L 10 U 3092/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 U 77/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3092/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11.07.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung diverser Gesundheitsbeschwerden des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) bzw. als Wie-BK streitig.

Der am 1961 geborene Kläger arbeitete nach seiner Ausbildung zum Bäcker (1976 bis 1979) bis 1981 im erlernten Beruf. Im Anschluss an den nachgeholten Realschulabschluss arbeitete er von November 1983 bis August 1986 bei der Firma G. in E. als Helfer im Technikum (Ansetzen von Mazerationssäure, Mazeration von Knochenschrot und Tätigkeiten an einer Membranfilteranlage, vgl. Bl. 77 f. SG-Akte) und von Februar 1987 bis zu einem Arbeitsunfall im August 2010 erneut bei der Firma G. in der Produktion als Sortierer von Blattgelatine (im Bereich des Blatttrockners im Erdgeschoss mit der Überwachung des Schneidwerks, dem Aussortieren fehlerhafter Blattgelatine und dem Verpacken fehlerfreier Blattgelatine betraut, vgl. Bl. 194 Verwaltungsakte - VA -) beschäftigt. Seither ist der Kläger arbeitsunfähig.

Auf Grund einer ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit des Nervenarztes Dr. B. vom April 2011 (Diagnose u.a. Polyneuropathie, vgl. Bl. 3 VA, basierend auf handschuh- und sockenförmiger Hypästhesie und Hyperpathie, vgl. Befundbericht des Dr. B. vom März 2011, Bl. 5 VA) zog die Beklagte u.a. das im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom August 2010 eingeholte Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. (neurologischer Untersuchungsbefund - mit Ausnahme der Angabe von wechselnden Doppelbildern und deutlichen Verdeutlichungstendenzen bei Demonstration des Gangbildes - unauffällig; Diagnose: Konversionsstörung auf dem Boden einer primär erhöhten psychischen Vulnerabilität ohne Ursachenzusammenhang mit dem Unfallereignis vom August 2010, vgl. Bl. 205 ff. VA) bei, holte eine Auskunft der Firma G. vom August 2011 (im Rahmen der Tätigkeit als Sortierer sei kein Umgang mit organischen Lösungsmitteln oder deren Gemische erfolgt; ebenso wenig im Rahmen von Reinigungsarbeiten im Jahr 2009; für die Reinigungsarbeiten im Jahr 2010 sei der Kläger zwar eingeteilt gewesen, wegen seines Arbeitsunfalles aber nicht eingesetzt worden, vgl. Bl. 194 f. VA), des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. B. (hausärztliche Betreuung seit 1989, in den ersten Jahren vorwiegend Beschwerden von Seiten des knöchernen Bewegungsapparates, seit Juli 2005 zunehmender Tinnitus sowie Minderung der Häufigkeit beruflicher Lärmbelastung, seit März 2005 zunehmende vasomotorische Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und zunehmende Schlafstörungen, seit einem Unfall im August 2010 Verschlimmerung des Tinnitus, der Lärmempfindlichkeit sowie neu aufgetretener Schwankschwindel, vgl. Bl. 193 VA) und ihres Präventionsdienstes vom September 2011 (kein Kontakt des Kläger zu organischen Lösungsmitteln oder deren Gemische im Rahmen seiner ab Februar 1987 ausgeübten Tätigkeit, vgl. Bl. 194 f. VA) ein und lehnte - entsprechend der Stellungnahme der Staatlichen Gewerbeärztin E. , die eine Exposition des Klägers gegenüber organischen Lösungsmitteln und anderen gesundheitsschädlichen Arbeitsstoffen vereinte (vgl. Bl. 198 VA) - die Anerkennung der geltend gemachten diversen Beschwerden (Polyneuropathie, Muskelerkrankung, Depression, Wortfindungsstörung, Konzentrationsstörungen, Leseschwierigkeiten, Übelkeit, u.s.w.) als BK, insbesondere als BK Nr. 1317, und als Wie-BK sowie Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit Bescheid vom 07.10.2011 und Widerspruchsbescheid vom 06.12.2011 ab.

Hiergegen hat der Kläger am 05.01.2012 Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben und eine Exposition bei der Firma G. gegenüber Spezialreinigungsmitteln, Säuren, Laugen und Lithiumchlorid und als Folge dieser Exposition Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen geltend gemacht.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat einen Bericht ihres technischen Aufsichtsdienstes über die Ermittlung und Beurteilung von Lithiumverbindungen in der Luft des Bereichs Blatttrockner der Fa. G. vom September 2013 vorgelegt, wonach die Messungen des TÜV S. im Februar 2013 einen Schichtmittelwert für Lithium und seine Verbindungen von weniger als 0,0001 mg/m³ ergeben haben. Hinsichtlich der Einzelheiten der Messungen wird Bezug genommen auf Bl. 44 ff. SG-Akte. Auf Grund von Einwendungen des Klägers gegen die bisherigen Ermittlungen der Beklagten (seine Tätigkeit im Technikum der Firma G. von November 1983 bis August 1986 sei bisher nicht berücksichtigt; zu Beginn seiner Tätigkeit als Sortierer sei zusätzlich Lithiumchromat verwendet worden, die Messungen seien an einer falschen Stelle erfolgt) hat die Beklagte einen weiteren Bericht der Präventionsabteilung vom Februar 2014 vorgelegt, wonach bei der Tätigkeit im Technikum der Firma G. keine Exposition gegenüber Lithiumchromat bzw. Lithiumchlorid bestanden habe, die Messungen am Arbeitsplatz des Klägers durchgeführt worden seien und während der Tätigkeit in der Produktion der Firma G. kein Kontakt zu Lithiumchromat bestanden habe (vgl. zu den Einzelheiten Bl. 77 ff. SG-Akte).

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 06.05.2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass dahingestellt bleiben könne, ob der Kläger an einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie im Sinne der BK Nr. 1317 leide, da jedenfalls - gestützt auf die Messungen des technischen Aufsichtsdienstes und die Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten - keine relevante Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln oder deren Gemische im Rahmen der beruflichen Tätigkeit festzustellen sei. Das Sozialgericht hat auch das Vorliegen einer Wie-BK gemäß § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) verneint, da keine schädigenden Einwirkungen am Arbeitsplatz des Klägers festzustellen seien, die geeignet seien, die vom Kläger beklagten Beschwerden zu verursachen.

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 11.07.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.07.2014 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt und geltend gemacht, die arbeitstechnischen Voraussetzungen würden vorliegen. Er habe mit Natronlaugen, Salpetersäure, Schwefelsäure, Salzsäure, Tri und Chlor-Spezialreiniger gearbeitet und sei gegenüber Lithiumchlorid bzw. Lithiumchromat exponiert gewesen. Dr. B. habe das Vorliegen einer Polyneuropathie bestätigt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11.07.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.10.2011 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 06.12.2011 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV, hilfsweise eine Wie-BK anzuerkennen und zu entschädigen, insbesondere in Form von Verletztenrente,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend hat sie eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom Oktober 2015 (die Messungen von Lithium bei der Firma G. seien unmittelbar an der möglichen Emissionsquelle erfolgt; Lithiumchromat sei bis 2001 als Korrosionsschutzmittel lediglich in der Lufttrocknungsanlage im 1. Stock eingesetzt worden; die Reinigungsarbeiten seien nur im Betriebsstillstand einmal im Jahr mittels Wasser und des Geschirrspülmittels Palmolive erfolgt, vgl. Bl. 44 ff. LSG-Akte).

Der Senat hat das im Rahmen des ebenfalls beim Senat anhängigen Berufungsverfahren zum Arbeitsunfall des Klägers vom August 2010 (L 10 U 341/14) auf Antrag und Kosten des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholte Gutachten des Facharztes für Neurologie Dr. M. beigezogen, der auf Grund Untersuchung des Klägers im November 2014 keine Diagnose auf neurologischem Fachgebiet gestellt, sondern eine Somatisierungsstörung diagnostiziert hat (vgl. Bl. 105 ff. LSG-Akte).

Auf Antrag und Kosten des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten bei Prof. Dr. B.-G. , Fachärztin für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin und Direktorin des Instituts für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin der H. -Universität D. eingeholt, die auf Grund einer Untersuchung des Klägers im Juli 2015 das Vorliegen einer BK 1317 bzw. einer Wie-BK verneint hat. Eine Exposition gegenüber Tri und organischen Lösungsmitteln und deren Gemische habe nicht stattgefunden. Säuren, Laugen und das Reinigungsmittel Palmolive Geschirrspülmittel seien für die vom Kläger geschilderten Beschwerden nicht verantwortlich zu machen, da diese die Atemwege betreffen bzw. zu Reizung der Haut und Augen führen würden und der Kläger entsprechende Beschwerden nicht geschildert habe. Eine relevante inhalative Aufnahme von Lithium hat die Sachverständige deshalb verneint, weil Lithium in seiner Hauptwirkung als Antidepressivum und Stimmungsstabilisator verwendet werde. Bei dem Kläger seien jedoch seit Jahren depressive Erkrankungen dokumentiert, die nicht (mehr) aufgetreten wären, wenn eine relevante inhalative Aufnahme von Lithium am Arbeitsplatz stattgefunden hätte. Anderweitige mögliche Erkrankungen, die mit einer Exposition gegenüber Lithium in Verbindung gebracht werden könnten, habe der Kläger nicht geschildert und solche seien auch nicht aktenkundig. In Übereinstimmung hierzu hat die Sachverständige die - laut Messungen - nur minimale und extrem niedrige Konzentration von Lithium in der Hallenluft der Firma G. gesehen, die nahezu zu vernachlässigen sei.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 07.10.2011 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 06.12.2011 insoweit, als die Beklagte darin die Anerkennung der Beschwerden des Klägers als BK 1317 (Verfügung Nr. 1 Teil 2 des Bescheides) und als Wie-BK (Verfügung Nr. 2 des Bescheides) ablehnte. Soweit die Beklagte darüber hinaus allgemein die Anerkennung der Beschwerden als Berufskrankheit ablehnte (Verfügung Nr. 1 Teil 1 des Bescheides), ist dies vom Kläger nicht angefochten und damit bestandskräftig (§ 177 SGG) geworden. Er begehrt im Berufungsverfahren, wie schon im Klageverfahren, insoweit nur die Anerkennung seiner Beschwerden als BK 1317 bzw. hilfsweise als Wie-BK. Allein hierauf beschränkt sich die Prüfung des Senats.

Soweit der Kläger daneben die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von "Entschädigung", insbesondere in Form von Verletztenrente, begehrt, ist die Klage unzulässig (vgl. - auch zum Nachfolgenden - BSG, Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5). Denn über die Gewährung von Sozialleistungen ist vor Klageerhebung in einem Verwaltungsverfahren zu befinden, das mit einem Verwaltungsakt abschließt, gegen den die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig ist (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG), weil auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung zwischen Versicherungsfall - siehe die Definition der Versicherungsfälle in §§ 7 ff. SGB VII - und Leistungsfall - vgl. die §§ 26 ff. SGB VII - zu unterscheiden ist. Eine derartige Entscheidung der Beklagten über Entschädigungsleistungen, insbesondere über Verletztenrente liegt nicht vor. Zwar lehnte die Beklagte - neben der Anerkennung der BK (Verfügung Nr. 1 des Bescheides) bzw. Wie-BK (Verfügung Nr. 2 des Bescheides) - jedwede Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab (Verfügung Nr. 3 des Bescheides) mit der Begründung, es sei kein Versicherungsfall, hier keine Berufskrankheit (§ 7 Abs. 1 SGB VII), eingetreten. Sachdienliche Klageart ist vorliegend neben der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG dennoch die Verpflichtungsklage auf Verurteilung der Beklagte zur Anerkennung einer BK bzw. Wie-BK und nicht (auch) auf Gewährung von Leistungen. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger - neben der die Anerkennung der BK 1317 bzw. Wie-BK ablehnenden Verwaltungsentscheidung - auch die Aufhebung der die Gewährung von Leistungen pauschal ablehnenden Verwaltungsentscheidung, weil letztere andernfalls bei Vorliegen einer BK bzw. Wie-BK einer künftigen Leistungsgewährung entgegenstünde. Hingegen ist nicht über eine Leistungspflicht der Beklagten zu entscheiden, das auf die Gewährung von Leistungen gerichtete Begehren damit unzulässig. Soweit der Kläger allgemein die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Entschädigungsleistungen beantragt, macht er keine konkreten Ansprüche auf bestimmte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung geltend. Vielmehr begehrt er zunächst nur eine Klärung von Grundlagen der in Frage kommenden Leistungsansprüche, hier das Vorliegen einer BK 1317, hilfsweise einer Wie-BK. Dem auf Entschädigung gerichteten Teil des angefochtenen Urteils kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. zu der gleichgelagerten Konstellation der Verneinung eines Arbeitsunfalles wegen fehlenden Versicherungsschutzes BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2). Soweit er Entschädigung "insbesondere in Form von Verletztenrente" beantragt, macht er zwar einen konkreten Anspruch auf eine bestimmte Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung in Form von Verletztenrente geltend. Eine derartige Entscheidung der Beklagten über Verletztenrente liegt jedoch nicht vor. Im zu überprüfenden Bescheid ist die vom Kläger begehrte Leistung (Verletztenrente) mit keinem Wort erwähnt.

Aber auch soweit die Klage zulässig ist, hat die Berufung keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage auch insoweit zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 07.10.2011 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 06.12.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte lehnte zu Recht die Anerkennung seiner Beschwerden als BK 1317 und als Wie-BK ab. Denn das Vorliegen einer solchen BK bzw. einer Wie-BK ist beim Kläger nicht festzustellen und er hat dementsprechend keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Erkrankungen als BK 1317 bzw. als Wie-BK.

Es kommt im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob der Versicherungsfall - ihn unterstellt - vor oder nach Inkrafttreten des SGB VII am 01.01.1997 eingetreten ist und damit gem. § 212 SGB VII die bis zur Rechtsänderung geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder aber die Regelungen des SGB VII Anwendung finden. Denn an den Voraussetzungen der - zunächst auf § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO beruhenden und nunmehr auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII fortgeltenden - BK 1317 und der Wie-BK einschließlich des Kausalitätserfordernisses, hat sich durch das Inkrafttreten des SGB VII nichts geändert.

BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VI (§§ 539, 540, 543 bis 545 RVO) begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII, § 551 Abs. 1 Satz 3 erster Halbsatz RVO). Hierzu zählt nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV (ebenso die frühere Anlage zur BKVO) eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.

Nach § 9 Abs. 2 SGB VII - § 551 Abs. 2 RVO enthält eine inhaltsgleiche Regelung - haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 bzw. des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehören sowohl der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der nach den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO bzw. §§ 7, 8 SGB VII versicherten Tätigkeit als auch die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen (sog. gruppentypische Risikoerhöhung). Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer Generalklausel erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen ist (BSG, Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 20/01 R m.w.N.). Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die BK-Liste aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKVO noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten.

Voraussetzung für die Anerkennung und ggf. Entschädigung einer Erkrankung als (Wie-)BK durch einen Listenstoff (hier: organische Lösungsmittel oder deren Gemische) ist zum einen, dass der schädigende Stoff ("Listenstoff") generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum anderen muss die vorliegende Erkrankung konkret-individuell durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffs wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein. Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, hier also u.a. eine von der BK 1317 erfasste Gesundheitsstörung (Polyneuropathie oder Enzephalopathie) bzw. - im Rahmen der Wie-BK - u.a. die schädigende Einwirkung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Nach diesen Maßstäben liegen beim Kläger die Voraussetzungen für eine Anerkennung seiner Gesundheitsstörungen als BK 1317 bzw. als Wie-BK nicht vor.

Soweit der Kläger die Anerkennung als BK 1317 begehrt, fehlt es bereits an den medizinischen Voraussetzungen dieser BK. Eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie ist nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.

Eine Enzephalopathie haben weder die behandelnden Ärzte - insbesondere nicht Dr. B. und der seit 1989 behandelnde Hausarzt Dr. B. - noch die mit der Begutachtung des Klägers beauftragten Dr. H. , Dr. M. und Prof. Dr. B.-G. diagnostiziert. Auch der Kläger selbst behauptet eine solche nicht. Er stellt vielmehr ausschließlich auf das Vorliegen einer Polyneuropathie ab (vgl. Bl. 19 SG-Akte und Bl. 98 LSG-Akte).

Jedoch ist der Senat auch nicht vom Vorliegen einer Polyneuropathie überzeugt. Zwar teilte Dr. B. in seiner ärztlichen Anzeige über eine BK vom April 2011 als Diagnose u.a. eine Polyneuropathie mit (vgl. Bl. 3 VA). Diese von Dr. B. gestellte Diagnose basiert auf einer vom Kläger angegebenen handschuh- und sockenförmigen Hypästhesie und Hyperpathie (vgl. Befundbericht des Dr. B. vom März 2011, Bl. 5 VA), die Dr. B. nicht mittels Elektroneurographie oder Elektromyographie verifizierte. Die von Dr. B. damit ausschließlich auf subjektiven Angaben des Kläger beruhende Diagnose Polyneuropathie ist jedoch durch die in der Folgezeit eingeholten Gutachten widerlegt.

So beschrieb die im Verwaltungsverfahren beauftragte Dr. H. anlässlich der gutachtlichen Untersuchung im Mai 2011, in deren Rahmen der Kläger zwar eine Vielzahl an Beschwerden, aber keine handschuh- und sockenförmigen Missempfindungen schilderte, keinen neurologischen Befund, der auf eine Polyneuropathie hinweist. Es zeigten sich regelgerechte Verhältnisse bei der Überprüfung der Motorik an den oberen und unteren Extremitäten, insbesondere keine latenten oder manifesten Paresen. Es bestanden keine Sensibilitätsstörungen, insbesondere ergaben sich keine Empfindungsstörungen bei Druck, Berührung und Schmerzen, ein regelgerechtes Warm-Kaltempfinden und ein unauffälliges Vibrationsempfinden. Es waren keine Reflexdifferenzen festzustellen bei seitengleich auslösbaren Muskeldehnungsreflexen an Armen und Beinen. Die Zeigeversuche waren sicher ohne Anhalt für eine ataktische Störung. Bei der Messung der Nervenleitgeschwindigkeit am Nervus medianus und Nervus tibialis ergaben sich Normalbefunde. Dementsprechend stellte Dr. H. nachvollziehbar auch keine Diagnose auf neurologischem, sondern allein auf psychiatrischem Fachgebiet (Konversionsstörung begründet in der primären Persönlichkeitsproblematik des Klägers).

Gegenüber dem Sachverständigen Dr. M. hat der Kläger zwar anlässlich der gutachtlichen Untersuchung im November 2014 Gefühlsstörungen und eine Kraftlosigkeit in beiden Armen und Händen beschrieben (vgl. Bl. 140 LSG-Akte). Auch im Rahmen der neurologischen Untersuchung hat der Kläger handschuhförmige Gefühlsstörungen beider Hände, vor allem den Handrücken betreffend angegeben, die jedoch keinem peripheren Nervenversorgungsgebiet zuordenbar gewesen sind. Eine Gefühlsstörung der Beine hat der Kläger verneint. Die Vibrationsempfindung am Großzehengrundgelenk hat der Kläger beidseits bei ca. 7/8, an den Fingergrundgelenken beidseits mit 6/8 angegeben (vgl. Bl. 148 LSG-Akte). Die von Dr. M. durchgeführte elektrophysiologische Untersuchung hat jedoch für den Nervus medianus beidseits Normalwerte ergeben (vgl. Bl. 149 LSG-Akte), weshalb er - nachvollziehbar - lediglich auf psychiatrischem Fachgebiet einen krankhaften Befund gesehen und eine Somatisierungsstörung diagnostiziert hat, nicht hingegen auf neurologischem Fachgebiet und insbesondere nicht in Gestalt einer Polyneuropathie.

Im Übrigen ist auch nicht nachgewiesen, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit für die Firma G. in ausreichendem Maße organischen Lösungsmitteln oder deren Gemische ausgesetzt war, weshalb auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 1317 nicht festzustellen sind. Dies ergibt sich für den Senat aus den Angaben des Klägers und den von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen und wird bestätigt durch die Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. B.-G ...

Der Kläger hat angegeben, bei seiner Tätigkeit für die Firma G. mit verschiedenen Laugen, Säuren, Lithium-Chromat, Lithium-Chlorid, Reinigungsmittel und Tri in Kontakt gekommen zu sein (vgl. Bl. 2 LSG-Akte). Bei diesen Stoffen handelt es sich - mit Ausnahme von Tri (hierzu sogleich) - bereits um keine organischen Lösungsmittel oder deren Gemische. Unerheblich ist daher, in welchem Ausmaß er gegenüber diesen Stoffen ausgesetzt war. Unter organische Lösungsmittel oder deren Gemische i.S.d. BK 1317 fallen neurotoxische Lösungsmittel (aliphatische Kohlenwasserstoffe: n-Hexan, n-Heptan; Ketone: 2-Butanon = Methylethylketon, 2-Hexanon = Methyl-n-butylketon; Alkohole: Methanol, Ethanol, 2-Methoxyethanol = Methylglykol; aromatische Kohlenwasserstoffe: Benzol, Toluol, Xylol, Styrol; chlorierte aliphatische Kohlenwasserstoffe: Dichlormethan, 1,1,1-Trichlorethan, Trichlorethen, Tetrachlorethen, vgl. Merkblatt des Bundesministers für Gesundheit und Sozialordnung zu dieser BK von 2005, BArbBl. 2005, Seite 49). Dementsprechend verneinte der Präventionsdienst in seiner Stellungnahme vom September 2011 und die Staatliche Gewerbeärztin E. folgerichtig eine entsprechende berufliche Exposition des Klägers. Dies hat die Sachverständige Prof. Dr. B.-G. bestätigt, die ebenfalls keine Hinweise dafür gesehen hat, dass ein entsprechender beruflicher Kontakt des Klägers gegenüber organischen Lösungsmitteln oder deren Gemische bestand (vgl. Bl. 88 LSG-Akte). Die Sachverständige ist daher nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Arbeitsstoffe, mit denen der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit für die Firma G. in Kontakt kam, nicht geeignet waren, eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie zu verursachen (vgl. Bl. +91 LSG-Akte).

Soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren überhaupt eine Exposition gegenüber Tri behauptet (vgl. Bl. 2 LSG-Akte) - ohne näher darzulegen, wann und im Rahmen welcher Tätigkeit ein entsprechender berufliche Kontakt bestanden haben soll - ist eine solche Exposition nicht nachgewiesen. Die von der Beklagten daraufhin durchgeführten weiteren Ermittlungen haben eine Exposition des Klägers gegenüber Tri bzw. Trichlorethylen nicht bestätigt (vgl. Stellungnahme des Präventionsdienstes vom Oktober 2015, Bl. 44 f. LSG-Akte) und auch die Sachverständige Prof. Dr. B.-G. hat keine Anhaltspunkte hierfür gesehen (vgl. Bl. 88 LSG-Akte).

Zu Recht lehnten die Beklagte und das Sozialgericht auch die Anerkennung einer Wie-BK ab. Insbesondere sind die vom Kläger im Klageverfahren auf eine berufliche Belastung noch zurückgeführten Beschwerden - Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen (vgl. Bl. 20 SG-Akte) - nicht als Wie-BK anzuerkennen. Der Kläger war im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit für die Firma G. keinen schädigenden Stoffen ausgesetzt, die geeignet sind, das beim Kläger vorliegende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Dies ergibt sich für den Senat aus den Angaben des Klägers, dem Bericht des TÜV S. , den Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten vom Februar 2014 und Oktober 2015 und den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. B.-G ...

Seinen eigenen Angaben zufolge hatte der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit für die Firma G. Kontakt zu Natronlauge, Salpetersäure, Schwefelsäure, Salzsäure, Tri und Chlor-Spezialreiniger, Lithiumchlorid und Lithiumchromat (vgl. Bl. 2 und Bl. 87 LSG-Akte). Die Ermittlungen der Beklagten haben eine geringfügige Exposition gegenüber Lithiumchlorid von unter 0,0001 mg/m³ (vgl. Bericht des TÜV S. , Bl. 44 ff. SG-Akte und Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom Februar 2014, Bl. 77 SG-Akte) und dem Reinigungsmittel Palmolive Geschirrspülmittel (vgl. Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom Oktober 2015, Bl. 44 ff. LSG-Akte) bestätigt, eine Exposition gegenüber Lithiumchromat (vgl. Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten vom Februar 2014, Bl. 77 SG-Akte), einem Chlor-Spezialreiniger (vgl. Stellungnahme des Präventionsdienstes vom Oktober 2015, Bl. 44 f. LSG-Akte) und - wie bereits dargelegt - gegenüber Tri hingegen nicht. Ausweislich der Ermittlungen der Beklagten wurden insbesondere für die jährliche Reinigung während des Betriebsstillstandes kein Spezialreiniger oder Desinfektionsmittel eingesetzt, sondern die Reinigung erfolgte mit Wasser und Geschirrspülmittel (Palmolive, vgl. Bl. 45 LSG-Akte). Dies wird bestätigt durch die Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. B.-G. , wonach die Reinigungsarbeiten nur mit etwa 60° heißem Wasser durchgeführt wurden (vgl. Bl. 80 LSG-Akte).

Die vom Kläger im Berufungsverfahren noch vorgebrachten Einwände gegen die Ermittlungen der Beklagten greifen nicht durch.

Soweit der Kläger behauptet, es sei eine nicht nur minimale Exposition gegenüber Lithiumchlorid vorhanden gewesen, trifft dies nicht zu. Die vom TÜV S. im Februar 2013 durchgeführten Messungen von Lithiumverbindungen in der Luft im Bereich des Blatttrockners in der Firma G. , wo sich auch der Arbeitsbereich des Kläger befand, haben eine Exposition gegenüber Lithium unterhalb der Nachweisgrenze ergeben (vgl. Bl. 45 LSG-Akte). Dies resultiert daraus, dass die im Blatttrockner eingesetzte Kühlluft in der Anlage mittels Lithiumchlorid (35%-Lösung) getrocknet wird. Dabei wird die Lithiumchlorid-Lösung in die Luft in einer separaten Kammer eingedüst, die so getrocknete Luft innerhalb des Blatttrockners kaskadenförmig über das Band mit den Gelatinblättern geführt und über das Dach ins Freie abgeführt (vgl. Bl. 48 SG-Akte). Feine Filter verhindern während des Trocknungsvorgangs ein Entweichen des Trocknungsmediums nach außen (vgl. Bl. 79 SG-Akte). Lediglich über den Eingang an der Kühltrommel und den Ausgang an der Schneidemaschine gelangt Kühl- und Trocknungsluft in den Hallenbereich (vgl. Bl. 48 SG-Akte). Nahezu die vollständige Kühl- und Trocknungsluft, die in die Blatttrocknungsanlage eingeblasen wird, gelangt jedoch ins Freie (Bl. 49 SG-Akte). Die bei Vollauslastung durchgeführten Messungen in Atemhöhe an der Kühltrommel und am Ausgang des Schneidewerks als Emmissionsquellen der mit Lithiumchlorid versetzten Luft, die von der Blatttrockneranlage in die Halle gelangt, haben Werte von unter 0,0001 mg/m³ erbracht (vgl. Bl. 52 f. SG-Akte) und damit eine Exposition gegenüber Lithium unterhalb der Nachweisgrenze (vgl. Bl. 45 LSG-Akte).

Daher ergibt sich auch aus dem Einwand des Klägers, auf Grund der starken Luftströmung seien Lithiumchloridpartikel in der Luft verblieben, bis ans Ende der Trockneranlage gelangt und von den dort arbeitenden Personen eingeatmet worden (vgl. Bl. 3 LSG-Akte), kein für ihn günstiges Ergebnis. Dies wurde bei den von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen berücksichtigt. Die Messungen im Februar 2013 wurden nämlich genau dort durchgeführt, wo sich der Arbeitsplatz des Klägers befand, nämlich am Blattschneider am Ende der Gelatinetrocknungsstrecke (vgl. Bl. 78 SG-Akte). Diese Messungen ergaben eine nicht messbare, also allenfalls minimale Exposition gegenüber Lithium.

Eine relevante Exposition gegenüber Lithium ist - so der Präventionsdienst der Beklagten in seiner Stellungnahme vom Februar 2014 nachvollziehbar - auch deshalb äußerst unwahrscheinlich, weil Gelatine als Lebensmittel strengen lebensmittelrechtlichen Anforderungen unterliegt und ein Absetzen von Lithiumchlorid oder Lithiumchromat auf der Gelatine über die Raumluft damit nicht zu vereinbaren wäre (vgl. Bl. 79 SG-Akte).

Gegen eine relevante Exposition gegenüber Lithium spricht weiter - so Prof. Dr. B.-G. nachvollziehbar - , dass bei dem Kläger keine typischen Nebenwirkungen einer Lithiumexposition (hierzu später) aktenkundig sind und er seit mindestens 1995 an psychischen Beschwerden leidet (in diesem Jahr sechswöchige stationäre psychosomatische Behandlung in St. B. , vgl. die Angaben des Klägers gegenüber Dr. M. , Bl. 134 LSG-Akte) und sich seit 2005 in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung befindet (vgl. Bl. 134 LSG-Akte). Bei einer relevanten Exposition gegenüber Lithium wäre jedoch - so Prof. Dr. B.-G. - auf Grund der psychotropen Wirkung von Lithium (hierzu später) eine entsprechende psychische Erkrankung des Klägers nicht (mehr) zu erwarten gewesen. Die Sachverständige Prof. Dr. B.-G. ist daher für den Senat nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit keinen relevanten Kontakt zu Lithium hatte. Sie hat damit die Messergebnisse der Beklagten (allenfalls minimale Exposition gegenüber Lithium) bestätigt.

Soweit der Kläger behauptet, es sei in der Vergangenheit eine ältere Anlage in Betrieb gewesen, die mit stärkerem Materialverlust gearbeitet habe, haben die Ermittlungen der Beklagten dies nicht bestätigt. Nach den Angaben der Firma G. besteht die Produktion - so wie sie zu Zeiten der Tätigkeit des Klägers existierte - bereits seit mindestens 1980. Änderungen ergaben sich nur insoweit, als dass bis 2001 Lithiumchromat als Korrosionsschutzmittel eingesetzt wurde (vgl. Bl. 45 LSG-Akte). Soweit der Kläger behauptet, bis nach dem Jahr 2000 sei auch Lithiumchromat zugemischt worden, trifft dies damit zwar zu. Auch hieraus ergibt sich allerdings kein für den Kläger günstiges Ergebnis. Zwar wurde bei der Firma G. bis 2001 Lithiumchromat als Korrosionsschutzmittel eingesetzt. Dies jedoch nur in der Lufttrocknungsanlage im 1. Stockwerk, wo es der Kathenelösung als Trocknungsmedium der Luftaufbereitungsanlage zugesetzt wurde (vgl. Bl. 78 SG-Akte), und damit nicht im Arbeitsbereich des Klägers, der sich im Erdgeschoss befand (vgl. Bl. 78 SG-Akte).

Die vom Kläger geklagten Beschwerden - insbesondere die im Klageverfahren noch behaupteten Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen - sind nicht wesentlich ursächlich auf die nachgewiesenen Expositionen gegenüber Lithiumchlorid und dem Reinigungsmittel Palmolive Geschirrspülmittel zurückzuführen.

Die inhalative Aufnahme von Lithium kann zwar zu verschiedenen Erkrankungen führen (vgl. hierzu und zum Folgenden die Auflistung der Sachverständigen Prof. Dr. B.-G. , Bl. 89 f. LSG-Akte). Hierzu gehören Herzrhythmusstörungen, eine Funktionsstörung der Schilddrüse, morphologische Veränderungen der Nieren mit Polyurie und Polydipsie, eine Psoriasis der Haut, ein grobschlägiger Fingertremor, Krampfanfälle und Parkinson-ähnliche Symptome. Eine - auch nach den Angaben des Klägers hier nicht erfolgte - erhöhte orale Aufnahme von Lithium kann zu vorübergehender Übelkeit, Schmerzen, Erbrechen und Durchfall führen. Darüber hinaus kommt Lithium in seiner Hauptwirkung eine antidepressive Wirkung zu, weshalb es - so Prof. Dr. B.-G. - sogar prophylaktisch bei depressiven Rezidiven, therapieresistenten Depressionen und zur Langzeitprophylaxe von suizidgefährdeten Patienten verordnet wird und die Wirkung anderer Antidepressiva verstärkt.

Bei dem Kläger sind jedoch keine der beschriebenen, mit einer Exposition gegenüber Lithium möglicherweise in Verbindung stehenden Erkrankungen ärztlicherseits festgestellt worden und auch der Kläger selbst hat gegenüber Prof. Dr. B.-G. über keine dieser Störungen geklagt. Bei den vielfältigen Beschwerden des Klägers (vgl. exemplarisch die Auflistung des Klägers Bl. 92 ff. LSG-Akte) handelt es sich indes nicht um mögliche Folgen einer Lithiumexposition.

Ein Kontakt mit dem Reinigungsmittel Palmolive Geschirrspülmittel kann - so Prof. Dr. B.-G. unter Hinweis auf das entsprechende Sicherheitsdatenblatt, Bl. 54 ff. LSG-Akte - zwar zu Reizungen der Haut und Augen führen. Hierüber hat der Kläger indes zu keinem Zeitpunkt geklagt. Der von ihm angeführte Nagelpilz der rechten Hand und an den Füßen wird durch Pilzinfektionen übertragen, ein Zusammenhang mit dem Kontakt mit dem Reinigungsmittel Palmolive Geschirrspülmittel ist damit ausgeschlossen.

Soweit der Kläger eine Exposition gegenüber Laugen und Säuren behauptet, ergibt sich für ihn - diese Exposition als wahr unterstellt - kein günstiges Ergebnis. Die Sachverständige Prof. Dr. B.-G. hat insoweit ausgeführt, dass Säuren und Laugen nicht für die vom Kläger angegebenen Beschwerden ursächlich verantwortlich zu machen sind. Sie hat dies nachvollziehbar damit begründet, dass bei der vom Kläger geschilderten Aufnahme durch Einatmung ausschließlich die Augen und das Atemsystem betroffen sind. Es kann dabei zu kratzenden, brennenden Folgeerscheinungen in den Atemwegen bei ungeschützter Einatmung kommen. Der Kläger hat hingegen zu keinem Zeitpunkt über derartige Beschwerden der oberen oder gar der tieferen Atemwege mit Hustenreiz oder der äußeren Augenanteile durch mögliche Ätzwirkung oder Tränenfluss geklagt. Das von ihm geschilderte Doppelbildersehen betrifft nicht das äußere Auge, ein Ursachenzusammenhang mit der beruflichen Exposition gegenüber Laugen und Säuren ist damit von vornherein ausgeschlossen.

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die vom Kläger (u.a.) auf die beruflichen Einwirkungen zurückgeführten Kopfschmerzen bereits seit einem Arbeitsunfall im Jahr 1976 (vgl. die Angaben des Klägers gegenüber Dr. M. , Bl. 132 LSG-Akte) bestehen und damit schon lange vor Beginn der vom Kläger angeschuldigten beruflichen Exposition bei der Firma G ... Gleiches gilt für die bereits ab Ende 1983 vorgetragenen Konzentrationsstörungen (so auch die Sachverständige Prof. Dr. B.-G. , Bl. 87 LSG-Akte). Im Übrigen führt der Kläger - parallel - sämtliche Beschwerden auf verschiedene Arbeitsunfälle zurück, insbesondere auf den Arbeitsunfall vom August 2010 (vgl. Bl. 82 und Bl. 142 LSG-Akte). In diesem Zusammenhang haben jedoch die mit der Begutachtung des Klägers betrauten Ärzte Dr. H. und Dr. M. die vielfältigen Beschwerden des Klägers - für den Senat nachvollziehbar (vgl. insoweit auch die Ausführungen des Senats in seinen Entscheidungen vom 30.11.2015, L 10 U 341/14 und vom 22.09.2016, L 10 U 4216/15 und L 10 U 4165/15) - wesentlich ursächlich auf eine Konversionsstörung (so Dr. H. ), gegebenenfalls im Sinne einer somatoformen Störung (so Dr. M. ) zurückgeführt, die - so Dr. H. überzeugend - in der primären Persönlichkeitsproblematik des Klägers und damit berufsunabhängig begründet liegt.

Der Senat sieht sich nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt, insbesondere nicht zur Einholung eines arbeitstechnischen Sachverständigengutachten. Auf Grund der umfangreichen Ermittlungen der Beklagten sind die beruflichen Expositionen des Klägers ausreichend geklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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