L 5 KA 485/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 KA 1378/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 485/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.11.2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 48.073,59 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des vertragsärztlichen Honorars in den Quartalen II/2009, III/2009 und IV/2009.

Die Klägerin ist als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Trägerin des seit dem Quartal IV/2007 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) O. E., in dem in den Quartalen II/2009 bis IV/2009 neben der angestellten Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Neurologie und Psychiatrie Dr. V. (Anrechnungsfaktor 1,0) auch die angestellten Fachärzte für Chirurgie und Unfallchirurgie H. (ab 01.04.2009 Anrechnungsfaktor 0,75) und Dr. A. (Anrechnungsfaktor 0,25) tätig waren.

Die Beklagte wies dem MVZ ein jeweils auf Grundlage der Fallzahl des entsprechenden Vorjahresquartals ermitteltes Regelleistungsvolumen (RLV) in Höhe von 19.258,86 Euro für das Quartal II/2009 (Bescheid vom 26.03.2009), in Höhe von 21.937,70 Euro für das Quartal III/2009 (Bescheid vom 24.06.2009) und in Höhe von 19.187,31 Euro für das Quartal IV/2009 (Bescheid vom 21.09.2009) zu. Hiergegen erhob die Klägerin am 04.05.2009, 25.02.2010 und 17.05.2010 Widerspruch und begehrte die Zuweisung eines höheren RLV.

Am 14.10.2009 beantragte die Klägerin die Erhöhung des RLV und die Vergütung der Leistungen über das RLV hinaus mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Abstaffelung gemäß Teil B § 10 Nr. 1 bzw. Abs. 1 der ab 01.01.2009 bzw. 01.07.2009 gültigen Honorarverteilungs- und Vergütungsvereinbarung (HVV) seien erfüllt, weil sich die Fallzahl des MVZ aufgrund von Veränderungen in der vertragsärztlichen Versorgung außergewöhnlich stark erhöht habe. Mit Ausnahme eines Arztes, dessen Ermächtigung zur Erbringung und Abrechnung chirurgischer und radiologischer Leistungen mit Ablauf des 30.09.2008 jedoch auf die Grundpauschalen beschränkt worden sei, seien in E. und Umgebung keine weiteren vertragsärztlich tätigen Chirurgen niedergelassen. Außerdem sei mit Ablauf des 31.12.2008 Dr. A.s Ermächtigung zur Erbringung radiologischer Leistungen erloschen. Die bisher von den genannten Ermächtigungen abgedeckten chirurgischen und radiologischen Fälle seien deshalb jedenfalls seit dem 01.01.2009 im MVZ behandelt worden. Unabhängig davon habe die Schließung des Städtischen Krankenhauses in H. im Quartal IV/2008 und der Wechsel des vormaligen Leiters der dortigen chirurgischen Abteilung H. in das MVZ bei diesem zu einer Vielzahl neuer Patienten aus dem Einzugsbereich H. im unmittelbar anschließenden Planungsbereich E. geführt. Da die vertragsärztliche Versorgung auf chirurgischem und radiologischem Fachgebiet seit dem 01.01.2009 fast ausschließlich durch das MVZ sichergestellt werde, sei es zu einer erheblichen Fallzahlsteigerung gekommen, welche die Vergütung der Leistungen des MVZ über das RLV hinaus mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung rechtfertige.

Mit Bescheid vom 01.12.2009 verfügte die Beklagte, dass das arztbezogene RLV der Chirurgen H. und Dr. A. in den Quartalen I/2009 bis IV/2009 auf Grundlage der in diesen Quartalen tatsächlich abgerechneten RLV-relevanten Fallzahl vorgenommen wird. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass für diese Zeit eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten im Sinne von Teil F, Ziffer 3.4 des Beschlusses des Erweiterten Bewertungs-ausschusses (EBewA) vom 27./28.08.2008 und Teil B § 10 Abs. 1 HVV anzuerkennen sei. Zugleich lehnte die Beklagte eine darüber hinausgehende Ausnahme von der fallzahlabhängigen Abstaffelung ab und wies das MVZ darauf hin, dass es deshalb aufgrund der bestehenden Anrechnungsfaktoren der Chirurgen H. und Dr. A. bei hohen Behandlungsfallzahlen zu Fallwertreduzierungen kommen könne. Dem Bescheid vom 01.12.2009 war folgende Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt: "Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Bezirksdirektion St., A., St., Widerspruch erhoben werden." Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom 01.12.2009 keinen Widerspruch.

Bei der Festsetzung der vertragsärztlichen Vergütung für die Quartale II/2009 bis IV/2009 berücksichtigte die Beklagte ein RLV in Höhe von 36.568,54 Euro für das Quartal II/2009 (Honorarbescheid vom 14.12.2009), in Höhe von 39.252,44 Euro für das Quartal III/2009 (Honorarbescheid 15.01.2010) und in Höhe von 36.818,80 Euro für das Quartal IV/2009 (Honorarbescheid 16.04.2010). Die das jeweilige RLV überschreitenden Leistungsanforderungen in Höhe von 17.459,94 Euro (Quartal II/2009), 21.568,61 Euro (Quartal III/2009) und 16.260 Euro (Quartal IV/2009) wurden abgestaffelt in Höhe von 1.849,01 Euro (Quartal II/2009), 3.118,82 Euro (Quartal III/2009) und 2.247,13 Euro (Quartal IV/2009) vergütet. In keinem der drei Quartale wurde zuletzt ein Konvergenzabzug verfügt. Vielmehr wurde dem MVZ für das Quartal III/2009 eine konvergenzbedingte Ausgleichszahlung in Höhe von zuletzt 3.150,56 Euro gewährt.

Gegen die Honorarbescheide der Quartale II/2009, III/2009 und IV/2009 erhob die Klägerin am 13.01.2010, 25.02.2010 und 17.05.2010 Widerspruch. Die Beklagte wies die Widersprüche gegen die RLV-Zuweisungsbescheide und gegen die Honorarbescheide für die Quartale II/2009, III/2009 und IV/2009 mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.2010 (richtig: 2011) als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass gemäß Teil B § 10 Abs. 1 HVV keine Ausnahme von der fallzahlabhängigen Abstaffelung des arztgruppenspezifischen Fallwertes möglich sei. Aufgrund der in Teil B § 10 Abs. 3 HVV enthaltenen Regelungsbefugnis ("Das Nähere regelt die KVBW") habe sie die in Teil B § 10 Abs. 1 und 2 HVV enthaltenen Vorschriften dahingehend ausgestaltet, dass bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der Versicherten gegenüber dem entsprechenden Vorjahresquartal anstelle der Fallzahl dieses Aufsatzquartals die tatsächlich abgerechnete RLV-relevante Fallzahl bei der Ermittlung des arztbezogenen RLV zugrunde gelegt werden könne. Eine weitergehende Ausnahme auch von der nach Teil B § 6 HVV fallzahlabhängigen Abstaffelung erfolge nicht. Diese könne auch nicht damit begründet werden, dass die vertragsärztliche Versorgung auf chirurgischem und radiologischem Fachgebiet im Raum E./H. fast ausschließlich durch das MVZ sichergestellt werde.

Hiergegen erhob die Klägerin am 04.03.2011 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Die im vorliegenden Fall anwendbare Vorschrift des Teil B § 10 Abs. 1 HVV sehe als Rechtsfolge die Vergütung von Leistungen über das RLV hinaus mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung vor. Dafür spreche nicht nur der Wortlaut von Teil B § 10 Abs. 1 HVV, sondern auch die nahezu wortgleiche Regelung in Teil F Ziffer 3.2.1 des Beschlusses des EBewA vom 27./28.08.2008 (gemeint wohl vom 22.09.2009). Es bleibe deshalb kein Raum für eine einschränkende Ausgestaltung dieser Regelung durch die Kassenärztliche Vereinigung dahingehend, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Teil B § 10 Abs. 1 HVV die tatsächliche RLV-relevante Fallzahl berücksichtigt werde, aber keine Ausnahme von der fallzahlabhängigen Abstaffelung des Fallwertes gewährt werde. Gegen die von der Beklagten vertretene einschränkende Auslegung des Teil B § 10 Abs. 1 HVV spreche auch der ab 01.07.2009 wirksame Beschluss des Bewertungsausschusses (BewA), wonach in einem von den Partnern der Gesamtverträge vereinbarten Verfahren aus Sicherstellungsgründen im Einzelfall von der abstaffelungsbedingten Minderung des Fallwertes abgewichen werden könne (Teil A Ziffer 3 des Beschlusses des BewA in seiner 180. Sitzung am 20.04.2009 und Teil F Ziffer 3.2.1 des Beschlusses des BewA in seiner 199. Sitzung am 22.09.2009). Die in Teil B § 10 Abs. 3 HVV begründete Kompetenz der Kassenärztlichen Vereinigung zur weiteren Ausgestaltung der Bestimmungen des Teil B § 10 Abs. 1 HVV stelle lediglich die Spezifizierung von Gründen, die auf der Tatbestandsseite eine Ausnahme von der Abstaffelung rechtfertigen, nicht aber die bei Erfüllung des Tatbestandes eintretende Rechtsfolge in das Ermessen der Kassenärztlichen Vereinigung.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Teil F Ziffer 3.2.1 des Beschlusses des EBewA vom 27./28.08.2008 in der im Jahr 2009 gültigen Fassung sehe keine Ausnahme von der Fallwertabstaffelung vor. Sie, die Beklagte, sei an die Vorgaben des BewA gebunden. Sie habe die Vorgaben von Teil B § 10 Abs. 1 HVV ("können mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung vergütet werden") ermessensfehlerfrei ausgestaltet, indem für die darin genannten Fälle einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten eine Ausnahme vom Aufsatzzeitraum des entsprechenden Vorjahresquartals zugelassen und eine Berücksichtigung der tatsächlichen Fallzahl des Abrechnungsquartals ermöglicht worden sei. Die Regelung des Teil B § 10 Abs. 1 HVV vermittle der Klägerin keinen Anspruch auf die Vergütung sämtlicher Leistungen zu den ungekürzten Preisen der Euro-Gebührenordnung.

Mit Urteil vom 22.11.2012 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Vergütung der in den Quartalen II/2009, III/2009 und IV/2009 abgerechneten Leistungen über das arzt- und praxisbezogene RLV hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung. Die Gewährung einer entsprechenden Ausnahme von der Abstaffelung gemäß Teil B § 10 Abs. 1 HVV sei für die Quartale II/2009, III/2009 und IV/2009 in der Sache bindend abgelehnt worden, weil der Bescheid vom 01.12.2009, gegen den die Klägerin keinen Widerspruch erhoben habe, bestandskräftig geworden sei (§ 77 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Beklagte habe mit Bescheid vom 01.12.2009 für die Quartale I/2009 bis IV/2009 das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen im Sinne von Teil B § 10 Abs. 1 HVV festgestellt und als Rechtsfolge in Übereinstimmung mit ihren Durchführungsbestimmungen die Berechnung des RLV auf Grundlage der tatsächlich eingereichten RLV-relevanten Fallzahl anerkannt und die Gewährung einer Ausnahme von der fallzahlabhängigen Abstaffelung des Fallwertes abgelehnt. Bei der Frage, ob gemäß Teil B § 10 HVV eine Ausnahme von der Abstaffelung zu gewähren sei, handele es sich um eine Vorfrage, die Auswirkungen auf die Honorarfestsetzung für mehrere Quartale habe und deshalb einer eigenständigen Klärung zugänglich sei und deshalb mit Bescheid vom 01.12.2009 isoliert durch einen Verwaltungsakt (VA) im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozial¬gesetzbuch (SGB X) habe geregelt werden können. Da die Ablehnung einer Ausnahme von der fallzahl¬abhängigen Abstaffelung des Fallwertes für die Quartale I/2009 bis IV/2009 mit Bescheid vom 01.12.2009 bestandskräftig und damit in der Sache bindend abgelehnt worden sei, komme es auf die Frage, ob der in den Durchführungsbestimmungen der Kassenärztlichen Vereinigung vorgesehene kategorische Ausschluss jeglicher Ausnahme von der fallzahlbedingten Abstaffelung des Fallwertes den Vorgaben des EBewA und des Honorarverteilungsvertrages entspreche oder rechtswidrig sei, nicht mehr entscheidungserheblich an. Ein nach Maßgabe der sozialgerichtlichen Rechtsprechung rechtswidriger Konvergenzabzug sei im Übrigen entgegen den Ausführungen beider Beteiligter in keinem der streitgegenständlichen Quartale II/2009 bis IV/2009 erfolgt. Weitere Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Honorarfestsetzung habe die Klägerin nicht erhoben.

Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 02.01.2013 mittels Empfangsbekenntnis zugestellt.

Hiergegen richtet sich die am 01.02.2013 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Berufung der Klägerin. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Abstaffelung gem. Teil B § 10 Abs. 1 der ab dem 01.01.2009 bzw. 01.07.2009 gültigen HVV seien erfüllt, weil sich die Fallzahl des MVZ O. E. der Klägerin aufgrund von Veränderungen in der vertragsärztlichen Versorgung außergewöhnlich stark erhöht hätte. Die hierauf beruhende Fallzahlsteigerung rechtfertige eine Vergütung der Leistung des MVZ O. E. über das RLV hinaus mit der Euro-Gebührenordnung. Gem. § 10 Abs. 1 HVV sei Grundlage dieser Vorgabe der Beschluss des BewA in seiner 180. Sitzung am 20.04.2009 sowie der Teil F Ziffer 3.4 des Beschlusses des EBewA vom 27./28.08.2008. Soweit die Beklagte gestützt auf § 10 Abs. 3 HVV die Auffassung vertrete, dass sie bei Vorliegen der Voraussetzung des Teil B § 10 Abs. 1 HVV eine Regelung dahingehend habe treffen dürfen, dass sie anstelle der Fallzahl des Referenzquartals die tatsächliche Fallzahl bei der Ermittlung des arztbezogenen RLV zugrunde lege, halte diese Auffassung der Überprüfung nicht stand. Die vorliegend anwendbare Vorschrift des Teil B § 10 Abs. 1 HVV sehe eindeutig die Vergütung von Leistungen über das RLV mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung vor. Zudem spreche auch der ab dem 01.07.2009 wirksame Beschluss des EBewA, wonach in einem von den Partnern der Gesamtverträge vereinbarten Verfahren aus Sicherstellungsgründen im Einzelfall von der abstaffelungsbedingten Minderung des Fallwertes abgewichen werden könne (Teil A Ziffer 3 des Beschlusses des BewA in seiner 180. Sitzung am 20.04.2009 und Teil F Ziffer 3.2.1 des Beschlusses des BewA in seiner Sitzung am 22.09.2009) dafür, dass die in Teil B § 10 Abs. 3 HVV begründete Kompetenz der Beklagten zur weiteren Ausgestaltung der Bestimmungen des Teil B § 10 Abs. 1 HVV nur eine Spezifizierung von Gründen erlaube, die auf der Tatbestandsseite eine Ausnahme von der Abstaffelung rechtfertigen würden, nicht aber die bei Erfüllung der tatbestandseintretenden Rechtsfolge in das Ermessen der Beklagten stelle. Soweit das SG in seinem Urteil die aufgeworfene Rechtsfrage dahingestellt lasse, weil der Bescheid vom 01.12.2009 bestandskräftig geworden sei, werde übersehen, dass das RLV Bestandteil des Honorarbescheides werde. Sofern dieses - wie vorliegend - nicht bestandskräftig sei, müsse dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt werden, im Rahmen eines eigenständigen Vorgehens gegen die Quartalshonorarbescheide die hierin neu bekannt gegebenen RLV anzugreifen. Die Berücksichtigung der tatsächlichen Fallzahlen führe nicht zu einer gerechten Vergütung des tatsächlich im Vergleich zum Vorjahr bestehenden höheren Fallzahlaufkommens und Leistungsvolumens. Im Übrigen seien die Widersprüche der Klägerin gegen die Honorarbescheide auch als Anträge auf Ausnahme von der fallzahlabhängigen Abstaffelung auszulegen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.11.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der RLV-Zuweisungsbescheide und der Honorarbescheide für die Quartale II/2009, III/2009 und IV/2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2011 zu verpflichten, über die Honoraransprüche der Klägerin für die Quartale II/2009, III/2009 und IV/2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das BSG habe in seinem Urteil vom 03.02.2010 (- B 6 KA 31/08 -, in juris) klargestellt, dass im Vertragsarztrecht Vorfragen, die Auswirkungen für mehrere Quartale hätten, in einem eigenständigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geklärt werden könnten. Um eine solche zulässige Vorfrage handele es sich auch bei der Frage, ob der Klägerin im Rahmen der Ermittlung des RLV für die Quartale I bis IV/2009 eine höhere Fallzahl und eine Ausnahme von der fallwertabhängigen Abstaffelung gewährt werde. Mit der Bestandskraft des Bescheids vom 01.12.2009 sei damit abschließend isoliert entschieden. Soweit sich die konkreten Auswirkungen der Entscheidung erst im Honorarbescheid zeigen würden, eröffne dies keinen zusätzlichen Rechtsweg.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Gerichtsakte erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin ist gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig.

2. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind die RLV-Zuweisungsbescheide in der Gestalt der Festsetzung des RLV in den Honorarbescheiden und die Honorarfestsetzungen für die Quartale II/2009, III/2009 und IV/2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2011. Diese Bescheide bilden den prozessualen Anspruch, nämlich das vom Kläger auf Grund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 95 Rn. 5 ff. mwN). Die Erhöhung und Neufestsetzung des RLV, die - auch - auf der Grundlage der Widersprüche gegen die ursprünglichen Zuweisungen in den Bescheiden vom 26.03.2009, 24.06.2009 und 21.09.2009 erfolgte, ist insoweit eigenständiger Bestandteil der Honorarbescheide bzw. Teilelemente der Feststellung über den Honoraranspruch und unterliegt damit im Zusammenhang mit der Überprüfung des Honoraranspruchs ebenfalls der rechtlichen Überprüfung (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.02.2016, - L 5 KA 1991/13 -, in juris). Nicht streitgegenständlich ist der Bescheid vom 01.12.2009. Dessen Aufhebung oder Abänderung macht die Klägerin im vorliegenden Verfahren nicht geltend.

3. Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres RLV (hierzu a) und keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Honorars für die Quartale II/2009, III/2009 und IV/2009 (hierzu b).

a) Das der Klägerin zugewiesene RLV verstößt nicht gegen § 87b Abs. 2 SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V; in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG] vom 26. März 2007 [BGBl I S. 378], gültig bis 31. Dezember 2011; nachfolgend: "SGB V a. F.").

Gemäß § 87b Abs. 1 S. 1 SGB V a. F. werden die vertragsärztlichen Leistungen abweichend von § 85 SGB V von der Kassenärztlichen Vereinigung auf der Grundlage der regional geltenden Euro-Gebührenordnung nach § 87a Abs. 2 SGB V vergütet. Zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Arztes und der Arztpraxis sind gemäß § 87b Abs. 2 S. 1 SGB V a. F. arzt- und praxisbezogene RLV festzulegen. Dabei definiert § 87b Abs. 2 S. 2 SGB V a. F. ein RLV nach Satz 1 als die von einem Arzt oder der Arztpraxis in einem bestimmten Zeitraum abrechenbare Menge der vertragsärztlichen Leistungen, die mit den in der Euro-Gebührenordnung gemäß § 87a Abs. 2 SGB V enthaltenen und für den Arzt oder die Arztpraxis geltenden Preisen zu vergüten ist. Abweichend von Abs. 1 S. 1 ist die das RLV überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Preisen zu vergüten; bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten kann hiervon abgewichen werden (§ 87b Abs. 2 S. 3 SGB V a. F.). Die Höhe des RLV eines Vertragsarztes ergibt sich aus der Multiplikation des zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen arztgruppenspezifischen Fallwertes und der kurativ-ambulanten Fallzahlen des Vertragsarztes im entsprechenden Vorjahresquartal (Teil B § 5 Abs. 1 Satz 2 HVV, wortgleich mit Teil F, Ziffer 3.2.1 Satz 2 des Beschlusses des EBewA in seiner 7. Sitzung am 27./28.08.2008). Der arztgruppenspezifische Fallwert wird für jeden über 150 Prozent der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der Arztgruppe hinausgehenden ambulant-kurativen Fall je nach dem Grad der Überschreitung um 25, 50 oder 75 Prozent gemindert (Teil B § 6 HVV, wortgleich Teil F, Ziffer 3.2.1 des Beschlusses des EBewA in seiner 7. Sitzung am 27./28.08.2008).

Mit Wirkung zum 01.07.2009 wurde geregelt, dass im Einzelfall aus Sicherstellungsgründen von der Minderung des Fallwertes abgewichen werden kann und sich die Partner der Gesamtverträge über das Verfahren der Umsetzung einigen (Teil A Ziffer 3 des Beschlusses des BewA in seiner 180. Sitzung am 20.04.2009, ebenso für die Zeit ab 01.01.2010 Teil F Ziffer 3.2.1 des Beschlusses des BewA in seiner 199. Sitzung am 22.09.2009). Weitere bereits seit Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums gültige Kriterien zur Ausnahme von der (fallzahlbedingten) Abstaffelung des RLV sehen Teil F Ziffer 3.4 des Beschlusses des EBewA vom 27./28.08.2008 und Teil B § 10 Abs. 1 HVV vor. Nach den Vorgaben des EBewA können auf Antrag des Arztes und nach Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung Leistungen über das arzt- und praxisbezogene RLV hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden, wobei sich die Partner der Gesamtverträge über das Verfahren der Umsetzung einigen. Auf Grundlage des Honorarverteilungsvertrages können bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten zum Beispiel aufgrund einer urlaubs- oder krankheitsbedingten Vertretung eines anderen Arztes oder der Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines anderen Arztes auf Antrag des Arztes und nach Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung Leistungen über das arzt-/praxis¬bezogene RLV hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Gemäß Teil B § 10 Abs. 3 HVV regelt das Nähere die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württem¬berg. Die Beklagte hat auf dieser Grundlage Durchführungsbestimmungen erlassen, wonach in verschiedenen Fällen einer Fallzahlsteigerung im Abrechnungsquartal im Sinne von Teil B § 10 Abs. 1 HVV keine Ausnahme von der fallzahlabhängigen Abstaffelung des Fallwertes gemacht wird, sondern &61485; im Falle der Aufgabe der Zulassung bzw. genehmigten Tätigkeit eines Arztes oder der Eröffnung einer Nebenbetriebsstätte aus Sicherstellungsgründen &61485; die tatsächlich eingereichte RLV-relevante Fallzahl zugrunde gelegt wird oder &61485; im Falle der Vertretung eines Arztes &61485; für die Hälfte der den Wert aus dem Vorjahresquartal übersteigenden Vertretungsfälle der volle RLV-Fallwert berücksichtigt wird.

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundlagen ist die Festsetzung des angegriffenen RLV nicht zu beanstanden. Soweit die Beklagte in den RLV-Zuweisungsbescheiden vom 26.03.2009, 24.06.2009 und 21.09.2009 noch nicht die begehrten Fallzahlen anerkannt hat, erfolgte mit dem Bescheid vom 01.12.2009 eine Abhilfe, wonach nunmehr die tatsächlich abgerechneten RLV-relevanten Fallzahlen bei der Bemessung des RLV zuerkannt wurden. Soweit die Klägerin darüber hinausgehend eine Ausnahme von der fallzahlabhängigen Abstaffelung begehrt, wendet sie sich nicht gegen die Regelung im RLV, sondern die Honorarfestsetzung in den streitgegenständlichen Honorarbescheiden. Hiervon geht auch § 10 HVV ausdrücklich aus, wenn dort "auf Antrag des Arztes und nach Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung Leistungen über das arzt- und praxisbezogene Regelleistungsvolumen hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden" können (Hervorhebung durch den Senat).

b) Auch die Honorarfestsetzungen der Beklagten für die streitgegenständlichen Quartale II/2009 bis IV/2009 sind nicht zu beanstanden Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung von Leistungen über das RLV hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung. Die Gewährung einer entsprechenden Ausnahme von der Abstaffelung gemäß Teil B § 10 Abs. 1 HVV ist für die Quartale II/2009, III/2009 und IV/2009 in der Sache bindend abgelehnt worden, weil der Bescheid vom 01.12.2009, gegen den die Klägerin keinen Widerspruch erhoben hat, bestandskräftig geworden ist (§ 77 SGG).

Nach der st. Rspr. des BSG ist es zulässig, dass im Vertragsarztrecht Vorfragen, die Auswirkungen für mehrere Quartale haben, in einem eigenen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren - losgelöst von der Anfechtung eines konkreten Honorarbescheids - mittels VA (§ 31 SGB X) geklärt werden (BSG, Urteil vom 03.02.2010, - B 6 KA 31/08 R- ; BSG, Beschluss vom 17.08.2011, - B 6 KA 30/11 B -; BSG, Urteil vom 08.02.2012 - B 6 KA 14/11 R -, alle in juris). Dafür ist jedenfalls so lange Raum, als die den betroffenen Zeitraum betreffenden Quartalshonorarbescheide noch nicht bestandskräftig sind. Letztere Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Über die Vorfragen, nämlich die Erhöhung des RLV und Vergütung mit den Preisen der Euro-Gebührenordnung, hat die Beklagte entschieden. Sie hat mit Bescheid vom 01.12.2009 anerkannt, dass "die Berechnung des arztbezogenen RLV von Dr. A. und Arzt H. in den Quartalen I/2009 bis IV/2009 auf Basis der von ihnen tatsächlich abgerechneten RLV-relevanten Fallzahl" vorgenommen wird. Als weitere Regelung hat die Beklagte "eine Ausnahme von der fallzahlabhängigen Abstaffelung" abgelehnt. Es könne daher "aufgrund der bestehenden Anrechnungs¬faktoren von Dr. A. und Arzt H. bei hohen Behandlungsfallzahlen zu Fallwert-reduzierungen kommen". Die Beklagte hat damit für die Quartale I/2009 bis IV/2009 das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen im Sinne von Teil B § 10 Abs. 1 HVV festgestellt und als Rechtsfolge in Übereinstimmung mit ihren Durchführungsbestimmungen die Berechnung des RLV auf Grundlage der tatsächlich eingereichten RLV-relevanten Fallzahl anerkannt und insbesondere die Gewährung einer Ausnahme von der fallzahlabhängigen Abstaffelung des Fallwertes abgelehnt. Bei der Frage, ob gemäß Teil B § 10 HVV eine Ausnahme von der Abstaffelung zu gewähren ist, handelt es sich um eine Vorfrage, die Auswirkungen auf die Honorarfestsetzung für mehrere Quartale hat und deshalb einer eigenständigen Klärung zugänglich ist.

Die Ablehnung der Abstaffelung ist aufgrund der ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung nach Ablauf der Widerspruchsfrist auch bindend geworden (§ 77 SGG), da die Klägerin hiergegen keinen Widerspruch eingelegt hat. Der Bescheid wurde auch nicht Gegenstand der anhängigen Widerspruchsverfahren gegen die Festsetzung des RLV gem. § 86 SGG. Gem. § 86 SGG muss der neue VA den im Widerspruch angefochtenen VA abändern. Ob eine Änderung vorliegt, richtet sich nach dem Regelungsgehalt einerseits des ersten Bescheids und andererseits des Folgebescheids. Wird ein VA durch einen teilbaren VA abgeändert, so wird nur der ersetzende Teil des VA Gegenstand des Widerspruchsverfahrens (vgl. Leitherer, in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 11. A., § 96 Rn 4a). Wie bereits zuvor ausgeführt, enthält der Bescheid vom 01.12.2009 zwei Regelungen. Die Anerkennung der tatsächlich abgerechneten RLV-relevanten Fallzahl betrifft unmittelbar die Regelung der angefochtenen RLV-Zuweisungsbescheide und wurde insoweit Bestandteil des Widerspruchsverfahrens. Die Frage der Abstaffelung betrifft demgegenüber nicht die RLV-Zuweisung, sondern die spätere Honorarabrechnung, weshalb die Ablehnung der Abstaffelung nicht gem. § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens wurde. In den Widersprüchen der Klägerin gegen die Honorarbescheide ist nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut auch kein neuer Antrag auf Ausnahme von der Abstaffelung zu sehen. Schließlich ist in den Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid auch keine erneute Entscheidung über die Ablehnung der Abstaffelung zu sehen, die durch die Klageerhebung konkludent mit angefochten wurde. Diese vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung geäußerte Einschätzung übersieht, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid auf den Bescheid vom 01.12.2009 ausdrücklich Bezug nimmt und auf die hierin getroffene Regelung verweist. Auch die sich anschließende wiederholende Erläuterung des Bescheides macht insoweit deutlich, dass die Beklagte in keine erneute Sachprüfung eingetreten ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor ( 160 Abs. 2 SGG).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
Rechtskraft
Aus
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