L 8 U 4098/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 780/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 4098/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24.08.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt und ob dem Kläger deswegen ein Anspruch auf Leistungen zusteht.

Der 1944 geborene Kläger war als Bildhauer- und Steinmetzmeister selbstständig tätig.

Am 06.09.1988 fiel der Kläger bei Ausübung seiner versicherten Tätigkeit von einem Gerüst, wobei er sich einen Deckplatteneinbruch an LWK 1 zuzog (Durchgangsarztbericht des Dr. W. vom 06.09.1988, Bericht des Krankenhauses Pfullendorf vom 04.10.1988, L1 S. 1, L7 S. 2 der VA 10.700.954.923).

Unter dem 07.12.1988 (S. 128 der VA 10.918.875.416) teilte der Durchgangsarzt Dr. W. der Beklagten mit, beim Kläger handele es sich um eine weitgehend knöchern konsolidierte LWK-1-Fraktur. Der Kläger klage noch über Schmerzen im Bereich der LWS, auch könne er noch nicht schwer heben. Wegen der Beschwerden und des klinischen Befundes sei eine derzeitige MdE von 20 v.H. angezeigt.

Bezüglich des Unfalles vom 06.09.1988 erstattete Prof. Dr. Dr. W. das Erste Rentengutachten vom 16.12.1988 (Bl. 48/51 der Senatsakten L 8 U 938/14 = S. 129/132 der VA 10.918.875.416). Die vom Kläger geschilderten Beschwerden im Bereich des lumbo-sakralen Übergangs seien ursächlich auf degenerative Vorgänge zurückzuführen, die durch das erlittene Trauma eine vorübergehende Verschlechterung erfahren hätten. Vom 21.11.1988 bis 21.05.1989 bestehe eine MdE um 20 v.H. Nach dem 21.05.1989 bestehe eine MdE von 10 v.H.

Mit Bescheid vom 28.03.1989 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 21.11.1988 bis 31.05.1989 eine vorläufige Rente in Form einer Gesamtvergütung nach einer MdE von 20 v.H.

In einem Klageverfahren (S 6 U 2026/04) u.a. wegen des Unfalls vom 06.09.1988 aufgrund eines Überprüfungs- bzw. Neufeststellungsverfahrens erstattete Dr. H. das orthopädische Gutachten vom 04.08.2005 (L18 S. 18/49 der VA 10.700.954.923 = L30 der VA 10.700.817.853 = L 14 der VA 10.700.954.503 = Bl. 51/74 der SG-Akten S 6 U 1662/04). Als Folgen des Arbeitsunfalls vom 06.09.1988 stellte der Gutachter einen Zustand nach stabilem Stauchungsbruch des ersten Lendenwirbels mit leichter Keilwirbeldeformität knöchern solide ausgeheilt ohne sekundäre Komplikationen in Form einer begleitenden Nervenwurzelschädigung, eine Rückenmarksschädigung oder einer mechanischen Instabilität der Wirbelsäule fest. Die verbliebenen subjektiven Beschwerden seien auf unfallunabhängige Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und sekundäre Funktionsstörungen in diesem Rahmen zurückzuführen.

In der mündlichen Verhandlung am 20.12.2006 im Verfahren S 6 U 2026/04 beantragte der Kläger die Anerkennung seiner Rückenbeschwerden als Berufskrankheit nach Nr. 2108 bis 2110 BKV.

Bezüglich des Vorliegens einer Berufskrankheit Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule) holte die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. F. vom 23.05.2008 (S. 10/13 der VA 10.918.875.416) ein. Ein Schadensbild im Sinne der BK 2108 liege weder nach der neurologischen Symptomatik noch nach der Genese der degenerativen Veränderungen vor.

Mit Bescheid vom 12.06.2008 (S. 15/18 der VA 10.918.875.416) lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Berufskrankheiten-Liste (bandscheibendingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule) ab.

Mit Schreiben vom 29.11.2012 (L 24 der VA 10.700.955.944 = L 93 der VA 10.700.954.923 = L 62 der VA 10.700.783.042) stellte der Kläger u.a. wegen der Berufskrankheit Nr. 2108 einen Antrag auf Überprüfung bzw. wegen Verschlimmerung mit dem Ziel, Verletztenrente zu erhalten. Er stelle bezüglich der Berufskrankheit Nr. 2108 vorsorglich einen Antrag nach § 44 SGB X und 48 SGB X und bitte um einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid.

Die Beklagte holte die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. K. vom 16.05.2014 (S. 141 der VA 10.918.875.416) ein, wonach er ebenfalls keine neuen Aspekte hinsichtlich der BK 2108 sehe. Die seinerzeit getroffene Entscheidung sei für ihn anhand des schriftlichen Befundes und nachvollziehbar. Er stimme der Bewertung aus 2008 voll zu.

Mit Bescheid vom 05.06.2014 (S. 142/143 der VA 10.918.875.416) lehnte die Beklagte eine Neufeststellung bzw. Rücknahme gemäß § 44 SGB X bzw. § 48 SGB X bezüglich des Bescheides vom 12.06.2008 über die Ablehnung der Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2108 ab.

Gegen den Bescheid vom 06.05.2014 legte der Kläger am 07.07.2014 Widerspruch ein (S. 148/149 der VA 10.918.875.416). Offenbar sei die Ermittlung der beruflichen Wirbelsäulenbelastung unterblieben, also seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 nicht erhoben worden. Überdies bedürfe es eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens auf orthopädischem Fachgebiet, um das Ausmaß der Erkrankung zu bestimmen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2015 (S. 155/157 der VA 10.918.875.416) wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 08.04.2015 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG). Im vorliegenden Widerspruchsbescheid finde sich keine Wiedergabe der Ermittlungen der arbeitstechnischen Voraussetzungen. Diese dürften aber im Berufsbild des Klägers ohne weiteres gegeben sein. Auch sei ist im Berufsbild des Klägers ausgeschlossen, dass dieser keinen Bandscheibenschaden erworben hätte bei seiner schweren Arbeit. Eine vom Gericht angeforderte Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht legte der Kläger nicht vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 24.08.2015 wies das SG die Klage ab. Ob eine bandscheibenbedingte Erkrankung vorliege und ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien, könne offengelassen werden. Jedenfalls lägen die Voraussetzungen der haftungsbegründenden Kausalität nicht vor. Nach den beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. F. und Dr. K. sei das Schadensbild, wie es sich im MRT darstelle, nicht spezifisch für Verschleißerscheinungen aufgrund schweren Hebens und Tragens von Lasten.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 28.08.2015 zugestellten Gerichtsbescheid vom 24.08.2015 hat der Kläger am 28.09.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) (L 8 U 4098/15) erhoben. Hätte sich das Vordergericht mit dem Fall befasst, wo ein Überprüfungsverfahren anhängig sei, hätte es bedacht, dass die Gutachten, welche die Beklagte zitiere, beratungsärztliche Stellungnahmen seien. Dass Beratungsärzte einseitig urteilten, sei gerichtsbekannt. Ansonsten würden beratende Arzt nicht weiterbeschäftigt. Arbeitstechnisch dürfte der Kläger als Steinmetz einschlägig belastet gewesen seien, was die Lendenwirbelsäule anbetreffe, zumal bereits ein Lendenwirbelsäulenschaden durch den Wirbelkörperbruch des ersten LWK bestehe. Daher habe für das Vordergericht Amtsermittlungspflicht bestanden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24.08.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2015 und den Bescheid vom 12.06.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente und Übergangsleistungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf neun Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässig, jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 14.08.2015 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 05.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zurücknahme des Bescheides vom 12.06.2008 und Gewährung von Verletztenrente.

Soweit der Kläger die Gewährung von Übergangsleistungen geltend macht, ist die Klage unzulässig und damit die Berufung bereits deshalb unbegründet. Der Kläger hat die beanspruchten Übergangsleistungen bereits nicht näher bezeichnet. Unabhängig davon hat er im Verwaltungsverfahren die Gewährung von Übergangsleistungen auch nicht beantragt und hat die Beklagte dementsprechend hierzu weder mit dem Bescheid vom 12.06.2008 noch mit dem Bescheid vom 05.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2015 eine rechtsmittelfähige Entscheidung getroffen. Darüber hinaus sind Übergangsleistungen rückwirkend nach Ablauf eines Übergangszeitraumes von fünf Jahren nach Aufgabe der gesundheitsschädigenden Tätigkeit nicht mehr zu gewähren, da der Zweck der Übergangsleistungen nicht mehr erreicht werden kann (BSG, Urteil vom 22.03.2011 – B 2 U 12/10 R; vgl. auch Senatsurteil vom 20.05.2016 – L 8 U 388/16).

Etwas anderes gilt bezüglich der beantragten Verletztenrente. Insoweit ist die Klage zulässig. Zwar ist dem Bescheid vom 12.06.2008 keine Entscheidung über Verletztenrente zu entnehmen, nachdem vom Kläger zuvor auch lediglich die Anerkennung einer Berufskrankheit, nicht jedoch Verletztenrente beantragt worden war. Mit dem Antrag vom 29.11.2012 ging es dem Kläger jedoch ersichtlich um die Gewährung von Verletztenrente. Zwar hat die Beklagte im Bescheid vom 05.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2015 eine Rentengewährung nicht ausdrücklich abgelehnt. Dies erklärt sich allerdings schon dadurch, dass die Beklagte bereits die Anerkennung einer Berufskrankheit abgelehnt hat, aufgrund derer der Kläger die Verletztenrente begehrt. Erweist sich die Ablehnung der Feststellung der geltend gemachten Berufskrankheit im Klageverfahren als rechtswidrig, ist der Kläger nicht auf die erneute Durchführung eines Verwaltungsverfahrens wegen Verletztenrente zu verweisen, sondern im Klageverfahren über das bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemachte Begehren insgesamt zu entscheiden.

Soweit der Kläger sich neben einer Überprüfung des bestandskräftigen Bescheides vom 12.06.2008 nach § 44 SGB X auf eine Verschlimmerung bzw. auf § 48 SGB X beruft, zielt der Antrag insoweit auf die Anerkennung einer Berufskrankheit bzw. Geltendmachung einer Verletztenrente in Folge von nach Erlass der bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung eingetretenen Änderungen in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden danach zutreffend über den Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X als auch über die Neufeststellung entschieden. Richtige Klageart zur Erreichung des angestrebten Ziels ist hinsichtlich aller Begehren die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG oder nach Wahl des Versicherten kombiniert mit der Feststellungsklage gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (vgl. BSG 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R, BSGE 108, 274 und BSG 27.04.2010 - B 2 U 23/09 R). Einer zusätzlichen Verpflichtungsklage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in einem Gerichtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB X nicht. Es kann deshalb mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheides unmittelbar durch das Gericht verlangt werden (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.2013 – L 8 U 4645/11, juris).

Bezüglich der begehrten Rücknahme des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides vom 12.08.2008 ist Rechtsgrundlage § 44 SGB X.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18 m. w. H.). Dabei ist innerhalb des Zugunstenverfahrens maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheides der Zeitpunkt seines Erlasses (vgl. Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44, RdNr. 24 i.V.m. RdNr. 9). Zur Beurteilung der Fehlerhaftigkeit des streitgegenständlichen Bescheids kommt es im Übrigen nicht auf den Stand der Erkenntnis bei Erlass, sondern bei Überprüfung an. Erforderlich ist dazu eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer - eventuell geläuterten - Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsaktes geltenden Sach- und Rechtslage. In diesem Sinne beurteilt sich die Rechtswidrigkeit nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (vgl. Schütze, a.a.O., RdNr. 10 m.w.N.).

Bezüglich der geltend gemachten Verschlimmerung der Gesundheitsstörungen ist Rechtsgrundlage für dieses Begehren – entgegen der Annahme des Klägers insbesondere im Schreiben vom 29.11.2012 und der Beklagten im angefochtenen Bescheid – nicht § 48 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Vorschrift des § 48 SGB X ist hier nicht anwendbar, da es sich bei den mit Bescheid vom 12.08.2008 ausgesprochenen Ablehnung der Anerkennung einer Berufskrankheit nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt (Steinwedel, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 89. EL 03/2016, § 45 SGB X, Rn. 216; Schütze von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 45 Rn. 65). Vielmehr ist das Begehren des Klägers nach den Grundsätzen eines Erstantrags zu bewerten.

Einen Anspruch auf Verletztenrente hat der Kläger weder nach Überprüfung des Bescheides vom 12.08.2008 noch aufgrund seines Antrags vom 29.11.2012, denn eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 Anlage 1 zur BKV liegt nicht vor.

Nach § 56 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (Stützrententatbestand). Die Folgen eines Arbeitsunfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 SGB VII).

Es besteht jedoch kein Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund dieser Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII hat die Bundesregierung die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der derzeit u.a. folgende als Berufskrankheiten anerkannte Krankheiten aufgeführt sind:

Nr. 2108 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Danach muss die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität) - hier die spezifische Belastung der Lendenwirbelsäule -, und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben - hier die bandscheibenbedingte Erkrankung - (haftungsbegründende Kausalität). Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität, die allein von der Einwirkungskausalität umschrieben wurde, begründet erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - eine "Haftung" (vgl. BSG Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Ebenso wie beim Arbeitsunfall die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles. Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG Urteil vom 02.04.2009 a.a.O). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit.

Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 Rdnr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).

Die Wahrscheinlichkeit für die haftungsbegründende Kausalität der Berufskrankheit Nr. 2108 setzt voraus, dass beim Versicherten die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen (die Einwirkungskausalität) gegeben sind, d.h., dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden herbeizuführen. Nicht jede durch eine berufliche Tätigkeit verursachte Erkrankung ist als Berufskrankheit anzuerkennen. Vielmehr muss es sich um (definierte) Tätigkeiten handeln, die eine Intensität erreichen, die generell geeignet sind, ein entsprechendes (definiertes) Krankheitsbild zu verursachen. Ob die verrichtete Tätigkeit eine Intensität erreicht, die generell geeignet ist, eine Erkrankung zu verursachen, kann anhand von sogenannten Dosismodellen beurteilt werden. Dosismodelle fassen medizinische Erfahrungstatsachen zur Konkretisierung und Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen zusammen (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2003 - B 2 U 1/02 R - zum Mainz-Dortmunder-Dosismodell zur Nr. 2108 der Anlage zur BKV). Bei dem bisher geltenden Gesamtdosiswert des MDD zur Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 handelt es sich um keinen Grenzwert, sondern allenfalls um einen Orientierungswert, weshalb bei einem Unterschreiten des Orientierungswertes noch nicht zwingend die arbeitstechnischen Voraussetzungen zu verneinen sind (vgl. BSG Urteil vom 19.08.2003 – B 2 U 1/02 R, juris). Nach dem Bundessozialgericht (vgl. Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R, juris) ist aufgrund der durch die Deutsche Wirbelsäulenstudie bekannt gewordenen Schwächen des MDD der Orientierungswert um die Hälfte zu reduzieren. Ob die Voraussetzungen hinsichtlich der Berufskrankheiten nach Nr. 2108 vorliegen, lässt der Senat dahinstehen. Denn die Anerkennung einer BK nach Nr. 2108 scheidet jedenfalls - bei unterstellter Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen - aus medizinischen Gesichtspunkten aus.

Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass sich aus der überzeugenden beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. F. vom 23.05.2008, der sich der Beratungsarzt Dr. K. unter dem 16.05.2014 angeschlossen hat, ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung und der beim Kläger vorhandenen Erkrankung der Lendenwirbelsäule nicht herleiten lässt. Es ist für den Senat nicht im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung hinreichend wahrscheinlich, dass die bei den beruflichen Verrichtungen des Klägers als Steinmetz und Bildhauer erfolgten Einwirkungen dessen Wirbelsäulenerkrankung verursacht haben.

In den am 04.08.2005 veröffentlichten Konsensempfehlungen der interdisziplinären Arbeitsgruppe "Medizinische Beurteilungskriterien bei den Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" (Trauma und Berufskrankheit 3, 2005, S. 211 ff. – Konsensempfehlungen) entsprechen die im vollen Konsens aller Teilnehmer verabschiedeten Kriterien zur Überzeugung des Senats der gegenwärtigen herrschenden Meinung der Wissenschaft, welche der Senat daher in ständiger Rechtsprechung (vgl. stellvertretend Urteil des Senats vom 28.01.2011 – L 8 U 4946/08, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de) seiner Entscheidung zugrunde legt. Die Konsensempfehlungen 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, ohne dass ihnen allerdings ein irgendwie gearteter normativer Charakter zukäme (BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 20/14 R, juris). Danach ist Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs eine nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung, die ihrer Ausprägung nach altersuntypisch sein muss, bei ausreichender beruflicher Belastung mit plausibler zeitlicher Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (vgl. Konsensempfehlungen a.a.O., Nr. 1.4, S. 216). Eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei Segmenten der Lendenwirbelsäule spricht eher für einen Ursachenzusammenhang der beruflichen Belastung, während ein Befall der Halswirbelsäule und/oder der Brustwirbelsäule je nach Fallkonstellation gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen kann. Für den Vergleich zwischen Lendenwirbelsäule und darüber gelegenen Wirbelsäulenabschnitten sind Chondrosen und Vorfälle maßgeblich. Das Vorliegen einer Begleitspondylose spricht für eine berufliche Verursachung. Bestehen jedoch wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren, die das Schadensbild durch eine überragende Qualität erklären, ist ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich (a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben ist von Dr. F. plausibel dargelegt worden, dass ein primärer Bandscheibenschaden beim Kläger nicht vorliegt, vielmehr die vorliegenden Veränderungen im Sinne einer Scheuermann`schen Erkrankung zu interpretieren sind. Nach dem Bericht des Dr. N. vom 24.04.2008 über das MRT der LWS mit unterer BWS (BWK 9 bis SWK1) finden sich mäßige bis teils fortgeschrittene teils erosive Osteochondrosen aller lumbalen und einsehbaren thorakalen Segmente bei Zwischenwirbelraumverschmälerung, spondylophytären Randausziehungen und umschriebenen Arrosionen der Wirbelkörperabschlussplatten mit Verfettung des angrenzenden Markraumes, was am deutlichsten in Höhe L4/5 und L5/S1 dargestellt ist. In dieser Höhe finden sich auch breite interspondylophytäre Bandscheibenprotrusionen beidseits intraforaminal. Demnach ist zwar der untere Bereich der LWS am stärksten betroffen, jedoch finden sich teils diffuse, teils umschriebene Verfettungen des Knochenmarks der Wirbelkörper mit degenerativen Bandscheibensignalen auf allen abgebildeten Bandscheibenfächern. Danach ist jedenfalls auch die BWS betroffen. Auch finden sich in sämtlichen abgebildeten Segmenten Schmorl`sche Knötchen entsprechend einer Scheuermann`schen Erkrankung. Dabei haben sich teils beträchtliche Verformungen der Lendenwirbelkörper ergeben, insbesondere sind die Längsdurchmesser von LWK4 und LWK5 verlängert und deutlich größer als die Kreuzbeinbasis, was die besondere Betroffenheit der beiden unteren Wirbelsäulensegmente erklärt. Das Bild der degenerativen Veränderungen entspricht danach nachvollziehbar demjenigen einer Scheuermann`schen Erkrankung, weshalb eine berufliche Verursachung nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen ist.

Das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV kann danach nicht festgestellt werden. Medizinische Befunde, die eine abweichende Einschätzung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich und wurden vom Kläger nicht beigebracht. Auch hat der Kläger keine Ärzte benannt, die entsprechende medizinische Befunde erhoben hätten.

Der Senat war auch nicht gehindert, sich auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten gutachterlichen Äußerungen der Beratungsärzte Dr. F. und Dr. K. zu stützen, die im Wege des Urkundsbeweises zu verwerten waren (BSG, Beschluss vom 31.05.1963 – 2 RU 231/62; vgl. auch BSG, Beschlüsse vom 08.12.1998 – B 2 U 222/98 B, vom 14.12.1999 – B 2 U 311/99 B und vom 26.05.2000 – B 2 U 90/00 B) und die zur Beurteilung des medizinischen Sachverhalts ausreichend waren. Hiervon ausgehend drängen sich auch keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen auf. Die Überprüfung von Entscheidungen der als öffentlich-rechtliche Körperschaften organisierten Versicherungsträger, die in Erfüllung gesetzlicher Aufgaben der Objektivität und Neutralität unterworfen sind (vgl. § 16 Sozialgesetzbuch [SGB] X - von der Tätigkeit für eine Behörde ausgeschlossene Personen -, § 17 SGB X - Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit -, § 20 SGB X - Untersuchungsgrundsatz -), unterliegt auch im sozialgerichtlichen Verfahren dem Amtsermittlungsgrundsatz, der grundsätzlich Art und Umfang der gebotenen Sachaufklärung in das Ermessen des Gerichts stellt. Das Gericht ist nicht gehindert, sich bei seiner Entscheidung allein auf die im Verwaltungsverfahren gewonnenen Beweisergebnisse zu stützen. Von Gerichts wegen veranlasste Ermittlungen bedarf es nicht, wenn die Erkenntnismittel aus dem Verwaltungsverfahren überzeugend und verwertbar sind (vgl. BSG Beschluss vom 14.12.1999 a.a.O.), wie vorliegend dargelegt. Der Kläger hat auch keine substantiierten Beanstandungen gegen die ärztlichen Feststellungen und Auffassungen von Dr. F. und Dr. K. vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved