L 10 R 1677/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 3565/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1677/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16.03.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Der am 1962 geborene Kläger schloss im Jahre 1981 eine Ausbildung zum Friseur ab, war in diesem Beruf aber nur kurz tätig und in der Folgezeit in verschiedenen Bereichen beschäftigt. Seit Februar 2006 ist er als Reinigungskraft im Universitätsklinikum H. in Vollzeit (39 Stunden die Woche) beschäftigt. Seine Arbeitszeit beginnt um 5.00 Uhr morgens und endet um 13.30 Uhr. Von seinem Lebenspartner wird er morgens mit dem Auto zur Arbeit gefahren, nachmittags kehrt er mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Straßenbahn und Bus) nach Hause zurück.

Der Kläger leidet an Schmerzzuständen insbesondere im Bereich der Wirbelsäule. Deshalb wurde er von November bis Dezember 2013 in den J. Rehakliniken unter den Diagnosen chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, degeneratives Wirbelsäulen-Syndrom, arterielle Hypertonie stationär behandelt und mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich sowohl für die ausgeübte Tätigkeit als Reinigungskraft als auch für mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entlassen. Zu vermeiden seien längere Wirbelsäulen-Zwangshaltungen.

Den vom Kläger am 21.03.2014 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.05.2014 und Widerspruchsbescheid vom 15.10.2014 ab. Zu Grunde lag neben dem Entlassungsbericht der J. Rehakliniken das Gutachten des Chirurgen und Orthopäden Dr. S. , der nach einer Untersuchung des Klägers im September 2014 die im Entlassungsbericht der J. Rehakliniken gestellten Diagnosen und vorgenommene Leistungsbeurteilung bestätigte. Mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, überwiegend im Gehen, überwiegend im Sitzen im sinnvollen Wechsel und damit auch die ausgeübte Tätigkeit als Reinigungskraft seien vollschichtig möglich.

Das hiergegen am 18.11.2014 mit dem Ziel, die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu erreichen, angerufene Sozialgericht Mannheim hat zunächst die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Sowohl der Orthopäde Dr. B. , als auch der Chirurg L. und ebenso der Hausarzt Dr. F. haben ein Leistungsvermögen für jedenfalls leichte Tätigkeiten von sechs Stunden und mehr bestätigt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die schriftlichen Aussagen Bezug genommen.

Auf den Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Sozialgericht beim Facharzt für Allgemeinmedizin und Anästhesiologie Dr. F. ein Gutachten eingeholt. Ihm gegenüber hat der Kläger unter anderem angegeben, abends mit dem Hund rauszugehen, leichte Hausarbeiten zu verrichten, Mahlzeiten zuzubereiten, Wäsche zu waschen, wobei er nicht über Kopf aufhängen könne, kleinere Mengen einzukaufen und kurze Spaziergänge zu machen. Der Sachverständige hat auf der Grundlage vom Kläger zu Hause ausgefüllter Fragebögen, die er im Rahmen der Exploration mit dem Kläger durchgegangen ist, und die er als verlässliches, reliables und konsistentes Messwerkzeug angesehen hat (Bl. 81 SG-Akte) und vor dem Hintergrund seiner Auffassung, dass die Klassifikationssysteme so viel Diagnosen wie möglich zu kodieren fordern, um das Gesamtkrankheitsgeschehen vollständig zu beschreiben (Bl. 114 SG-Akte), eine Vielzahl an Diagnosen gestellt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Bl. 114/115 der SG-Akte Bezug genommen. Leichte bis hälftig mittelschwere Tätigkeiten seien dem Kläger noch möglich, Zwangshaltungen seien nicht mehr zumutbar, ebenso wenig häufiges Bücken sowie Arbeiten auf Leitern, schnelle Reaktionsleistungen, anspruchsvolle Tätigkeiten und Arbeiten mit erhöhter Verantwortung. Das zeitliche Leistungsvermögen hat er mit vier bis fünf Stunden Dauer eingeschätzt und dies damit begründet, dass häufig längere Fehlzeiten aufgetreten seien und eine chronisch depressive Episode mit biologischen Tagesschwankungen, Kraftminderung, Müdigkeit und schneller Erschöpfung mit verzögerter Erholung vorliege.

Daraufhin hat das Sozialgericht ein Gutachten von Amts wegen bei der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. eingeholt, die auf Grund einer Untersuchung im Dezember 2015 beim Kläger eine depressive Erkrankung ausgeschlossen und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychische Faktoren diagnostiziert hat. Der Kläger hat angegeben, dass er einmal im Monat mit seinem Partner zusammen den Grundeinkauf mache und zwischendurch Kleinigkeiten, die frischen Sachen wie Brot, einkaufe. Er selbst putze die Fenster und mache auch die Gardinen. Er lese Zeitschriften, er gucke fern, er spiele auch sehr viel mit dem Hund, nachmittags und abends gehe er gemeinsam mit seinem Partner und dem Hund für jeweils eine halbe Stunde spazieren. Die Sachverständige hat leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Wechselrhythmus sechs Stunden und mehr täglich für zumutbar erachtet. Zu vermeiden seien Tätigkeiten unter erhöhtem Zeit- und Leistungsdruck (Akkord- und Fließbandarbeiten), Tätigkeiten, die einen ständigen Wechsel des Tag-Nacht-Rhythmus mit sich bringen, Tätigkeiten mit erhöhter geistiger Beanspruchung oder erhöhter Verantwortung. Geistig im normalen Maße beanspruchende Tätigkeiten seien zumutbar. In Bezug auf das Gutachten von Dr. F. hat sie darauf hingewiesen, dass die dort zur Begründung einer zeitlichen Leistungseinschränkung angeführte chronisch-depressive Episode als chronische Episode in sich ein Widerspruch darstelle. Die Diagnose einer depressiven Störung lasse sich anhand der vorliegenden Befunde und des aktuellen Beschwerdebildes nicht stellen.

In einer ergänzenden Stellungnahme hierzu hat Dr. F. auf einen "Paradigmenwechsel" durch das neue DSM-5 hingewiesen, wogegen Dr. S. nach der ICD-10 diagnostiziert habe.

Mit Urteil vom 16.03.2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat sich der Leistungsbeurteilung der behandelnden Ärzte und von Dr. S. angeschlossen und darauf hingewiesen, dass der Kläger angesichts seiner Alltagsgestaltung durch seine Vollzeittätigkeit nicht unzumutbar erschöpft werde. Der Annahme eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens stehe im Übrigen die tatsächliche Erwerbstätigkeit entgegen (Hinweis auf Urteil des Bundessozialgerichts vom 26.09.1975, 12 RJ 208/74 in SozR 2200 § 1247 Nr. 12). Die von Dr. F. angeführte überdurchschnittliche Depressivität und Hilflosigkeit des Klägers sei nicht überzeugend belegt. Der Sachverständige schließe unter anderem aus einer angenommenen psychotherapeutischen Behandlung auf einen vorhandenen Leidensdruck, wobei diese psychotherapeutische Therapie tatsächlich nicht stattfinde, wie der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung bestätigt habe. Soweit der Sachverständige meine, die Messung von Schmerzen könne nur über eine Selbsteinschätzung in Fragebögen erfolgen, treffe dies nicht zu.

Gegen das ihm am 31.03.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.04.2016 Berufung eingelegt. Er meint, das vom Sozialgericht angeführte Urteil des Bundessozialgerichts sei völlig anders gelagert, weil die dortige Beklagte mit fehlenden Anwartschaftszeiten argumentiert habe. Im Übrigen sei auf den Einzelfall abzustellen. Wie es zu der Aussage im Urteil komme, der Kläger sei durch seine Tätigkeit nicht unzumutbar erschöpft, sei nicht nachvollziehbar. Tatsächlich gehe ausschließlich der Partner des Klägers mit dem Hund spazieren. Der Partner wasche auch die Wäsche, hänge sie auf und ab, bügle sie, koche, mache den Abwasch, putze die Fenster, bringe die Gardinen an. Er fahre den Kläger morgens kurz nach vier Uhr zu seiner Arbeitsstelle.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16.03.2016 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 21.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2014 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Abs. 1 Satz 1 der Regelung), wenn sie - unter anderem - teilweise erwerbsgemindert sind.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegt, das und aus welchen Gründen beim Kläger keine rentenrelevante Leistungseinschränkung vorliegt. Es hat sich dabei zu Recht den Leistungsbeurteilungen der behandelnden Ärzte und von Dr. S. angeschlossen und die Ausführungen von Dr. F. nicht für überzeugend erachtet. Der Senat sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Die Einwände des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts greifen nicht durch.

Soweit er rügt, dass sich das Sozialgericht auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 26.09.1975 berufen habe, ist die Relevanz des vom Kläger geschilderten Unterschieds in der Fallgestaltung für die hier entscheidende Frage der Indizwirkung einer tatsächlich ausgeübten Tätigkeit nicht erkennbar. Tatsächlich hat das Bundessozialgericht in der genannten Entscheidung - ebenso wie in jener vom 28.02.1963, 12/3 RJ 24/58 in SozR Nr. 24 zu § 1246 RVO und in der später ergangenen Entscheidung vom 16.03.1989, 4 RA 37/88 - der Tatsache einer tatsächlich verrichteten Tätigkeit einen unter Umständen stärkeren Beweiswert zugemessen als den diese Tätigkeit scheinbar ausschließenden medizinischen Befunden. Auf den entsprechenden Hinweis hat der Kläger seinen Vortrag insoweit auch nicht näher erläutert.

Zu Unrecht rügt der Kläger auch die Unrichtigkeit der vom Sozialgericht angeführten Alltagsverrichtungen. Tatsächlich beruhen diese Ausführungen des Sozialgerichts auf der Dokumentation von Dr. S. (Bl. 160 f. SG-Akte). Dr. S. hat die Angaben des Klägers über seine Alltagsaktivitäten dahingehend wiedergegeben, dass er einmal im Monat mit seinem Partner zusammen den Grundeinkauf mache und zwischendurch Kleinigkeiten, die frischen Sachen wie Brot, einkaufe. Er selbst putze die Fenster und mache auch die Gardinen. Er lese Zeitschriften, er gucke fern, er spiele auch sehr viel mit dem Hund, nachmittags und abends gehe er gemeinsam mit seinem Partner und dem Hund für jeweils eine halbe Stunde spazieren. Auch Dr. F. hat die Angaben des Klägers dahingehend dokumentiert, dass er abends mit dem Hund rausgehe (Bl. 80 SG-Akte), leichte Hausarbeiten mache, kleine Mengen einkaufe, Mahlzeiten vorbereite, Wäsche wasche und kurze Spaziergänge unternehme (Bl. 84 SG-Akte).

Soweit der Kläger nun seine eigenen Angaben in der Berufungsbegründung in Abrede stellt, überzeugt dies nicht und rechtfertigt Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers. Dies korrespondiert mit der Dokumentation von Dr. S. über aggravatives bis simulatives Verhalten des Klägers (hierzu sogleich).

Hervorzuheben ist noch einmal, dass selbst nach der Beurteilung sämtlicher behandelnder Ärzte - des Orthopäden Dr. B. , des Chirurgen L. und des Hausarztes Dr. F. - der Kläger trotz der bei ihm vorhandenen Beschwerden und Gesundheitsstörungen in der Lage ist, sechs Stunden und mehr zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben und somit selbst von den behandelnden Ärzten keine rentenrelevante Leistungseinschränkung angenommen wird. Dies stimmt überein mit der Beurteilung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. S. , jener des Dr. S. und jener der Ärzte der J. Rehakliniken, die allesamt keine rentenrelevanten Einschränkungen gesehen haben. Diesen Beurteilungen schließt sich der Senat an.

Allein der gerichtliche Sachverständige Dr. F. weicht in seiner Leistungsbeurteilung insoweit ab, als er dem Kläger nur noch vier bis fünf Stunden täglich leichte Arbeiten zumuten möchte. Indessen ist dies - worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat - nicht überzeugend. Dr. F. begründet seine Leistungsbeurteilung (Bl. 117 SG-Akte) ausdrücklich mit häufigen längeren Fehlzeiten sowie einer chronischen depressiven Episode. Dabei hat Dr. S. bereits darauf hingewiesen, dass eine chronische Episode einen Widerspruch in sich darstellt und auch längere Fehlzeiten keine anhaltende Leistungsminderung bedingen, wenn zwischenzeitlich eine vollschichtige Tätigkeit - wie beim Kläger - möglich ist. Ohnehin kann beim Kläger nicht von solchen häufigen oder längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen der Schmerzzustände ausgegangen werden. Insoweit hat das Sozialgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass nach den eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 16.03.2016 die letzte Arbeitsunfähigkeit wegen Wirbelsäulenbeschwerden im Oktober 2015 war. Eine Arbeitsunfähigkeit im Dezember 2015 trat wegen eines Norovirus und wegen einer Bronchialerkrankung ein, also gerade nicht wegen der Schmerzzustände. Dr. F. geht somit auch insoweit von unzutreffenden Tatsachen aus.

Darüber hinaus kann der Leistungsbeurteilung von Dr. F. schon im Ansatz nicht gefolgt werden. Der Sachverständige hat seine Beurteilung in erster Linie auf die durch Fragebögen erhobenen Beschwerdeangaben des Klägers gestützt und die Auffassung vertreten, dass dies ein verlässliches Messinstrument darstelle. Tatsächlich trifft dies nicht zu, weil die Angaben des Versicherten über seine Beschwerden alleine grundsätzlich einer gutachterlichen Leistungsbeurteilung (anders als bei therapeutischen Maßnahmen) nicht zu Grunde gelegt werden können, vielmehr solche Beschwerdeangaben im Rahmen der gutachterlichen Prüfung einer kritischen Betrachtung bedürfen. Eine derartige Konsistenzprüfung ist dem Gutachten von Dr. F. nicht zu entnehmen, auch wenn er auf Bl. 126 der SG-Akte ausführt, die Beschwerden des Klägers seien nachvollziehbar und beobachtbar. Allein die Tatsache, dass der Kläger im Rahmen der körperlichen Untersuchung durch den Sachverständigen Schmerzäußerungen von sich gab, stellt keine kritische Überprüfung der Beschwerdeangaben dar. Hierzu hätte aber angesichts der Dokumentation von Dr. S. über aggravatives Verhalten des Klägers besonderer Anlass bestanden. So dokumentierte Dr. S. , dass bei der körperlichen Untersuchung zunächst keinerlei Schmerzen angegeben wurden, beim Heben des Beines von der Untersuchungsliege dann aber Schmerzen im gesamten Bein und bei der Kniebeugung und Hüftbeugung in beiden Waden. Diese Beschwerden seien aber - so Dr. S. - weder anatomisch, segmental, neurologisch noch funktionsbedingt Pathologica zuordenbar, weshalb die Demonstration in keiner Weise nachvollziehbar und auch nicht mehr verifizierbar sei. Ähnliche Vorgänge schilderte er für die Entfaltbarkeit der Wirbelsäule, die extreme Berührungsempfindlichkeit des Abdomens und des gesamten Rückens sowie der Trigeminusdruckpunkte. Entsprechend gelangte er zu dem Schluss, dass diese Vorgänge als Aggravations- und Simulationstendenzen im Sinne einer Rentenwunschverstärkung anzusehen seien. Dementsprechend hätte Dr. F. die in den Fragebögen vom Kläger geschilderten Beschwerden und die im Rahmen der Untersuchung vom Kläger angegebenen Beschwerden nicht ohne kritische Prüfung seiner Leistungsbeurteilung zu Grunde legen dürfen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch Dr. S. in ihrem Gutachten (Bl. 171 SG-Akte) Tendenzen zur Verdeutlichung beschrieben hat.

Soweit Dr. F. in seiner ergänzenden Stellungnahme ausführt, Dr. S. habe ihre Diagnosen nach ICD-10 gestellt und dies sei veraltet, kommt dem keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu. Zum einen gilt das Klassifikationssystem des ICD-10 in Deutschland noch immer und wird von den Ärzten in der Bundesrepublik Deutschland ihrer Diagnostik zu Grunde gelegt. Die bloße Behauptung von Dr. F. , das DSM-5 habe zu einem "Paradigmenwechsel" geführt, berücksichtigt lediglich die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten und ignoriert die Tatsache, dass diese diagnostischen Kriterien vorrangig dafür konzipiert wurden, um den Anforderungen von Klinikern, Mitarbeitern des öffentlichen Gesundheitswesens und Forschern gerecht zu werden, und weniger im Hinblick auf die spezifischen Erfordernisse von Gerichten (Falkai und Wittchen, Diagnostische Kriterien DSM-5, S. 17). Im Übrigen kommt es im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung weniger auf eine konkrete diagnostische Zuordnung der gesundheitlichen Störungen, als auf deren funktionelle Auswirkungen an. Vor diesem Hintergrund geht die Kritik von Dr. F. am Gutachten von Dr. S. fehl.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Dr. F. als Facharzt für Allgemeinmedizin und Anästhesiologie keine besondere Ausbildung in Bezug auf die Diagnose psychiatrischer Störungen besitzt, so dass seine psychiatrische Diagnostik, insbesondere die Diagnose einer depressiven Störung mit der er die von ihm angenommene zeitliche Leistungseinschränkung begründet, eher fachfremd anmutet. Insoweit hat die Fachärztin für Psychiatrie Dr. S. in ihrem Gutachten nachvollziehbar dargelegt, dass die Kriterien für die Annahme einer depressiven Störung nicht erfüllt sind. Sie hat insbesondere dargelegt, dass beim Kläger der Bereich der Affektivität kein Störungsmuster aufweise. Die Grundstimmung des Kläger hat sie als ausgeglichen und die affektive Resonanzfähigkeit als normal beschrieben. Nur kurzzeitig und themenbezogen, als der Kläger vom Tod seiner älteren Schwester berichtet hat, ist eine gedrückte Stimmungsauslenkung spürbar gewesen, über weite Abschnitte des Gespräches hat der Kläger aber mit ausgeglichenem Affekt, auch mit Lächeln berichtet. Andere psychopathologischen Symptome, die einem depressiven Störungsbild zugeordnet werden könnten, hat die Sachverständige nicht erfassen können. Weder hat sie eine Störung des Denkablaufes noch eine Antriebsminderung feststellen können und eine Minderung oder gar Hemmung im psychomotorischen Ausdrucksverhalten ist nicht aufgetreten. Der Kläger hat in normalem Maße spontan berichtet und dies mit normaler lebendiger Gestik und Mimik unterstrichen. Es hat sich weder eine Minderung von Interesse noch Initiative gezeigt. Angesichts dessen ist für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar, dass Dr. S. eine depressive Störung ausgeschlossen hat. Einen fassbaren, aussagekräftigen Befund, der für die Diagnose einer depressiven Störung erforderlichen Defizite aufzeigen würde, hat Dr. F. nicht erhoben und dann auch in seiner ergänzenden Stellungnahme dem von Dr. S. erhobenen unauffälligen Befund nicht gegenüber gestellt. Die von Dr. F. formulierte (Bl. 200 SG-Akte) eigene Überraschung angesichts des von Dr. S. dargestellten unauffälligen Befundes mit dem Hinweis, der Kläger nehme Tramadol ein, ersetzt eine konkrete Befunderhebung nicht.

Festzustellen ist somit, dass der Kläger jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der von den J. Rehakliniken, Dr. S. und Dr. S. aufgeführten qualitativen Einschränkungen (aus orthopädischer Sicht keine längere Wirbelsäulen-Zwangshaltungen, aus nervenärztlicher Sicht ohne erhöhten Zeit- und Leistungsdruck, wie bei Akkord- und Fließbandarbeiten, ohne ständigen Wechsel des Tag-Nacht-Rhythmus und ohne erhöhte geistige Beanspruchung oder erhöhte Verantwortung) noch in vollschichtigem Umfang verrichten kann. Dies dokumentiert der Kläger im Übrigen überzeugend - worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat - mit seiner - nicht nur auf leichte Tätigkeiten beschränkten - Tätigkeit als Reinigungskraft, die er in vollschichtigem Umfang und ohne überwiegende Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen der Schmerzzustände ausübt und neben der er noch in der Lage ist, Tätigkeiten für den Haushalt und im Rahmen der Freizeitgestaltung (unter anderem spielen mit dem Hund und Spaziergänge mit dem Partner und dem Hund) zu verrichten. Damit ist die Beurteilung von Dr. F. - entsprechend der angeführten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - nicht nur nicht überzeugend, sondern sogar widerlegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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