L 11 KR 674/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 3065/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 674/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 20.01.2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert wird auf 6.560 EUR festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Vertragsstrafe iHv 6.560 EUR

Die Beklagte ist Inhaberin einer Apotheke. Sie rechnete im Juni und Juli 2011 zulasten der Klägerin als gesetzliche Krankenkasse im Rahmen der Arzneimittelversorgung falsch ab. Die Medikamente Metoprolol Succinat Beta 47,5 und Metoprolol Succinat Beta 95 waren seinerzeit Gegenstand eines Rabattvertrages zwischen der Klägerin und dem Hersteller. Diese Medikamente waren in den Monaten Juni und Juli 2011 noch nicht lieferbar. In dieser Zeit gab die Beklagte in insgesamt 44 Fällen an Versicherte der Klägerin andere Präparate ab. Gleichwohl bedruckte sie die entsprechenden Kassenrezepte mit der Pharmazentralnummer (PZN) der vom Rabattvertrag erfassten Präparate, legte diese Rezepte bei der Klägerin zur Abrechnung vor und erhielt dementsprechend die Vergütung. Vergleichbare Vorfälle gab es in einer Vielzahl von Apotheken (rund 1.200).

Die Beklagte gab später zur Erläuterung an, sie habe seinerzeit noch mit einer alten Computersoftware gearbeitet. Diese habe die vorgelegten Kassenrezepte mit der PZN bedruckt, bevor die Verfügbarkeit des ärztlich verordneten Medikaments überprüft worden sei. Es sei dann wohl versehentlich versäumt worden, die PZN manuell unter Angabe der PZN des tatsächlich abgegebenen Arzneimittels abzuändern. Ein solches Versehen könne insbesondere bei großem Kundenandrang vorkommen und sei auch bei sorgfältiger Systemüberwachung nicht gänzlich ausgeschlossen. Die Beklagte schaffte sich zwischenzeitlich eine neue Software an, mit welcher eine solche Falschabrechnung nicht mehr möglich ist.

Ein bei der Staatsanwaltschaft Mannheim geführtes Ermittlungsverfahren ist eingestellt worden, weil sich ein strafbares Verhalten der Beklagten nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung nachweisen hat lassen.

Die Klägerin stimmte sich mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV) über die Verhängung von Vertragsstrafen bzgl der Falschabrechnungen und deren Berechnung ab. Mit Schreiben vom 25.07.2012 informierte sie den Landesapothekerverband Baden-Württemberg e.V. (LAV) über den beabsichtigten Ausspruch von Verwarnungen und Verhängung von Vertragsstrafen gegenüber zehn Apotheken in Baden-Württemberg gemäß § 11 Abs. 1 und 2 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs 2 SGB V für die Abrechnungsmonate Juni und Juli 2011. Diese zehn Apotheken, zu denen auch die Apotheke der Beklagten gehört, hätten zwischen 37 Packungen und 120 Packungen in den beiden Monaten fehlerhaft abgerechnet. Es sei deshalb beabsichtigt, gegenüber diesen 10 Apotheken sowohl eine Verwarnung auszusprechen sowie zusätzlich eine Vertragsstrafe nach § 11 Abs 1 und 2 des Rahmenvertrags festzusetzen. Bevor dieser Verwaltungsakt vollzogen werde, werde den betroffenen Apotheken die Möglichkeit zu einer Stellungnahme gegeben (Anhörung nach § 24 Abs 1 SGB X).

§ 11 des Rahmenvertrages lautet wie folgt: "(1) Bei Verstößen gegen § 129 Abssatz 1 SGB V, gegen die Auskunftspflicht nach § 293 Absatz 5 Satz 4 SGB V, gegen diesen Rahmenvertrag oder gegen die ergänzenden Verträge nach § 129 Absatz 5 SGB V können die zuständigen Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen nach Anhörung des Betroffenen, bei Mitgliedsapotheken im Benehmen mit dem zuständigen Mitgliedsverband des Deutschen Apothekerverbandes, folgende Vertragsmaßnahmen aussprechen: 1. Verwarnung 2. Vertragsstrafe bis zu 25.000 EUR 3. bei gröblichen und wiederholten Verstößen Ausschluss des Apothekenleiters / der Apothekenleiterin von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren.

(2) Die Vertragsmaßnahmen nach Absatz 1 Ziffer 1 und 2 können auch nebeneinander verhängt werden."

§ 5 des Ergänzungsvertrages zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 SGB V in Baden-Württemberg lautet wie folgt: "(1) Erfüllt eine Apotheke die sich aus diesem Vertrag ergebenden Vertragsverpflichtungen nicht, so können Maßnahmen gemäß § 6 in Betracht kommen. Bei Vertragsverstößen durch einen Vertragspartner (Krankenkasse, LAV) gilt diese Regelung entsprechend. (2) Als schwere Vertragsverstöße gelten insbesondere: a) Zahlung von Vergütungen für die Zuweisung von Versicherten oder von Verordnungen, b) Berechnung nicht ausgeführter Leistungen und Lieferungen c) Abrechnung von Leistungen Nicht-Lieferberechtigter gemäß § 129 SGB V d) unberechtigte Änderungen der ärztlichen Verordnung e) Verstoß gegen § 7 Abs. 1 und 2 [Regelungen zur Allgemeine Zusammenarbeit)"

§ 6 des Ergänzungsvertrages (Maßnahmen bei Vertragsverstößen, Wiedergutmachung des Schadens) lautet wie folgt: "Es gelten die Bestimmungen des Rahmenvertrages nach § 129 SGB V."

Mit Schreiben vom 30.07.2012 hörte die Klägerin die Beklagte nach § 24 Abs 1 SGB X zur Verwirkung einer Verwarnung/Vertragsstrafe iHv 9.200 EUR an.

Mit Schreiben vom 31.07.2012 teilte der LAV der Klägerin mit, dass er die geplante Verhängung von Vertragsstrafen in der Art und Höhe für nicht verhältnismäßig, angemessen und in Bezug auf den Vorwurf auch in dieser Höhe nicht für gerechtfertigt halte. Er könne die geplante Vertragsmaßnahme daher im Ergebnis nicht mittragen. Der LAV hielt eine deutliche Verwarnung für angemessen, eine Vertragsstrafe in der angedachten Höhe aber nicht für gerechtfertigt. Zudem wies er darauf hin, dass seiner Ansicht nach der Rahmenvertrag nach § 129 Abs 2 SGB V als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu qualifizieren sei. Zwischen Leistungserbringer und Kostenträger bestehe danach auf Basis dieser vertraglichen Grundlage ein vertragliches Gleichordnungsverhältnis und kein Über-Unterordnungsverhältnis. Es fehle an der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für einen Verwaltungsakt. Der Anspruch auf die Zahlung einer Vertragsstrafe wäre ein vertraglicher Anspruch, der nicht im Rahmen eines vollstreckbaren Verwaltungsaktes geltend gemacht werden könne. Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bzw das Willkürverbot sah der LAV in diesem Fall nicht ausreichend beachtet. Er bat daher die Klägerin um eine nochmalige Überprüfung.

Eine nochmalige Abstimmung zwischen der Klägerin und dem LAV fand nicht statt. Vielmehr forderte die Klägerin mit Schreiben vom 28.11.2012 von der Beklagten eine Vertragsstrafe iHv 6.560 EUR. Zur Begründung führte sie zusammengefasst aus, dass die Beklagte mit den Falschabrechnungen in 44 Fällen schwerwiegende Pflichtverletzungen begangen habe und durch die wiederholten Falschabrechnungen das zwischen der Beklagten und der Klägerin bestehende Vertrauensverhältnis schwer und nachhaltig beschädigt worden sei. Die in den Abgabemonaten noch geltende Friedenspflicht (wegen Nichtlieferfähigkeit der Medikamente) könne das Fehlverhalten nicht rechtfertigen, sondern habe die Apotheken nur von der Pflicht befreit, das Rabattarzneimittel abzugeben. Die Klägerin hat nähere Ausführungen zur Höhe der Vertragsstrafe gemacht.

Die Beklagte hat nachfolgend durch ihren Bevollmächtigten gegenüber der Klägerin ausführen lassen, dass dieser ein Maximalschaden von allenfalls 18,92 EUR entstanden sei. Von einer Manipulation der Abrechnung könne keinesfalls gesprochen werden. Dies habe bereits die Staatsanwaltschaft Mannheim so beurteilt. Bis Oktober 2011 sei das Medikament überhaupt nicht ausgeliefert worden. Die Klägerin habe mithin den Apotheken den Verkauf eines Medikamentes aufoktroyiert, das nicht verfügbar gewesen sei. Es handle sich um eine Bagatellsache, welche einen schweren und nachhaltigen Vertrauensbruch nicht begründen könne.

Am 05.09.2013 hat die Klägerin Leistungsklage auf Zahlung der Vertragsstrafe nebst Zinsen beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Mit Urteil vom 20.01.2015 hat das SG die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das für eine allgemeine Leistungsklage notwendige Rechtsschutzbedürfnis fehle, da die Klägerin die Möglichkeit gehabt habe, die streitgegenständliche Forderung durch einen Verwaltungsakt festzusetzen. Zwar gehe das SG mit einhelliger Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass der Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung gemäß § 129 SGB V grundsätzlich Ausdruck eines zwischen den Beteiligten bzw Vertragsparteien bestehenden Gleichordnungsverhältnis sei. Dennoch könne eine Verwaltungsaktbefugnis auch innerhalb eines grundsätzlich bestehenden Gleichordnungsverhältnisses im Betracht kommen. Dies werde auch im Kassenarztrecht so angenommen. Die Verwaltungsaktbefugnis ergebe sich hier aus einer Auslegung des § 129 Abs 4 SGB V, wonach im Rahmenvertrag zu regeln sei, welche Maßnahmen die Vertragspartner bei Vertragsverstößen ergreifen könnten. Dies spreche im Hinblick auf die Vertragsmaßnahmen gerade gegen ein Gleichordnungsverhältnis. Somit würden die Vertragsmaßnahmen letztlich hoheitliches Handeln darstellen. Dem korrespondiere zudem, dass die vertraglichen Regelungen zu den Vertragsmaßnahmen in § 11 des Rahmenvertrages und §§ 5 und 6 der Zusatzvereinbarung in hohem Maße offen bzw ausfüllungsbedürftig seien und gerade keinen klaren, auf einer vertraglichen Einigung beruhenden Maßstab für die Tatbestände und die Höhe der Vertragsstrafe enthalten würden. Unabhängig von der Zulässigkeit der Klage, erweise sich die Forderung der Vertragsstrafe hilfsweise als unbegründet. Es mangle an einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung einer Vertragsstrafe in der geforderten Höhe, es fehle das notwendige Benehmen mit dem LAV und schließlich erweise sich die eingeklagte Vertragsstrafe als unverhältnismäßig.

Gegen das den Klägerbevollmächtigten am 26.01.2014 zugestellte Urteil haben diese am 25.02.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage am 12.07.2016 mit den Beteiligten erörtert und eine gütliche Einigung angeregt. Eine solche ist vom Klägerbevollmächtigten abgelehnt worden.

Die Klägerin ist zusammengefasst der Ansicht, dass die Leistungsklage zulässig sei, weil die Vertragsstrafe nicht durch Verwaltungsakt gegen die Beklagte verhängt hätte werden dürfen. Dafür spreche nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vor allem, dass sich die Parteien im Rahmen ihrer vertraglichen Beziehungen in einem Gleichordnungsverhältnis zueinander befänden. Hilfsweise habe bei Zweifeln, ob eine Verwaltungsaktbefugnis bestehe, ein Wahlrecht zwischen Verwaltungsakt und Leistungsklage bestanden. Die verhängte Vertragsstrafe sei auch verhältnismäßig. Eine Verwarnung sei nicht ebenso wirksam wie die Verhängung einer Vertragsstrafe, weil mit ihr eine für den Betroffenen spürbare Sanktion oder Einbuße noch nicht verbunden sei. Im Hinblick auf den mit der Vertragsmaßnahme verfolgten Zweck der Sicherstellung vertragsgemäßen Verhaltens in der Zukunft sei die Vertragsstrafe deshalb das effektivere Mittel und somit erforderlich. Die Höhe der Vertragsstrafe sei angesichts des groben und systematischen Verstoßes der Beklagten in einer Vielzahl von Fällen sowie angesichts der Umstände der Beklagten eine maßvolle wirtschaftliche Sanktion, die nicht außer Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck stehe. Die Gewährleistung vertragsgemäßen Verhaltens und korrekter Abrechnungen diene neben der Funktionsfähigkeit des Abrechnungssystems der gesetzlichen Krankenkassen, die das Bundesverfassungsgericht als herausragendes Gemeinschaftsgut bezeichnet habe, auch der individuellen Patientensicherheit durch Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Dokumentation. Beides stehe angesichts der Gesamtumstände in angemessenem Verhältnis zur verhängten Sanktion. Zudem betrage die geforderte Vertragsstrafe gerade einmal 0,37 % des alleine mit der Klägerin erzielten Jahresumsatzes der Beklagten, ungeachtet eines mutmaßlich wesentlich höheren Gesamtumsatzes.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 20.01.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Vertragsstrafe in Höhe von 6.560 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18.01.2013 zu zahlen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die versehentliche Angabe einer fehlerhaften PZN keinen schweren Vertragsverstoß darstelle, der eine willkürlich festgesetzte Vertragsstrafe rechtfertigen könne. Unabhängig von der Frage, ob ein Verwaltungsakt zur Verhängung der Vertragsstrafe notwendig sei, sei bei einem Vertragsstrafeversprechen erforderlich, dass die Pflichtverletzung, die die Strafe auslöse, bestimmt oder wenigstens bestimmbar vereinbart ist. Die Klausel im Rahmenvertrag zur Vertragsstrafe sei aber offensichtlich nicht hinreichend bestimmt gefasst und deshalb unwirksam. Auch fehle es an der erforderlichen Herstellung des Benehmens zwischen dem LAV und der Klägerin. Der LAV habe der geplanten Verhängung der Vertragsstrafe widersprochen und die Gründe ausführlich dargelegt. Unter ins Benehmen setzen verstehe man eine stärkere Beteiligungsform als eine bloße Anhörung, bei der der anderen Seite lediglich Gelegenheit gegeben werde, ihre Auffassung kund zu tun. Die Klägerin habe aber die Apothekerverbände nur angehört, ohne sich mit deren Sachvortrag in irgendeiner Form auseinanderzusetzen. Die Beklagte ist weiter der Auffassung, dass die Vertragsstrafe auch unverhältnismäßig sei und eine schwere Pflichtverletzung keinesfalls vorliege.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die von der Klägerin erhobene echte Leistungsklage unzulässig ist. Es fehlt am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis für eine solche Leistungsklage, weil die Klägerin die gegenüber der Beklagten verhängte Vertragsstrafe mittels Verwaltungsakt hätte festsetzen können.

Nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für eine echte Leistungsklage der Behörde in der Regel, wenn sie das mit der Klage verfolgte Ziel durch Erlass eines Verwaltungsakts (VA) erreichen kann (ua Walter Böttiger in: Breitkreuz/Fichte, § 54, Rn. 27). Geht das Gesetz von einer Regelung durch VA aus, würde es dem Zweck des Widerspruchsverfahrens auf Verbesserung des Rechtsschutzes des Bürgers und Schutz der Gerichte vor Überlastung widersprechen, wenn die Behörde allein deshalb, weil ohnehin mit einer gerichtlichen Streitaustragung zu rechnen ist, Leistungsklage erheben könnte (Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl 204, Vorbemerkung vor § 51 Rn 17 mwN). Das Rechtsschutzbedürfnis für eine echte Leistungsklage ist ferner zu bejahen, wenn unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung, speziell wegen divergierender Judikatur, Zweifel bestehen, ob die Geltendmachung durch VA der rechtlichen Nachprüfung standhalten wird (BSG 30.01.1990, 11 RAr 87/88). Derartige Zweifel bestehen hier nicht. Zudem dürfte dies, wenn überhaupt, nur gelten, wenn die Behörde kein Ermessen auszuüben hat (vgl Gagel SGb 89, 405, 407).

Nach Ansicht des Senats kann die Klägerin bei fehlerhafter Abrechnung im Rahmen der Arzneimittelversorgung eine Vertragsstrafe bzw die sonst in § 11 des Rahmenvertrages vorgesehenen Maßnahmen nur mittels eines VA gegenüber der Beklagten geltend machen. Bei dieser Entscheidung mittels VA bedarf es auch der Ausübung von Ermessen, insbesondere um eine verhältnismäßige Verfügung zu treffen. Die Erhebung einer echten Leistungsklage durch die Klägerin ist deshalb mangels Rechtsschutzbedürfnis ausgeschlossen.

Der Senat schließt sich der Auffassung des SG im angefochtenen Urteil und der Auffassung von Luthe im Kommentar Hauck/Noftz an, wonach die Verhängung einer Sanktion durch die Krankenkassen ein vor den Sozialgerichten anfechtbarer VA ist (Hauck/Noftz, SGB, 02/15, § 129 SGB V, Rn 41). Hierfür sprechen folgende Erwägungen:

Gem § 31 Satz 1 SGB X ist VA jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Bei der Verhängung einer Vertragsstrafe einer gesetzlichen Krankenkasse gegenüber einer Apothekerin sind alle Voraussetzungen für einen VA erfüllt. Bei der gesetzlichen Krankenkasse handelt es sich um eine Behörde (§ 1 Abs 2 SGB X, § 31 Abs 3 Satz 1 SGB IV), die einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts regelt. Die Festsetzung der Vertragsstrafe hat auch unmittelbare Rechtswirkung gegenüber der Apothekerin. Zudem handelt es sich nach Auffassung des Senats bei der Verhängung einer Vertragsstrafe um eine hoheitliche Maßnahme.

Die handelnde Behörde muss aufgrund gesetzlicher Ermächtigung befugt sein muss, gegenüber Personen oder anderen Behörden im Rahmen ihrer Aufgaben Einzelfälle auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zu regeln. Sie muss also Regelungsmacht besitzen. Die Befugnis zum Erlass eines VA setzt nicht voraus, dass allgemein ein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Behörde einerseits und Bürger oder anderer Behörde andererseits besteht. Es genügt, wenn das Gesetz einer Behörde iS des § 1 Abs 2 SGB X eine hoheitliche Entscheidungskompetenz zuweist und gleichzeitig anordnet, dass diese auch gegenüber der betroffenen Person oder dem Sozialversicherungsträger besteht. Auch Beliehene handeln bei Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben hoheitlich (KassKomm/Mutschler SGB X § 31 Rn. 10ff mwN).

Für den rechtmäßigen Erlass eines VA bedarf es deshalb einer Verwaltungsaktbefugnis. Diese ergibt sich hier aus § 129 Abs 4 SGB V iVm § 11 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs 2 SGB V sowie §§ 5 und 6 des Ergänzungsvertrages zum Rahmenvertrag für Baden-Württemberg.

Der Senat teilt zwar die Ansicht der einhelligen Rechtsprechung und Literatur, dass der Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung gemäß § 129 Abs 2 SGB V grundsätzlich Ausdruck eines zwischen den Beteiligten bzw Vertragsparteien bestehenden Gleichordnungsverhältnisses ist. Denn das Gesetz sieht in § 129 SGB V eine vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und Apothekern vor (siehe ua Senatsurteil vom 15.12.2009, L 11 KR 389/09 mwN). Dennoch folgt aus diesem Gleichordnungsverhältnis nicht zwingend und vollumfänglich insbesondere für Sanktionen der Ausschluss einer Verwaltungsaktbefugnis schlechthin. Die bislang ergangene Rechtsprechung zu § 129 Abs 2 SGB V hinsichtlich der Frage, ob eine Verwaltungsaktbefugnis besteht, betrifft ausschließlich Erstattungsansprüche der Krankenkassen und die Retaxierung. Darauf haben auch die Klägerbevollmächtigten zutreffend hingewiesen. Auch zutreffend ist, dass Vertragsstrafeforderungen auf der Grundlage von öffentlich-rechtlichen Verträgen grundsätzlich ebenfalls im Wege der Leistungsklage und nicht durch VA geltend gemacht werden können. Dies ändert jedoch nichts daran, dass insbesondere im Hinblick auf Sanktionen gegen Leistungserbringer im Rahmen von § 129 Abs 4 SGB V eine Verwaltungsaktbefugnis trotz Gleichordnungsverhältnis gegeben sein kann. So nimmt auch das BSG im Kassenarztrecht, das ebenfalls grundsätzlich von der Gleichordnung der Verfahrensbeteiligten geprägt ist, in ständiger Rechtsprechung insbesondere bei Sanktionen zu Gunsten der Krankenkassen eine Verwaltungsaktbefugnis an (siehe BSG 28.10.2015, B 6 KA 36/15 B; BSG 13.08.2014, B 6 KA 46/13 R).

Zunächst spricht der Wortlaut von § 129 Abs 4 als Rechtsgrundlage für die vertragliche Regelung von Sanktionen für die Annahme einer diesbezüglichen Verwaltungsaktbefugnis. Gem § 129 Abs 4 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung vom 22.12.2010 ist im Rahmenvertrag nach Absatz 2 zu regeln, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken gegen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1, 2 oder 5 verstoßen. Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, dass Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können.

Das Wort "ergreifen" spricht eher für ein hoheitliches Handeln, als für ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gemäß/analog § 315 Abs 1 BGB. Zudem lässt sich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in Absatz 4 in Ergänzung zu Absatz 2 explizit eine Regelung für Sanktionen bei Vertragsverstößen fordert, nach Ansicht des Senats der Schluss ziehen, dass die Regelung zu den Vertragsverstößen im Rahmenvertrag auch eine von den übrigen Regelungen abweichende Rechtsqualität besitzen kann.

Bei dem Rahmenvertrag gem § 129 Abs 2 SGB V handelt sich um einen öffentlich-rechtlichen Normenvertrag, der auch unabhängig von einer durch Mitgliedschaft oder Beitritt vermittelten Einverständniserklärung der Apotheke wirksam ist (Axer in Becker/Kingreen, SGB V, § 129 Rz 27; Luthe in Hauck/Noftz, SGB, 02/15, § 129 SGB V, Rn 24). Der Rahmenvertrag hat demnach normative Wirkung und kann selbst als Ermächtigungsgrundlage für disziplinarische Maßnahmen bzw Maßnahmen wegen Vertragsverstößen mittels VA dienen. Die normative Wirkung des auf der Grundlage von § 129 Abs 2 SGB X geschlossenen Rahmenvertrages schließt es aus, die darin geregelte Vertragsstrafe als Vertragsstrafeversprechen der einzelnen Apotheker zu werten. Ohne die im Rahmen einer Entscheidung durch VA mögliche Konkretisierung der Pflichtverletzung und Festlegung einer angemessenen (verhältnismäßigen) Vertragsstrafe wäre ein bloßes Vertragsstrafeversprechen, das mit einer allgemeinen Leistungsklage durchgesetzt werden müsste, in der im Vertrag getroffenen Regelung viel zu unbestimmt, um als rechtmäßig angesehen werden zu können.

Unter Beachtung dieser Grundsätze spricht auch der Wortlaut von § 11 Abs 1 des Rahmenvertrages eindeutig für eine Verwaltungsaktbefugnis der Klägerin. Denn nach dieser Vorschrift können die zuständigen Landesverbände der Krankenkasse und die Verbände der Ersatzkassen nach Anhörung des Betroffenen, bei Mitgliedsapotheken im Benehmen mit dem zuständigen Mitgliedsverband des Deutschen Apothekerverbandes die näher bezeichneten Vertragsmaßnahmen aussprechen. Sowohl die vorgesehene Anhörung, die § 24 Abs 1 SGB X nachgezeichnet ist, als auch die Formulierung "aussprechen" sind eindeutige Hinweise auf ein rein hoheitliches Handeln.

Hinzu kommt, dass die Aussprache einer Verwarnung oder eines Ausschlusses des Apothekenleiters/der Apothekenleiterin von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren schwerlich im Wege einer Leistungsklage durchsetzbar erscheint. Vielmehr handelt es sich diesbezüglich um Disziplinarmaßnahmen, die üblicherweise in einem Über-Unterordnungsverhältnis ausgesprochen werden. Auch spricht insbesondere der schwerwiegende Eingriff in Rechte der Apotheker durch einen befristeten Ausschluss von der Versorgung, ohne dass eingehend definiert ist, was unter einem gröblichen Verstoß zu verstehen ist, mehr für das Erfordernis einer Ermessensentscheidung durch einen hoheitlichen Träger als für ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht eines gleichgeordneten Vertragspartners. Nach Ansicht des Senats verbietet sich eine Aufsplittung der Maßnahmen im § 11 Abs 1 des Rahmenvertrages in hoheitliche Maßnahmen, für die ein VA erforderlich ist (Verwarnung und Ausschluss von der Versorgung), und in Maßnahmen, bei denen es sich um Leistungsbestimmungsrechte im Rahmen eines Gleichordnungsverhältnis handelt (Vertragsstrafe). Vielmehr ist auch aus Gründen der Rechtsklarheit eine einheitliche Betrachtung der Sanktionsmaßnahmen gefordert.

Der Senat kann offenlassen, ob § 129 Abs 4 SGB V als Ermächtigungsgrundlage hinreichend bestimmt ist und deshalb überhaupt den rechtsstaatlichen Anforderungen für eine Sanktion erfüllt (siehe zu Zweifeln diesbezüglich: Luthe in Hauck/Noftz, SGB, 02/15, § 129 SGB V, Rn 42). Denn selbst wenn man vom Fehlen einer solchen rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage ausgehen sollte, führt dies nicht dazu, dass das Verwaltungakterfordernis wegfällt. Vielmehr würde dies dann nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts dazu führen, dass mangels rechtmäßiger Ermächtigungsgrundlage keine Sanktion verhängt werden kann.

Mangels Zulässigkeit der Klage erübrigen sich Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des Vertragsstrafeverlangens, insbesondere ob die Vertragsgrundlagen hinsichtlich des Vertragsstrafeversprechens hinreichend bestimmt sind, das erforderliche Benehmen hergestellt worden ist und die konkret festgesetzte Vertragsstrafe verhältnismäßig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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