L 5 R 2013/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 4680/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2013/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.05.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1963 in der T. geborene Kläger ist seit 1980 in Deutschland wohnhaft. Er hat keinen Beruf erlernt und war zwischen 1981 und dem 31.10.2011 als Bauhelfer und Lagerarbeiter beschäftigt. Vom 01.11.2011 bis 30.10.2012 bezog er Arbeitslosengeld. Im Anschluss daran war er von 12.11.2012 bis 15.03.2013 als Produktionshelfer versicherungspflichtig beschäftigt. Seither bezieht er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 11.03.2014 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine allgemeinärztliche und psychiatrische Begutachtung des Klägers. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. L. stellte in ihrem Gutachten vom 15.04.2014 die Diagnose einer Anpassungsstörung bei psychosozialer Konfliktsituation mit Arbeitslosigkeit und Verlust von Angehörigen und vertrat die Auffassung, der Kläger könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch über sechs Stunden täglich verrichten. Der Facharzt für Allgemeinmedizin G. kam in seinem Gutachten vom 16.04.2014 zu der zusätzlichen Diagnose eines chronischen Wirbelsäulensyndroms bei Verschleiß ohne Wurzelreizsymptomatik. Als sonstige Diagnosen stellte er Zustände nach (Z. n.) Augenoperation links, Leistenhernie beidseits und Varikosis links fest. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne der Kläger noch über sechs Stunden täglich verrichten. Mit Bescheid vom 28.04.2014 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.

Am 27.05.2014 ging bei der Beklagten unter Bezugnahme auf die Ablehnung des Rentenantrags und unter Empfehlung des Widerspruchsverfahrens ein Schreiben des den Kläger behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. vom 24.05.2014 ein, der in diesem Schreiben ausführte, dass der Kläger unter einer schweren therapieresistenten Persönlichkeitsstörung mit insbesondere Kopfschmerzen, Schlafstörungen, aggressiven Wutausbrüchen ohne Anlass und an innerer Getriebenheit, die eine Arbeitsfähigkeit ausschließen würden, leide. Unter dem 28.05.2014 erhob der Kläger selbst Widerspruch. Er bezog sich auf das Schreiben des Dr. D ... Mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und den sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten seien nach Auffassung ihres Sozialmedizinischen Dienstes keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen des Klägers für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten. Ihm seien daher noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich zumutbar.

Hiergegen richtete sich die am 27.08.2014 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Zur Begründung führte der Kläger aus, er sei mit der Entscheidung der Beklagten nicht einverstanden. Im weiteren Verlauf führte er aus, das von der Nervenärztin Dr. W. erstattete Gutachten (hierzu im Folgenden) liege neben der Sache. Das Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ö. (hierzu im Folgenden) stütze seine Klage.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG erhob zunächst Beweis durch Befragen der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der praktische Arzt Dr. D. führte in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 19.09.2014 aus, dass der Kläger unter Schmerzen und Bewegungseinschränkungen in der Schulter, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, depressiven Phasen, Ängsten, Magenschmerzen und Merkfähigkeitsstörungen leide. Er habe bei ihm ein Cervicocranialsyndrom, eine Brachialgie, einen Muskelhartspann, Gastritis, Schwindel, ein Angstsyndrom und Depression und als weitere Diagnose eine somatisierte Depression gestellt. Seit Februar 2014 liege eher eine Verschlechterung der Befunde vor. Seine Erwerbsfähigkeit sei zumindest gemindert. Dr. D. teilte in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 22.09.2014 mit, dass der Kläger seit 27.09.2014 (gemeint wohl 2013) in seiner Behandlung stehe und seither acht weitere Behandlungen, letztmals am 26.08.2014, stattgefunden hätten. Der Kläger leide unter einer Persönlichkeitsstörung mit insbesondere depressiven Anteilen und einer starken Somatisierungstendenz. Er beschreibe immer wieder schwere Kopfschmerzen, Schlafstörungen und es bestehe eine starke innere aggressive Spannung. Objektive Befunde seien nicht vorhanden. Als Diagnose habe er eine Persönlichkeitsstörung mit depressiven Anteilen und starker innerer Anspannungssituation gestellt. Während der gesamten Behandlungszeit sei der Kläger mit Antidepressiva behandelt worden. Darunter sei es doch zu einer gewissen Beruhigung gekommen. Die Erwerbsfähigkeit sei für alle Tätigkeiten deutlich gemindert. Eine sechsstündige Arbeit sei noch nicht leistbar und durchführbar, insbesondere auch wegen noch nicht geklärter Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule. In einem beigefügten Arztbrief vom 27.09.2013 an Dr. D. führte Dr. D. aus, dass der Kläger natürlich auch an eine Berentung denke, dazu sei er aber noch viel zu jung. Er müsse zum Arbeitsamt und noch etwas arbeiten. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. G. bekundete in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 14.10.2014, dass er den Kläger jeweils einmal im Juli, August und Oktober 2014 behandelt habe. Als Befund habe er eine Rückenverspannung mit Ausstrahlung in das Bein erhoben und als Diagnosen ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom, Hartspann und eine Radikulopathie gestellt. Aus dem Blickwinkel seines Fachgebiets sei es medizinisch vertretbar, dass der Kläger einer leichten Arbeit in zeitlichem Umfang von sechs Stunden täglich nachgehe. Er fügte den Arztbrief über die am 12.08.2014 durchgeführte Magnetresonanztomografie (MRT) der Lendenwirbelsäule bei.

Das SG beauftragte daraufhin die Nervenärztin Dr. W. mit der Begutachtung des Klägers. Diese diagnostizierte in ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 09.11.2014 die Entwicklung körperlicher und psychischer Symptome aus psychischen Gründen: Rentenneurose. Der Kläger könne mittelschwere Arbeiten vollschichtig acht Stunden täglich verrichten. Die vorgetragenen Gesundheitsstörungen passten in der Art, wie sie vorgetragen würden, zum Bild einer bewussten Verhaltensstörung, wie es bei einer Rentenneurose häufig gefunden werde. Wenn er - wie er berichtet habe - viele Bewerbungen ohne Erfolg abgeschickt habe, so versuche er jetzt, wenigstens eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu erhalten. Er habe jetzt Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen entwickelt, die für ihn Krankheitswert hätten. Da er deswegen Medikamente bekomme, glaube er, dass es sich tatsächlich um eine Krankheit handele. Die von ihm erlebte Wirkungsdauer der Medikation (Amioxid und Ziprasidon) von höchstens zwei Stunden weise wiederum auf eine Fehlschätzung hin. Da das negative Selbstbild bzgl. seiner Gesundheit erst mit Eintritt der Arbeitslosigkeit aufgetreten sei, könne davon ausgegangen werden, dass mit Wiederaufnahme einer Arbeit die Einschränkungen nicht mehr bestünden. Es bestehe aber auch jetzt keine Erwerbsminderung.

Das SG erhob sodann gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ö. vom 23.03.2015. Dr. Ö. diagnostizierte nach Untersuchung und Befragung des Klägers sowie Durchführung eines Mini-Mantel-Status-Tests und eines Zahlenverbindungstests eine schwere depressive Störung. Bei der Beantwortung der Beweisfragen sprach er unter Punkt 2. von einer Dysthymie. Er vertrat die Auffassung, der Kläger könne aufgrund seiner psychischen Situation nur noch leichte körperliche Tätigkeiten in einem Umfang von drei bis sechs Stunden täglich verrichten. Die körperlichen Einschränkungen durch die Deformierungen der Wirbelsäule kämen erschwerend hinzu und interagierten mit dem schweren psychischen Befinden. Die Beschwerden würden nicht vorgetäuscht. Simulation und Aggravation könnten ausgeschlossen werden. Verdeutlichungstendenzen seien in diesem Kontext die Regel. Er habe keine psychische Verfassung, die ihm ein volles Hineingehen in die Arbeit ermöglich könnte.

Die Beklagte legte zum Gutachten des Dr. Ö. die beratungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E.-D. vom 16.06.2015 vor. Sie vertrat die Auffassung, dass dem Gutachten des Dr. Ö. nicht gefolgt werden könne. Sie begründete dies damit, dass aus dem Gutachten von Dr. Ö. nicht hervorgehe, von welcher psychischen Störung er nun ausgehe (schwere depressive Störung oder Dysthymie). Dr. Ö. verlasse sich bei seiner Einschätzung sehr auf die subjektive Beschwerdeschilderung des Klägers, ohne diese zu objektivieren. Er habe um die Kognition zu testen, zwei testpsychologische Verfahren angewandt, die sehr von der Mitarbeit des Klägers abhingen. Einen Beschwerdevalidierungstest habe er nicht durchgeführt. Er schließe ohne nähere Begründung kategorisch eine Simulation oder Aggravation aus. Verdeutlichungstendenzen halte er im Rahmen einer Begutachtung für normal. Dr. W. habe darauf hingewiesen, dass der Versicherte sich ohne Dolmetscher völlig normal verhalten habe. Kaum sei der Dolmetscher da gewesen, habe sich der Kläger nach der Formulierung von Dr. W. wie ein "Häufchen Elend" verhalten. Bei Würdigung aller vorliegenden Gutachten spreche weiterhin nichts gegen die von ihr, der Beklagten, vertretene Leistungseinschätzung.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29.06.2015 hielt Dr. Ö. an seiner Auffassung fest. Er gehe von einer sogenannten Double Depression aus. Dies bedeute, dass sich auf eine bestehende Dysthymie, die aus der Biografie zu erkennen sei, noch eine depressive Episode auflagere. Die durchgeführten Tests bzw. Screening-Untersuchungen seien geeignet, Leistungsdefizite aufzuzeigen und ein Bild auch vom praktischen Vermögen des Menschen zu zeichnen. Die Tests seien vor seinen Augen durchgeführt worden und er könne aus der Verhaltensbeobachtung sehr gut die Mitarbeit und evtl. Simulation beurteilen. Bekannt sei, dass eine Darstellung in der Muttersprache ganz anders sei als eine Darstellung in der erlernten Sprache. Daraus eine Aggravation ableiten zu wollen, sei falsch.

Dr. E.-D. hielt in einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme vom 04.09.2015 ebenfalls an der von ihr vertretenen Leistungseinschätzung fest. Die ergänzenden Ausführungen von Dr. Ö. erbrächten keinen neuen Sachverhalt.

Mit Urteil vom 13.05.2016 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es auch, dem Kläger stehe Erwerbsminderungsrente nicht zu, weil er noch in der Lage sei, täglich wenigstens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein; er sei daher nicht erwerbsgemindert. Das SG stützte sich insoweit auf die durchgeführten Ermittlungen. Maßgebend sei das von Dr. W. erstattete nervenärztliche Gutachten. Diese habe eine Rentenneurose gefunden. Auf der Grundlage dieses Diagnosebildes sei für die Kammer die von Dr. W. getroffene Leistungseinschätzung nachvollziehbar. Diese werde durch die Angaben des Klägers und die durch Dr. W. erhobenen Befunde sowie den Eindruck des Klägers aufgrund der durchgeführten mündlichen Verhandlung gestützt. Bestätigt werde diese Leistungsbeurteilung durch die im Verwaltungsverfahren durch Dr. L. und den Facharzt für Allgemeinmedizin G. erstatteten Gutachten. Auch der den Kläger behandelnde Orthopäde und Unfallchirurg Dr. G. habe angegeben, dass der Kläger trotz der orthopädischen Leiden, auf denen seines Erachtens nach der Schwerpunkt seiner Leiden liege, sechs Stunden und mehr täglich einer leichten Tätigkeit nachgehen könne. Der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. D. habe vorwiegend wegen der noch nicht geklärten orthopädischen Beschränkungen des Klägers den Kläger für "noch" nicht sechsstündig leistungsfähig gehalten. Dem könne aufgrund des klaren Ergebnisses der Beweisaufnahme auch hinsichtlich der orthopädischen Beschränkungen nicht gefolgt werden. Im Übrigen weise Dr. D. selbst darauf hin, dass der Kläger seine Leidenssituation stark schildere, mit demonstrativem Charakter, wobei objektive Befunde nicht vorhanden seien. Dem von Dr. Ö. erstatteten Gutachten könne nicht gefolgt werden. Problematisch sei bereits, dass sich Dr. Ö. bei seiner Diagnosestellung überwiegend auf die subjektive Beschwerdeschilderung des Klägers und auf testpsychologische Verfahren gestützt habe. Darüber hinaus seien die von Dr. Ö. angewandten testpsychologischen Verfahren sehr von der Mitarbeit des Klägers abhängig und für Probanden mit fremder Muttersprache nicht vorgesehen bzw. dürften bei diesen nicht eingesetzt werden. Zumindest hätte ein Beschwerdevalidierungstest erfolgen müssen, den Dr. Ö. nicht durchgeführt habe. Welche psychischen Störungen er annehme, gehe aus seinem Gutachten nicht hervor. In seiner ergänzenden Stellungnahme, wonach er sowohl eine Dysthymie als auch eine depressive Episode annehme, fehle eine objektiv nachvollziehbare Begründung. Zudem gehe die Diagnose einer "Double Depression" aus seinem Gutachten gerade nicht hervor. Objektive Befunde in seinem Gutachten fehlten. Mit der von Dr. W. gestellten Diagnose der Rentenneurose setze er sich nicht auseinander. Verdeutlichungstendenzen halte er im Rahmen einer Begutachtung für normal. Dem könne es, das SG, nicht folgen. Auch Dr. D. habe die angeführten kognitiven Einschränkungen nicht konkretisiert. Weshalb daraus ein unter dreistündiges Leistungsvermögen folgen solle, werde nicht deutlich. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme für den 1963 und damit nach dem maßgeblichen Stichtag des § 240 Abs. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) geborenen Kläger nicht in Betracht.

Gegen das ihm am 23.05.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.06.2016 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, das Urteil des SG sei unrichtig. Dem Gutachten von Dr. W. könne nicht gefolgt werden. Er sei bei Dr. D. regelmäßig in Behandlung. Bemerkenswert sei, dass er als einfacher Arbeiter bei seinem kulturellen Hintergrund den Weg zum Facharzt für Psychiatrie gefunden habe. Dies spreche für einen ganz erheblichen Leidensdruck. Das Nichtvorhandensein von objektiven Befunden sei im Rahmen der psychiatrischen Diagnostik unschädlich. Er leide nicht nur auf psychiatrischem Gebiet, sondern auch auf orthopädischem Fachgebiet an schwerwiegenden Gesundheitsstörungen mit wesentlichen Auswirkungen auf seine Erwerbsfähigkeit. Das von Dr. W. erstattete Gutachten beruhe im Wesentlichen auf Vorurteilen ihm gegenüber. Dies belege der Umgang der Gutachterin mit seinen vermeintlichen Deutschkenntnissen. Völlig ignoriert habe Dr. W. den Hinweis seiner Tochter, dass er nicht einmal seine Muttersprache ausreichend beherrsche. Dr. Ö. habe sich demgegenüber eingehend mit ihm und seiner Leidensschilderung beschäftigt. Er begründe seine Diagnose einer schweren depressiven Störung eingehend und decke auch Mängel des Gutachtens von Dr. W. auf. Aufgrund des Gutachtens von Dr. Ö. stehe fest, dass er in erheblichem Maße erwerbsgemindert sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.05.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2014 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, weiter hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.03.2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat zunächst Dr. Ö. ergänzend zum Umfang der dem Kläger noch möglichen Erwerbstätigkeit befragt. Dieser hat hierauf unter dem 12.08.2016 mitgeteilt, dass zusammenfassend beim Kläger eine volle Leistungsfähigkeit nicht vorliege. Seine Leistungsfähigkeit sei nicht gänzlich aufgehoben. Tätigkeiten in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich seien ihm zuzumuten.

Sodann hat der Senat den Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. D. mit einer orthopädischen Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat in seinem orthopädischen Gutachten vom 25.11.2016 eine endgradig eingeschränkte Rechts-Neig-Beweglichkeit der Halswirbelsäule bei fehlenden sensiblen und motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen seitens die Halswirbelsäule betreffenden Rückenmarksnerven, eine 25 %-ige Entfaltbarkeitshemmung der Brustwirbelsäule, eine 10 %-ige Entfaltbarkeitshemmung der Lendenwirbelsäule ohne Nachweis sensibler oder motorischer Nervenwurzelreizerscheinungen seitens die Lendenwirbelsäule betreffender Rückenmarksnerven, kernspintomografisch objektivierte vermehrte Verschleißerscheinungen in den Bewegungssegmenten L1/2 und L3/4 und aus der dann auftretenden Schmerzsymptomatik in der Lendenwirbelsäule eine endgradig eingeschränkte Beugung in den Hüftgelenken, eine endgradig eingeschränkte Streckhemmung im linken Mittelfinger und eine endgradig eingeschränkte Innenrotationsbeweglichkeit im rechten Hüftgelenk (bei 90 Grad gebeugtem Hüftgelenk) von 5 Grad diagnostiziert. Diese Gesundheitsstörungen würden mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten, d. h. regelmäßiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 5 kg, Arbeiten in gebückter Zwangshaltung oder Arbeiten mit häufigem Bücken und Arbeiten im tiefen Hocksitz verbieten. Unter Beachtung dieser Einschränkungen sei der Kläger aus orthopädischer Sicht jedoch noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Bei der Auseinandersetzung mit dem von Dr. Ö. erstatteten Gutachten ist Dr. D. zu der Feststellung gekommen, dass das klinische Erscheinungsbild bzgl. der Wirbelsäulenfunktion und bzgl. der objektiven Untersuchungsbefunde hinsichtlich des Muskeltonus der Wirbelsäulenmuskulatur deutlich bessere Untersuchungsergebnisse gezeigt habe wie zum Untersuchungszeitpunkt von Dr. Ö ...

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 13.12.2016 darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtige im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zu entscheiden. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, auf die Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten des SG und die Berufungsakte Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gem. § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten gehört.

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zu Recht abgelehnt. Er hat hierauf keinen Anspruch.

Das SG hat in seinem Urteil zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§§ 43, 240 SGB VI) das Rentenbegehren des Klägers zu beurteilen ist und weshalb ihm danach keine Rente zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren anzumerken:

Auch der Senat ist der Auffassung, dass der Kläger (jedenfalls) leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das geht insbesondere aus den Verwaltungsgutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin G. und der Psychiaterin Dr. L. und den Gerichtsgutachten der Nervenärztin Dr. W. und des Orthopäden Dr. D. überzeugend hervor. Der abweichenden Auffassung des Dr. Ö. und der behandelnden Ärzte Dr. D. und Dr. D. kann sich der Senat nicht anschließen. Das vom Senat bei dem Orthopäden Dr. D. eingeholte Gutachten bestätigt die Leistungseinschätzung des den Kläger behandelnden Arztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. G., wonach der Kläger noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Nach dem Gutachten von Dr. D. leidet der Kläger auf orthopädischem Fachgebiet unter einer nur endgradig eingeschränkten Rechts-Neig-Beweglichkeit der Halswirbelsäule, einer endgradig eingeschränkten Streckhemmung im linken Mittelfinger und einer endgradig eingeschränkten Innenrotationsbeweglichkeit im rechten Hüftgelenk von 5 Grad sowie einer 25 %-igen Entfaltbarkeitshemmung der Brustwirbelsäule und einer 10 %-igen Entfaltbarkeitshemmung der Lendenwirbelsäule. Nervenwurzelreizerscheinungen vermochte Dr. D. nicht zu diagnostizieren. Ein Ischiasdehnungsschmerz konnte weder rechts noch links ausgelöst werden. Es lag auch beidseits weder eine Großzehen- bzw. Fußheberschwäche noch eine Fußsenkerschwäche vor. Hieraus leitet der Sachverständige Dr. D. nachvollziehbar und schlüssig ab, dass der Kläger mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten mit einem Heben und Tragen von Lasten über 5 kg nicht mehr zumutbar leisten kann. Auch Arbeit in gebückter Zwangshaltung oder Arbeiten mit häufigem Bücken und Arbeiten in tiefem Hocksitz sind nicht mehr leidensgerecht. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen ist es dem Kläger jedoch nach wie vor möglich, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts täglich sechs Stunden und mehr in einer Fünf-Tage-Woche zu erbringen. Etwas anderes ergibt sich insoweit auch nicht aus den von Dr. Ö. bei seiner Untersuchung am 23.03.2015 hinsichtlich der Wirbelsäulenfunktion und des Muskeltonus der Wirbelsäulenmuskulatur erhobenen schlechteren Untersuchungsergebnissen. Zum einen finden die von Dr. Ö. erhobenen Untersuchungsbefunde weder eine Bestätigung in der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. G. noch in der von Dr. D. in seinem Gutachten beschriebenen Kernspintomografie der Lendenwirbelsäule vom 04.11.2016, die zwar Verschleißerscheinungen und eine linkskonvexe Skoliose, jedoch keine Bandscheibenvorfälle und auch keine Stenosen zur Darstellung bringt. Das gilt auch für die durchgeführte MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule vom 12.08.2014. Die Untersuchungen zeigten kein anatomisches Korrelat, das eine Nervenwurzelreizsymptomatik verursachen könnte. Auch darf insoweit nicht außer Acht gelassen werden, dass sich der Kläger bei Dr. G. erst seit Juli 2014 in Behandlung befindet und die Behandlung zwischenzeitlich auch nicht intensiviert wurde. Von Bedeutung ist insoweit auch die Tatsache, dass Dr. D. bei seiner Untersuchung u. a. eine Diskrepanz bei der Messung des Finger-/Fußspitzenabstands auf der Untersuchungsliege (18 cm Abstand) im Vergleich zum Stehen (29 cm Abstand) feststellte, obwohl es sich um das Resultat derselben Relativbewegung handelt. Ins Bild passt insoweit auch die Ausführung des Gutachters G., wonach die Untersuchung insgesamt erschwert gewesen sei, da der Kläger die Gliedmaßen stark angespannt habe und nicht habe locker lassen können.

Eine quantitative Leistungseinschränkung ergibt sich auch nicht aufgrund der Erkrankungen auf nervenärztlichem Sachgebiet. Insoweit hat Dr. W. eine Rentenneurose und die daraus resultierende Entwicklung körperlicher und psychischer Symptome aus psychischen Gründen festgestellt. Sie hat bzgl. des psychiatrischen Befundes beschrieben, dass der Kläger bis zum Eintreffen des Dolmetschers aufmerksam am Gespräch teilgenommen und auch Blickkontakt gehalten habe. Dies habe sich mit dem Eintreffen des Dolmetschers schlagartig geändert, wobei seine Schilderungen aber von lebhafter Gestik begleitet gewesen seien. Die gereizte und angespannte Stimmung habe eine gute Auslenkbarkeit gezeigt. Das affektive und emotionale Gebaren habe kindlich naiv angemutet, wobei es durchaus Passagen gegeben habe, in denen er mit normaler, modulationsfähiger Stimme gesprochen habe. Der Kläger sei allseits regelrecht orientiert, bewusstseinsklar und besonnen gewesen. Die geschilderten Zustände über ein "Weglaufen" oder seine "Desorientiertheit" hätten fantastisch angemutet. Das Gedächtnis sei gut, die Merkfähigkeit ausreichend gut und das Denken formal und inhaltlich intakt. Ebenso sei die Konzentration gut. Als Beispiel führt die Sachverständige an, dass der Kläger rasch auf die Fragen des Dolmetschers geantwortet habe. Auf der Grundlage dieser Befunde legt die Sachverständige Dr. W. schlüssig dar, dass das Leistungsvermögen des Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet nicht auf unter sechs Stunden täglich abgesunken ist. Bestätigt wird diese Leistungseinschätzung von Dr. L. in ihrem Gutachten vom 15.04.2014. Diese für den Senat nachvollziehbare Leistungseinschätzung wird weder durch das Gutachten des Dr. Ö. noch der sachverständige Zeugenauskunft des Dr. D. und des Allgemeinmediziners Dr. D. widerlegt. Bzgl. des Gutachtens von Dr. Ö. ist darauf hinzuweisen, dass dieser in seinem Gutachten vom 23.03.2015 zunächst vorrangig auf der Grundlage der Schilderungen des Klägers und des von ihm gezeigten körperlichen Untersuchungsbefundes sowie der durchgeführten testpsychologischen Untersuchungsbefunde in Form eines Mini-Mantel-Status-Tests und eines Zahlenverbindungstests zum einen von einer schweren depressiven Störung (unter 1.) und zum anderen von einer Dysthymie (unter 2.) spricht; in der ergänzenden Stellungnahme vom 29.06.2015 erläutert er dies dann auf Nachfrage dahingehend, dass eine sogenannte Double Depression vorliege. Auf eine bestehende Dysthymie habe sich eine depressive Episode aufgelagert. Insoweit ist anzumerken, dass eine Dysthymie im unteren Bereich der psychischen Erkrankungen anzusiedeln ist und eine Episode einen vorübergehenden, jedoch keinen Dauercharakter aufweist. Auch belegt Dr. Ö. die von ihm bei den durchgeführten Tests erhobenen Befunde nicht mit Hilfe eines Beschwerdevalidierungstests, was aufgrund der Schilderung von Dr. W. nahegelegen hätte. Auch Dr. D. schilderte in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 22.09.2014 eine starke Äußerung der Leidenssituation mit etwas demonstrativem Charakter. Beides hätte Dr. Ö. dazu veranlassen müssen, hier seine Befunde zu validieren. Im Übrigen spricht er in seinem Gutachten vom 23.03.2015 auch davon, dass der Kläger noch leichte Tätigkeiten drei bis sechs Stunden täglich (Bl. 98 der SG-Akte) verrichten könne, eine entsprechende Aussage findet sich auf Bl. 97 der SG-Akte. Erst auf Nachfrage des Senats hat er insofern eine Einschränkung dahingehend gemacht, dass dem Kläger Tätigkeiten nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich zuzumuten seien (auf der Grundlage der von ihm ursprünglich durchgeführten Untersuchung). Dies überzeugt den Senat nicht. Etwas anderes lässt sich auch nicht auf die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. D. stützen. Dieser gab zwar an, eine sechsstündige Arbeit sei für den Kläger noch nicht leistbar und durchführbar. Er stützte sich insoweit jedoch insbesondere auf die noch nicht geklärten Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule. Objektive Befunde vermochte er nicht zu benennen. Nicht außer Acht gelassen werden darf insoweit auch, dass Dr. D. den Kläger erst seit Ende September 2013 behandelt. Die Behandlung findet in monatlichen Abständen statt. Eine Intensivierung erfolgte bisher nicht. Insbesondere war auch noch keine stationäre Abklärung erforderlich. Von Bedeutung ist auch der Arztbrief des Dr. D. vom 27.09.2013, den er seiner sachverständigen Zeugenauskunft beifügte, wonach der Kläger "natürlich auch an eine Berentung denke, dazu sei er aber noch viel zu jung. Er müsse zum Arbeitsamt und noch etwas arbeiten". Dies belegt, dass auch Dr. D. - zumindest zunächst - nicht von einer rentenberechtigenden Einschränkung des Leistungsvermögens ausging. Nach seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 22.09.2014 ist es mittlerweile sogar zu einer gewissen Beruhigung gekommen, was Hinweise auf eine Besserung darlegt. Depressionserkrankungen führen im Übrigen nicht unbesehen zur Berentung. Sie sind vielmehr behandelbar und auch zu behandeln, bevor Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI angenommen werden kann (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 25.05.2016, - L 5 R 4194/13 -, in juris). Wie aus den Leitlinien der Beklagten für die sozialmedizinische Begutachtung (Stand August 2012, Leitlinien) hervorgeht, bedingt eine einzelne mittelgradige oder schwere depressive Episode in den meisten Fällen vorübergehende Arbeitsunfähigkeit und erfordert eine Krankenbehandlung, stellt jedoch in Anbetracht der üblicherweise vollständigen Remission keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit dar. Eine ungünstige Prognose bzgl. der Erwerbsfähigkeit kommt danach (erst) in Betracht, wenn mehrere der folgenden Faktoren zusammentreffen: eine mittelschwer bis schwer ausgeprägte depressive Symptomatik, ein qualifizierter Verlauf mit unvollständigen Remissionen, erfolglos ambulante und stationäre, leitliniengerecht durchgeführte Behandlungsversuche, einschließlich medikamentöser Phasenprophylaxe (z. B. Lithium, Carbamazepin, Valproat), eine ungünstige Krankheitsbewältigung, mangelnde soziale Unterstützung, psychische Kurmorbidität, lange Arbeitsunfähigkeitszeiten und erfolglose Rehabilitationsbehandlung (Leitlinien Seite 101 f.). Eine Krankengeschichte dieser Art ist bei dem Kläger nicht dokumentiert.

Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) kommt für den erst 1963 und damit nach dem Stichtag für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit geborenen, im Übrigen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch breit verweisbaren Kläger, nicht in Betracht.

Das SG hat die Klage zur Recht abgewiesen, weshalb die Berufung des Klägers erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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