L 11 R 5055/15 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 6212/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5055/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Wertabhängige Gerichtsgebühren im sozialgerichtlichen Klageverfahren entstehen und sind fällig mit Einreichung der Klageschrift. Sie sind daher allein nach dem sich für diesen Zeitpunkt ergebenden Streitwert zu bemessen. Eine nur teilweise
Klagerücknahme oder teilweise Erledigung des Verfahrens wirkt
sich insoweit auf die Höhe der wertabhängigen Gerichtsgebühren
nicht aus.
2. Soweit darüber hinaus die gerichtliche Streitwertfestsetzung nach
§§ 23 Abs 1 Satz 1, 32 Abs 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
(RVG) auch für die Bemessung der wertabhängigen Rechtsanwaltsgebühren bindend ist und eine abweichende Gegenstandswertfestsetzung mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 33 RVG nicht in Betracht kommt, kann
hingegen ein berechtigtes Interesse bestehen, den Streitwert nach
Verfahrensabschnitten gestaffelt festzusetzen (vgl OVG Lüneburg,
15.05.2013, 8 OA 74/13 , juris; OVG Nordrhein-Westfalen, 13.06.2012,
12 E 486/12, juris; Bayerisches LSG, 14.9.2011, L 2 U 298/11 B, juris;
LSG Nordrhein-Westfalen, 20.05.2008, L 16 B 87/07 KR, juris; LSG
Rheinland-Pfalz, 13.03.2007, L 5 B 373/06 KNK, juris; vgl Hartmann,
aaO, § 52 GKG RdNr 16 mwN). Denn die wertabhängigen Rechtsanwaltsgebühren entstehen im sozialgerichtlichen Klageverfahren nicht schon mit der Klageeinreichung in vollem Umfang. Vielmehr können neben der allgemeinen Verfahrensgebühr
weitere Gebühren in Abhängigkeit von weiteren Verfahrenshandlungen
und -abschnitten zu späteren Zeitpunkten entstehen und fällig werden.
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.11.2015 abgeändert.

Der Streitwert für das Klageverfahren S 9 R 6212/12 wird für die Zeit bis 15.12.2012 auf 26.679,76 EUR und für die Zeit ab 16.12.2012 auf 3.944,88 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Senat entscheidet über die Streitwertbeschwerde der Beklagten gemäß § 68 Abs 1 Satz 5 iVm § 66 Abs 6 Satz 1 Halbsatz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) durch die Berichterstatterin allein, da die angegriffene Streitwertfestsetzung durch die Kammervorsitzende des Sozialgerichts Stuttgart (SG) als Einzelrichterentscheidung iS des § 66 Abs 6 Satz 1 Halbsatz 1 GKG anzusehen ist (vgl Senatsbeschluss vom 07.02.2011, L 11 R 5686/10 B, Justiz 2011, 169 mwN).

Die Beschwerde der Beklagten ist statthaft und zulässig, da nach § 197a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 68 Abs 1 Satz 1 GKG gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Abs 2 GKG), die Beschwerde stattfindet, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

Der Streitwert für das Klageverfahren erster Instanz wird für die Zeit bis 15.12.2012 auf 26.679,76 EUR und für die Zeit ab 16.12.2012 auf 3.944,88 EUR festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 2, § 47 GKG.

In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs 1 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 EUR anzunehmen (§ 52 Abs 2 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs 3 GKG).

Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet (§ 40 GKG); streitwerterhöhende oder -mindernde Umstände des unveränderten Streitgegenstandes bleiben unberücksichtigt (vgl VGH Baden-Württemberg 17.05.2011, 9 S 1167/11, NVwZ-RR 2011, 918).

Soweit nach diesem Streitwert im sozialgerichtlichen Klageverfahren wertabhängige Gerichtsgebühren bemessen werden, besteht regelmäßig keine Notwendigkeit, etwaige Reduzierungen des Streitwertes in verschiedenen Verfahrensabschnitten durch die gerichtliche Wertfestsetzung nachzuvollziehen. Denn die wertabhängigen Gerichtsgebühren im sozialgerichtlichen Klageverfahren entstehen und sind fällig nach § 6 Abs 1 Nr 5 GKG bereits in vollem Umfang schon mit Einreichung der Klageschrift. Sie sind daher allein nach dem für diesen Zeitpunkt festgesetzten Streitwert zu bemessen. Eine nur teilweise Klagerücknahme oder teilweise Erledigung des Verfahrens wirkt sich insoweit, dies zeigen auch die Regelungen in Nrn 7111, 7113, 7115 KV GKG ("Beendigung des gesamten Verfahrens", vgl Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl 2015, KV GKG Nr 7111 RdNr 1; Nr 1211 RdNr 3 mwN), auf die Höhe der wertabhängigen Gerichtsgebühren nicht aus.

Soweit darüber hinaus die gerichtliche Streitwertfestsetzung nach §§ 23 Abs 1 Satz 1, 32 Abs 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) auch für die Bemessung der wertabhängigen Rechtsanwaltsgebühren bindend ist (vgl BVerfG 23.08.2005, 1 BvR 46/05, NJW 2005, 2980) und eine abweichende Gegenstandswertfestsetzung mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 33 RVG nicht in Betracht kommt, kann hingegen ein berechtigtes Interesse bestehen, den Streitwert nach Verfahrensabschnitten gestaffelt festzusetzen (vgl OVG Lüneburg, 15.05.2013, 8 OA 74/13 , juris; OVG Nordrhein-Westfalen, 13.06.2012, 12 E 486/12 -, juris; Bayerisches LSG, 14.9.2011, L 2 U 298/11 B, juris; LSG Nordrhein-Westfalen, 20.05.2008, L 16 B 87/07 KR, juris; LSG Rheinland-Pfalz, 13.03.2007, L 5 B 373/06 KNK, juris; vgl Hartmann, aaO, § 52 GKG RdNr 16 mwN;). Denn die wertabhängigen Rechtsanwaltsgebühren entstehen im sozialgerichtlichen Klageverfahren nicht schon mit der Klageeinreichung in vollem Umfang. Vielmehr können neben der allgemeinen Verfahrensgebühr weitere Gebühren in Abhängigkeit von weiteren Verfahrenshandlungen und -abschnitten zu späteren Zeitpunkten entstehen und fällig werden (vgl etwa die Terminsgebühr, die nach Nr 3106 Satz 1 Nr 3 VV RVG auch bei Verfahrensbeendigung durch angenommenes Anerkenntnis in Betracht kommt). In Anbetracht der Bindungswirkung nach §§ 23 Abs 1 Satz 1, 32 Abs 1 RVG ist es daher geboten, streitwertrelevante Änderungen des Streitgegenstandes, die Einfluss auf die Höhe solcher erst während des laufenden gerichtlichen Verfahrens entstehenden wertabhängigen Rechtsanwaltsgebühren haben, schon bei der gerichtlichen Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs 2 Satz 1 GKG zu berücksichtigen und nach Verfahrensabschnitten gestaffelte Streitwerte festzusetzen.

In Anwendung dieser Grundsätze ist der Streitwert zunächst auf 26.679,76 EUR festzusetzen. Die Klägerin wandte sich gegen die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen nebst Säumniszuschlägen im Rahmen einer Betriebsprüfung. Mit Bescheid vom 09.12.2011 forderte die Beklagte zunächst 45.454,58 EUR inklusive 4.544,50 EUR Säumniszuschläge. Im Widerspruchsverfahren ermäßigte sie mit Änderungsbescheid vom 20.03.2012 die Nachforderung auf 34.869,05 EUR inklusive 4.156,50 EUR Säumniszuschläge. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 27.06.2012 ermäßigte sie die Forderung weiter auf 28.234,87 EUR inklusive 3.997 EUR Säumniszuschläge. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2012 gab die Beklagte dem Widerspruch nochmals teilweise statt (zu Punkt 8.2), wodurch sich die Beitragsforderung um weitere 1.111,11 EUR ermäßigte. Mit Ausführungsbescheid vom 04.12.2012 berechnete die Beklagte die noch streitige Beitragsforderung auf insgesamt 26.679,76 EUR inklusive 3.553 EUR Säumniszuschläge. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 14.11.2012 belief sich die streitige Nachforderung daher auf insgesamt 26.679,76 EUR. Aufgrund der teilweisen Stattgabe im Widerspruchsverfahren war die Beitragsforderung weiter ermäßigt worden, was auch auf die Säumniszuschläge durchschlägt. Auch wenn die Berechnung insoweit erst mit dem Ausführungsbescheid vom 04.12.2012 erfolgte, belief sich die Beschwer der Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung auf nur noch 26.679,76 EUR. Für die vom SG als Streitwert festgesetzten 44.343,47 EUR gibt es keine Grundlage.

Für den nachfolgenden Verfahrensabschnitt ab dem 16.12.2013 ist der Streitwert in Anwendung der dargestellten Grundsätze hingegen auf einen Betrag in Höhe von 3.944,88 EUR zu reduzieren. Nachträglich mit Fax vom 16.12.2013 hat die Klägerin die zunächst vollumfänglich erhobene Klage inhaltlich beschränkt auf die Nachforderung für die Beigeladenen zu 1) bis 3) und damit die Klage im Übrigen zurückgenommen; insoweit hat die Beklagte ein Anerkenntnis – auch hinsichtlich der Kosten - abgegeben.

Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse daran, die durch die teilweise Klagerücknahme bewirkte Änderung des Streitgegenstandes schon bei der gerichtlichen Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs 2 Satz 1 GKG zu berücksichtigen. Denn die gerichtliche Streitwertfestsetzung ist nach §§ 23 Abs 1 Satz 1, 32 Abs 1 RVG auch für die Bemessung der wertabhängigen Rechtsanwaltsgebühren bindend. Eine abweichende Gegenstandswertfestsetzung ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 33 RVG nicht möglich und jedenfalls die wertabhängige Terminsgebühr ist erst nach der teilweisen Klagerücknahme entstanden.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs 3 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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