Durchführung einer stationären medizinischen Rehabilitationsbehandlung eine Verbesserung des Gesundheitszustands nicht versprechen würde.

Am 10.04.2014 (Eingang bei der Beklagten) stellte der Kläger erneut einen Rehabilitationsantrag. Er sei seit 20 Jahren wegen eines CFS arbeitsunfähig; im Vordergrund stünden Schwäche und Fieber. Im beigefügten Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. W. vom 02.04.2014 ist zu den Diagnosen u.a. V.a. CFS aufgeführt (zur Diagnosesicherheit ist "V" (Verdachtsdiagnose) eingetragen). Außerdem sind - als gesicherte Diagnosen - Myalgien, Unwohlsein, Ermüdung sowie Bandscheibenschaden, zervikal, LWS, angegeben (jetzige Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen: Allgemeinzustandsbeeinträchtigung mit allgemeinen Erschöpfungszuständen, Arbeitsunfähigkeit, fieberartiges Empfinden).

Mit Bescheid vom 07.05.2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Am 15.05.2014 erhob der Kläger Widerspruch; er leide an einem CFS, weswegen seine Erwerbsfähigkeit seit 20 Jahren ausgeschlossen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 21.10.2014 erhob der Kläger Klage beim SG. Seine gesundheitlichen Beschwerden beruhten auf einem CFS; Dr. W. habe das bestätigt. Das CFS sei keine psychische Erkrankung. Seine orthopädischen Probleme habe er im Griff. Eine neurologisch-psychiatrische Diagnostik bringe nichts. Zur weiteren Begründung der Klage legte der Kläger Unterlagen (u.a.) über das CFS sowie Arztatteste (Dr. M. vom 20.10.2010: Ausschlussdiagnose CFS; Dr. W. vom 18.11.2014: Hauptproblem CFS) vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Näheren Aufschluss über eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit könne ausschließlich eine neurologisch-psychiatrische Diagnostik erbringen, was der Kläger aber strikt ablehne.

Das SG holte den Bericht des Dr. W. vom 04.03.2015 ein. Darin ist ausgeführt, der Kläger werde seit 24.01.2012 behandelt. Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen seien hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf eine Berufstätigkeit als technischer Angestellter schwerlich objektivierbar. Nach Angaben des Klägers lägen seit ca. 20 Jahren Unwohlsein, rasche Ermüdbarkeit und häufig Fieber - in der Praxis nie durch Messung bestätigt - sowie Schmerzen in der linken Schulter vor. Seit Ende Oktober 2014 nehme der Kläger nach Anleitung des auf die Behandlung des CFS spezialisierten Dr. St. das Medikament Nalorex ein; dieses habe eine Verlängerung der möglichen Gehstrecke bewirkt und die Tagesmüdigkeit beginne nicht mehr am Vormittag, sondern erst am Nachmittag. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers als technischer Angestellter werde für erheblich gefährdet erachtet, da der Kläger bereits jahrelang durch die geklagten Symptome arbeitsunfähig krank und eine Änderung des Beschwerdebildes im Sinne einer Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben aktuell und auf Sicht der nächsten Jahre nicht absehbar sei. Eine Rehabilitationsbehandlung könne sich nur dann auf die Erwerbsfähigkeit günstig auswirken, wenn sie sich auf eine spezialisierte Behandlung des CFS richte. Da er sich mit dieser Erkrankung aber nicht auskenne, könne er zur Art der Rehabilitationsleistungen keine weiteren Vorschläge machen.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.06.2015 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger könne die Gewährung einer Rehabilitationsbehandlung nicht beanspruchen. Hierfür fehle es (schon) an den persönlichen Leistungsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Beim Kläger liege weder eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit vor noch könne eine stationäre Rehabilitationsbehandlung die Erwerbsfähigkeit verbessern. Wie bereits im Urteil (richtig: Gerichtsbescheid) vom 11.12.2013 (- S 3 R 2946/12 -) und im Urteil des LSG vom 20.02.2014 (richtig: 26.02.2014) (- L 2 R 96/14 -) dargelegt worden sei, leide der Kläger an einem chronischen Schmerzsyndrom bei linksbetontem Zervikobrachialsyndrom und arterieller Hypertonie. Der Schwerpunkt der Erkrankungen liege aber auf psychiatrischem Fachgebiet. Wie das LSG (a.a.O) ebenfalls ausgeführt habe, sei ein CFS nicht festgestellt worden. Aus den im Klageverfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen - die mit Ausnahme des Attests des Dr. W. vom 18.11.2014 bereits in den vorangegangenen Verfahren vorgelegen hätten und dort gewürdigt worden seien - ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Dem Attest des Dr. W. vom 18.11.2014 sei nicht zu entnehmen, auf welche objektiven Befunde die darin aufgeführte Diagnose eines CFS gestützt werde. Dr. W. habe im Bericht vom 04.03.2015 demgegenüber mitgeteilt, er kenne sich mit dem CFS nicht aus und er habe das vom Kläger angegebene Fieber in seiner Praxis nie durch Messungen bestätigen können. Die Diagnose eines CFS könne daher nicht überzeugen. Davon abgesehen komme es ohnehin nicht auf Erkrankungen oder Diagnosen für sich allein, sondern auf die Auswirkungen von Erkrankungen auf die Erwerbsfähigkeit an. Eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Klägers könne aber (nach wie vor) nicht festgestellt werden. Vielmehr habe sich der Gesundheitszustand des Klägers seit Ergehen des Urteils des LSG vom 26.02.2014 (a.a.O.) offenbar sogar gebessert, nachdem im Bericht des Dr. W. vom 04.03.2015 infolge der Einnahme des Medikaments Nalorex ab Oktober 2014 eine Verlängerung der Gehstrecke und eine Verringerung der Tagesmüdigkeit mitgeteilt worden sei. Weitere Ermittlungen seien nicht durchzuführen. Eine Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet - auf dem der Erkrankungsschwerpunkt liege - lehne der Kläger ab; das gelte auch für eine entsprechende Behandlung.

Gegen den ihm am 06.06.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.06.2015 Berufung eingelegt. Er wiederholt und bekräftigt sein bisheriges Vorbringen. Das SG, ebenso im Verfahren S 3 R 2946/12 der Gutachter F., habe die vorliegenden Arztatteste (etwa des Dr. M. vom 08.07.2011) nicht hinreichend berücksichtigt. Unter psychiatrischen Erkrankungen leide er nicht; entsprechende Behandlungen hätten daher nichts gebracht. Auch eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung werde nichts bringen. Bei ihm liege (vermutlich von seinem Vater vererbt) ein CFS vor; Dr. W. habe diese Diagnose benannt. Von Dr. W. zu Unrecht angegebene Verbesserungen der Gehstrecke oder der Tagesmüdigkeit seien unerheblich. Die Fieberbeschwerden wirkten sich sofort auf den Kreislauf aus.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 01.06.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.10.2014 zu verurteilen, ihm eine stationäre medizinische Rehabilitationsbehandlung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig, jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsbehandlung zu Recht abgelehnt.

Das SG hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften das Leistungsbegehren des Klägers zu beurteilen ist (§ 10 SGB VI) und weshalb ihm danach eine stationäre Rehabilitationsbehandlung nicht gewährt werden kann. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Zur Begründung der Berufung hat der Kläger wesentlich Neues nicht geltend gemacht, vielmehr darauf beharrt, ihm stehe wegen des Vorliegens eines CFS die begehrte Rehabilitationsbehandlung zu. Das kann indessen auch im Berufungsverfahren nicht festgestellt werden. Die vom Kläger angeführten Arztunterlagen (etwa das Attest des Dr. M. vom 08.07.2011) sind von dem Gutachter F. und auch bereits vom LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 26.02.2014 (- L 2 R 96/14 -) gewürdigt worden. Dass Dr. W. (im Bericht vom 04.03.2015) ein CFS erwähnt hat, ändert nichts, kann insbesondere die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gewährung einer Rehabilitationsbehandlung nicht begründen, zumal Dr. W. nach eigenen Angaben über keine Fachkenntnis zum CFS verfügt und für die Gewährung von Rehabilitationsleistungen Diagnosen für sich allein nicht maßgeblich sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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