L 8 SB 379/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SB 430/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 379/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.11.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem seit Sommer 2015 in Serbien wohnenden Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf (Erst-)Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) zusteht.

Der 1971 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger, beantragte am 02.04.2014 beim Landratsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises (LRA) die Feststellung des GdB (Blatt 2/5 der Beklagtenakte). Zu seinem Antrag verwies er auf Kopfschmerzen, Schwindel, Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Wirbelsäulenbeschwerden und Fußbeschwerden.

Das LRA zog von Dr. G., praktischer Arzt, eine Befundbeschreibung bei, der unter Vorlage von ärztlichen Berichten angab, es handele sich um ein chronisch rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom mit Wurzelirritation, Kopfschmerz mit Migränesyndrom, Atembeschwerden bei Zustand nach Schadstoff-Exposition mit Tetrachlorethylen sowie um eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik (Blatt 8 der Beklagtenakte). Der Versorgungsarzt Dr. Z. schätzte den GdB auf weniger als 10 ein; eine messbare Behinderung liege nicht vor (Blatt 32/33 der Beklagtenakte).

Mit Bescheid vom 05.08.2014 (Blatt 34/35 der Beklagtenakte) lehnte das LRA die Feststellung eines GdB ab. Hiergegen erhob der Kläger am 15.09.2014 Widerspruch, da sein körperlicher, geistiger und seelischer Zustand länger als sechs Monate beeinträchtigt sei (Blatt 37 der Beklagtenakte). Nachdem der Versorgungsarzt Dr. Z. in seiner Stellungnahme vom 09.12.2014 (Blatt 38 der Beklagtenakte) an seiner GdB-Einschätzung festhielt, wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2015 (Blatt 39/40 der Beklagtenakte) zurück.

Am 19.02.2015 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Reutlingen Klage erhoben, die er nicht näher begründet hat. Während des Klageverfahrens verzog der Kläger nach Serbien (vgl. Behördenauskunft vom 01.09.2015, Blatt 16 der SG-Akte). Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.11.2015 abgewiesen; es lägen keine Gesundheitsstörungen vor, die einen GdB von mindestens 20 rechtfertigten.

Gegen den ihm mit Einschreiben/Rückschein am 14.12.2015 (Blatt 26 der SG-Akte) zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.01.2016 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Er könne nicht akzeptieren, dass seine Gesundheit und die direkten Folgen nicht in Verbindung mit der Vergiftung durch Perchlorethylen am Arbeitsplatz im Jahr 2009 erkannt würden. Die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr, 1302 BKV werde nicht berücksichtigt. Seine gesundheitliche Lage habe sich verschlimmert, er habe starken Schwindel und Kopfschmerzen, die auf seine Lebensqualität Einfluss hätten.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.11.2015 sowie den Bescheid vom 05.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.01.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm Schwerbehinderteneigenschaft, mithin einen GdB von 50 seit 02.04.2014 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 27.04.2016 (Blatt 13, 15/17 der Senatsakte) mitgeteilt, noch immer habe er Symptome und Folgeschäden. Aus diesem Grund lebe er nicht in Deutschland und suche nach Lösungen die ihn wieder in ein normales Leben zurückführen könnten. Er lebe auf Kosten von Familienmitgliedern. Er hoffe, schnellstmöglich wieder auf die Beine zu kommen und Arbeiten zu können. In Zukunft werde er leider mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausüben zu können, da er sich dafür absolut nicht in der Lage fühle. Er würde sich nicht wünschen, aus gesundheitlichen Gründen sich oder Arbeitskollegen am Arbeitsplatz in Gefahr zu bringen. Daher habe er das menschliche Recht und die Pflicht einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Mit Schreiben vom 17.06.2016 (Blatt 20/36 der Senatsakte) hat der Kläger verschiedene Unterlagen vorgelegt und angegeben, täglich in Kontakt mit dem schädlichem Stoff gekommen zu sein.

Der Senat hat mit Schreiben vom 05.07.2016 (Blatt 44 der Senatsakte) unter Hinweis auf die Rechtsfolgen dem Kläger aufgegeben, bis 15.08.2016 einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen und darauf hingewiesen, dass das mit Klage und die Berufung verfolgte Begehren unzulässig geworden sein dürfte, da bei einem Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ein unmittelbares, in der Bundesrepublik Deutschland bestehendes, rechtlich geschütztes Interesse an der Feststellung eines GdB nicht vorliegen dürfte.

Der Kläger hat hierzu mit Schreiben vom 11.08.2016 Stellung genommen. Leider habe er nicht die Möglichkeit einen Zustellungsbevollmächtigen zu bestellen. Bislang seien alle Schreiben an die Serbische Adresse relativ schnell zugestellt worden. Der Wohnsitz sei im Ausland da er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei zu arbeiten. Somit sei es für seine Familie und ihn finanziell unmöglich ein Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Die gesundheitlichen Schäden seien in einer Firma in der Bundesrepublik Deutschland zugefügt worden, somit sehe er keinen Grund warum er kein Recht auf die Feststellung eines GdB haben dürfe. Wäre es nicht zu dem Vorfall in der Firma gekommen in der seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt worden sei, würde sein Wohnsitz heute mit Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland sein.

Auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 24.10.2016 vom 07.09.2016 hat der Kläger am 27.09.2016 (Blatt 51 der Senatsakte) telefonisch mitgeteilt, den Termin persönlich wahrnehmen zu wollen, die Anreise sei ihm aus finanziellen Gründen eventuell nicht möglich. Zuletzt hatte sich der Kläger mit Schreiben vom 14.10.2016, beim LSG eingegangen am 24.10.2016, geäußert (Blatt 52 der Senatsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig aber unbegründet.

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 24.10.2016 verhandeln und entscheiden. Die Ladung war den Beteiligten ordnungsgemäß bekannt gegeben worden; auch der Kläger hat die Terminsladung erhalten, wie sich aus seinem Anruf vom 27.09.2016 und seinem Schreiben vom 14.10.2016 ergibt. Mit der Terminsladung war darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens entschieden werden kann (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die persönliche Anwesenheit des Klägers war auch nicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts erforderlich. Der Beklagte hat über seinen Sitzungsvertreter am Terminstag erklären lassen, dass zu diesem Rechtsstreit kein Vertreter zur mündlichen Verhandlung entsandt wird.

Dem Kläger war auch nicht im Rahmen einer Gewährung von Prozesskostenhilfe (§ 73 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO) die Anreise zum Termin zu ermöglichen, da dies voraussetzen würde, dass die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte. Das ist vorliegend aber nicht gegeben (dazu siehe unten). Auch war dem Kläger nicht im Rahmen eines an sozialhilferechtlichen Grundsätzen orientierten prozessualen Anspruchs die Anreise zum Termin zu ermöglichen. Einen solchen Antrag hat der Kläger nicht gestellt. Insbesondere hat der Senat das telefonische Vorbringen des Klägers vom 27.09.2016 nicht im Sinne eines Antrages verstanden, vielmehr als Hinweis darauf, nicht zum Termin erscheinen zu können. Im Übrigen wäre ein solcher Anspruch begrenzt auf Personen, die ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben oder sonst aufgrund der Regelungen des SGB XII nach § 23 bzw. § 24 SGB XII Anspruch auf Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer bzw. auf Sozialhilfe für Deutsche im Ausland haben. Das ist beim Kläger aber nicht der Fall.

In der Sache ist die Berufung unbegründet, denn das mit der Klage und der Berufung verfolgte Begehren auf (Erst-)Feststellung eines GdB ist unzulässig geworden. Der Kläger verfügt nicht über einen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland und auch nicht über ein unmittelbares, in der Bundesrepublik Deutschland bestehendes, rechtlich geschütztes Interesse an der Feststellung eines GdB.

Maßstab für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, mithin eines GdB von 50, ist zunächst § 69 SGB IX. Insoweit stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Bei im Ausland lebenden behinderten Menschen ist auf Antrag der GdB festzustellen, wenn davon in Deutschland Vergünstigungen abhängen, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen (BSG 07.04.2011 – B 9 SB 3/10 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 13 = SozR 4-3875 § 6 Nr. 1 = juris unter Hinweis auf BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 5; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr. 6; BSG 29.04.2010 - B 9 SB 1/10 R - SozialVerw 2011, 11 = juris). Ein im Ausland lebender Behinderter kann das Feststellungsverfahren nach § 69 SGB IX nur zur Ermöglichung konkreter inländischer Rechtsvorteile in Anspruch nehmen. Die Durchbrechung des Territorialitätsprinzips (§ 30 Abs. 1 i.V.m. § 37 Satz 1 SGB I) ist nur gerechtfertigt, wenn ihm trotz seines ausländischen Wohnsitzes aus der Feststellung seines GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können (BSG 07.04.2011 – B 9 SB 3/10 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 13 = SozR 4-3875 § 6 Nr. 1 = juris). Das BSG hat als entsprechenden Vorteil die Möglichkeit der Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente für schwerbehinderte Menschen anerkannt (BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 5; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr. 6). Auch steuerrechtliche Vergünstigungen können einen solchen Vorteil begründen (LSG Baden-Württemberg 11.02.2015 – L 3 SB 1887/14 - n.v.).

Das Bestehen solcher Vorteile/Vergünstigungen in der Bundesrepublik Deutschland konnte der Kläger nicht glaubhaft machen und der Senat nicht feststellen. Angesichts des Geburtsjahrgangs 1971 kommt die Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Schwerbehinderung in absehbarer Zeit nicht in Betracht. Auch steuerrechtliche Vorteile hat der Kläger nicht angegeben. Er hat vielmehr das Interesse an der Feststellung des GdB damit begründet, wieder in der Bundesrepu-blik Deutschland arbeiten zu wollen und dann weder sich noch seine Arbeitskollegen gefährden zu wollen. Dieser Wunsch bzw. der dahinter steckende Gedanke eines behinderungsbedingt begünstigten Zugangs zum deutschen Arbeitsmarkt ist zwar nachvollziehbar, seine zukünftige Realisierung ist aber auch nach Angaben des Klägers wegen der vom Kläger angegebenen Gesundheitsstörungen im Ungewissen. Daher kann vorbereitend insoweit kein rechtlich berechtigtes Interesse an der Feststellung des GdB bestehen. Denn es ist ungewiss, ob und wann der Kläger wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren wird und ob dann – selbst bei jetzt festgestellter Schwerbehinderung – noch immer die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft vorliegen. Auch das angegebene Interesse einer Verfolgung des Arbeitgebers oder eines sonstigen Verursachers der angegebenen Gesundheitsstörungen/Vergiftungen berechtigt nicht zur Feststellung eines GdB. Denn Ansprüche bzw. Verfahren, die der Kläger allenfalls zivil-, arbeits- oder strafrechtlich verfolgen kann, sind von der Feststellung eines GdB nicht abhängig. Auch soweit der Kläger zuletzt auf aus seiner Sicht unzureichende Untersuchungen der BG verwiesen hat, muss er etwaige Ansprüche dort verfolgen. Dies begründet aber kein rechtlich geschütztes Interesse an der vorliegend streitigen Feststellung.

Mithin konnte der Senat nicht feststellen, dass ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, mithin an der Feststellung eines GdB von 50 vorliegt bzw. glaubhaft gemacht ist. So konnte weder der Kläger darlegen noch der Senat feststellen, dass dem Kläger trotz seines ausländischen Wohnsitzes aus der Feststellung seines GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können, was das SG bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hatte.

Auch folgt ein solcher Feststellungsanspruch nicht aus dem Recht der EU und auch nicht aus den deutsch-serbischen bzw. deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen.

Damit ist die Berufung des Klägers unbegründet.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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