Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 15 SB 939/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2728/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 13. Mai 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt nach einem teilweise obsiegenden Urteil erster Instanz weiterhin die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 und damit die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch.
Der Kläger ist 1954 geboren. Er ist kroatischer Staatsangehöriger und lebt seit 1970 in Deutschland, zuletzt vor dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union auf Grund einer Niederlassungserlaubnis vom 1. Januar 2005. Er ist gelernter Schlosser und hatte bis zu Beginn seiner dauerhaften Arbeitsunfähigkeit im November 2013 33 Jahre lang bei demselben Unternehmen als Kunststoffformgeber gearbeitet. Seit der Erschöpfung des Krankengeldanspruchs ist der Kläger arbeitslos. Nach seinen Angaben besteht das Arbeitsverhältnis fort. Er ist seit 1977 verheiratet und hat eine mittlerweile ebenfalls verheiratete Tochter. Seine Freizeit verbringt er mit seinen Enkeln, geht gerne spazieren, hat einen Schrebergarten.
Der Kläger beantragte am 6. August 2012 erstmals die Feststellung eines GdB. Er leide an Depressionen, einer Arthrose des rechten Hüftgelenks, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und an einer Hypertonie. Der Beklagte zog medizinische Unterlagen bei, darunter den Entlassungsbericht der Reha-Klinik Am Kurpark in Bad Kissingen über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 16. März bis zum 14. April 2011 (chronisches lumbales Fassettensyndrom bei Spondyl-Arthrosen L4 bis S1, Trochanter-Tendopathie [Sehnenentzündung an der Hüfte] links, chronisches myotendinotisches [muskelbedingtes] Zervikal-Syndrom ohne Funktionseinschränkung, psychophysische Erschöpfung) sowie den Entlassungsbericht des Klinikums Heidenheim vom 26. Juni 2012 (Hantavirus-Infektion mit renaler Beteiligung, arterielle Hypertonie, Verdacht auf drei Leberhämangiome). Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K. teilte mit, der Kläger leide seit mindestens vier Jahren an einer mittelschweren Depression ohne phasenhaften Verlauf. Nach einer Auswertung dieser Unterlagen schlug der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten Einzel-GdB-Werte von 30 für eine Depression und von 10 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule vor. Entsprechend stellte der Beklagte mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 12. Dezember 2012 einen GdB von 30 seit Antragstellung fest.
Im Widerspruchsverfahren übersandte der Kläger das Attest von Dr. K. vom 9. Januar 2013, in dem Diagnosen nach F32.1 (mittelgradige depressive Episode) und F45.41 (chronische Schmerzstörung) nach der ICD-10 GM (Internationale statische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation [WHO], Deutsche Fassung) genannt waren. Nach einer versorgungsärztlichen Auswertung dieses Attests erließ der Beklagte den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 12. März 2013.
Der Kläger hat am 28. März 2013 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) mit dem Ziel eines Gesamt-GdB von 50 erhoben. Er hat ergänzend vorgetragen, er leide an einer Coxarthrose beidseits, einem chronischen Schmerzsyndrom, einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und einer Nierenerkrankung.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Orthopäde Dr. E. hat neben den bereits bekannten Erkrankungen (Wirbelsäule, Schmerz¬syndrom) eine Coxarthrose beidseits bestätigt und eingeschränkte Bewegungsmaße der Hüftgelenke mitgeteilt. Dr. K. hat zusätzlich zu den im Widerspruchsverfahren genannten Diagnosen eine generalisierte Angststörung (F41.1) und eine Polyarthrose bekundet. Hieraufhin hat der Beklagte einen Vergleich über einen GdB von 40 ab Antragstellung angeboten. Ein Vergleich ist jedoch nicht zu Stande gekommen, sondern das SG hat auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers die Gutachten des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. R. vom 28. März 2014 und des Orthopäden Dr. M. vom 30. Oktober 2014 eingeholt. Prof. Dr. R. hat ausgeführt, der Kläger leide an einer – organisch bedingten – emotional labilen asthenischen Störung mit leichten kognitiven Einschränkungen und deutlichen Verhaltensstörungen auf Grund einer zereobrovaskulärer Erkrankung, arterieller Hypertonie sowie einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Der GdB auf Grund der psychiatrischen Funktionsstörungen werde auf 50 geschätzt. Dr. M. ist zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger liegen ein chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren, rückenbetonte Verspannungen mit deutlichen Bewegungseinschränkungen sowie Belastungsinsuffizienz und einen Verschleiß beider Hüftgelenke, rechtsbetont, mit erheblichen Einschränkungen der Beweglichkeit und einer Gangstörung vor. Die Bewegungsmaße sind mitgeteilt worden. Der GdB betrage "insgesamt" 30.
Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 13. Mai 2015 hat das SG unter Abänderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 ab Antragstellung verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Im Vordergrund der Beschwerden des Klägers ständen die psychische Erkrankung und das Schmerzsyndrom. Diese stellten eine ausgeprägtere depressive bzw. asthenische Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit dar, wofür höchstens ein GdB von 40 in Betracht komme. Eine schwere Störung mit bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen liege dagegen nicht vor. Bei dem Kläger habe bis zu dem krankheitsbedingten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben eine berufliche Überlastung bestanden, jedoch seien Eheleben und die Beziehungen zur Tochter innig. Der neurologische Befund sei unauffällig. Bislang seien weder die medikamentöse Behandlung einer Depression ausgeschöpft noch habe der Kläger bislang Verhaltenstherapien oder teilstationäre oder stationäre psychische oder psychiatrische Behandlungen in Erwägung gezogen. Weiterhin lägen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule vor, die jedoch lediglich einen GdB von 10 bedingten, da keine Stenosen oder Bandscheibenvorfälle vorlägen und keine sensomotorischen Defizite beständen, sondern im Wesentlichen Muskelverspannungen und Druckschmerz, auch die Bewegungseinschränkungen seien noch nicht mittelgradig. Letztlich lägen Funktionseinschränkungen der Hüfte vor, die anfangs mit einem GdB von 10 und ab September 2014 mit einem solchen von 20 zu bewerten seien. Bei der Untersuchung bei Dr. M. habe sich die Beugung, die 2013 noch bei 120° gelegen habe, auf 90° verschlechtert. Da die Streckung weiterhin nicht eingeschränkt gewesen sei, komme aber ein GdB von 30 für die Hüften nicht in Betracht. Die zwischenzeitlich diagnostizierte chronische Bronchitis bei Nikotinabusus bedinge noch keinen GdB. Insgesamt, so das SG, betrage der GdB 40. Wegen der starken Überschneidungen im Bereich der somatisch bedingten Anteile des Schmerzsyndroms sei aus den GdB-Werten von 40 für die psychischen Beeinträchtigungen und von 20 für die Hüftgelenke kein GdB von 50 zu bilden.
Gegen dieses Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 19. Juni 2015 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 29. Juni 2015 Berufung beim Landesozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er meint, die bereits aktenkundigen Beeinträchtigungen müssten höher bewertet werden. Hierzu legt er insbesondere den Entlassungsbericht der Reha-Klinik Kandertal in Malsburg über einen stationären Aufenthalt vom 28. Juli bis 25. August 2015 (rez. depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig; Kreuzschmerzen; Coxarthrose bds.; Hyperurikämie ohne Zeichen einer Arthritis oder einer Gicht) vor. Erstmals mit Schriftsatz vom 12. Januar 2016 hat er zusätzlich behauptet, er leide auch an einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit, weswegen ihm eine Hörhilfe verordnet worden sei. Hierzu legt er Ton- und Sprachaudiogramme vom 9. Dezember 2015 vor.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 13. Mai 2015 teilweise aufzuheben, den Bescheid vom 12. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab dem 6. August 2012 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er meint, die bisher festgestellten Behinderungen seien zutreffend bewertet. Zu der geltend gemachten Schwerhörigkeit trägt er vor, sie bedinge allenfalls einen GdB von 10, der den Gesamt-GdB ebenfalls nicht erhöhen könne.
Mit Beschluss vom 28. Mai 2015 hat das SG entschieden, dass der Kläger die Kosten der auf seinen Antrag hin erhobenen Gutachten von Prof. Dr. R. und Dr. M. selbst zu tragen hat. Auf eine Beschwerde des Klägers hin hat der erkennende Senat (L 6 SB 2917/15 B) mit Beschluss vom 5. August 2015 den Beschluss des SG aufgehoben und die Kosten der beiden Gutachten auf die Staatskasse übernommen. Er hat ausgeführt, beide Gutachten hätten die Sachaufklärung wesentlich gefördert. Zwar habe das SG nicht die dort vorgeschlagenen GdB-Werte übernommen. Es habe sich jedoch auf die anamnestischen Erhebungen der Gutachter, insbesondere die psychiatrische Exploration durch Prof. Dr. R. und die von Dr. M. ermittelten Bewegungsmaße vor allem im Rumpfbereich, gestützt.
Der Senat hat den behandelnden HNO-Arzt des Klägers, Sp., schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen, der am 25. Januar 2016 und am 8. März 2016 über eine beidseitige Innen-ohrschwerhörigkeit, die mit Hörgeräten versorgt sei, berichtet und Ton- und Sprachaudiogramme vorgelegt hat.
Der Berichterstatter des Senats hat den Kläger persönlich angehört. Wegen seiner Angaben wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 29. Januar 2016 verwiesen.
Der Beklagte (Schriftsatz vom 18. März 2016) und der Kläger (Schriftsatz vom 22. März 2016) haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und das Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist statthaft (§ 143 SGG), insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, und auch im Übrigen zulässig, vor allem form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet. Auch nach der ergänzenden Beweisaufnahme im Berufungsverfahren lässt sich bei dem Kläger kein Gesamt-GdB von 50 feststellen, sodass das Urteil des SG vollen Umfangs aufrecht zu erhalten war.
Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gem. § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30. Juni 2011: § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig ihrer Ursache, also final, bezogen ist (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris). Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R - SozR 3-3870 § 4 Nr. 24). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder es erstinstanzlichen Gerichts Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird (Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 SB 4445/14 – juris, Rn. 30).
Nach diesen durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätzen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung haben die behinderungsbedingten Funk¬tions¬ein¬schrän¬kungen des Klägers lediglich den vom SG austenorierten GdB von 40 zur Folge:
Die Beeinträchtigungen des Klägers am Leben in der Gemeinschaft, soweit sie aus psychischen Erkrankungen herrühren, begründen jedenfalls keinen GdB höher als 40.
Ebenso wie schon das SG stützt sich der Senat bei dieser Beurteilung auf die Feststellungen des Wahlgutachters Prof. Dr. R., auch wenn der Senat ebenfalls dem Vorschlag des Gutachters nicht folgt, insoweit einen GdB von 50 anzunehmen. Ferner berücksichtigt der Senat die Ausführungen aus dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik Kandertal vom 11. August 2015, die in Teilen sogar ein etwas besseres Zustandsbild des Klägers beschreiben als Prof. Dr. R.; bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit hat sich offenbar eine leichte Besserung eingestellt.
Bereits die Diagnose in dem Gutachten von Prof. Dr. R. spricht nicht für eine höhergradige psychische Erkrankung. Im Gegensatz zu Dr. K., der eine Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis (F32.1 nach der ICD-10 GM) angegeben hatte, hat Prof. Dr. R. lediglich eine organische emotional labile (asthenische) Störung nach F06.6 und daneben eine somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41) diagnostiziert.
Maßgebend für die Bewertung mit einem GdB sind ohnehin die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen. Diese sind bei dem Kläger allenfalls in einer Weise ausgeprägt, die es rechtfertigen, eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit anzunehmen. Für diese Störung sieht Teil B Nr. 3.7 VG einen GdB von 30 bis 40 vor. Diese Kategorie erfasst ausdrücklich auch asthenische und nicht nur depressive Störungen. Eine schwere Störung mit bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen, die einen GdB von 50 oder mehr bedingen würde, liegt dagegen zur Überzeugung des Senats nicht vor.
Die Erkrankung des Klägers führt insbesondere, woraufhin auch die Begleitdiagnose hindeutet, zu Schmerzen, also zu Beeinträchtigungen auf physischer Leidensebene. Dieses Schmerzerleben kann als mittelgradig eingestuft werden. Diese Einstufung hat z.B. Dr. E. vorgenommen, der die Erkrankung in seiner Zeugenaussage vom 20. Juni 2013 als chronifizierte Schmerzstörung im Stadium Gerbershagen II eingestuft hat. Auch die fortdauernde medikamentöse Schmerzbehandlung (Diclofenac und Ibuprofen nach den Angaben von Prof. Dr. R., Novaminsulfon nach dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik Kandertal vom 11. August 2015) deutet auf eine Schmerz¬erkrankung im mittleren Niveau hin. Zur physischen Leidensebene gehören neben den Schmerzen die leichten kognitiven Einbußen: Prof. Dr. R. hat dazu ein leicht verlangsamtes Sprechen, Erinnerungslücken vor allem bei der zeitlichen Einordnung und Konzentrationsschwächen festgestellt. Ferner hat der Kläger bei der Begutachtung eine anhaltende Erschöpfung und Ermüdbarkeit angegeben. Dies zusammen sind durchaus erhebliche Einschränkungen. Ein ähnliches Bild zeichnet der Entlassungsbericht aus Kandertal. Auch dort wurde eine leichte Störung der Konzentrationsfähigkeit gesehen, jedoch keine Gedächtnisstörung. Als im Vordergrund stehend wurden allein die von der Wirbelsäule ausgehenden Schmerzen beschrieben, die entsprechend neu mit Novaminsulfon behandelt worden sind und auch nach dem Abschlussbefund der Reha-Klinik nicht wesentlich gebessert werden konnten.
Entsprechend finden sich auch auf der psychischen Leidensebene allenfalls mittlere, eher geringfügige Störungen. Prof. Dr. R. hat eine gedrückte Stimmung und eine Einengung der Gedankengänge auf die Krankheits- und Arbeitsplatzprobleme beschrieben. Es bestehen Resignation und Zukunfts¬ängste. Wieder etwas besser ist die Beschreibung der Reha-Klinik Kandertal. Dort war der Kläger lediglich mäßiggradig depressiv verstimmt, das Antriebsverhalten war reduziert, die Schwingungsfähigkeit - allerdings nur leicht - eingeschränkt. Der Kläger selbst hat in Kandertal seine psychische Belastung - allein - auf die Erfahrungen an seiner früheren Arbeitsstelle zurückgeführt. Nachdem er dort nicht mehr berufstätig ist, ist es nach dem Abschlussbefund der Reha-Klinik zu einer weiteren Besserung gekommen. Der Kläger hat sich ruhiger und entspannter gezeigt, auch seine Antriebsminderung und Lustlosigkeit sind etwas rückläufig.
Wenig beeinträchtigt war und ist letztlich die soziale Dimension der Erkrankung. Der Kläger hat sich zwar vom allgemeinen Arbeitsmarkt zurückgezogen. Aber dieses Segment der Gesellschaft ist nicht das einzige und nicht einmal das maßgebliche für die Beurteilungen des Rechts der schwerbehinderten Menschen. Die - allgemeinen sozialen - Einbindungen des Klägers in zwischenmenschliche Strukturen und in das Leben in der Gemeinschaft sind kaum belastet. In Kandertal hat der Kläger zuletzt angegeben, es gebe keine Konflikte in der Familie, der Kontakt zu Ehefrau und erwachsener Tochter sei gut. Er hat über Unterstützungen durch Ehefrau, Tochter und Schwiegersohn, Bruder und Schwägerin berichtet. In seiner Freizeit beschäftige er sich mit seinen Enkeln, ferner gehe er spazieren, auch habe er einen Schrebergarten. Die Reha-Klinik Kandertal hat hier¬an angeknüpft, den Kläger zu sportlichen und sozialen Aktivitäten animiert und in ihrem Entlassungsbericht eine regelmäßige sportliche Betätigung für sinnvoll erachtet.
Auf Grund dieses Gesamtbildes von den Beschwerden des Klägers erscheint es noch vertretbar, die Spanne von 30 bis 40 für stärker behindernde Störungen bei Teil B Nr. 3.7 VG nach oben auszuschöpfen und einen GdB von 40 anzunehmen. Bereits hier ist aber darauf hinzuweisen, dass dies ganz wesentlich auf dem Schmerzerleben beruht, sodass auch die somatisch bedingten Anteile der Schmerzen mit dieser Bewertung erfasst sind. Eine höhere Bewertung scheidet jedoch in jedem Fall aus. Auch der persönliche Eindruck von dem Kläger aus dem Erörterungstermin am 29. Januar 2016 spricht dagegen. Merkliche soziale Anpassungsschwierigkeiten, also Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen, hat der Kläger dort nicht gezeigt.
Für das Funktionssystem "untere Gliedmaßen" (vgl. zur zusammenfassenden Bewertung von Funktionssystemen Teil A Nr. 2 Buchstabe e Satz 2 VG), hier die Hüftgelenke des Klägers, sieht der Senat - im Gegensatz zum SG - keinen GdB von 20, sondern nur einen solchen von 10. Hier besteht eine Coxarthrose (M16.9 nach der ICD-10 GM), die jedoch bislang - organisch - so gut wie keine Funktionseinbußen verursacht hat. Zwar hatte sich die Restbeweglichkeit der Hüften rechtsbetont bis zu der Untersuchung bei dem Wahlgutachter Dr. M. deutlich verschlechtert. Dieser hatte eine Streckung und Beugung von 0/0/90° bds. gemessen. Auch dieser Wert würde aber keinen GdB von 20 bedingen, denn dafür ist nach Teil B Nr. 18.14 VG eine Bewegungseinschränkung geringen Grades notwendig, die aber neben einer Beugehemmung auf 90° oder weniger auch eine Einschränkung der Streckfähigkeit um wenigstens 10° voraussetzt, die hier aber fehlt. Hinzu kommt, dass Dr. M.s Werte keinen Dauerzustand darstellen. In der Reha-Klinik Kandertal wurde wiederum lediglich eine "mäßiggradige" Einschränkung nur des linken Hüftgelenkes beschrieben, während die Schmerzproblematik auch nach Angaben des Klägers dort im Wesentlichen auf die Wirbelsäulenbeschwerden zurückgeführt wurde.
Auch für das Funktionssystem "Rumpf" ist kein GdB höher als 10 festzustellen. Bei dieser Bewertung stützt sich der Senat im Wesentlichen auf die Feststellungen des Wahlgutachters Dr. M ... Dieser hatte im Rückenbereich lediglich Muskelverspannungen und Druckschmerzen (Klopfschmerzen) festgestellt, aber weder Bandscheibenvorfälle noch sonstige Einengungen der Nerven. Die Muskelverspannungen waren auch die Ursache für die Bewegungseinschränkungen vor allem an der Lenden-, z.T. auch an der Brustwirbelsäule. Insoweit hat Dr. M. einen Finger-Boden-Abstand von 40 cm und ein leicht eingeschränktes Schober’sches Zeichen von 10:13 cm (Normwert bis zu 10:15 cm) festgestellt. Das Ott’sche Zeichen für die Entfaltbarkeit der Brustwirbelsäule betrug 30:31 cm (Normwert 30:32 cm) und war daher ebenfalls eingeschränkt. Diese Befunde rechtfertigen es, von geringen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten auszugehen, die nach Teil B Nr. 18.9 VG einen GdB von 10 bedingen. Mittelgradige Auswirkungen in mindestens einem Abschnitt, die für einen GdB von wenigstens 20 vonnöten wären, sind dagegen noch nicht festzustellen, zumal auch hier das Schmerzerleben im Vordergrund steht, nicht aber eine Instabilität oder Bewegungseinschränkung.
Für das Funktionssystem "Ohren" ist ein GdB von 10 anzunehmen.
Zwar hatte der behandelnde HNO-Arzt Sp. in seiner Zeugenaussage vom 25. Januar 2016 angegeben, der GdB für dieses Funktionssystem betrage 20. Eine Auswertung der von ihm angefertigten und beigefügten Ton- und Sprachaudiogramme vom 9. Dezember 2015 hat jedoch ergeben, dass der sachverständige Zeuge für seine behindertenrechtliche Beurteilung allein das Ton-Audiogramm herangezogen und sich außerdem allein auf die 4-Frequenz-Tabelle (Röser 1973) nach Teil B Nr. 5.2.2 VG gestützt hat. Wertet man das Ton-Audiogramm allein nach dieser Tabelle aus, ergeben sich Hörverluste von rechts 66 % und links 27 % und damit nach der Tabelle bei Teil B Nr. 5.2.4 VG ein GdB von - genau - 20.
Dieser Einschätzung des sachverständigen Zeugen kann jedoch nicht gefolgt werden. Selbst wenn man allein auf das Ton-Audiogramm abstellt, so wäre hier, jedenfalls zum Teil, die 3-Frequenz-Tabelle bei Teil A Nr. 5.2.3 VG (Röser 1980) anzuwenden. Zumindest für das linke Ohr zeigt die Hörkurve des Klägers nämlich, dass die Hörverluste stärker im Hochtonbereich liegen. Im Bereich unter 1000 Hz (also jenem Bereich, den die 4-Frequenz-Tabelle bei Tieftonschwerhörigkeiten zusätzlich einbezieht) liegt der Hörpegel des Klägers links bei 20 oder sogar bei 10 dB. Nach der 3-Frequenz-Tabelle beträgt der Hörverlust rechts 45 % (Tonhöhenverlust bei 1 kHz 30 dB, Summe der Verluste bei 2 kHz [70] und 3 kHz [85] 155 dB; also Zeile 140-155, Spalte 25-30 = 45) und von links 15 % (Hörverluste bei 1 kHz 20 dB, Summe bei 2 und 3 kHz [30+50] 80 dB. Dies ergäbe einen GdB von genau 10. Und auch wenn man rechts die 4- und links die 3-Freqenz-Tabelle anwendet, um die Unterschiede im Tieftonbereich abzubilden, also von Hörverlusten von 66 % und 15 % ausgeht, läge der GdB immer noch bei 10. Ganz unabhängig hiervon hat jedoch die Auswertung eines Sprach-Audiogramms Vorrang vor einem Ton-Audiogramm, denn nach der Vorbemerkung bei Teil B Nr. 5 VG richtet sich der GdB für eine Störung der Hörfähigkeit grundsätzlich nach der Herabsetzung des Sprachgehörs ohne Hörhilfe. Nur sofern ein solches, z.B. aufgrund sprachlicher Probleme, nicht erhoben werden kann, kann ein Tonaudiogramm nach zu Grunde gelegt werden (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2014 – L 8 SB 211/13 –, Rn. 32, juris Rn. 32). Ein solcher Ausnahmefall liegt beim Kläger, der der deutschen Sprache mächtig ist, nicht vor. Das Sprachaudiogramm nun zeigt bei dem Kläger einen Hörverlust von 70 % rechts: Das Gesamtwortverstehen bei 60/80/100 dB beträgt 0 + 30 + 70, also 100 Punkte (ungewichtet, da der Hörverlust über 40 % liegt, gewichtet läge die Summe bei 65 Punkten). Der Hörverlust für Zahlen rechts setzt ab 50 dB ein. Die Tabelle bei Teil B Nr. 5.2.1 VG führt danach, ausgehend von der Zeile "ab 100" und der Spalte "ab 50" zu den genannten 70 % (gewichtet betrüge der Hörverlust 80 %). Der Hörverlust rechts beträgt weniger als 20 % (Gesamtwortverstehen in der letzten Zeile "ab 250" [gewichtet 3x85 dB + 2x 85 dB + 1x mindestens 85 dB = 510: 2 = 255], kein Hörverlust für Zahlen [also erste Spalte ( 20 dB], Hörverlust daher rechnerisch 0 %). Aus dem Sprach-Audiogramm ergibt sich demnach ein GdB von 10, denn bei Hörverlusten von unter 20 % auf einem Ohr und 60-80 % auf dem anderen sieht die Tabelle bei Teil B Nr. 5.2.4 VG einen GdB von (genau) 10 vor.
Weitere Behinderungen in anderen Funktionsbereichen liegen nicht vor. Dies gilt vor allem für das internistische Fachgebiet. Die Hantavirus-Infektion, derentwegen der Kläger im Juni und Juli 2012 stationär in Heidenheim behandelt worden ist, war eine vorübergehende Erkrankung. Die immer wieder diagnostizierte Hypertonie erreicht allenfalls das Ausmaß einer leichten Form, das nach Teil B Nr. 9.3 VG zu einem GdB von 0 bis 10 führt; in der Reha-Klinik Kandertal wurde insoweit ein Blutdruck von 120/80 mmHg gemessen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern auf Grund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei dem auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).
Aus den hiernach relevanten GdB-Werten von bis zu 40 für die psychischen Beeinträchtigungen einschließlich der somatisch bedingten Anteile der Schmerzerkrankung und dreimal 10 für den Rumpf, die unteren Gliedmaßen und die Ohren, ist weiterhin ein Gesamt- GdB von 40 zu bilden (Teil A Nr. 3 VG).
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt nach einem teilweise obsiegenden Urteil erster Instanz weiterhin die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 und damit die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch.
Der Kläger ist 1954 geboren. Er ist kroatischer Staatsangehöriger und lebt seit 1970 in Deutschland, zuletzt vor dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union auf Grund einer Niederlassungserlaubnis vom 1. Januar 2005. Er ist gelernter Schlosser und hatte bis zu Beginn seiner dauerhaften Arbeitsunfähigkeit im November 2013 33 Jahre lang bei demselben Unternehmen als Kunststoffformgeber gearbeitet. Seit der Erschöpfung des Krankengeldanspruchs ist der Kläger arbeitslos. Nach seinen Angaben besteht das Arbeitsverhältnis fort. Er ist seit 1977 verheiratet und hat eine mittlerweile ebenfalls verheiratete Tochter. Seine Freizeit verbringt er mit seinen Enkeln, geht gerne spazieren, hat einen Schrebergarten.
Der Kläger beantragte am 6. August 2012 erstmals die Feststellung eines GdB. Er leide an Depressionen, einer Arthrose des rechten Hüftgelenks, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und an einer Hypertonie. Der Beklagte zog medizinische Unterlagen bei, darunter den Entlassungsbericht der Reha-Klinik Am Kurpark in Bad Kissingen über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 16. März bis zum 14. April 2011 (chronisches lumbales Fassettensyndrom bei Spondyl-Arthrosen L4 bis S1, Trochanter-Tendopathie [Sehnenentzündung an der Hüfte] links, chronisches myotendinotisches [muskelbedingtes] Zervikal-Syndrom ohne Funktionseinschränkung, psychophysische Erschöpfung) sowie den Entlassungsbericht des Klinikums Heidenheim vom 26. Juni 2012 (Hantavirus-Infektion mit renaler Beteiligung, arterielle Hypertonie, Verdacht auf drei Leberhämangiome). Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K. teilte mit, der Kläger leide seit mindestens vier Jahren an einer mittelschweren Depression ohne phasenhaften Verlauf. Nach einer Auswertung dieser Unterlagen schlug der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten Einzel-GdB-Werte von 30 für eine Depression und von 10 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule vor. Entsprechend stellte der Beklagte mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 12. Dezember 2012 einen GdB von 30 seit Antragstellung fest.
Im Widerspruchsverfahren übersandte der Kläger das Attest von Dr. K. vom 9. Januar 2013, in dem Diagnosen nach F32.1 (mittelgradige depressive Episode) und F45.41 (chronische Schmerzstörung) nach der ICD-10 GM (Internationale statische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation [WHO], Deutsche Fassung) genannt waren. Nach einer versorgungsärztlichen Auswertung dieses Attests erließ der Beklagte den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 12. März 2013.
Der Kläger hat am 28. März 2013 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) mit dem Ziel eines Gesamt-GdB von 50 erhoben. Er hat ergänzend vorgetragen, er leide an einer Coxarthrose beidseits, einem chronischen Schmerzsyndrom, einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und einer Nierenerkrankung.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Orthopäde Dr. E. hat neben den bereits bekannten Erkrankungen (Wirbelsäule, Schmerz¬syndrom) eine Coxarthrose beidseits bestätigt und eingeschränkte Bewegungsmaße der Hüftgelenke mitgeteilt. Dr. K. hat zusätzlich zu den im Widerspruchsverfahren genannten Diagnosen eine generalisierte Angststörung (F41.1) und eine Polyarthrose bekundet. Hieraufhin hat der Beklagte einen Vergleich über einen GdB von 40 ab Antragstellung angeboten. Ein Vergleich ist jedoch nicht zu Stande gekommen, sondern das SG hat auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers die Gutachten des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. R. vom 28. März 2014 und des Orthopäden Dr. M. vom 30. Oktober 2014 eingeholt. Prof. Dr. R. hat ausgeführt, der Kläger leide an einer – organisch bedingten – emotional labilen asthenischen Störung mit leichten kognitiven Einschränkungen und deutlichen Verhaltensstörungen auf Grund einer zereobrovaskulärer Erkrankung, arterieller Hypertonie sowie einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Der GdB auf Grund der psychiatrischen Funktionsstörungen werde auf 50 geschätzt. Dr. M. ist zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger liegen ein chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren, rückenbetonte Verspannungen mit deutlichen Bewegungseinschränkungen sowie Belastungsinsuffizienz und einen Verschleiß beider Hüftgelenke, rechtsbetont, mit erheblichen Einschränkungen der Beweglichkeit und einer Gangstörung vor. Die Bewegungsmaße sind mitgeteilt worden. Der GdB betrage "insgesamt" 30.
Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 13. Mai 2015 hat das SG unter Abänderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 ab Antragstellung verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Im Vordergrund der Beschwerden des Klägers ständen die psychische Erkrankung und das Schmerzsyndrom. Diese stellten eine ausgeprägtere depressive bzw. asthenische Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit dar, wofür höchstens ein GdB von 40 in Betracht komme. Eine schwere Störung mit bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen liege dagegen nicht vor. Bei dem Kläger habe bis zu dem krankheitsbedingten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben eine berufliche Überlastung bestanden, jedoch seien Eheleben und die Beziehungen zur Tochter innig. Der neurologische Befund sei unauffällig. Bislang seien weder die medikamentöse Behandlung einer Depression ausgeschöpft noch habe der Kläger bislang Verhaltenstherapien oder teilstationäre oder stationäre psychische oder psychiatrische Behandlungen in Erwägung gezogen. Weiterhin lägen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule vor, die jedoch lediglich einen GdB von 10 bedingten, da keine Stenosen oder Bandscheibenvorfälle vorlägen und keine sensomotorischen Defizite beständen, sondern im Wesentlichen Muskelverspannungen und Druckschmerz, auch die Bewegungseinschränkungen seien noch nicht mittelgradig. Letztlich lägen Funktionseinschränkungen der Hüfte vor, die anfangs mit einem GdB von 10 und ab September 2014 mit einem solchen von 20 zu bewerten seien. Bei der Untersuchung bei Dr. M. habe sich die Beugung, die 2013 noch bei 120° gelegen habe, auf 90° verschlechtert. Da die Streckung weiterhin nicht eingeschränkt gewesen sei, komme aber ein GdB von 30 für die Hüften nicht in Betracht. Die zwischenzeitlich diagnostizierte chronische Bronchitis bei Nikotinabusus bedinge noch keinen GdB. Insgesamt, so das SG, betrage der GdB 40. Wegen der starken Überschneidungen im Bereich der somatisch bedingten Anteile des Schmerzsyndroms sei aus den GdB-Werten von 40 für die psychischen Beeinträchtigungen und von 20 für die Hüftgelenke kein GdB von 50 zu bilden.
Gegen dieses Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 19. Juni 2015 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 29. Juni 2015 Berufung beim Landesozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er meint, die bereits aktenkundigen Beeinträchtigungen müssten höher bewertet werden. Hierzu legt er insbesondere den Entlassungsbericht der Reha-Klinik Kandertal in Malsburg über einen stationären Aufenthalt vom 28. Juli bis 25. August 2015 (rez. depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig; Kreuzschmerzen; Coxarthrose bds.; Hyperurikämie ohne Zeichen einer Arthritis oder einer Gicht) vor. Erstmals mit Schriftsatz vom 12. Januar 2016 hat er zusätzlich behauptet, er leide auch an einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit, weswegen ihm eine Hörhilfe verordnet worden sei. Hierzu legt er Ton- und Sprachaudiogramme vom 9. Dezember 2015 vor.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 13. Mai 2015 teilweise aufzuheben, den Bescheid vom 12. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab dem 6. August 2012 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er meint, die bisher festgestellten Behinderungen seien zutreffend bewertet. Zu der geltend gemachten Schwerhörigkeit trägt er vor, sie bedinge allenfalls einen GdB von 10, der den Gesamt-GdB ebenfalls nicht erhöhen könne.
Mit Beschluss vom 28. Mai 2015 hat das SG entschieden, dass der Kläger die Kosten der auf seinen Antrag hin erhobenen Gutachten von Prof. Dr. R. und Dr. M. selbst zu tragen hat. Auf eine Beschwerde des Klägers hin hat der erkennende Senat (L 6 SB 2917/15 B) mit Beschluss vom 5. August 2015 den Beschluss des SG aufgehoben und die Kosten der beiden Gutachten auf die Staatskasse übernommen. Er hat ausgeführt, beide Gutachten hätten die Sachaufklärung wesentlich gefördert. Zwar habe das SG nicht die dort vorgeschlagenen GdB-Werte übernommen. Es habe sich jedoch auf die anamnestischen Erhebungen der Gutachter, insbesondere die psychiatrische Exploration durch Prof. Dr. R. und die von Dr. M. ermittelten Bewegungsmaße vor allem im Rumpfbereich, gestützt.
Der Senat hat den behandelnden HNO-Arzt des Klägers, Sp., schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen, der am 25. Januar 2016 und am 8. März 2016 über eine beidseitige Innen-ohrschwerhörigkeit, die mit Hörgeräten versorgt sei, berichtet und Ton- und Sprachaudiogramme vorgelegt hat.
Der Berichterstatter des Senats hat den Kläger persönlich angehört. Wegen seiner Angaben wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 29. Januar 2016 verwiesen.
Der Beklagte (Schriftsatz vom 18. März 2016) und der Kläger (Schriftsatz vom 22. März 2016) haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und das Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist statthaft (§ 143 SGG), insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, und auch im Übrigen zulässig, vor allem form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet. Auch nach der ergänzenden Beweisaufnahme im Berufungsverfahren lässt sich bei dem Kläger kein Gesamt-GdB von 50 feststellen, sodass das Urteil des SG vollen Umfangs aufrecht zu erhalten war.
Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gem. § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30. Juni 2011: § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig ihrer Ursache, also final, bezogen ist (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris). Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R - SozR 3-3870 § 4 Nr. 24). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder es erstinstanzlichen Gerichts Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird (Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 SB 4445/14 – juris, Rn. 30).
Nach diesen durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätzen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung haben die behinderungsbedingten Funk¬tions¬ein¬schrän¬kungen des Klägers lediglich den vom SG austenorierten GdB von 40 zur Folge:
Die Beeinträchtigungen des Klägers am Leben in der Gemeinschaft, soweit sie aus psychischen Erkrankungen herrühren, begründen jedenfalls keinen GdB höher als 40.
Ebenso wie schon das SG stützt sich der Senat bei dieser Beurteilung auf die Feststellungen des Wahlgutachters Prof. Dr. R., auch wenn der Senat ebenfalls dem Vorschlag des Gutachters nicht folgt, insoweit einen GdB von 50 anzunehmen. Ferner berücksichtigt der Senat die Ausführungen aus dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik Kandertal vom 11. August 2015, die in Teilen sogar ein etwas besseres Zustandsbild des Klägers beschreiben als Prof. Dr. R.; bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit hat sich offenbar eine leichte Besserung eingestellt.
Bereits die Diagnose in dem Gutachten von Prof. Dr. R. spricht nicht für eine höhergradige psychische Erkrankung. Im Gegensatz zu Dr. K., der eine Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis (F32.1 nach der ICD-10 GM) angegeben hatte, hat Prof. Dr. R. lediglich eine organische emotional labile (asthenische) Störung nach F06.6 und daneben eine somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41) diagnostiziert.
Maßgebend für die Bewertung mit einem GdB sind ohnehin die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen. Diese sind bei dem Kläger allenfalls in einer Weise ausgeprägt, die es rechtfertigen, eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit anzunehmen. Für diese Störung sieht Teil B Nr. 3.7 VG einen GdB von 30 bis 40 vor. Diese Kategorie erfasst ausdrücklich auch asthenische und nicht nur depressive Störungen. Eine schwere Störung mit bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen, die einen GdB von 50 oder mehr bedingen würde, liegt dagegen zur Überzeugung des Senats nicht vor.
Die Erkrankung des Klägers führt insbesondere, woraufhin auch die Begleitdiagnose hindeutet, zu Schmerzen, also zu Beeinträchtigungen auf physischer Leidensebene. Dieses Schmerzerleben kann als mittelgradig eingestuft werden. Diese Einstufung hat z.B. Dr. E. vorgenommen, der die Erkrankung in seiner Zeugenaussage vom 20. Juni 2013 als chronifizierte Schmerzstörung im Stadium Gerbershagen II eingestuft hat. Auch die fortdauernde medikamentöse Schmerzbehandlung (Diclofenac und Ibuprofen nach den Angaben von Prof. Dr. R., Novaminsulfon nach dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik Kandertal vom 11. August 2015) deutet auf eine Schmerz¬erkrankung im mittleren Niveau hin. Zur physischen Leidensebene gehören neben den Schmerzen die leichten kognitiven Einbußen: Prof. Dr. R. hat dazu ein leicht verlangsamtes Sprechen, Erinnerungslücken vor allem bei der zeitlichen Einordnung und Konzentrationsschwächen festgestellt. Ferner hat der Kläger bei der Begutachtung eine anhaltende Erschöpfung und Ermüdbarkeit angegeben. Dies zusammen sind durchaus erhebliche Einschränkungen. Ein ähnliches Bild zeichnet der Entlassungsbericht aus Kandertal. Auch dort wurde eine leichte Störung der Konzentrationsfähigkeit gesehen, jedoch keine Gedächtnisstörung. Als im Vordergrund stehend wurden allein die von der Wirbelsäule ausgehenden Schmerzen beschrieben, die entsprechend neu mit Novaminsulfon behandelt worden sind und auch nach dem Abschlussbefund der Reha-Klinik nicht wesentlich gebessert werden konnten.
Entsprechend finden sich auch auf der psychischen Leidensebene allenfalls mittlere, eher geringfügige Störungen. Prof. Dr. R. hat eine gedrückte Stimmung und eine Einengung der Gedankengänge auf die Krankheits- und Arbeitsplatzprobleme beschrieben. Es bestehen Resignation und Zukunfts¬ängste. Wieder etwas besser ist die Beschreibung der Reha-Klinik Kandertal. Dort war der Kläger lediglich mäßiggradig depressiv verstimmt, das Antriebsverhalten war reduziert, die Schwingungsfähigkeit - allerdings nur leicht - eingeschränkt. Der Kläger selbst hat in Kandertal seine psychische Belastung - allein - auf die Erfahrungen an seiner früheren Arbeitsstelle zurückgeführt. Nachdem er dort nicht mehr berufstätig ist, ist es nach dem Abschlussbefund der Reha-Klinik zu einer weiteren Besserung gekommen. Der Kläger hat sich ruhiger und entspannter gezeigt, auch seine Antriebsminderung und Lustlosigkeit sind etwas rückläufig.
Wenig beeinträchtigt war und ist letztlich die soziale Dimension der Erkrankung. Der Kläger hat sich zwar vom allgemeinen Arbeitsmarkt zurückgezogen. Aber dieses Segment der Gesellschaft ist nicht das einzige und nicht einmal das maßgebliche für die Beurteilungen des Rechts der schwerbehinderten Menschen. Die - allgemeinen sozialen - Einbindungen des Klägers in zwischenmenschliche Strukturen und in das Leben in der Gemeinschaft sind kaum belastet. In Kandertal hat der Kläger zuletzt angegeben, es gebe keine Konflikte in der Familie, der Kontakt zu Ehefrau und erwachsener Tochter sei gut. Er hat über Unterstützungen durch Ehefrau, Tochter und Schwiegersohn, Bruder und Schwägerin berichtet. In seiner Freizeit beschäftige er sich mit seinen Enkeln, ferner gehe er spazieren, auch habe er einen Schrebergarten. Die Reha-Klinik Kandertal hat hier¬an angeknüpft, den Kläger zu sportlichen und sozialen Aktivitäten animiert und in ihrem Entlassungsbericht eine regelmäßige sportliche Betätigung für sinnvoll erachtet.
Auf Grund dieses Gesamtbildes von den Beschwerden des Klägers erscheint es noch vertretbar, die Spanne von 30 bis 40 für stärker behindernde Störungen bei Teil B Nr. 3.7 VG nach oben auszuschöpfen und einen GdB von 40 anzunehmen. Bereits hier ist aber darauf hinzuweisen, dass dies ganz wesentlich auf dem Schmerzerleben beruht, sodass auch die somatisch bedingten Anteile der Schmerzen mit dieser Bewertung erfasst sind. Eine höhere Bewertung scheidet jedoch in jedem Fall aus. Auch der persönliche Eindruck von dem Kläger aus dem Erörterungstermin am 29. Januar 2016 spricht dagegen. Merkliche soziale Anpassungsschwierigkeiten, also Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen, hat der Kläger dort nicht gezeigt.
Für das Funktionssystem "untere Gliedmaßen" (vgl. zur zusammenfassenden Bewertung von Funktionssystemen Teil A Nr. 2 Buchstabe e Satz 2 VG), hier die Hüftgelenke des Klägers, sieht der Senat - im Gegensatz zum SG - keinen GdB von 20, sondern nur einen solchen von 10. Hier besteht eine Coxarthrose (M16.9 nach der ICD-10 GM), die jedoch bislang - organisch - so gut wie keine Funktionseinbußen verursacht hat. Zwar hatte sich die Restbeweglichkeit der Hüften rechtsbetont bis zu der Untersuchung bei dem Wahlgutachter Dr. M. deutlich verschlechtert. Dieser hatte eine Streckung und Beugung von 0/0/90° bds. gemessen. Auch dieser Wert würde aber keinen GdB von 20 bedingen, denn dafür ist nach Teil B Nr. 18.14 VG eine Bewegungseinschränkung geringen Grades notwendig, die aber neben einer Beugehemmung auf 90° oder weniger auch eine Einschränkung der Streckfähigkeit um wenigstens 10° voraussetzt, die hier aber fehlt. Hinzu kommt, dass Dr. M.s Werte keinen Dauerzustand darstellen. In der Reha-Klinik Kandertal wurde wiederum lediglich eine "mäßiggradige" Einschränkung nur des linken Hüftgelenkes beschrieben, während die Schmerzproblematik auch nach Angaben des Klägers dort im Wesentlichen auf die Wirbelsäulenbeschwerden zurückgeführt wurde.
Auch für das Funktionssystem "Rumpf" ist kein GdB höher als 10 festzustellen. Bei dieser Bewertung stützt sich der Senat im Wesentlichen auf die Feststellungen des Wahlgutachters Dr. M ... Dieser hatte im Rückenbereich lediglich Muskelverspannungen und Druckschmerzen (Klopfschmerzen) festgestellt, aber weder Bandscheibenvorfälle noch sonstige Einengungen der Nerven. Die Muskelverspannungen waren auch die Ursache für die Bewegungseinschränkungen vor allem an der Lenden-, z.T. auch an der Brustwirbelsäule. Insoweit hat Dr. M. einen Finger-Boden-Abstand von 40 cm und ein leicht eingeschränktes Schober’sches Zeichen von 10:13 cm (Normwert bis zu 10:15 cm) festgestellt. Das Ott’sche Zeichen für die Entfaltbarkeit der Brustwirbelsäule betrug 30:31 cm (Normwert 30:32 cm) und war daher ebenfalls eingeschränkt. Diese Befunde rechtfertigen es, von geringen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten auszugehen, die nach Teil B Nr. 18.9 VG einen GdB von 10 bedingen. Mittelgradige Auswirkungen in mindestens einem Abschnitt, die für einen GdB von wenigstens 20 vonnöten wären, sind dagegen noch nicht festzustellen, zumal auch hier das Schmerzerleben im Vordergrund steht, nicht aber eine Instabilität oder Bewegungseinschränkung.
Für das Funktionssystem "Ohren" ist ein GdB von 10 anzunehmen.
Zwar hatte der behandelnde HNO-Arzt Sp. in seiner Zeugenaussage vom 25. Januar 2016 angegeben, der GdB für dieses Funktionssystem betrage 20. Eine Auswertung der von ihm angefertigten und beigefügten Ton- und Sprachaudiogramme vom 9. Dezember 2015 hat jedoch ergeben, dass der sachverständige Zeuge für seine behindertenrechtliche Beurteilung allein das Ton-Audiogramm herangezogen und sich außerdem allein auf die 4-Frequenz-Tabelle (Röser 1973) nach Teil B Nr. 5.2.2 VG gestützt hat. Wertet man das Ton-Audiogramm allein nach dieser Tabelle aus, ergeben sich Hörverluste von rechts 66 % und links 27 % und damit nach der Tabelle bei Teil B Nr. 5.2.4 VG ein GdB von - genau - 20.
Dieser Einschätzung des sachverständigen Zeugen kann jedoch nicht gefolgt werden. Selbst wenn man allein auf das Ton-Audiogramm abstellt, so wäre hier, jedenfalls zum Teil, die 3-Frequenz-Tabelle bei Teil A Nr. 5.2.3 VG (Röser 1980) anzuwenden. Zumindest für das linke Ohr zeigt die Hörkurve des Klägers nämlich, dass die Hörverluste stärker im Hochtonbereich liegen. Im Bereich unter 1000 Hz (also jenem Bereich, den die 4-Frequenz-Tabelle bei Tieftonschwerhörigkeiten zusätzlich einbezieht) liegt der Hörpegel des Klägers links bei 20 oder sogar bei 10 dB. Nach der 3-Frequenz-Tabelle beträgt der Hörverlust rechts 45 % (Tonhöhenverlust bei 1 kHz 30 dB, Summe der Verluste bei 2 kHz [70] und 3 kHz [85] 155 dB; also Zeile 140-155, Spalte 25-30 = 45) und von links 15 % (Hörverluste bei 1 kHz 20 dB, Summe bei 2 und 3 kHz [30+50] 80 dB. Dies ergäbe einen GdB von genau 10. Und auch wenn man rechts die 4- und links die 3-Freqenz-Tabelle anwendet, um die Unterschiede im Tieftonbereich abzubilden, also von Hörverlusten von 66 % und 15 % ausgeht, läge der GdB immer noch bei 10. Ganz unabhängig hiervon hat jedoch die Auswertung eines Sprach-Audiogramms Vorrang vor einem Ton-Audiogramm, denn nach der Vorbemerkung bei Teil B Nr. 5 VG richtet sich der GdB für eine Störung der Hörfähigkeit grundsätzlich nach der Herabsetzung des Sprachgehörs ohne Hörhilfe. Nur sofern ein solches, z.B. aufgrund sprachlicher Probleme, nicht erhoben werden kann, kann ein Tonaudiogramm nach zu Grunde gelegt werden (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2014 – L 8 SB 211/13 –, Rn. 32, juris Rn. 32). Ein solcher Ausnahmefall liegt beim Kläger, der der deutschen Sprache mächtig ist, nicht vor. Das Sprachaudiogramm nun zeigt bei dem Kläger einen Hörverlust von 70 % rechts: Das Gesamtwortverstehen bei 60/80/100 dB beträgt 0 + 30 + 70, also 100 Punkte (ungewichtet, da der Hörverlust über 40 % liegt, gewichtet läge die Summe bei 65 Punkten). Der Hörverlust für Zahlen rechts setzt ab 50 dB ein. Die Tabelle bei Teil B Nr. 5.2.1 VG führt danach, ausgehend von der Zeile "ab 100" und der Spalte "ab 50" zu den genannten 70 % (gewichtet betrüge der Hörverlust 80 %). Der Hörverlust rechts beträgt weniger als 20 % (Gesamtwortverstehen in der letzten Zeile "ab 250" [gewichtet 3x85 dB + 2x 85 dB + 1x mindestens 85 dB = 510: 2 = 255], kein Hörverlust für Zahlen [also erste Spalte ( 20 dB], Hörverlust daher rechnerisch 0 %). Aus dem Sprach-Audiogramm ergibt sich demnach ein GdB von 10, denn bei Hörverlusten von unter 20 % auf einem Ohr und 60-80 % auf dem anderen sieht die Tabelle bei Teil B Nr. 5.2.4 VG einen GdB von (genau) 10 vor.
Weitere Behinderungen in anderen Funktionsbereichen liegen nicht vor. Dies gilt vor allem für das internistische Fachgebiet. Die Hantavirus-Infektion, derentwegen der Kläger im Juni und Juli 2012 stationär in Heidenheim behandelt worden ist, war eine vorübergehende Erkrankung. Die immer wieder diagnostizierte Hypertonie erreicht allenfalls das Ausmaß einer leichten Form, das nach Teil B Nr. 9.3 VG zu einem GdB von 0 bis 10 führt; in der Reha-Klinik Kandertal wurde insoweit ein Blutdruck von 120/80 mmHg gemessen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern auf Grund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei dem auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).
Aus den hiernach relevanten GdB-Werten von bis zu 40 für die psychischen Beeinträchtigungen einschließlich der somatisch bedingten Anteile der Schmerzerkrankung und dreimal 10 für den Rumpf, die unteren Gliedmaßen und die Ohren, ist weiterhin ein Gesamt- GdB von 40 zu bilden (Teil A Nr. 3 VG).
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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