L 7 SO 3921/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SO 3250/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3921/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag des Antragstellers auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt M., H., wird abgelehnt.

Gründe:

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist in der Sache das Begehren des Antragstellers auf Leistungen der Hilfe zur Pflege sowie der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) im Hinblick auf ungedeckte Kosten der vollstationären Pflege in der Zeit ab 15. März 2016 im S. S. in Höhe von monatlich 654,85 EUR, nachdem der Antragsgegner den Sozialhilfeantrag durch - mit Widerspruch angefochtene - Bescheide vom 4. Juli 2016 und 24. August 2016 wegen fehlender Hilfebedürftigkeit abgelehnt hatte. Das Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 11. Oktober 2016 das einstweilige Rechtsschutzbegehren abgelehnt. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.

2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1 a.a.O., für Vornahmesachen in Abs. 2 a.a.O. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Nach § 86b Abs. 4 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung), wobei im Fall der Bestandskraft eines Bescheides an den Anordnungsgrund besonders strenge Anforderungen zu stellen sind und dieser nur bei einer massiven Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Existenz vorliegen kann (Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rdnr. 29c). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

3. Die Anordnungsvoraussetzungen sind auch im Beschwerdeverfahren nicht gegeben. Das SG hat in seinem Beschluss vom 11. Oktober 2016 im Ergebnis zu Recht einen Anordnungsgrund verneint.

Im Hinblick auf die Zeit vom 15. März 2016 bis zur Anbringung seines einstweiligen Rechtsschutzgesuchs beim SG am 19. September 2016 hat der Antragsteller nicht ansatzweise den nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlichen Anordnungsgrund, nämlich die besondere Dringlichkeit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens, glaubhaft gemacht. Für diesen Zeitraum fehlt es von vornherein an dem erforderlichen Gegenwartsbezug. Aus dem Gegenwartsbezug der einstweiligen Anordnung folgt, dass dieser vorläufige Rechtsbehelf für bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung zurückliegende Zeiträume nur ausnahmsweise in Betracht kommt; es muss durch die Nichtleistung in der Vergangenheit eine aktuell fortwirkende Notlage entstanden sein, die den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. hierzu etwa Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B -). Eine solche aktuell fortwirkende Notlage hat der Antragsteller weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bedarfsdeckend in der stationären Pflegeeinrichtung betreut worden ist. Zudem wäre es ihm möglich gewesen, den vom Antragsgegner errechneten Einkommenseinsatz von monatlich 724,35 EUR (vgl. Bescheid vom 24. August 2016) aus dem ihm zugeflossenen Renteneinkommen (Regelaltersrente in Höhe von monatlich 862,17 EUR; Betriebsrente in Höhe von monatlich 57,67 EUR) zu begleichen.

Weiterhin ist zu beachten, dass ein Erhalt des Heimplatzes durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht hinreichend sichergestellt werden kann. Zwar kann der Heimträger den Heimvertrag kündigen, wenn der Bewohner für zwei aufeinanderfolgende Termine mit der Entrichtung des Entgelts oder eines Teil des Entgelts, der das Entgelt für einen Monat übersteigt, im Verzug ist oder in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung des Entgelts in Höhe eines Betrages in Verzug gekommen ist, der das Entgelt für zwei Monate übersteigt (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG)). Die Kündigung wird nach § 12 Abs. 3 Satz 3 WBVG unwirksam, wenn der Heimträger bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich des fälligen Entgelts befriedigt wird oder eine öffentliche Stelle sich zur Befriedigung verpflichtet. Ausweislich des Schreibens der S. E. Verwaltungs-GmbH vom 18. Oktober 2016 belaufen sich die rückständigen Heimkosten für die Zeit von März 2016 bis Oktober 2016 auf insgesamt 10.326,28 EUR, sodass die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a WBVG für eine Kündigung aus wichtigem Grund vorliegen. Auch dürfte dieses Schreiben vom 18. Oktober 2016 die nach § 12 Abs. 3 Satz 1 WBVG erforderliche Kündigungsandrohung enthalten. Jedoch ist zu beachten, dass der Antragsteller den vom ihm zu leistenden und ausdrücklich nicht beanstandeten (vgl. z.B. Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18. September 2016, S. 3) Einkommenseinsatz - nach der Berechnung des Antragsgegners monatlich 724,35 EUR - ab 15. März 2016 nicht erbracht und damit ganz erheblich selbst zu dem Rückstand gegenüber dem Heimträger beigetragen hat (7 Monate [April bis Oktober 2016] * 724,35 EUR = 5.070,45 EUR + 397,22 EUR [Anteil März 2016] = 5.467,67 EUR), während die vom Antragsteller begehrten vorläufigen Leistungen bis zum 31. Oktober 2016 sich "nur" auf 4.943,06 EUR (7 Monate * 654,85 EUR = 4.583,95 EUR + 359,11 EUR) belaufen. Selbst bei einem vollständigen Erfolg des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens würden erhebliche Rückstände in Höhe von ca. 5.500,00 EUR bestehen bleiben, die bei einem monatlichen Entgelt von 2.443,20 EUR (30 Tage * 81,44 EUR) bzw. 2.524,64 EUR (31 Tage * 81,44 EUR) nach wie vor eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (§ 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4b WBVG) bzw. einem Unwirksamwerden einer bereits ausgesprochenen Kündigung entgegenstehen würden (§ 12 Abs. 3 Satz 3 WBVG; vgl. Berger in jurisPK-BGB, § 12 WBVG Rdnr. 41). Dass der Antragsteller bereit und in der Lage ist, seinen rückständigen Einkommenseinsatz gegenüber dem Heimträger zu erbringen, hat er weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Vielmehr hat sein Bevollmächtigter in der Antragsschrift vom 18. September 2016 ausgeführt, dass "aus rechtlichen Gründen bisher keine Zahlungen aus dem Einkommen an das Pflegeheim geleistet" worden seien. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Heimträger bereits bei einer Teilzahlung auf die mit Schreiben vom 18. Oktober 2016 angedrohte Kündigung verzichten würde. Vielmehr hat er dort die Kündigung für den Fall angedroht, dass die Begleichung der (gesamten) Außenstände nicht innerhalb von drei Wochen erfolgt.

Auch für die Zeit ab Anbringung des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens am 19. September 2016 fehlt es an einem Anordnungsgrund. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Wie bereits dargelegt, beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren das Vorliegen eines Anordnungsgrundes grundsätzlich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet, im Beschwerdeverfahren mithin nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung. Aus den oben darlegten Gründen ist nicht ersichtlich, dass hinsichtlich der für die Zeit ab 19. September 2016 begehrten Leistungen ihm ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht zumutbar ist.

Im Rahmen des anhängigen Widerspruchsverfahrens betreffend den Bescheid vom 4. Juli 2016 wird der Antragsgegner insbesondere zu prüfen haben, ob es sich bei den Geschäftsanteilen der Ehefrau des Antragstellers bei der V. K. über verwertbares Vermögen i.S. des § 90 Abs. 1 SGB XII handelt (vgl. nur Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 19/10 R - juris Rdnrn. 14 ff.), ob das Bausparguthaben der Ehefrau des Antragstellers dem Vermögensschutz des § 90 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII unterliegt (vgl. dazu z.B. Mecke in jurisPK-SGB XII, § 90 Rdnrn. 54 ff.) und ob seine bisherige Vermögensberechnung rechtlich zutreffend ist. Denn seine Bestimmung des nach § 90 SGB XII einzusetzenden Vermögens begegnet insoweit Bedenken, als er einerseits die jeweils am 30. eines Monats zufließenden Renten als Einkommen betrachtet und vom Antragsteller einen monatlichen Einkommenseinsatz von 724,35 EUR sowie das Bestreiten des notwendigen Lebensunterhalts der Eheleute aus diesem Einkommen verlangt und andererseits das am 1. des jeweiligen Folgemonats auf den Konten noch vorhandene Renteneinkommen nun als Vermögen i.S. des § 90 Abs. 1 SGB XII wertet. Diese Vorgehensweise dürfte im Ergebnis zu einer doppelten Berücksichtigung der Rentenzuflüsse als Einkommen und Vermögen führen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

5. Mangels Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs war der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen (§ 73a SGG, § 114 Satz 1 ZPO).

6. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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