L 8 U 5070/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 2279/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 5070/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. November 2015 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Der 1953 geborene Kläger ist von Beruf Bäcker. Er war seit 1968 in diesem Beruf tätig, seit 1983 als selbstständiger Bäckermeister mit eigenem Gewerbebetrieb. Zum 01.01.2009 meldete er seinen Gewerbebetrieb (Bäckerei und Konditorei mit Lebensmittelhandel) ab.

Mit Schreiben (Bescheid) vom 08.03.1996 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit Nr. 4301 BKV nach Auffassung der ärztlichen Gutachter erfüllt seien. Dies allein reiche aber zur Anerkennung der BK nicht aus. Die Erkrankung müsse zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich seien oder sein könnten. Nach den Unterlagen und dem mit dem Kläger geführten Telefonat komme für den Kläger aus finanziellen und persönlichen Gründen eine Berufsaufgabe derzeit nicht in Betracht.

Mit Bescheid vom 05.12.2011 hob die Beklagte die Ende 2007 ausgelaufene Pflichtversicherung für Unternehmer und automatisch überführte freiwillige Versicherung / Formalversicherung auf Antrag des Klägers vom 16.11.2011 rückwirkend zum 01.01.2008 auf.

Am 16.02.2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen einer BK Nr. 4103 BKV. Er teilte mit, aufgrund seiner Krankheit habe er am 21.11.2006 einen Bäcker eingestellt, der bis zum 31.12.2008 bei ihm beschäftigt gewesen sei. Der Kläger äußerte sich unter dem 26.02.2015 im Fragebogen "Versicherter BK 4301/4302".

Mit Bescheid vom 31.03.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass Leistungen wegen seiner berufsbedingten Atemwegserkrankung nicht erbracht werden könnten, da sein Versicherungsschutz rückwirkend zum 31.12.2007 beendet worden sei und der Kläger damit zum Zeitpunkt der Unterlassung der schädigenden Tätigkeit zum 01.01.2009 nicht mehr unter Versicherungsschutz gestanden habe, weshalb die Voraussetzungen für eine Anerkennung einer BK nicht erfüllt seien.

Gegen den Bescheid vom 31.03.2015 legte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 13.04.2015 Widerspruch ein. Er führte zur Begründung aus, ihm sei im Jahr 2006 ein weiteres Tätigwerden nicht mehr möglich gewesen, weshalb er zum 21.11.2006 einen Bäcker eingestellt habe, der bis zum 31.12.2008 für ihn tätig gewesen sei. In diesem Zeitraum habe er die schädigende Tätigkeit nicht mehr ausgeübt. Er sei allein in der Buchhaltung bzw. im Verkauf durch das unschädliche Einsetzen und Fertigbacken von Teiglingen in so genannte Lade-Backöfen, das Einräumen von Regalen (Milch u. ä.), Säuberungsarbeiten u. ä. beschäftigt gewesen. Brot- und Backwaren habe er weder verkauft noch in Regale eingeräumt, ausgeräumt oder Regale gesäubert. Schadstoffe träten ausschließlich im Mehl auf, so dass nur eine Tätigkeit in der eigentlichen Backstube schädlich sei. Zum 01.01.2009 sei der Betrieb durch die Ehefrau übernommen worden, wo er bis 31.08.2011 geringfügig in der Buchhaltung nicht schädigend beschäftigt gewesen sei. Die Aussage, eine Unterlassung habe erst zum 01.01.2009 erfolgen können, sei nicht zutreffend. Seine Erkrankung habe mit der Einstellung des Bäckers zum 21.11.2006 zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt, weshalb im seit diesem Zeitpunkt Leistungen wegen der unstreitig vorliegenden berufsbedingten Atemwegserkrankung zu gewähren seien. Er sei über die entsprechenden Konsequenzen der Beendigung der Versicherung zu keinem Zeitpunkt aufgeklärt worden. Hätte er die Konsequenzen gewusst, hätte er sich zum damaligen Zeitpunkt anders entschieden. Zum 21.11.2006 habe Versicherungsschutz bestanden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Nach den vorliegenden Unterlagen, insbesondere den eigenen Angaben des Klägers, habe der Kläger bis zum 31.12.2008 und damit über das Ende der freiwilligen Versicherung hinaus im Rahmen einer Verkaufstätigkeit in der Bäckerei, Regale einzuräumen, Reinigungsarbeiten durchführen sowie das Bestücken und Backen von Teiglingen in den Backöfen des Verkaufsraums schädigende Tätigkeiten im eigenen Betrieb ausgeübt.

Am 21.07.2015 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Er berief sich zur Begründung im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen, das er vertiefte und durch den Antrag, seine Ehefrau als Zeugin zu vernehmen, unter Beweis stellte (insbesondere Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 19.11.2015 auf die Anhörung des SG wegen des Erlasses eines Gerichtsbescheides). Seit dem 21.11.2006 habe mit der Backstube keinerlei Kontakt mehr bestanden. Er sei lediglich noch im von der Backstube getrennten Verkaufsgebäude tätig gewesen. Seine Erkrankung habe bereits mit der Einstellung des Bäckers zum 21.11.2006 zur Unterlassung sämtlicher Tätigkeiten geführt.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die vom Kläger genannte Betätigung der Lade-Backöfen sowie die Säuberungsarbeiten lägen zwar deutlich unter der Exposition in Backstuben, bewirkten jedoch weiterhin eine Exposition, so dass ein Unterlassen der schädigenden Tätigkeit nicht vorgelegen habe. Außerdem habe dem Kläger als Unternehmer bis 31.12.2008 das Direktionsrecht und die Verantwortung für die Arbeitssicherheit und Hygiene oblegen, weshalb er seine Tätigkeit nicht habe ausüben können, ohne zeitweise die Backstube zu betreten. Ein Unterlassen nach dem 31.12.2007 könne aufgrund der Beendigung der Versicherung zu keiner Anerkennung der Berufskrankheit führen.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.11.2015 wies das SG die Klage mit der Begründung ab, zur Überzeugung der Kammer sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger die schädigende Tätigkeit im Sinne der BK Nr. 4301 noch zu einem Zeitpunkt unterlassen habe, zu welchem noch Versicherungsschutz bestanden habe, mithin die tatbestandlichen Voraussetzungen der geltend gemachten BK insgesamt erfüllt seien. Zur Überzeugung der Kammer seien sowohl die vom Kläger beschriebenen Tätigkeiten wie das Bestücken und Backen von Teiglingen in den Backöfen als auch die Reinigungsarbeiten schädigende Tätigkeiten im Sinne der BK Nr. 4301. Des Weiteren habe die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger als Bäckermeister und Inhaber des Betriebes auch für die Arbeitssicherheit und Hygiene verantwortlich gewesen sei. Aus diesem Grunde habe und musste der Kläger im Rahmen der ihm obliegenden Verantwortung auch zeitweise die Backstube betreten. All dies zusammenfassend lasse sich nicht nachweisen, dass der Kläger noch vor dem 01.01.2008 die schädigende und/oder gefährdende Tätigkeit im Sinne der BK 4301 unterlassen habe.

Gegen den der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 02.12.2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die vom Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte am 09.12.2015 eingelegte Berufung. Der Kläger hat zur Begründung sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wiederholt und ergänzend ausgeführt, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass es bei der Frage, wann er den Beruf aufgegeben habe, den Zeitpunkt hätte nennen müssen, in dem er die Tätigkeit als Bäcker und nicht sein Geschäft aufgegeben habe. Das SG habe unzutreffend angenommen, dass die von ihm angegebenen Tätigkeiten schädigende Tätigkeiten gewesen seien. Seine Erkrankung habe bereits mit der Einstellung des Bäckers zum 21.11.2016 zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt. Er habe weder Brot oder Backwaren verkauft, noch Brot und Backwarenregale eingeräumt, ausgeräumt oder gesäubert. Seit dem 21.11.2006 habe er mit der Backstube keinerlei Kontakt mehr gehabt. Er selbst sei lediglich im Verkauf tätig gewesen. Er habe auch im Rahmen seiner Zuständigkeit für Arbeitssicherheit und Hygiene keinerlei Kontakt mehr mit der Backstube gehabt. Der Kläger hat zum Beweis seines Vorbringens insbesondere die Vernehmung seiner Ehefrau als Zeugin beantragt und auf Anfrage des Senats den eingestellten Bäcker namentlich benannt.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. November 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur BKV ab dem 21. November 2006 anzuerkennen und Entschädigungsleistungen in gesetzlicher Höhe ab 21. November 2006 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zur Begründung vorgetragen, bei den angegebenen Tätigkeiten sei der Kläger weiterhin mit Mehlstaub in Kontakt gekommen. Im Übrigen sei er bis 31.12.2008 als Unternehmer für die Arbeitssicherheit und Hygiene zuständig gewesen und habe daher die Backstube betreten müssen. Die Tätigkeit sei daher weiterhin schädigend gewesen. Die Aufgabe der Tätigkeit sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der Kläger nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe.

Mit richterlicher Verfügung vom 01.07.2016 ist den Beteiligten mitgeteilt worden, dass der Senat erwägt, die Berufung an das Sozialgericht Karlsruhe zurückzuverweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsätze der Beklagten vom 06.07.2016 und der Klägerbevollmächtigten vom 07.07.2016).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und der Zurückverweisung zur Durchführung weiterer Ermittlungen an das SG erfolgreich.

Der Gerichtsbescheid leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, aufgrund dessen eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, so dass der Senat von der ihm nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG eingeräumten Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch macht. Das Sozialgericht hat gegen seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts aus § 103 SGG und gegen das grundgesetzlich garantierte Recht auf rechtliches Gehör (Art. 19 Abs. 4 GG) verstoßen.

Für die Entscheidung über den vom Kläger im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung einer BK Nr. 4301 BKV und auf die Gewährung von Entschädigungsleistungen (hier konkret Verletztenrente) kommt es entscheidend darauf an, ob der Kläger die gefährdende Tätigkeit vor der Beendigung des Versicherungsverhältnisses zum 01.01.2009 unterlassen hat. Hierzu hat der Kläger im Verlauf des Widerspruchsverfahrens wie auch des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem SG im Wesentlichen gleichbleibend und substantiiert vorgetragen, nach der Einstellung eines Bäckers seit dem 21.11.2006 keine gefährdenden Tätigkeiten mehr ausgeübt zu haben. Sein Vorbringen hat der Kläger insbesondere mit dem Antrag, hierzu seine Ehefrau als Zeugin zu vernehmen, bzw. ihn anzuhören, unter Beweis gestellt. Ob das Vorbringen des Klägers zutrifft, ist für den vorliegenden Rechtsstreit streitentscheidend, zumal die Beklagte dem Kläger im Schreiben/Bescheid vom 08.03.1996 bestätigt hat, dass die medizinischen Voraussetzungen der BK 4301 BKV nach Auffassung der ärztlichen Gutachter erfüllt seien.

Zur Überzeugung des Senats war gemäß § 103 SGG bereits im erstinstanzlichen Verfahren die weitere Aufklärung des Sachverhalts zum Vorbringen des Klägers zwingend geboten. Hiergegen hat das SG verstoßen. Die Amtsermittlungspflicht aus § 103 SGG ist verletzt, wenn der dem Sozialgericht bekannte Sachverhalt von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus nicht für das gefällte Urteil ausreicht, sondern sich das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 24.11.1988 - 9/9a RV 42/87; Urteil vom 24.06.1993 - 11 RAr 75/92 - m.w.N.). Zur Beantwortung dieser Frage muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen (st.Rspr. des BSG, Beschluss vom 24.04.2014 - B 13 R 325/13 B -).

Das Vorbringen des Klägers ist entscheidungsrelevant und bedurfte gemäß § 103 SGG weiterer Ermittlungen von Amts wegen durch das SG. Zwar bestehen hinsichtlich des aktenkundigen Sachverhalts Ungereimtheiten zum Unterlassen der schädigenden Tätigkeit. Aufgrund des dem Kläger erteilten Schreibens/Bescheides der Beklagten vom 08.03.1996 hätte ihm bekannt sein können, dass es für das Vorliegen der geltend gemachten BK Nr. 4301 BKV auf das Unterlassen der schädigenden Tätigkeit ankommt, was er nicht zeitnah zum behaupteten Unterlassungszeitraum am 21.11.2006, sondern erst mit Schreiben vom 12.02.2015 bei der Beklagten geltend gemacht hat. Dies könnte darauf hindeuten, dass der Kläger auch nach dem 21.11.2006 die schädigende Tätigkeit nicht vollständig unterlassen hat. Hierfür könnte auch sprechen, dass vom Kläger auf seinen Antrag vom 16.11.2011 rückwirkend zum 31.12.2007 den Versicherungsschutz beendet wurde, obwohl er nach seinem Vorbringen bereits zum 21.11.2006 die gefährdende Tätigkeit unterlassen haben will. Insoweit sind gewisse Zweifel angebracht, ob der Kläger tatsächlich bereits am 21.11.2006 vor Beendigung des Versicherungsschutzes die schädigende Tätigkeit unterlassen hat, die aber die Abweisung der Klage nicht rechtfertigen. Hierzu finden sich im angefochtenen Gerichtsbescheid auch keinerlei Erwägungen. Durch das substantiierte Vorbringen des Klägers im Widerspruchs- und Klageverfahren bestehen trotz der genannten Zweifel gleichwohl konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bereits zum 21.11.2006 seine gefährdende Tätigkeit aufgegeben hat - möglicherweise unter Verstoß gegen Aufsichtspflichten - und deshalb zu diesem Zeitpunkt das Vorliegen einer BK Nr. 4301 BKV festzustellen ist. Durch das substantiierte Vorbringen des Klägers hätte sich das SG unmittelbar gedrängt fühlen müssen, Ermittlungen durch die Anhörung des Klägers sowie die Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugin wie auch - von Amts wegen im Rahmen der Ermittlungspflicht - des eingestellten Bäckers, den der Kläger auf vorsorgliche Aufforderung des Senats im Berufungsverfahren zusammen mit weiteren Zeugen namentlich benannt hat, anzustellen und auf der Grundlage des Ergebnisses dieser Ermittlungen zu prüfen, ob der Kläger bereits zum 21.11.2006, wie er vorgetragen hat, die schädigende Tätigkeit unterlassen hat.

Diese sich aufdrängenden Amtsermittlungen hat das SG unterlassen, wobei nach dem äußeren Erscheinungsbild der Eindruck entstehen kann, dass Ermittlungen bewusst umgangen wurden.

Das SG ging ohne die erkennbar erforderliche Durchführung der sich aufdrängenden Ermittlungen davon aus, dass sich nicht nachweisen lasse, dass der Kläger die schädigende Tätigkeit noch zu einem Zeitpunkt unterlassen hat, zu dem noch Versicherungsschutz bestanden habe. Es hat ohne Ermittlungen angenommen, dass die vom Kläger beschriebenen Tätigkeiten - insbesondere das Bestücken der Ladebacköfen - schädigende Tätigkeiten seien, ohne darzulegen, worauf es seine Annahme stützt. Weiter hat das SG ohne weitere Abklärung das Vorbringen der Beklagten, der Kläger sei als Bäckermeister und Inhaber des Betriebes für Arbeitssicherheit und Hygiene verantwortlich gewesen, weshalb er im Rahmen der ihm obliegenden Verantwortung auch zeitweise die Backstube habe betreten müssen, maßgeblich seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Diese vom SG getroffenen Feststellungen lassen sich mit dem - auf das Anhörungsschreiben des SG vom 23.10.2015 zur Absicht einer Entscheidung nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 19.11.2005 - substantiierten und unter Beweis gestellten Vorbringen des Klägers ersichtlich nicht vereinbaren, weshalb für den Erlass des Gerichtsbescheides ohne weitere Ermittlungen ersichtlich keine hinreichende Tatsachengrundlage bestanden hat. Zu diesem Vorbringen des Klägers oder zu seiner Glaubwürdigkeit äußert sich das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids nicht. Den Feststellungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids ist der Kläger auch im Berufungsverfahren substantiiert und unter Beweisantritt entgegen getreten.

Außerdem hat das SG den angefochtenen Gerichtsbescheid unter Verletzung des grundgesetzlich garantierten Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 19 Abs. 4 GG) erlassen, weil es eine vom Kläger beantragte Beweisaufnahme übergangen hat. Von einer Beweisaufnahme darf das Gericht nur dann absehen bzw. einen Beweisantrag nur dann ablehnen, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn sie also als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache bzw. ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (BSG, Beschluss vom 27.11.2007 – B 5a/5 R 406/06 B, juris Rdnr. 8; Beschluss vom 20.10.2010 - B 13 R 511/09 B -, juris Rdnr. 14 m.w.N.). Zu dem - auf das Anhörungsschreiben des SG vom 23.10.2015 zur Absicht einer Entscheidung nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 19.11.2005 - substantiierten und durch die Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin unter Beweis gestellten Vorbringen des Klägers finden sich in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids keine Ausführungen dazu, weshalb dem Beweisantrag nicht nachzukommen ist. Hiervon durfte das SG bei seiner Entscheidung auch nicht deswegen absehen, weil der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte im Schriftsatz vom 19.11.2015 sein Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid erklärt hat. Der Kläger hat im Anschluss an diese Einverständniserklärung sein bisheriges Vorbringen erneut unter Beweis gestellt, was als Hilfsbeweisantrag zum Sachantrag zu werten ist. Dieser Beweisantrag war auch nicht offensichtlich prozessrechtlich unbeachtlich. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Klägers war deshalb jedenfalls erforderlich, über den Beweisantrag des Klägers, seine Ehefrau zu vernehmen, zu entscheiden, was das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid unterlassen hat. Damit hat das SG den Beweisantrag des Klägers übergangen. Insgesamt kann den knappen Entscheidungsgründen im angefochtenen Gerichtsbescheid nicht entnommen werden, dass das SG bei seiner Entscheidung das substantiierte Vorbringen des Klägers überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Erwägungen zum Vorbringen des Klägers - insbesondere im Schriftsatz vom 19.11.2015 - sind den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids nicht zu entnehmen.

Aufgrund der dargestellten Verfahrensverstöße des SG ergibt der objektive äußere Anschein, dass der Gerichtsbescheid auf eine zwangsläufige Verlagerung der Ermittlungsaufgaben an das Berufungsgericht angelegt ist.

Die angefochtene Entscheidung kann auch auf den dargestellten Verfahrensmängel fehlender Sachaufklärung beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass das Sozialgericht bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Nach der schriftliche Mitteilung vom 08.03.1996 geht die Beklagte vom Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen einer BK Nr. 4301 BKV aus, weshalb die weiter zu klärende Tatsache, ob der Kläger die schädigende Tätigkeit bereits zum 21.11.2006 unterlassen hat, streitentscheidende Bedeutung hat. Es ist auch keinesfalls ausgeschlossen, dass die vom SG unterlassenen weiteren Ermittlungen Tatsachen ergeben hätten, die die Ansicht der Beklagten, der Kläger habe die gefährdende Tätigkeit vor der Beendigung der Versicherung zum 01.01.2009 nicht aufgegeben, nicht bestätigen.

Aufgrund der dargestellten Verfahrensverstöße durch das SG ist im Berufungsverfahren eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme, beginnend mit der Vernehmung von Zeugen (insbesondere Ehefrau des Klägers und der zum 21.11.2006 eingestellte Bäcker) notwendig. Anschließend kommt gegebenenfalls die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob beim Kläger eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, in Betracht.

Die nach § 159 Abs. 1 SGG im Ermessen des Senats stehende Zurückverweisung ist angesichts der dargelegten Verfahrensfehler mit Verletzung des Rechts aus Art. 19 Abs. 4 GG, die auch als eine beabsichtigte - was aber nicht Tatbestandsmerkmal der Zulässigkeit einer Zurückverweisung ist - auf Verlagerung umfassender und aufwändiger Ermittlungsaufgaben an das Berufungsgericht angelegte Verfahrensweise gedeutet werden können, sowie zur Erhaltung einer zweiten Tatsacheninstanz geboten und nach ermessensgerechter Würdigung auch angemessen. Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz besonders ins Gewicht fällt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her. Der Grundsatz der Prozessökonomie gebietet es auch in Anbetracht der Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens nicht, den Rechtsstreit abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln. Vielmehr ist dem Sozialgericht zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts zu geben. Dabei hat sich der Senat im Rahmen der Ermessensausübung insbesondere auch dadurch leiten lassen, dass die durch die Fehlerhaftigkeit der Sachaufklärung eintretende Verfahrensverzögerung als gering einzuschätzen ist. Die Wahrung zweier Tatsacheninstanzen dient hingegen dem Interesse des Klägers und sichert ihm sein Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG.

Das Sozialgericht wird zunächst die vom Kläger benannte Zeugin sowie den im Berufungsverfahren benannten Bäcker S. (Bl. 26 der Senatsakte) von Amts wegen zu vernehmen haben. Sodann wird vom SG zu entscheiden sein, ob weitere der oben genannten Aufklärungsmaßnahmen durchzuführen sind.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem SG vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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