L 12 SF 1920/15 E-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SF 3434/14 E
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 SF 1920/15 E-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Erinnerungsführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 16.04.2015 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das der Erinnerungsführerin nach ihrer Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse (Erinnerungsgegner) zusteht.

Mit ihrer beim Sozialgericht Mannheim (SG) am 30.11.2012 erhobenen Klage (S 9 SO 3867/12) begehrte die Klägerin des Hauptsacheverfahrens die Übernahme von Umzugskosten. Mit Urteil vom 02.07.2013 wies das SG die Klage ab. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin am 02.08.2013 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) ein (L 7 SO 3174/13). Mit Beschluss vom 19.12.2013 bewilligte das LSG der Klägerin PKH und ordnete die Erinnerungsführerin bei. Auf die Vorschussrechnung der Erinnerungsführerin vom 03.01.2014 zahlte das SG antragsgemäß einen Vorschuss in Höhe von 464,10 EUR an die Erinnerungsführerin aus. Das Berufungsverfahren endete durch einen außergerichtlichen Vergleich, mit dem der Beklagte sich verpflichtete, der Klägerin weitere 987,27 EUR zu zahlen und ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Beteiligten erklärten mit diesem Vergleich das Berufungsverfahren für erledigt; dies wurde dem LSG am 11.04.2014 mitgeteilt. Mit Schreiben vom 21.07.2014, beim SG eingegangen am 22.07.2014, beantragte die Erinnerungsführerin die endgültige Festsetzung der Vergütung gegen die Staatskasse in Höhe von insgesamt 1.725,50 EUR.

Die Gebühren berechnete sie wie folgt:

Verfahrensgebühr, Nr. 3204 VV RVG 520,00 EUR Einigungsgebühr, Nr. 1006, 3102 VV RVG 520,00 EUR fiktive Terminsgebühr, Nr. 3205 VV RVG 390,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme: 1.450,00 EUR

Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 275,50 EUR

Summe: 1.725,50 EUR

Die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte die Vergütung der Erinnerungsführerin mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 01.09.2014 auf 349,06 EUR fest. Dabei ging sie von einem leicht überdurchschnittlichen Umfang und einer leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit aus und setzte die Verfahrensgebühr nach Nr. 3204 VV RVG auf 413,33 EUR fest. Die Einigungsgebühr sei in Höhe der Mittelgebühr (250,00 EUR) festzusetzen; eine fiktive Terminsgebühr sei nicht angefallen.

Es ergab sich damit folgende Kostenberechnung nach dem RVG:

Verfahrensgebühr, Nr. 3204 VV RVG 413,33 EUR Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 250,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme: 683,33 EUR

Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 129,83 EUR

Summe: 813,16 EUR abzgl. Vorschuss ... 464,10 EUR

zu zahlender Betrag: 349,06 EUR

Gegen diese Festsetzung der PKH-Vergütung hat die Erinnerungsführerin am 18.09.2014 beim SG Erinnerung eingelegt. Mit Beschluss vom 16.04.2015 hat das SG die zu erstattende Vergütung auf insgesamt 1.261,40 festgesetzt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Verfahrensgebühr nach Nr. 3204 VV RVG sei, wie von der Erinnerungsführerin begehrt, mit 520,00 EUR zu bemessen. Die angemessene Gebühr belaufe sich zwar nur auf 473,33 EUR; die geltend gemachte Gebühr übersteige diesen Betrag jedoch nicht um 20 Prozent oder mehr. Im Ergebnis sei die Verfahrensgebühr deshalb in der geltend gemachten Höhe festzusetzen; das Gleiche gelte für die Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG. Eine fiktive Terminsgebühr sei hingegen nicht angefallen. Nr. 3106 Satz 2 Nr. 1 VV RVG finde auf außergerichtliche Vergleiche wie den vorliegenden keine Anwendung.

Das SG hat die Gebühren danach wie folgt berechnet:

Verfahrensgebühr, Nr. 3204 VV RVG: 520,00 EUR Einigungsgebühr, Nr. 1007 VV RVG 520,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme: 1.040,00 EUR

Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 201,40 EUR

Summe: 1.261,40 EUR

Gegen diesen ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 23.04.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 29.04.2015 beim SG eingegangene Beschwerde der Erinnerungsführerin. Sie trägt vor, der beigeordnete Rechtsanwalt dürfe nicht allein deshalb schlechter gestellt werden, weil die Initiative zum Vergleichsschluss nicht vom Gericht, sondern von ihm selbst ausgegangen sei. Gerade ein solches Verhalten solle nämlich durch die fiktive Terminsgebühr honoriert werden. Deshalb sei auch beim Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs die Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr gerechtfertigt.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Klage- Berufungs- und PKH-Akten Bezug genommen.

II.

Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Vorliegend hat indessen der Einzelrichter (Berichterstatter) das Verfahren gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache auf den Senat übertragen, weshalb dieser als Gesamtspruchkörper entscheidet.

Die Beschwerde der Erinnerungsführerin hat keinen Erfolg.

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in der seit 01.08.2013 geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl. I S. 2586, 2681 ff.). Nach der Übergangsvorschrift des § 60 RVG finden die bisherigen Vorschriften des RVG Anwendung, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt bestellt oder beigeordnet worden ist (Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift). Ist der Rechtsanwalt im Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Gesetzesänderung in derselben Angelegenheit bereits tätig, ist die Vergütung für das Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach diesem Zeitpunkt eingelegt worden ist, nach neuem Recht zu berechnen (§ 60 Abs. 1 Satz 2 RVG). Nachdem die Berufung hier am 02.08.2013 und damit nach Inkrafttreten des 2. KostRMoG am 01.08.2013 eingelegt worden ist, findet das neue Recht Anwendung.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 EUR übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG), und zudem fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden. Die Beschwerde ist aber nicht begründet; das SG hat den Vergütungsanspruch der Erinnerungsführerin zutreffend auf insgesamt 1.261,40 EUR festgesetzt.

Nach § 3 Abs. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie hier - das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt gemäß § 45 Abs. 1 RVG aus der Landeskasse zu erstatten sind. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach den §§ 3, 14 RVG. Dabei wird die konkrete Höhe einer Gebühr gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG durch den Rechtsanwalt unter Berücksichtigung aller Umstände, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen angesetzt. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit wird im Wesentlichen durch die zeitliche Inanspruchnahme bestimmt. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist anhand der Intensität der Tätigkeit zu bewerten. Die Bedeutung der Angelegenheit ist zu bestimmen anhand der konkreten Bedeutung für den Mandanten. Zusätzlich sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers maßgeblich. Dabei ist in der Praxis grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen (vgl. dazu ausführlich Bundessozialgericht, Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R -, BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr. 2). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sog. Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG a.a.O.). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraum objektiv nicht hinreichend beachtet; dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das SG die Verfahrens- und die Einigungsgebühr zutreffend mit jeweils 520,00 EUR angesetzt. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit; die Gebührenfestsetzung entspricht insoweit dem Begehren der Erinnerungsführerin. Eine fiktive Terminsgebühr – allein gegen deren Absetzung richtet sich die Beschwerde – ist hingegen nicht angefallen. Nach in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung wohl ganz überwiegender Auffassung ist unter einem schriftlichen Vergleich im Sinne der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1, 2. Alt. VV RVG nur ein unter Mitwirkung des Gerichts geschlossener Vergleich nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG oder nach § 202 SGG i.V.m § 278 Abs. 6 ZPO zu verstehen (so LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.01.2016 – L 10 SB 57/15 B –; Beschluss vom 08.10.2015 – L 6 AS 1863/14 –; Beschluss vom 11.03.2015 – L 9 AL 277/14 B –; Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.05.2015 – L 15 SF 115/14 E –; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.07.2015 – L 7/14 AS 64/14 B –, alle in juris; a.A. SG Neuruppin, Beschluss vom 16.09.2016 – S 31 SF 56/16 E –, juris; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage, VV 3104 Rn. 69).

Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Verfahrensbeendigung durch eine übereinstimmende Erledigungserklärung enthaltende außergerichtliche Vergleiche in sozialgerichtlichen Verfahren übliche Praxis ist und für eine Beschlussfassung des Gerichts nach § 278 Abs. 6 ZPO bzw. § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG, da Beklagter hier regelmäßig ein Träger öffentlicher Verwaltung ist, nicht in gleicher Weise ein Bedürfnis besteht, wie in anderen Verfahrensordnungen. Das Mitwirken an einer gütlichen Einigung zu honorieren, ist aber gerade nicht Regelungszweck des in Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1, 2. Alt VV RVG normierten Gebührentatbestands. Das Bayerische LSG (a.a.O.) hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diesen Zweck allein die Nrn. 1000 ff VV RVG verfolgen. Die fiktive Terminsgebühr diene vielmehr dazu, dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung eines Termins in den Fällen zu nehmen, in denen das Gericht von den im Prozessrecht vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch machen will, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung zu beenden. Dies gilt nicht nur, wenn das Gericht nach § 124 Abs. 2 SGG im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1, 1. Alt VV RVG) oder durch Gerichtsbescheid (Nr. 3106 Satz 1 Nr. 2 VV RVG) entscheiden will, sondern auch dann, wenn die mündliche Verhandlung wegen eines schriftlichen Vergleichsschlusses oder eines angenommenen Anerkenntnisses (Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG) entbehrlich wird. In allen Fällen ist ein auf die Vermeidung einer mündlichen Verhandlung gerichtetes Handeln des Gerichts Voraussetzung für das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr. Dementsprechend entsteht sie nicht, wenn – wie hier – lediglich ein außergerichtlicher Vergleich ohne Mitwirkung des Gerichts geschlossen wird.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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