L 9 U 1991/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 2712/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1991/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 1. April 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles aus dem Jahr 1977.

Der 1956 geborene Kläger war am 25.10.1977 bei der Firma G., Pharmazeutische Großhandlung S./Ht., als Kraftfahrzeugführer beschäftigt, als er bei regennasser Straße mit seinem Auto ins Schleudern geriet. Unter Berücksichtigung eines Ersten Rentengutachtens des Facharztes für Chirurgie Prof. Dr. D., S./Ht., gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 27.04.1978 eine Gesamtvergütung für die Unfallfolgen für den Zeitraum vom 06.03.1978 bis 31.05.1978 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v. H. Als Folgen dieses Arbeitsunfalles anerkannte sie "nach knöchern fest verheiltem Bruch des 7. Halswirbelkörpers, Rissquetschwunde über dem linken Scheitelbein und Hautabschürfungen an der rechten Wange: endgradige Bewegungseinschränkung des Kopfes und der Halswirbelsäule". Die Entschädigung werde auf fachärztlichen Vorschlag aus Schonungsgründen für eine Übergangszeit gewährt. Unter Berücksichtigung eines Zweiten Rentengutachtens von Prof. Dr. D. vom 19.10.1978 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente aus Anlass eines Arbeitsunfalles vom 25.10.1977 für die Zeit nach dem 31.05.1978 ab, weil der Unfall eine MdE im rentenberechtigendem Grad nicht hinterlassen habe.

Im November 2011 stellte der Kläger formlos den Antrag auf eine Teilrente, weil sich seine Halswirbelsäulenbeschwerden erheblich verschlechtert hätten.

Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsverzeichnis bei der AOK Baden-Württemberg sowie Befund- und Behandlungsberichte behandelnder Ärzte bei und veranlasste eine Begutachtung bei Priv.-Doz. Dr. P., S ... Dieser stellte in seinem Gutachten vom 20.06.2012 nach einer körperlichen Untersuchung zusammenfassend eine leichtgradig herabgesetzte Beweglichkeit der HWS in allen Ebenen fest. Das Kernspintomogramm der HWS vom 17.01.2012 zeige eine relative Spinalkanalstenose auf mehreren Etagen der HWS mit Akzentuierung im Bereich HWK 6/7, ohne Myelonkompression und eine ossär konsolidierte, in leichter Fehlstellung verheilte HWK-7-Fraktur. Die Erwerbsfähigkeit werde durch die Unfallfolgen um 10 v. H. herabgesetzt.

Mit Bescheid vom 09.08.2012 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles ab und begründete dies damit, dass wie bisher eine rentenberechtigende MdE wegen der Folgen des Arbeitsunfalles nicht vorliege. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2012 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 29.10.2012 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Zur Begründung bezog er sich im Wesentlichen auf ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. R., N., welches dieser in einem vor dem 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) anhängig gewesenen Verfahren auf Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) unter dem 28.11.2012 erstattet hatte (Diagnosen u. a.: chronisches Wirbelsäulenschmerzsyndrom in drei Abschnitten mit häufigen und nahezu dauerhaft starken Schmerzsyndromen bei Zustand nach Fraktur des Halswirbelkörpers 7, Osteochondrosen der Brustwirbelsäule und Degeneration sowie Wirbelgleiten der Lendenwirbelsäule - GdB: 30 bis 40).

Hierauf hat das SG den Orthopäden Dr. K. mit der Erstellung eines fachorthopädischen Gutachtens beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 28.11.2013 eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule, eine Zervikobrachialgie (anteilig) sowie einen knöchern fest unter Verformung verheilten Bruch des 7. Halswirbelkörpers mit Höhenminderung der Deckplatte im vorderen Drittel um ca. 1/2, einen statisch wirksamen Achsenknick zwischen HWK 6 und HWK 7 und eine relative Spinalkanalstenose beschrieben. Hiervon unabhängige Veränderungen lägen in einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung der HWS und einem zervikobrachialen Syndrom (anteilig), einer Osteochondrose und Spondylarthrose der Halswirbelsäule (insbesondere zwischen C3/C4, C4/C5, C5/C6) und einer Foraminalstenose, einem Impingementsyndrom der Schultergelenke und einem Thoracalsyndrom bei Osteochondrose der Halswirbelsäule und leichter Rundrückenbildung. Gegenüber den maßgeblichen Vergleichsbefunden in dem Gutachten vom 13.11.1978 sei zwar eine Änderung eingetreten, diese sei aber nicht wesentlich. Die MdE werde von ihm wie bisher mit 10 v. H. eingeschätzt.

Nach entsprechendem Hinweis hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 01.04.2014 abgewiesen und sich zur Begründung auf die Ausführungen des Gerichtsgutachters Dr. K. gestützt.

Gegen den den Bevollmächtigten des Klägers am 04.04.2014 zugestellten Gerichtsbescheid haben diese am 05.05.2014 (einem Montag) Berufung eingelegt und zur Begründung daran festgehalten, dem Kläger stehe aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls eine Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 20 v. H. zu. Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 1. April 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. August 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 20 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat der Senat den Orthopäden Dr. R. mit der Erstellung eines fachorthopädischen Gutachtens beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 24.07.2015 ausgeführt, dass nach seiner aktuellen Untersuchung keine wesentliche Änderung zu den im genannten Bescheid gelisteten Unfallfolgen zu erkennen sei. Die durch den Unfall erlittenen Gesundheitsstörungen seien für den damaligen Zeitpunkt korrekt wiedergegeben und im Gutachten des Kollegen K. auch mit den unfallbedingten Folgen und Spätschäden korrekt wiedergegeben worden. Entgegen der Auffassung von Dr. K. halte er eine MdE von 20 v. H. unter Berücksichtigung des auch von diesem beschriebenen Segmentprinzips für gegeben. Danach seien bei posttraumatischen Wirbelsäulendeformitäten mit Verkrümmungen in der Scheitel- oder Frontalebene die Werte der betroffenen Segmente zu verdoppeln und zu addieren. Die errechneten Endwerte seien auf die nächste 5%-Stufe auf- oder abzurunden. Unter Berücksichtigung der auch von Dr. K. gestellten Diagnosen (knöchern fest unter Verformung verheilter Bruch des 7. Halswirbelkörpers mit Höhenminderung der Deckplatte im vorderen Drittel um ca. 1/2 und statisch wirksamer Achsenknick zwischen HWK 6 und HWK 7) seien die Werte der betroffenen Segmente zu verdoppeln und zu addieren, weswegen sich abgerundet eine MdE um 20 v. H. ergebe. Er könne der Literatur nicht sicher entnehmen, ob die letztgenannte Addition mit dem Ursprungswert (6,1%) oder dem verdoppelten Ursprungswert (12,2 %) durchzuführen sei. Allerdings werde in der Literatur das bisherige Bewertungsmaß für den "statisch wirksamen Achsenknick" angezweifelt und erst bei einer höheren Abweichung ab 25 bis 30 Grad eine klinische Relevanz gesehen. Bei strenger Auslegung nach dem Standardwerk bei Schönberger/Mertens/Valentin müsse gemäß dem Segmentprinzip eine MdE von 20 v. H. für das betroffene Segment gewährt werden. Sofern der statisch wirksame Achsenknick in der Wissenschaft in der hier liegenden Form bezweifelt werde, würde dies eine Einschätzung nach einer MdE um 10 v. H., wie bislang, nach sich ziehen. Der für die MdE-Bewertung relevante statisch wirksame Achsenknick zwischen HWK 6 und HWK 7 sei erstmals im Gutachten des Dr. K. ärztlich dokumentiert und festgehalten worden. Es sei zwar nicht anzunehmen, dass dieser erst seit 2013 eingetreten sei. Es sei ihm nicht möglich, nach den vielen Jahren einen korrekten, glaubhaften früheren Zeitpunkt festzustellen. Auch frühere MRT-Untersuchungen hätten keine weiteren Erkenntnisse gebracht. Jedoch sei anzumerken, dass einige der früheren radiologischen Untersuchungen unter einem anderen Aspekt angefertigt worden seien und ohne das Vorhandensein der Bilder keine sichere Einschätzung möglich sei.

Hierauf haben die Beteiligten Stellung genommen. Die Beklagte weist darauf hin, dass der Sachverständige übereinstimmend mit den Vorgutachten keine wesentliche Änderung zu den im genannten Bescheid gelisteten Unfallfolgen habe erkennen können. Eine zusätzliche Addition nach dem Segmentprinzip komme aber nur dann in Betracht, wenn ein weiteres Segment betroffen sei. In dem vom Gutachter aufgezeigten Beispiel seien zwei angrenzende Segmente betroffen, die dann auch zu addieren seien. Ein solcher Sachverhalt liege hier aber nicht vor. Selbst wenn auf die nächste 5%-Stufe aufgerundet werde, verbleibe eine MdE von unter 20 v. H.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 25.10.1977.

Im vorliegenden Fall sind noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden, ohne dass sich hierdurch im Vergleich zu dem am 01.01.1997 in Kraft getretenen 7. Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) für die Maßstäbe und Beurteilung der hier streitigen MdE eine Änderung ergibt. Gemäß § 212 SGB VII gilt das SGB VII grundsätzlich für Versicherungsfälle, die nach dem 31.12.1996 eingetreten sind, und somit nicht für den Arbeitsunfall des Klägers vom 25.10.1977. Die in § 214 Abs. 3 SGB VII vorgesehene Ausnahme greift im vorliegenden Fall nicht ein. Denn danach gelten die Vorschriften über Renten, Beihilfe, Abfindungen und Mehrleistungen auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII zum 01.01.1997 eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten des SGB VII erstmals festzusetzen sind. Rentenleistungen hatte der Kläger jedoch schon ab 06.03.1978 und damit vor Einführung des SGB VII – erstmals – bezogen.

Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe gewährt, wenn und solange ein Verletzter infolge des Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel gemindert ist und diese Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch einen früheren Versicherungsfall Anspruch auf Rente (§ 581 Abs. 3 Satz 1 RVO). Die Folgen eines Arbeitsunfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 581 Abs. 3 Satz 2 RVO). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (so jetzt ausdrücklich § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, mit dessen Inkrafttreten die früheren Kriterien zur Bemessung der MdE nach der RVO übernommen worden sind, vgl. BSG, Urteil vom 18.03.2003 – B 2 U 31/02 R –, Juris).

Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004 – B 2 U 14/03 R – in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel. Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Gesundheitsstörung bzw. Funktionseinschränkung bei der Bemessung der MdE ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. dem dadurch eingetretenen Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen – neben der versicherten Tätigkeit – der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Gesundheitserstschaden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. die zusammenfassende Darstellung der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung im Urteil des BSG vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196-209 und Juris). Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nach dem Urteil des BSG vom 09.05.2006 (a.a.O. Rdnr. 15) nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt der Senat zunächst fest, dass sich der Kläger im Rahmen eines versicherten Arbeitsunfalles am 25.10.1977 einen Bruch des 7. Halswirbelkörpers mit Subluxation – wie Dr. K. in seinem Gutachten dargestellt hat – zugezogen hat, welcher konservativ mit einem Diademgipsverband und nachfolgend Schanz´schem Watteverband behandelt worden war. Fortbestehend sind nach den insoweit übereinstimmenden Gutachten von Dr. K. und (dem folgend) Dr. R. ein knöchern fest unter Verformung verheilter Bruch des 7. Halswirbelkörpers mit Höhenminderung der Deckplatte im vorderen Drittel um ca. ½, ein statisch wirksamer Achsenknick zwischen HWK 6 und HWK 7, eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule mit anteiliger Zervikobrachialgie (Schulter-Arm-Schmerzen) und eine relative Spinalkanalstenose. Allein streitig ist zwischen den gehörten Sachverständigen, ob dieser Befund eine MdE in rentenberechtigenden Grad rechtfertigt. Auf die Wesentlichkeit einer Änderung im Sinne des § 73 Abs. 3 SGB VII i. V. m. § 48 Abs. 1 10. Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) kommt es insoweit nicht an, weil mit der Rentenablehnung ab 01.06.1978 keine MdE bindend festgestellt worden war (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand März 2016, SGB X, § 48 Rdnr. 19 f.).

Zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rentenliteratur haben sowohl Dr. K. als auch Dr. R. die MdE-Einschätzung (analog zur Beurteilung peripherer Gelenksschäden) an der segmentalen Gesamtbeweglichkeit und der Störung eines oder auch mehrerer Bewegungssegmente ausgerichtet. Nach Schönberger/Mehrtens/Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., 8.3.2.8, S. 441 f.) ist im Rahmen der durch einen Unfall verursachten Erwerbsminderung zu berücksichtigen, ob die Wirbelsäulenverletzung stabil oder instabil ausgeheilt ist, ob eine Ankylose oder Instabilität des Bewegungssegments vorliegt, ob eine Achsabweichung vorliegt und ob die Wirbelsäulen-Haltemuskulatur nur ungenügend wieder ertüchtigt ist. Ferner erfolgt die Beurteilung nach Frakturtyp, funktioneller Ausheilung, Veränderung der Statik sowie unterschiedlichen Graden der Bandscheibenbeteiligung. In einer Fallgruppe 1 ist die Bandscheibenmasse weitgehend erhalten, die Ausheilung stabil. In einer Fallgruppe 2 ist die Bandscheibenmasse aufgesprengt, der Spannungszustand des Gewebes (Turgor) erloschen, es bestehen Zerreißungen in den rückseitigen Abschnitten des zwischen den Wirbeln liegenden Haftapparates. In Abhängigkeit der Verletzungsart und des Ausheilungsergebnisses werden Werte der dadurch bedingten Erwerbsminderung zwischen unter 10 und 20-30 angegeben. Daneben wird bei Schönberger/Mehrtens/Valentin (a. a. O.) als weitere Möglichkeit der Bestimmung der MdE und mit Verweis auf häufig unplausible Ergebnisse das so genannte Segmentprinzip genannt. Dieses Prinzip berücksichtigt jedes Bewegungssegment der Wirbelsäule entsprechend seiner funktionellen Bedeutung mit einem entsprechenden Segmentwert (vgl. Tabelle in Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 444). Bei mehreren betroffenen Bewegungssegmenten sind die entsprechenden Segmentwerte zu addieren. In Abhängigkeit der vorliegenden Schädigung sind dabei die einfachen Segmentwerte als Prozentsätze zu berücksichtigen oder deren doppelte oder dreifache Werte (in Ausnahmefällen auch der vier- bis sechsfache Wert) in Ansatz zu bringen. Nach keiner dieser Methoden wird nach Überzeugung des Senats eine MdE um 20 v. H. erreicht. Unter Berücksichtigung oben erstgenannter Kriterien ist nach den Feststellungen von Dr. K., dem der Senat folgt, von einem Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung auszugehen, bei dem die Bandscheibenmasse weitgehend erhalten (Fallgruppe 1) und die Ausheilung stabil ist sowie ein statisch wirksamer Achsenknick vorliegt. Die MdE beträgt in diesem Fall entsprechend der bereits genannten Tabelle 10 bis 20 v. H. Diese Befunde, die auch von Dr. R. nicht in Zweifel gezogen wurden, rechtfertigen nach Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Dr. K. nicht das Ausschöpfen der Beurteilungsspielraumes im oberen Bereich. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass eine Instabilität, die eine MdE 20 v. H. rechtfertigen würde, gerade nicht vorliegt, und andere Umstände nicht ersichtlich sind, die in ähnlicher Weise die Erwerbsminderung begründen könnten. Hier ist zunächst einzustellen, dass die Bewegungseinschränkung (Hypomobilität) der HWS nach den schlüssigen Ausführungen von Dr. K. nur teilweise auf der Höhenminderung des 7. Halswirbelkörpers beruht, sondern auch auf einer unfallunabhängigen Osteochondrose und Spondylarthrose zwischen C3/C4, C4/C5 und C5/C6. Darüber hinaus sind muskuläre Defizite der Wirbelsäulenhaltemuskulatur (seitengleich und kräftig entwickelt) nicht festzustellen gewesen, die ebenfalls ein Beleg für eine zusätzliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit sein könnten. Ferner besteht unabhängig von den Auswirkungen des Wirbelkörperbruches ein Impingement-Syndrom der Schultergelenke mit einer Beteiligung der Supraspinatussehne beidseits, das unfallunabhängig zu einer Einschränkung der Beweglichkeit und zu Beschwerden im Bereich der Schultern führt. Darüber hinaus liegt – worauf Dr. K. zu Recht ergänzend hinweist – auch keine Verkrümmung in der Frontalebene vor und es besteht eine ausreichend Restbeweglichkeit im Bereich des zervikothorakalen Übergangsbereiches, weshalb insgesamt betrachtet eine MdE um 20 v. H. nicht erreicht wird. Insoweit kommt es daher auch nicht darauf an, ob mit Prof. Dr. C. ("Was ist eigentlich ein ‚statisch wirksamer Achsenknick‘", MED SACH 5/2010, S. 210 ff.) bei einem Achsenknick von 15° – wie hier – eine statische Relevanz in Zweifel zu ziehen ist.

Die sich nach diesen Vorgaben richtende Bewertung ist auch nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen, da zusätzlich Rückenmarks-Erkrankungen (Myelopathie) oder eine Verletzung der den unteren Rückenmarkssegmenten entspringenden Spinalnerven, welche Beine und Füße versorgen, nicht vorliegen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 443).

Soweit Dr. R. unter Berücksichtigung des Segmentprinzips von einer MdE um 20 v. H. ausgeht, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen. Soweit er zugrunde legt, dass bei posttraumatischen Wirbelsäulendeformitäten mit Verkrümmungen in der Scheitel- oder Frontalebene die Werte der betroffenen Segmente zu verdoppeln und zu addieren sind, entspricht sein Ergebnis nicht den Vorgaben des Segmentprinzips, weil er verkennt, dass hier nur ein (Bewe- gungs-)Segment – C 6/C 7 – betroffen ist und daher eine Addition von Segmenten nicht zu erfolgen hat. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut, wonach in dem beschriebenen Fall die Werte der Segmente (plural) zu verdoppeln und zu addieren sind als auch aus dem von Dr. R. zitierten Beispiel bei Schönberger/Mehrtens/Valentin (a.a.O., S. 443), das die Berechnung der MdE von zwei betroffenen Bewegungssegmenten zum Inhalt hat. Ausgehend von einem Segmentwert von 6,1 für das Segment C 6/C 7 und einer vorgegebenen Verdopplung dieses Wertes (wobei eine Verkrümmung in der Scheitel- oder Frontalebene von Dr. R. nicht belegt wird und Dr. K. eine Verkrümmung in der Frontalebene verneint), wäre nur ein Wert von 12,2 erreicht, der auch unter Aufrundung auf die nächste 5%-Stufe eine MdE im rentenberechtigendem Grad (wegen des Fehlens eines Stützrententatbestandes 20 v. H.) nicht rechtfertigen könnte.

Soweit im Rahmen des Segmentprinzips (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 443, 4. Spiegelstrich) in Erwägung zu ziehen ist, dass aufgrund der von Dr. K. beschriebenen Ankylose bzw. Hypomobilität im Segment HWK 6/HWK 7 eine Verdreifachung des Segmentwertes vorzunehmen wäre und wegen der vorgegebenen Aufrundung (6,1 x 3 = 18,3) eine MdE um 20 v. H. in Betracht käme, folgt der Senat dem ebenfalls nicht. Nach den Erläuterungen in Schönberger/Mehrtens/Valentin (a.a.O., S. 444) sollten die ermittelten Werte mit den Ergebnissen der oben beschriebenen Tabelle, welche die Verletzungsart und das Ausheilungsergebnis berücksichtigt, korrelieren. Insoweit ist schon nicht nachvollziehbar, weshalb die Ergebnisse, die allein auf radiologischen und biomechanischen Kriterien beruhen, regelmäßig aufzurunden sein sollen. Nicht allein deshalb ist auch nach den Vorgaben von Schönberger/Mehrtens/Valentin eine schematische Übernahme der nach den Empfehlungen errechneten MdE nicht gerechtfertigt. Die Schwächen dieser Methode – gerade bei Vorliegen einer Ankylose/Hypomobilität – werden bei Schönberger/Mehrtens/Valentin (a.a.O., S. 443) dargestellt und auch in einem vom Bayerischen Landessozialgericht entschiedenen Fall deutlich (Urteil vom 18.01.2012 – L 2 U 358/10 –, Juris), wo eine subjektiv und objektiv erfolgreiche operative Versteifung von drei Wirbelsäulen-segmenten eine MdE von 40 v. H. nach sich ziehen könnte. Dies dürfte sich kaum mit den Vorgaben des § 56 Abs. 2 SGB VII vereinbaren lassen, wonach sich die MdE nach dem Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt richtet.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass weder Dr. K. noch Dr. R. die festgestellten Veränderungen im Bereich von C 3 bis C 6 als - mittelbare - Folge des Unfalles angenommen haben. Soweit Dr. K. darauf hinweist, dass die Halswirbelsäule in ihrem Bewegungsumfang jetzt stärker beeinträchtigt ist, als dies zum Zeitpunkt der Vorbegutachtung im Jahr 1978 der Fall war, ergibt sich hieraus nichts anderes, denn die funktionellen Einschränkungen gehen, was aus den bildgebenden Befunden ableitbar ist, auch auf unfallunabhängige osteochondrotische und spondylarthrotische Veränderungen der Segmente HWK 3/HWK 4, HWK 4/HWK 5 und HWK 5/HWK 6 zurück. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nicht nur die Halswirbelsäule erhebliche degenerative Veränderungen aufweist, sondern auch die vom Unfall nicht betroffene Brust- und Lendenwirbelsäule, und Schmerzen vom Kläger für die gesamte Wirbelsäule angegeben werden (" von ganz oben am Hals bis nach unten am Steiß" – vgl. Gutachten Dr. R. vom 28.11.2012), weswegen dieser auch von einem chronischen Schmerzsyndrom in drei Wirbelsäulenabschnitten ausgeht, ohne hierfür einen Unfallzusammenhang anzunehmen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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