L 11 EG 829/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 EG 5642/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 EG 829/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 17.02.2016 abgeändert und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 23.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2013 verurteilt, dem Kläger höheres Elterngeld ohne Abzug von pauschalen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höheres Elterngeld.

Der 1982 geborene Kläger ist verheiratet und Vater der Kinder E.-L. (geb 2010) und B. (geb 2013, im Folgenden B). Er lebt mit seiner Familie in der Bundesrepublik Deutschland und war vor der Geburt von B in der Schweiz beschäftigt. Er ist privat krankenversichert.

Am 02.07.2013 beantragte der Kläger die Gewährung von Elterngeld für den 7., 12. und 14. Lebensmonat von B. Mit Bescheid vom 23.08.2013 bewilligte die Beklagte ihm für diese Zeiträume Elterngeld iHv monatlich 1.243,79 EUR. Dabei nahm sie von dem der Höhe nach unstreitigen monatlichen Bemessungsentgelt von umgerechnet 3.341,06 EUR folgende Abzüge vor: Steuern (iHv 642,58 EUR), Sozialabgaben (iHv 701,63 EUR, davon 300,70 EUR für Kranken- und Pflegeversicherung) und Werbungskostenpauschale (iHv 83,33 EUR).

Mit seinem Widerspruch vom 02.09.2013 machte der Kläger geltend, dass seine Steuerbelastung wesentlich niedriger sei, ca 4.000 EUR jährlich und er zudem seit 2009 privat krankenversichert sei, so dass der Abzug nicht gerechtfertigt sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Das für die Berechnung maßgebliche Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit ergebe sich nach § 2c Abs 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) aus dem monatlich durchschnittlich zu berücksichtigenden Überschuss der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit in Geld oder Geldeswert über ein Zwölftel des Arbeitnehmerpauschbetrags, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach § 2e und § 2f BEEG. Nach diesen Vorschriften seien die Abzüge für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in pauschalierter Form ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Abzugsbeträge vorzunehmen. Dies gelte auch für den im Bemessungszeitraum in der Schweiz beschäftigten Kläger. Nach dem Gebot über die Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen (Art 5 VO (EG) Nr 883/2004) seien in der Schweiz eingetretene Sachverhalte so zu berücksichtigen, als ob sie im Bundesgebiet eingetreten wären. Der Kläger sei als Grenzgänger mit einem Beschäftigungsverhältnis in der Schweiz grundsätzlich kranken-, renten- und arbeitslosenversichert. Somit seien auch fiktive Abzüge für diese Versicherungspflichttatbestände vorzunehmen.

Hiergegen richtet sich die am 16.12.2013 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage. Der Kläger macht geltend, "im Kern" gehe es um den Abzug der Krankenversicherung von 10% seines Bruttolohns. Die Beklagte berücksichtige nicht, dass bei seiner Einstellung im Februar 2009 die Krankenversicherungspflicht mit dem Optionsrecht außer Kraft gesetzt worden sei.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und verweist darauf, dass der Kläger in der Schweiz grundsätzlich krankenversicherungspflichtig sei. Dass in der Schweiz der jeweilige Arbeitnehmer diese Versicherungspflicht auch durch einen privatrechtlichen Krankenversicherungsvertrag erfüllen könne, ändere nichts an der grundsätzlichen Krankenversicherungspflicht.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.02.2016 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, die Anwendung von § 2f BEEG setze nach dem Wortlaut von Abs 1 Satz 2 zwar Versicherungspflicht nach dem (deutschen) Sozialgesetzbuch voraus, die für die Beschäftigung des Klägers nicht bestanden habe. Für sie komme aber der nach dem Freizügigkeitsabkommen auch im Verhältnis zur Schweiz anwendbare Art 5b VO (EG) Nr 883/2004 zum Tragen. Habe nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats (hier Bundesrepublik Deutschland) der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtige dieser Mitgliedstaat nach dieser Vorschrift die in einem anderen Mitgliedstaat (hier Schweiz) eingetretenen Sachverhalte oder Ereignisse, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären. Ob dies bedeute, dass für in der Schweiz erzieltes Einkommen bei einer Versicherungspflicht dort Pauschalabzüge für Sozialabgaben vorzunehmen seien oder ob dies bereits dann der Fall sei, wenn der zur Einkommenserzielung führende Sachverhalt (Beschäftigung des Klägers) nach deutschem Recht zur Sozialversicherungspflicht führen würde, könne dahinstehen. Denn die Beschäftigung würde sowohl bei hypothetischer Betrachtung nach deutschem Recht zur Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung führen, wie sie auch nach Schweizer Recht zu einer grundsätzlichen Versicherungspflicht führe. Die Möglichkeit, sich von der obligatorischen Krankenversicherung in der Schweiz befreien zu lassen (sog Optionsrecht), ändere an dieser grundsätzlichen Krankenversicherungspflicht nichts. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht, insbesondere den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) liege darin nicht. Zwar würden Grenzgänger mit im Inland Beschäftigten gleich behandelt, dies sei jedoch aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt. Umgekehrt wäre es problematisch, im Inland Erwerbstätigen ohne Rücksicht auf tatsächliche Beiträge pauschale Sozialabgaben abzuziehen, wenn sich Grenzgänger auf tatsächlich geringere Abgaben berufen könnten.

Gegen den ihm am 20.02.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 03.03.2016 eingelegte Berufung des Klägers. Er verweist darauf, dass er keiner gesetzlichen Versicherungspflicht nach dem Sozialgesetzbuch unterliege. Es sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger von der Krankenversicherung in der Schweiz habe befreien lassen können. Gerade das Optionsrecht führe dazu, dass nicht von Versicherungspflicht ausgegangen werden könne. Es liege auch ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vor. Tatsächlich sei kein Grund für eine Gleichbehandlung der verschiedenen Gruppen (in Deutschland Erwerbstätiger – Grenzgänger) erkennbar. Allein das Argument der Verwaltungsvereinfachung könne nicht herangezogen werden. Aufgrund der besonderen Vielfältigkeit erscheine es angemessen, wenn eine Individualberechnung erfolge. Bei nur pauschaler Berechnung finde kein hinreichender Ausgleich des Verdienstausfalls durch das Elterngeld statt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 17.02.2016 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 23.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger höheres Elterngeld für den 7., 12. und 14. Lebensmonat von B. ohne Abzug von Pauschalbeträgen für Sozialabgaben und unter Abzug lediglich der tatsächlich gezahlten Steuern im Bemessungszeitraum zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat sich bislang nicht weiter geäußert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und in der Sache teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2013 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte bei der Bemessung des Elterngeldes einen pauschalen Abzug für Kranken- und Pflegeversicherung vorgenommen hat. Der Kläger hat daher Anspruch auf höheres Elterngeld. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

Der Anspruch des Klägers auf Elterngeld richtet sich nach dem mit Wirkung zum 01.01.2007 eingeführten BEEG (Gesetz vom 05.12.2006, BGBl I 2748). Nach § 1 Abs 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Nr 1), mit seinem Kind in einem Haushalt lebt (Nr 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr 4). Der Kläger hatte im Bezugszeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, lebte mit der am 16.06.2013 geborenen Tochter B in einem Haushalt, betreute und erzog sie und übte während des Bewilligungszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Dies entnimmt der Senat den Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten im Verwaltungsverfahren.

Für die Höhe des Elterngeldes für das am 16.06.2013 geborene Kind gelten die §§ 2 bis 2f sowie § 3 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BEEG in der vom 18.09.2012 bis 31.12.2014 geltenden Fassung des Art 1 Gesetz zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.09.2012 (BGBl I 1878). Elterngeld wird danach in Höhe von 67% des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. Es wird bis zu einem Höchstbetrag von 1 800 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechnet sich nach Maßgabe der §§ 2c bis 2f BEEG aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus 1. nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie 2. Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 des Einkommensteuergesetzes, die im Inland zu versteuern sind und die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum nach § 2b BEEG oder in Monaten der Bezugszeit nach § 2 Abs 3 BEEG hat (§ 2 Abs 1 BEEG). In den Fällen, in denen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt geringer als 1.000 EUR war, erhöht sich der Prozentsatz von 67% um 0,1 Prozentpunkte für je 2 EUR, um die dieses Einkommen den Betrag von 1.000 EUR unterschreitet, auf bis zu 100%. In den Fällen, in denen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höher als 1.200 EUR war, sinkt der Prozentsatz von 67% um 0,1 Prozentpunkte für je 2 EUR, um die dieses Einkommen den Betrag von 1.200 EUR überschreitet, auf bis zu 65% (§ 2 Abs 2 BEEG). Lebt die berechtigte Person in einem Haushalt mit zwei Kindern, die noch nicht drei Jahre alt sind, wird das Elterngeld um 10%, mindestens jedoch um 75 EUR erhöht (Geschwisterbonus gemäß § 2a Abs 1 Satz 1 Nr 1 BEEG).

Abzuziehen sind nach § 2c Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz BEEG die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach §§ 2e und 2f BEEG. Zur Ermittlung des Elterngeldes werden die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach diesen Vorschriften in pauschalierter Form anhand eines vom Bundesministerium der Finanzen festgelegten Abgaberechners (Programmablaufplan) vorgenommen. Die tatsächlichen Abzugsbeträge sind unbeachtlich. Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Abzüge für Steuern ist die monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Summe der Einnahme aus nichtselbständiger Tätigkeit nach § 2c BEEG, soweit sie von der berechtigten Person zu versteuern sind, und der Gewinneinkünfte nach § 2d BEEG (§ 2e Abs 2 Satz 1 BEEG). Bei der Ermittlung der Abzüge für Steuern werden ua der Arbeitnehmerpauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nr 1 lit a EStG und eine Vorsorgepauschale mit den Teilbeträgen nach § 39b Abs 2 S 5 Nr 3 lit a bis c EStG berücksichtigt. Als Abzug für die Einkommenssteuer ist nach § 2e Abs 3 BEEG der Betrag anzusetzen, der sich unter Berücksichtigung der Steuerklasse und des Faktors nach § 39f EStG nach § 2c Abs 3 BEEG ergibt; die Steuerklasse VI bleibt unberücksichtigt. War die berechtigte Person im Bemessungszeitraum nach § 2b BEEG in keine Steuerklasse eingereiht oder ist ihr nach § 2d BEEG zu berücksichtigender Gewinn höher als ihr nach § 2c BEEG zu berücksichtigender Überschuss der Einnahmen über ein Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, ist als Abzug für die Einkommenssteuer der Betrag anzusetzen, der sich unter Berücksichtigung der Steuerklasse IV ohne Berücksichtigung eines Faktors nach § 39f EStG ergibt.

Als Abzüge für Sozialabgaben sind nach § 2f Abs 1 BEEG Beträge für die gesetzliche Sozialversicherung oder für eine vergleichbare Einrichtung sowie für die Arbeitsförderung zu berücksichtigen. Die Abzüge für Sozialabgaben werden einheitlich für Einkommen aus nichtselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit anhand folgender Beitragssatzpauschalen ermittelt: 1. 9% für die Kranken- und Pflegeversicherung, falls die berechtigte Person in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 bis 12 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) versicherungspflichtig gewesen ist, 2. 10% für die Rentenversicherung, falls die berechtigte Person in der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer vergleichbaren Einrichtung versicherungspflichtig gewesen ist, und 3. 2% für die Arbeitsförderung, falls die berechtigte Person nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch versicherungspflichtig gewesen ist. Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Abzüge für Sozialabgaben ist nach § 2f Abs 2 Satz 1 BEEG die monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit und der Gewinneinkünfte.

Für die Ermittlung des vorgeburtlichen Einkommens aus nichtselbständiger Tätigkeit ist der Bemessungszeitraum die Zeit vom 01.06.2012 bis 31.05.2013 (§ 2b Abs 1 Satz 1 BEEG). Grundlage der Ermittlung der Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit sind die Angaben in den für die maßgeblichen Monate erstellten Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers (§ 2c Abs 2 BEEG). Der Kläger hat kein im Inland zu versteuerndes Einkommen erzielt, denn seine Einkünfte aus Erwerbstätigkeit werden in der Schweiz versteuert. Bei Elterngeld handelt es sich um eine Familienleistung iSv Art 3 Abs 1j VO (EG) Nr 883/2004, so dass die Gleichstellungsregelung des Art 5b VO (EG) Nr. 883/2004 gilt (anwendbar im Verhältnis Schweiz – EU-Mitgliedstaaten seit 01.04.2012 gemäß revidiertem Anhang II zum Freizügigkeitsabkommen vom 13.02.2012).

Für im EU-Ausland zurückgelegte Sachverhalte regelt Art 5 VO (EG) Nr 883/2004 in Bezug auf das nationale Recht eine "Tatbestandsgleichstellung". Danach gilt für die "Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen" Folgendes: a) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar. b) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären.

Die Anwendung der Leistungs- und Sachverhaltsgleichstellung setzt voraus, dass der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstigen Einkünften oder der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse nach den nationalen Rechtsvorschriften bestimmte Rechtswirkungen entfaltet und dass diese Merkmale tatsächlich auch im Ausland verwirklicht werden können. Die Leistungs- und Sachverhaltsgleichstellung bezieht sich somit nur auf Fakten, Sachverhalte, Tatsachen und Ereignisse, somit auf die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale und nicht auf deren Rechtswirkungen oder die sich hieraus ergebenden rechtlichen Bewertungen. Letztere bestimmen sich allein nach dem nationalen Recht des zuständigen Mitgliedstaates (Otting in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl, Art 5 VO (EG) Nr 883/2004 RdNr 16). Tatbestandsmerkmale können jedoch auch rechtlicher Natur sein, wenn diese mit den entsprechenden nationalen Tatbeständen vergleichbar sind. Dabei reicht es aus, dass "im Wesentlichen" Gleichartigkeit besteht, geringfügige Unterschiede ohne erheblichen Einfluss auf die Erreichung der mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele bleiben unberücksichtigt (EuGH 18.12.2014, C-523/13, juris – Larcher; EuGH 21.01.2016, C-453/14, juris – Knauer; BSG 17.03.2016, B 11 AL 4/15 R, SozR 4-4300 § 143 Nr 2).

Nach diesen Grundsätzen wird das in der Schweiz zu versteuernde Einkommen im Inland versteuertem Einkommen gleichgestellt als Grundlage der Elterngeldberechnung. Hier beläuft sich danach der monatliche durchschnittliche Überschuss der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit über ein Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags (§ 2c Abs 1 Satz 1 1. Halbsatz BEEG) im Bemessungszeitraum auf umgerechnet 3.257,73 EUR (Jahreseinkommen 40.092,70 EUR abzgl 999,96 EUR / 12 Monate). Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Zugleich führt die Sachverhaltsgleichstellung jedoch auch dazu, dass die pauschalen Abzüge für Steuern und Sozialabgaben zu berücksichtigen sind nach §§ 2e und 2f BEEG (BT-Drs 17/9841 S 26). Der pauschale Steuerabzug iHv 642,58 EUR ist danach nicht zu beanstanden. Auf die vom Kläger in der Schweiz tatsächlich gezahlten Steuern kommt es nicht an.

Soweit die Beklagte pauschale Abzüge für Renten- und Arbeitslosenversicherung vorgenommen hat (RV 334,11 EUR; AV 66,82 EUR), ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden, dies entspricht § 2f Abs 1 Satz 2 Nrn 2 und 3 BEEG. Der Abzug der Beitragssatzpauschale von 9% für Kranken- und Pflegeversicherung ist allerdings nicht gerechtfertigt. Dieser setzt nach § 2f Abs 1 Satz 2 Nr 1 BEEG nämlich voraus, dass die berechtigte Person in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs 1 Nrn 1 bis 12 SGB V versicherungspflichtig gewesen ist. Die Anknüpfung an die Versicherungspflicht bezüglich der Abzugsvoraussetzungen beruht darauf, dass Beiträge für eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung oder eine private Krankenversicherung auch während des Bezugszeitraums des Elterngeldes weiter zu leisten sind (vgl Wiegand in BEEG, Stand 10/14, § 2f RdNr 5; Schnell in Tillmanns/Mutschler, BEEG § 2f RdNr 6).

Grundsätzlich unterliegen EU-Staatsangehörige, die als Grenzgänger in der Schweiz erwerbstätig sind, dort mit Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens zwischen der Schweiz und der EG und ihren Mitgliedstaaten seit 01.06.2002 der Krankenversicherungspflicht (Art 3 des schweizerischen Bundesgesetzes über die Krankenversicherung – KVG; vgl Art 11 Abs 3a VO (EG) Nr 883/2004). Die schweizerische obligatorische Krankenpflegeversicherung wird betrieben durch Krankenkassen und private Versicherungsunternehmen (Art 11 KVG). Der Kläger hat jedoch mit Aufnahme seiner Beschäftigung in der Schweiz von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich von der obligatorischen Krankenversicherung in der Schweiz befreien zu lassen. Diese im Freizügigkeitsabkommen zu Anhang IX zu VO (EG) Nr 883/2004 vorgesehene Möglichkeit erlaubt ua in Deutschland wohnenden Personen auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit zu werden, wenn sie nachweisen, dass sie in Deutschland für den Krankheitsfall gedeckt sind. Der Antrag ist innerhalb von drei Monaten nach Entstehung der Versicherungspflicht in der Schweiz zu stellen. Der Kläger verfügt über eine derartige Befreiung und unterlag daher in der Schweiz nicht der obligatorischen Krankenversicherung.

Bei der Frage der Sachverhaltsgleichstellung ist das Tatbestandsmerkmal "Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nrn 1 bis 12 SGB V" in § 2f Abs 1 Satz 2 Nr 2 BEEG rechtlicher Natur und kann daher nicht rein auf tatsächlicher Ebene betrachtet werden. Es kommt daher nicht darauf an, ob bei einer vergleichbaren Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Versicherungspflicht in der Krankenversicherung bestünde – was hier der Fall wäre (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V). Vielmehr ist bei dem grundsätzlich vergleichbaren System der obligatorischen Krankenversicherung für Erwerbstätige in der Schweiz darauf abzustellen, ob nach den dortigen Vorschriften Versicherungspflicht bestand. Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung, die darauf hinweist, dass die ausländische Versicherungspflicht nach § 20 SGB X zu ermitteln ist (BT-Drs 17/9841 S 26; in diesem Sinne wohl auch SG Konstanz 17.12.2013, S 8 EG 2317/13, juris). Der Kläger war in der Schweiz jedoch nicht versicherungspflichtig in der Krankenversicherung. Entsprechend ist es auch geboten, im Rahmen der Sachverhaltsgleichstellung von einer fehlenden Krankenversicherungspflicht auszugehen. Dass die obligatorische Krankenversicherung in der Schweiz grundsätzlich über Krankenkassen und private Versicherungen abgewickelt werden kann (Art 11 KVG), spielt insoweit keine Rolle. Auch im Ergebnis führt diese Auslegung der Sachverhaltsgleichstellung zu zutreffenden Ergebnissen, denn der Kläger muss auch während des Bezugs der Elterngeldleistung seine (private) Krankenversicherung weiterzahlen. Eine ungerechtfertigte Begünstigung ist somit nicht erkennbar.

Hieraus folgt, dass die Beklagte die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge von pauschal 300,70 EUR zu Unrecht abgesetzt hat. Statt des von der Beklagten angenommenen elterngeldrelevanten Einkommens vor Geburt iHv 1.913,52 EUR ist daher Einkommen iHv 2.214,22 EUR einzusetzen. Mit dem maßgeblichen Anspruchsfaktor von 65% ergibt sich daraus ein Anspruch von monatlich 1.439,24 EUR für die hier streitigen Lebensmonate.

Verfassungsrechtliche Gründe stehen der pauschalen Berücksichtigung von Steuern und Sozialabgaben nach §§ 2e und 2f BEEG auch bei Einkommen von Grenzgängern nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Vereinfachung des Elterngeldbezugs vom 10.09.2012 (BGBl I, 1878) insbesondere die Vorschriften über die Einkommensermittlung (§§ 2 bis 2f BEEG) für die nach dem 31.12.2012 geborenen Kinder (§ 27 Abs 1 BEEG idF des Art 1 Nr 18 des Gesetzes) neu gefasst. Um den gestiegenen Verwaltungsaufwand für die Berechnung des Elterngeldes in Grenzen zu halten bzw wieder zu reduzieren, wurde das in den §§ 2 bis 2f BEEG enthaltene Konzept des fiktiven Nettoeinkommens umgesetzt. Sowohl bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit als auch bei den Gewinneinkünften wird das Nettoeinkommen mittels pauschaler Abgabensätze und fiktiver Steuern ermittelt (BT-Drs 17/9841 S 13 und S 24 ff). Das pauschale Vorgehen reduziert den Verwaltungsaufwand erheblich (Ismer/Schachameyer, NZS 2013, 327, 331). Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt eine Neuregelung auch, soweit diese für die nach dem Stichtag geborenen Kinder bei in etwa gleichgebliebenen Einkommensverhältnissen der berechtigten Person zu einem geringeren Elterngeldanspruch führt. Dem Gesetzgeber ist es durch Art 3 Abs 1 GG nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtagsregelungen einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidbar gewisse Härten mit sich bringt. Das Bestreben, Verwaltungsmehraufwand zu vermeiden, überschreitet den weit gezogenen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei steuerfinanzierten Sozialleistungen nicht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat einen Mehraufwand der Verwaltung lediglich für den Fall nicht als hinreichende Rechtfertigung anerkannt, dass durch eine Stichtagsregelung die in der Vergangenheit getätigten Leistungen der Grundrechtsträger für die Zukunft in ungleicher Weise entwertet wurden. Eine solche nachteilige Wirkung besitzt die Neuregelung ab 01.01.2012 nicht. Eltern, deren Kinder vor dem 01.01.2013 geboren wurden, erleiden im Vergleich zur früheren Rechtslage keinen Nachteil, sondern erhalten gegebenenfalls Elterngeld nach eben dieser Rechtslage (so BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 20.04.2011, 1 BvR 1811/08, ZFSH/SGB 2011, 337 zur Ablösung des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (BErzGG) durch das BEEG; Senatsurteil vom 21.06.2016, L 11 EG 2277/14).

Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung in Bezug auf Einkommen von Grenzgängern ist nicht ersichtlich. Art 3 Abs 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Dieser hat gerade auch im Bereich des Sozialrechts, wozu die Bestimmungen über das Elterngeld im ersten Abschnitt des BEEG gehören, einen weiten Gestaltungsspielraum. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist grundsätzlich erst dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (ständige Rechtsprechung des BVerfG: BVerfGE 55, 72, 88; vgl jüngst BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 §1 Nr 7 RdNr 55; BVerfGE 117, 272, 300f = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 70). Umgekehrt verbietet Art 3 Abs 1 GG auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, insbesondere die Gleichbehandlung einer Gruppe von Normadressaten mit einer anderen, obwohl zwischen beiden Gruppen gewichtige Unterschiede bestehen, die deren Gleichbehandlung als sachwidrig erscheinen lassen (vgl Jarass in Jarass Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 3 RdNr 8 mwN).

Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf Übereinstimmung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat (BVerfGE 84, 348, 359 mwN; 110, 412, 436; ständige Rechtsprechung). Es bleibt grundsätzlich ihm überlassen, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinne als gleich ansehen will (BVerfGE 21, 12, 26; 23, 242, 252). Allerdings muss er die Auswahl sachgerecht treffen (vgl BVerfGE 17, 319, 330; 53, 313, 329 = SozR 4100 § 168 Nr 12 S 25; BVerfGE 67, 70, 85f; ständige Rechtsprechung). Der normative Gehalt der Gleichheitsbindung erfährt insoweit eine Präzisierung jeweils im Hinblick auf die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs (vgl BVerfGE 75, 108, 157 = SozR 5425 § 1 Nr 1 S 11). Das BVerfG legt je nach dem Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal einen unterschiedlichen Prüfungsmaßstab an (vgl zusammenfassend BVerfGE 88, 87, 96f; 105, 73, 110f = SozR 3-1100 Art 3 Nr 176 S 173). So muss der Gesetzgeber im Bereich staatlicher Maßnahmen, welche die Familie betreffen, den Schutz beachten, den er dieser nach Art 6 Abs GG schuldet (vgl BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55). Darüber hinaus könne im vorliegenden Zusammenhang auch das Sozialstaatsprinzip Art 20 Abs 1 GG von Bedeutung sein.

Wie bereits ausgeführt, dient der pauschale Abzug von Steuern und Sozialabgaben der Verwaltungsvereinfachung. So kann die Bemessungsgrundlage vereinfacht und unabhängig von der tatsächlichen Beitragshöhe ermittelt werden. Das pauschale Vorgehen ist gerechtfertigt, weil es den Verwaltungsaufwand reduziert und bereits bei der Ermittlung des Einkommens Modifikationen gegenüber der einkommensteuerlichen Berechnung vorgenommen werden (BT-Drs 17/9841 S 27; Ismer/Luft/Schachameyer, NZS 2013, 327, 331; Senatsurteil vom 21.10.2014, L 11 EG 2355/14). Dadurch wird der Kläger nicht unangemessen benachteiligt. Die Gleichstellung des im Ausland erzielten Einkommens gebietet vielmehr geradezu, die gleichgestellten Einkünfte auch hinsichtlich der Abzüge gleich wie inländische Einkünfte zu behandeln. Eine konkrete Berechnung der tatsächlichen Abzüge bei gleichgestelltem ausländischen Einkommen stellte nicht nur ein Benachteiligung der Bezieher von inländischen Einkünften dar, sondern liefe auch dem Gesetzeszweck der Verwaltungsvereinfachung zuwider (vgl BT-Drs 17/9841 S 26).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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