L 7 SO 3017/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2370/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3017/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 1. August 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen statthafte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1 a.a.O., für Vornahmesachen in Abs. 2 a.a.O. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG). Die Anträge nach § 86b Abs. 1 und 2 SGG sind bereits vor Klageerhebung zulässig (Abs. 3 a.a.O.).

Vorliegend kommt - wie vom Sozialgericht Heilbronn (SG) im Ergebnis zutreffend erkannt - nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 2. Alt. SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen ab, nämlich dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf mithin nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG); z.B. BVerfG NVwZ 2005, 927; NZS 2008, 365). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164).

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Dem Eilbegehren des Antragstellers mangelt es bereits an dem nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlichen Gegenwartsbezug und damit am Anordnungsgrund, nämlich der besonderen Dringlichkeit des Rechtsschutzbegehrens. Die Regelungsanordnung dient zur "Abwendung" wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung gegenwärtiger - akuter - Notlagen notwendig sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 28. März 2007 - L 7 AS 1214/07 ER-B - und vom 26. Juli 2012 - L 7 SO 4596/11 ER-B - (beide juris); ferner Binder in Hk-SGG, 4. Auflage, § 86b Rdnr. 36; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Auflage, § 86b Rdnr. 35a). Es ist nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes, Angelegenheiten, die nicht dringlich sind, einer Regelung, die ohnehin nur vorläufig sein kann, zuzuführen; in derartigen Fällen ist dem Antragsteller vielmehr ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zumutbar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 22. Oktober 2013 - L 7 SO 3463/13 ER-B - und vom 24. Juni 2015 - L 7 SO 2275/15 ER-B - (beide n.v.)) fehlt es regelmäßig am Anordnungsgrund, wenn der Antragsteller eine ihm nach § 91 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) darlehensweise angebotene Leistung ablehnt, obwohl ihm die Inanspruchnahme einer Darlehensleistung zuzumuten ist (vgl. auch Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Februar 2008 - L 2 SO 233/08 ER-B - (juris Rdnr. 12); LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. April 2006 - L 23 B 19/06 SO ER - (juris Rdnr. 21); Bayerisches LSG, Beschluss vom 6. Mai 2009 - L 8 SO 45/09 B ER - (juris Rdnrn. 25 f.); LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6. August 2015 - L 8 SO 24/15 B ER - (juris Rdnr. 24); Mecke in jurisPK-SGB XII, § 91 Rdnr. 9 (Stand: 01.02.2016); Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage, § 91 Rdnr. 17).

Letzteres ist auch hier der Fall. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller (geb. 1951) auf dessen im Juni 2016 für die Zeit ab 1. August 2016 gestellten Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 ff. SGB XII) mit Schreiben vom 1. August 2016 mitgeteilt, dass mit Blick auf die im Alleineigentum der Ehefrau des Klägers (M. B., geb. 1955) stehende, von beiden gemeinsam bewohnte Wohnung in R. (Baujahr 1973, Wohnfläche 105 m²) eine Hilfeleistung lediglich in Form eines Darlehens in Frage komme und auch dies nur unter der Voraussetzung, dass eine Grundschuld auf das Wohneigentum der Ehefrau im Grundbuch eingetragen werde, weil die Wohnung im Hinblick auf die vorgelegte Immobilien-Wertauskunft vom 17. Juni 2016 (dort ermittelter Marktwert 228.000,00 Euro) die Vermögensschongrenze für selbstgenutztes Wohneigentum deutlich übersteige. All dies hatte der Antragsgegner dem Antragsteller bereits zuvor (vgl. Gesprächsnotiz vom 28. Juli 2016) auch fernmündlich erläutert. Darauf wollte der Antragsteller sich jedoch schon vor Ergehen des (mittlerweile mit dem Rechtsbehelf des Widerspruchs angefochtenen) Ablehnungsbescheids vom 11. August 2016 nicht einlassen, weil es sich bei der Eigentumswohnung seiner Ehefrau seiner Ansicht nach um nicht anrechenbares Schonvermögen handele. Hierbei ist er (ebenso wie offenbar die Ehefrau) auch noch während des vorliegenden Beschwerdeverfahrens verblieben (vgl. sein Schreiben vom 22. August 2016). Er hat sich damit weiterhin der Möglichkeit einer darlehensweisen Erbringung der Grundsicherungsleistungen gegen eine dingliche Sicherung verschlossen, obwohl ihm zuvor mit richterlicher Verfügung vom 18. August 2016 erneut die Voraussetzungen für die Schonung selbstgenutzten Wohneigentums im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII dargestellt und ihm - wie schon das SG im angefochtenen Beschluss - angeraten worden war, dem Angebot des Antragsgegners näherzutreten. Auf die nochmalige richterliche Verfügung vom 24. August 2016 hat der Antragsteller im Übrigen überhaupt nicht mehr reagiert.

Gründe sind nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), die es unzumutbar erscheinen ließen, die Klärung in einem von ihm selbst angestrebten Hauptsacheverfahren abzuwarten, ob der Antragsgegner die zuschussweise Bewilligung von Grundsicherungsleistungen wegen einzusetzenden Vermögens ablehnen durfte. Ebenso wenig ist eine Unzumutbarkeit hinsichtlich der vom Antragsgegner unter der Voraussetzung der Hingabe einer Sicherheit angebotenen Darlehensleistung erkennbar. Nach § 91 Satz 1 SGB XII soll, soweit für den Bedarf der nachfragenden Person Vermögen einzusetzen ist, jedoch der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder für die, die es einzusetzen hat, ein Härte bedeuten würde, die Sozialhilfe als Darlehen geleistet werden. Die Vorschrift bietet dem Sozialhilfeträger die Möglichkeit, trotz vorhandenen Einkommens und Vermögens flexibel auf einen Hilfefall zu reagieren (Senatsbeschlüsse vom 22. Oktober 2013 und 24. Juni 2015 a.a.O.). Der Sozialhilfeträger kann die darlehensweise Leistungserbringung nach § 91 Satz 2 SGB XII ferner davon abhängig machen, dass der Anspruch auf Rückzahlung dinglich oder in anderer Weise gesichert wird. Dazu ist im Rahmen des § 938 Abs. 1 ZPO im Übrigen auch das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes befugt (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 29. Januar 2007 - L 7 SO 5672/06 ER-B - (juris Rdnrn. 5 und 7)). Nachteile durch die vom Antragsgegner geforderte Sicherheitsleistung (Bestellung einer Grundschuld an dem Wohneigentum der Ehefrau des Antragstellers) sind nicht erkennbar und vom Antragsteller auch nicht aufgezeigt. Sollte sich in einem Hauptsacheverfahren herausstellen, dass diesem ein Grundsicherungsanspruch - zuschussweise - zusteht, wäre der Antragsgegner auf Verlangen und mit Zustimmung der Ehefrau des Antragstellers verpflichtet, in die Löschung der Grundschuld einzuwilligen (vgl. § 1192 Abs. 1 i.V.m. § 1183, §§ 875 Abs. 1, 876 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 27 Satz 1 der Grundbuchordnung).

Darüber hinaus erscheint hinsichtlich des Eilbegehrens auch ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Bereits in der richterlichen Verfügung vom 18. August 2016 ist der Antragsteller unter Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung darauf hingewiesen worden, dass die von ihm und seiner Ehefrau bewohnte Eigentumswohnung in R. mit einer Wohnfläche von 105 m² die Angemessenheitsgrenze des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII deutlich überschritten haben dürfte, weil bei einem Zwei-Personen-Haushalt der Grenzwert regelmäßig lediglich bei 80 m² anzunehmen ist (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 - BSGE 97, 203 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 3 (jeweils Rdnr. 22); BSG, Urteil vom 23. August 2013 - B 8 SO 24/11 R - (juris Rdnr. 29)). Dass die Eigentumswohnung, die die vorgenannte Grenze von 80 m² um 25 m² (also um fast ein Drittel) übersteigt, ausnahmsweise angemessen und damit geschütztes Vermögen darstelle, ist vom Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Der mit dessen Schreiben vom 22. August 2016 vorgelegte Arztbrief des Facharztes für diagnostische Radiologie Dr. W. datiert vom 5. Juni 2013; er gibt sonach keine aktuellen Befunde wider. Ungeachtet dessen ist der dortigen zusammenfassenden Beurteilung des Computertomogramms der Lendenwirbelsäule vom 4. Juni 2013 ("Kräftige Bandscheibendegenerationen von LW3 bis SW1 mit erheblicher Höhenminderung, am lumbosakralen Übergang mit Osteochondrose. Zirkuläre deutliche Bandscheibenprotrusion bei LW4/5 mit akzentuiertem Anteil nach links und denkbarer Irritation der Wurzel L5 der linken Seite, auch am lumbosakralen Übergang Vorwölbung der Bandscheibe betont nach links mit zumindest denkbarer S1-Irritation eben dort. Kräftig Gefäßkalk") ein ausreichender Grund, vorliegend hinsichtlich der Wohnungsgröße vom Durchschnittsfall abzuweichen, nicht zu entnehmen. Das Vorbringen des Antragstellers im Schreiben vom 22. August 2016, in naher Zukunft eine Bewegungshilfe (Rollstuhl) zu benötigen, ist jedenfalls durch den Arztbrief des Dr. W. vom 5. Juni 2013 nicht zu belegen. Gleiches gilt für die vom Antragsteller herangezogene Härteregelung in § 90 Abs. 3 SGB XII. Auch insoweit fehlt es an einer Glaubhaftmachung; Härtegründe sind auch sonst nicht erkennbar. Dass die vom Antragsteller und seiner Ehefrau genutzte Wohnung in deren Alleineigentum steht, ändert an der durch den Gesetzgeber vorgegebenen - verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. BVerfGE 87, 234ff.; auch BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 - 1 BvR 371/11 - (juris Rdnr. 39)) - Berücksichtigung dieses Vermögensgegenstandes beim Antragsteller nichts. Das ergibt sich aus § 19 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII; darauf, dass auch das Vermögen des Ehegatten in Ansatz zu bringen ist, ist der Antragsteller bereits in der vorbezeichneten Verfügung vom 18. August 2016 hingewiesen worden. Ein vom Antragsteller und dessen Ehefrau gegen das Jobcenter des Antragsgegners mit Blick auf dessen Aufhebungsbescheid vom 23. August 2016 beim SG angestrebter einstweiliger Rechtsschutz ist im Übrigen mit Beschluss vom 6. September 2016 (S 7 AS 2692/16 ER) erfolglos geblieben.

Nach alledem bedarf der Antragsteller zur Beseitigung der behaupteten aktuellen Notlage im vorliegenden Verfahren keines gerichtlichen Eilrechtsschutzes. Vielmehr ist dem Antragsteller ein Abwarten des von ihm offensichtlich angestrebten Hauptsacheverfahrens zumutbar, im dem im Wege der Gesamtbetrachtung und unter Abwägung aller in § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII angeführten personen-, sach- und wertbezogenen Kriterien die Angemessenheit im Einzelfall abschließend zu beurteilen sein wird (vgl. BSG SozR 4-3500 § 90 Nr. 7 (Rdnr. 16)).

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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