L 11 R 1441/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 1519/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1441/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24.03.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Beklagten.

Der Kläger ist am 22.04.1958 in Polen geboren. Er lebt seit 1993 in der Bundesrepublik. In Polen hat er eine Ausbildung zum Gas-/Wasser-/Heizungsinstallateur absolviert und war in diesem Beruf auch in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2003 versicherungspflichtig beschäftigt. Ein Grad der Behinderung von 50 sowie das Merkzeichen G sind anerkannt. Aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs vom 16.06.2009 bezieht er seit dem 01.10.2006 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Ein Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 14.01.2010 blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 30.07.2010, Widerspruchsbescheid vom 09.12.2010). Die hiergegen zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage wies das SG nach Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Orthopäden Dr. J. (Leistungsbeurteilung: leichte und kurzzeitig mittelschwere Tätigkeiten 6h/täglich möglich) mit Urteil vom 08.11.2011 ab (Az S 8 R 5311/10). Die hiergegen beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung (Az L 4 R 5340/11) nahm der Kläger am 21.03.2013 zurück, nachdem auch der Orthopäde Dr. W. in einem gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholten Sachverständigengutachten ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes beschrieb.

In der Zeit vom 18.10.2013 bis zum 08.11.2013 absolvierte der Kläger eine ganztägige ambulante medizinische Rehabilitation im Zentrum für Rehabilitation und Prävention am E. in K ... Im Entlassungsbericht vom 11.11.2013 sind folgende Diagnosen aufgeführt: - Lumboischialgie bds. bei BS-Protrusion L4/5 mit Kompression der Nervenwurzel L5 bds., - diskrete Spondylolisthese bei L5/S1 bei Spondylolyse bds. mit resultierender leicht bis mäßiggradiger foraminaler Enge bei L5/S1, - beginnende Hüftgelenksarthrose bds., - Gonarthrose, - Funktionseinschränkung rechtes Sprunggelenk nach Fraktur sowie osteosynthetischer Versorgung 2006. Die Entlassung erfolgte arbeitsfähig mit einer Leistungsfähigkeit für leichte körperliche Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen unter Vermeidung von häufigem Bücken, Zwangshaltungen der Wirbelsäule, kein Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, keine Zwangshaltungen in der Hocke und in kniender Position, keine Arbeiten in unebenem Gelände oder auf rutschigem Untergrund.

Am 07.01.2014 beantragte der Kläger erneut eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg (DRV) und führte zur Begründung aus, seine Leistungsfähigkeit habe sich seit 2012/2013 erheblich verschlechtert. Aufgrund einer prüfärztlichen Stellungnahme der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. F.-D. vom 21.01.2014 (Bl 508 Verwaltungsakte), die sich im Wesentlichen auf den Reha-Entlassungsbericht vom 11.11.2013 stützte, wurde der Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 23.01.2014 abgelehnt.

Hiergegen erhob der Kläger am 31.01.2014 Widerspruch. Sein Leistungsvermögen habe sich enorm geändert. Die früheren Erkrankungen hätten sich verschlechtert, neue seien hinzugetreten (Hypertonie, Blasen- und Prostataprobleme).

Nach Einholung eines Befundberichts des behandelnden Urologen und einer weiteren fachärztlichen Stellungnahme durch Dr. F.-D. (Bl 525 Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2014 als unbegründet zurück (Bl 528 Verwaltungsakte).

Hiergegen hat der Kläger am 02.05.2014 Klage zum SG erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgebracht, es sei seit etwa einem Jahr eine erhebliche Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes eingetreten, sodass sich das tägliche Leistungsvermögen weiter vermindert habe.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte. Der Urologe Dr. V. hat im Schreiben vom 30.06.2014 (Bl 23 SG-Akte) ausgeführt, dass aus urologischer Sicht keine Einschränkung des Leistungsvermögens bestehe, Die Hautärztin Dr. L.-P. hat im Schreiben vom 02.07.2014 (Bl 24 SG-Akte) erklärt, es bestehe keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit; der Kläger könne täglich 6h und mehr arbeiten. Der Facharzt für Orthopädie Dr. R. hat im Schreiben vom 18.07.2014 (Bl 25 SG-Akte) ausgeführt, der Kläger könne nicht mehr als Installateur arbeiten. Unter Berücksichtigung der Krankheitsbilder erachte er den Kläger für komplett arbeits- und erwerbsunfähig. Die Allgemeinmedizinerin K. hat im Schreiben vom 10.09.2014 ausgeführt, aus ihrer Sicht sei der Kläger nur unter 3h/Tag leistungsfähig.

Das SG hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Orthopäden Dr. C ... Im Gutachten vom 03.02.2015 (Bl 75 SG-Akte) hat der Sachverständige die Auffassung vertreten, dass dem Kläger folgende Arbeiten nicht mehr möglich seien: schwere und mittelschwere Arbeiten mit mehr als nur gelegentlichem Heben, Halten und Tragen von Lasten über 5kg Gewicht, ausschließlich im Sitzen, überwiegend im Stehen oder Gehen, mit häufigem Bücken, in ständig nach vorn gebeugter Rumpfhaltung, Arbeiten über Kopf und mit längerer Armvorhalte, im Knien und in der Hocke, auf Leitern und Gerüsten, Gehen auf unebenem Grund, häufiges Treppengehen, sowie Arbeiten, die ein festes Zupacken mit den Händen erfordern, Akkord-, Fließband- und Nachtarbeiten, häufige Exposition von Kälte, Nässe und Zugluft. Dem Kläger sei unter Beachtung dieser Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine leichte körperliche Tätigkeit im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich möglich. Im Vergleich zur letzten gutachterlichen Untersuchung bei dem Orthopäden Dr. W. im Juni 2012 habe sich am Gangbild mit leichtem rechtsseitigem Schonhinken nichts verändert. Die Stehgröße sei gleich geblieben. Die Wirbensäulenfehlstatik sei ebenfalls unverändert. Die Funktion der HWS habe sich alterskonform etwas verschlechtert, die Neige- und Drehbeweglichkeit der Gesamtwirbelsäule sei dagegen im Wesentlichen gleich geblieben. Auch die Funktion der Hüftgelenke sei seit der Vorbegutachtung im Wesentlichen gleich geblieben. Am rechten Kniegelenk habe sich jetzt im Vergleich zur Vorbegutachtung eine endgradig eingeschränkte Beugung und Streckung sowie eine kompensierte Innenbandlockerung gefunden. Eine empfohlene endoprothetische Versorgung werde vom Kläger nicht gewünscht. Relevante Störungen oder Muskelatrophien an den unteren Extremitäten würden nicht vorliegen, weshalb der Kläger aus orthopädischer Sicht viermal eine Wegstrecke von 500 m in einem Zeitbedarf von jeweils 20 Minuten zurücklegen (vgl Bl 91 f SG-Akte), zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen und ein privates Fahrzeug selbständig führen könne. Wegen des Schwb-Ausweises mit Merkzeichen G könne er in öffentlichen Verkehrsmitteln auch einen Sitzplatz beanspruchen.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das SG weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG bei dem Orthopäden Dr. v. S. auf orthopädischem Fachgebiet. Dr. v. S. hat im Gutachten vom 19.09.2015 (Bl 119 SG-Akte) ausgeführt, leichte körperliche Tätigkeiten könnten mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden. Die Arbeiten sollten in wechselnder stehender, gehender und überwiegend sitzender Arbeitsposition erfolgen. Nicht mehr möglich seien Arbeitspositionen in Zwangshaltung sowie vornübergebeugter Stellung, Arbeiten auf rutschigem und unsicherem Untergrund, auf Leitern und Gerüsten und wechselnder Umgebungstemperatur, insbesondere in nasskalter Umgebung. Überkopfarbeiten seien ebenfalls nicht mehr zumutbar. Hinsichtlich der Fähigkeit des Klägers, die üblichen Wege zu und von der Arbeitsstelle zurückzulegen, bestünden Einschränkungen. Der Sachverständige hat die Wegefähigkeit auf 300 bis 500 Meter pro zurückgelegter Wegstrecke geschätzt, auch unter Benutzung von Hilfsmitteln. Die erforderliche Geschwindigkeit von 20 Minuten sowie das täglich vierfache zurücklegen einer entsprechenden Wegstrecke sei nicht mehr möglich. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei zumutbar, auch während der Hauptverkehrszeiten, ebenso wie die Benutzung eines Pkw, wie dies auch durch das Anreisen des Klägers mit dem Pkw zur Gutachtenuntersuchung nachgewiesen sei. Im Untersuchungsbericht der unteren Extremitäten hat Dr. v. S. festgehalten, dass sich das Muskelrelief der Beine nahezu seitengleich und ohne umschriebene Atrophien dargestellt hat. Das Gangbild zur ebenen Erde erfolge von Schrittlänge, Rhythmus und Form normal bis kleinschrittig mit leichtem Schonhinken rechts, gelinge jedoch auch mit geschlossenen Augen ohne Gangabweichung oder Fallneigung. Der Zehen- und Hackenstand sowie Zehen- und Hackengang gelinge nur mit Mühe wegen vorhandener Schmerzen. Im Bereich beider Hüftgelenke liege kein Leistendruck, Trochanterklopfschmerz oder Fersenklopfschmerz vor.

Der Kläger hat ergänzend vorgebracht, die übliche Wegstrecke von 500 m zu und von der Arbeitsstelle in 20 Minuten sei nicht realistisch. Damit sei seine Wegefähigkeit offensichtlich soweit eingeschränkt, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung anzuerkennen sei. Im Übrigen sei zwar ein Pkw vorhanden. Dieser werde allerdings von der Ehefrau benötigt, um zur Arbeitsstelle zu gelangen. Unter Berücksichtigung der beschriebenen Gesundheitseinschränkungen sei dem Gutachter insoweit zu widersprechen, als Tätigkeiten nur unter dreistündig verrichtet werden könnten.

Die Beklagte hat eine fachärztliche Stellungnahme der Chirurgin und Sozialmedizinerin Dr. B. vom 03.12.2015 vorgelegt (Bl 165 Verwaltungsakte). Dr. B. hat ausgeführt, dass die Einschränkung der Gehstrecke von Dr. v. S. geschätzt und aus den dargestellten Funktionsstörungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates nicht schlüssig abzuleiten sei. Unabhängig davon sei der Kläger im Besitz eines Führerscheins und eines Pkws, mit dem er zur Begutachtung angereist sei.

Mit Urteil vom 24.03.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, da er nach den übereinstimmenden Einschätzungen der Sachverständigen Dr. C. und Dr. v. S. täglich noch sechs Stunden arbeiten könne. Zur Überzeugung des erkennenden Gerichts sei die Wegefähigkeit nicht in rentenrelevantem Maß eingeschränkt. Die Einschätzung Dr. v. S. überzeuge insoweit nicht. Der Sachverständige Dr. C. habe sich ebenfalls mit der Wegefähigkeit des Klägers auseinandergesetzt und ausgeführt, der Kläger könne aus orthopädischer Sicht viermal täglich eine Wegstrecke von 500 Metern in einem Zeitbedarf von jeweils 20 Minuten zurücklegen, zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen und ein privates Fahrzeug selbständig führen. Dr. v. S. habe in seinem Gutachten weder motorische Störungen noch relevante Muskelathropien nachweisen können. Er habe überdies seine eigene Beurteilung dahingehend eingeschränkt, dass die Wegefähigkeit in einzelnen Fällen bei optimaler Tagesform gegeben sei. Unabhängig hiervon sei der Kläger im Besitz eines Führerscheins und eines Pkws, den er zumutbar benutzen könne, weshalb die Wegefähigkeit gegeben sei.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 04.04.2016 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 18.04.2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Die Auffassung des SG, dass sein Leistungsvermögen mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt betrage, sei nicht haltbar, wie sich aus den Befundberichten der langjährig behandelnden Ärzte ergeben würde. Entgegen der Auffassung des SG sei auch die Wegefähigkeit nicht mehr gegeben, wie Dr. v. S. schlüssig zum Ausdruck gebracht habe. Der Pkw im Haushalt des Klägers sei nicht geeignet, die Wegefähigkeit zu relativieren, da die Ehefrau des Klägers beruflich auf den Pkw angewiesen sei. Ihr sei es nicht zumutbar, aufgrund des weiten Weges zur Arbeitsstätte auf den Pkw zu verzichten und öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24.03.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 23.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.01.2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schreiben des Berichterstatters vom 15.06.2016 und - nach Eingang und Prüfung der Berufungsbegründung - vom 13.07.2016 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen, da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und einer mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 04.08.2016 gegeben worden. Die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt, der Kläger nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden. Der durch einen Rentenberater vertretene Kläger hat sich zwar mit dieser Verfahrensweise nicht einverstanden erklärt, aber auch in seinem Schreiben vom 13.07.2016 keine Gründe benannt, die eine mündliche Verhandlung erfordern.

Der Bescheid der Beklagten vom 23.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen und dies nach eingehenden medizinischen Sachverhaltsermittlungen eingehend und nachvollziehbar begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, da er nicht erwerbsgemindert ist.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflicht-beiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Zur Überzeugung des Senats kann der Kläger täglich noch mindestens 6 Stunden arbeiten und verfügt über die erforderliche Wegefähigkeit, weshalb er nicht erwerbsgemindert ist.

Diese Überzeugung schöpft der Senat aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Orthopäden Dr. C. vom 03.02.2015. Auch Dr. v. S. ist im Gutachten vom 19.09.2015 nachvollziehbar zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger noch sechs Stunden täglich arbeiten kann. Dr. v. S. hat im Gutachten vom 19.09.2015 darauf hingewiesen, dass die von ihm erhobenen Befunde im Wesentlichen mit den von Dr. C. erhobenen übereinstimmten.

Beim Kläger liegen nach den ausführlichen Feststellungen von Dr. C. folgende Gesundheitsstörungen vor: - endgradige Funktionseinschränkung der HWS aufgrund degenerativer Veränderungen in den Segmenten C5-C7; ohne segmentale neurologische Ausfälle an den oberen Extremi- täten; - endgradige Funktionseinschränkung der BWS, LWS und am Thorakolumbalübergang aufgrund leichter fehlstatischer und degenerativer Veränderungen und Gefügestörungen bei L4/5 und L5/S1, praesacraler Spondylodese/-olisthesis Typ I nach Meyerding; ohne segmentale neurologische Ausfälle an den unteren Extremitäten; - endgradige Funktionseinschränkung der linken Schulter aufgrund eines subacromialen Impingements, einer Schultergelenksarthrose und eines Rotatorenmanschettensyndroms; - endgradige Funktionseinschränkung des linken Ellenbogengelenks nach alter Verletzung; - Schwellneigung beider Zeige- und Mittelfingergrundgelenke bisher unklarer Genese, ohne Beeinträchtigung der Fingermotorik; - funktionelle Beschwerden in beiden Hüftgelenken bei beginnenden degenerativen Verän- derungen; - mediale Gonarthrose rechts mehr als links mit endgradiger Funktionseinschränkung und unter I.°, muskulär kompensierter Innenbandlockerung des re. Kniegelenks; Teilverlust des Innenmeniskus beiderseits; - endgradige Funktionseinschränkung im rechten oberen und unteren Sprunggelenk nach Luxationsfraktur (2006); - Muskelschwäche der rechten Wade; Schwellneigung der rechten Fessel-und Knöchelre- gion; - Spreizfuß beidseits; - Gewichtsproblematik.

Nicht mehr möglich sind nach den überzeugenden Ausführungen Dr. C. und Dr. v. S. schwere und mittelschwere Arbeiten mit mehr als nur gelegentlichem Heben, Halten und Tragen von Lasten über 5kg Gewicht, ausschließlich im Sitzen, überwiegend im Stehen oder Gehen, mit häufigem Bücken, in ständig nach vorn gebeugter Rumpfhaltung, Arbeiten über Kopf und mit längerer Armvorhalte, im Knien und in der Hocke, auf Leitern und Gerüsten, Gehen auf unebenem Grund, häufiges Treppengehen, sowie Arbeiten, die ein festes Zupacken mit den Händen erfordern, Akkord-, Fließband- und Nachtarbeiten, häufige Exposition von Kälte, Nässe und Zugluft. Beide Sachverständige haben übereinstimmend und für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass dem Kläger unter Beachtung dieser Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine leichte körperliche Tätigkeit im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich möglich ist.

Zu einer anderen Beurteilung führen nicht die sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte des Klägers, wie das SG zutreffend ausgeführt hat. Soweit die Allgemeinmedizinerin K. in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 26.08.2014 ausgeführt hat, der Kläger sei ihres Erachtens höchstens bis unter 3 Stunden täglich im Rahmen einer 5 Tage Woche beruflich einsetzbar und dies größtenteils auf die Einschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet stützt, hat sie sich fachfremd geäußert. Der Auskunft des behandelnden Orthopäden Dr. R., er halte den Kläger für komplett arbeits- und erwerbsunfähig, stehen die beiden sehr ausführlichen und schlüssigen Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Dr. C. und Dr. v. S. entgegen.

Der Kläger ist auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (BSG 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2 mwN; 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2; 14.03.2002, B 13 RJ 25/01 R); das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berück-sichtigen (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R (juris) mwN).

Die erforderliche Wegefähigkeit ist zur Überzeugung des Senats gegeben. Dr. C. hat darauf hingewiesen, dass sich im Vergleich zur letzten gutachterlichen Untersuchung bei dem Orthopäden Dr. W. im Juni 2012 am Gangbild mit leichtem rechtsseitigem Schonhinken nichts verändert hat. Die Wirbensäulenfehlstatik ist unverändert. Die Funktion der HWS hat sich alterskonform etwas verschlechtert, die Neige- und Drehbeweglichkeit der Gesamtwirbelsäule ist dagegen im Wesentlichen gleich geblieben. Auch die Funktion der Hüftgelenke ist seit der Vorbegutachtung im Wesentlichen gleich geblieben. Am rechten Kniegelenk hat sich im Vergleich zur Vorbegutachtung eine endgradig eingeschränkte Beugung und Streckung sowie eine kompensierte Innenbandlockerung gefunden. Relevante Störungen oder Muskelatrophien an den unteren Extremitäten liegen nicht vor. Hieraus hat Dr. C. plausibel und nachvollziehbar abgeleitet, dass der Kläger viermal täglich eine Wegstrecke von 500 m in einem Zeitbedarf von jeweils 20 Minuten zurücklegen bzw zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen und ein privates Fahrzeug selbständig führen kann. Wegen des Schwerbehindertenausweises mit Merkzeichen G kann er in öffentlichen Verkehrsmitteln auch einen Sitzplatz beanspruchen.

Soweit Dr. v. S. in seinem Gutachten zum Ergebnis gelangt ist, die Wegefähigkeit sei in rentenrelevantem Maße eingeschränkt, ist dies für den Senat nicht überzeugend. Dieser Einschätzung durch Dr. v. S. steht zum einen die für den Senat, wie aufgezeigt, plausible Einschätzung durch Dr. C. in seinem Gutachten entgegen. Betrachtet man die in dem Gutachten von Dr. v. S. dargestellten Funktionsstörungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates gegenüber der von Dr. C. erhobenen, lässt sich eine Einschränkung der Gehstrecke nicht schlüssig ableiten, worauf Dr B. in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 03.12.2015 zu Recht hingewiesen und wie auch das SG nachvollziehbar ausgeführt hat. Motorische Störungen oder relevante Muskelatrophien liegen nach den Feststellungen von Dr. C. nicht vor. Unabhängig von der Beurteilung durch Dr. v. S. ist der Kläger jedoch im Besitz eines Führerscheins und eines Pkws, mit welchem er sogar zur Begutachtung zu Dr. v. S. angereist ist. Die Wegefähigkeit ist deswegen in jeder Hinsicht gegeben.

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre bestehen nicht, ein Teil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, SozR 2200 § 1246 Nr 90). Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn – wie hier - Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Gegenstände, einfache Prüfarbeiten oder die leichte Bedienung von Maschinen noch uneingeschränkt möglich sind. Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, lassen sich den vorliegenden Gutachten nicht entnehmen. Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit dem Kläger noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Dr. C. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG 08.12.2009, B 5 R 148/09 B, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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