L 10 LW 2545/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 LW 3296/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 LW 2545/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18.05.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim durch Vergleich endete.

Der am 1968 geborene Kläger bewirtschaftete ab April 1998 ein Unternehmen des Gartenbaus und entrichtete entsprechende Pflichtbeiträge zur Beklagten (vgl. Bl. 86 ff. VA). Im Januar 2008 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Nach Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens (Stilllegung einer Fläche von insgesamt 7 ar, vgl. Bl. 86 VA) bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 11.08.2008 ab 01.08.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bl. 92 VA).

Mit Bescheid vom 08.12.2010 (Bl. 263 VA) hob die Beklagte diesen Bewilligungsbescheid auf und entzog die Leistung ab dem 01.01.2011 wegen einer angenommenen Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse. Nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens bei Dr. B. (Bl. 369 ff. VA) wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2012 (Bl. 420 VA) zurück. Während des Widerspruchsverfahrens hatte die Beklagte wegen der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches und entsprechend dem Antrag des Klägers (Bl. 285 VA) die Rente bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren und damit bis einschließlich Januar 2012 weitergezahlt.

Gegen die Rentenentziehung erhob der - rechtskundig durch die V. vertretene - Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (S 11 R 690/12). Das Sozialgericht wies die Beteiligten schriftlich darauf hin, dass jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. B. davon auszugehen sei, dass der Kläger wieder erwerbsfähig sei. Ein früherer Zeitpunkt könne nicht mit vergleichbarer Bestimmtheit beurteilt werden, wofür die Beklagte die Beweislast trage. Das Sozialgericht regte dann zur einvernehmlichen Beilegung des Rechtsstreits den Abschluss eines Vergleiches an und schlug den Beteiligten folgende Regelung vor (Schreiben vom 04.06.2012):

"1. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 08.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2012 noch für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.08.2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. 2.Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 3. Der Rechtsstreit ist damit erledigt."

Diesem Vergleichsvorschlag stimmte die Beklagte mit am 18.06.2012 beim Sozialgericht eingegangenem Schreiben und der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit am 03.07.2012 beim Sozialgericht eingegangenem Schreiben zu.

Mit Bescheid vom 26.07.2012 (Bl. 471 VA) führte die Beklagte den Vergleich dahingehend aus, dass die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Abänderung des Bescheides vom 08.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2012 mit Ablauf des 31.08.2001 eingestellt wurde. Zugleich forderte sie die Erstattung überzahlter Rente für die Zeit von September 2011 bis Januar 2012 in Höhe von insgesamt 1.447,70 EUR. Nach Zurückweisung des Widerspruchs gegen die Erstattungsforderung (Widerspruchsbescheid vom 14.12.2012, Bl. 492 VA) machte der Kläger im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim (S 9 LW 3379/12) die Unwirksamkeit des Vergleiches geltend. Im hieran sich anschließenden Berufungsverfahren vor dem Senat L 10 LW 3545/15 gegen das klagabweisende Urteil hat der Senat die Verhandlung bis zur Klärung der Frage, ob das Verfahren vor dem Sozialgericht Mannheim S 11 R 690/12 erledigt ist, bzw. bis zur Erledigung dieses Verfahrens ausgesetzt (Beschluss vom 30.10.2015).

Mit Urteil vom 18.05.2016, S 14 LW 3296/15 hat das Sozialgericht Mannheim festgestellt, dass das Verfahren S 11 R 690/12 durch Vergleich erledigt wurde. Ausgehend vom Vorliegen eines gerichtlichen Vergleiches und damit der Doppelnatur eines Prozessvergleiches hat es ausgeführt, dass der geschlossene Vergleich nicht aus prozessrechtlichen Gründen unwirksam sei. Er sei aber auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam, insbesondere nicht gemäß § 58 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) i.V.m. Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig. Der Vergleich sei auch nicht nach § 779 BGB unwirksam, insbesondere habe kein Irrtum aller den Vergleich schließenden Parteien über den zu Grunde gelegten Sachverhalt vorgelegen. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg auf einen Anfechtungsgrund im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB berufen. Soweit sich der Kläger darauf berufe, er sei sich nicht darüber im Klaren gewesen, erhaltene Rentenzahlungen erstatten sowie Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nachentrichten zu müssen, stelle dies einen klassischen Motivirrtum dar, der nicht zur Anfechtung berechtige. Auch eine Nichtigkeit nach § 58 Abs. 2 SGB X liege nicht vor. Vielmehr sei die Ungewissheit über die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt worden, indem sich die Beteiligten auf einen späteren Zeitpunkt der Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit des Klägers als von der Beklagten ursprünglich angenommen geeinigt hätten, sodass die Voraussetzungen für den Abschluss eines Vergleichsvertrages (§ 54 Abs. 1 SGB X) vorgelegen hätten.

Gegen das ihm am 11.06.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.07.2016 Berufung eingelegt. Er verweist auf ihm im Zeitpunkt der Zustimmung zum Vergleich nicht klar gewesene Auswirkungen des Wegfalls der Rente verschiedenster Art und die Tatsache, dass das Problem seiner Hofabgabe nicht geklärt worden sei. Schließlich habe die falsche Kammer das Verfahren bearbeitet, sodass schon aus prozessrechtlichen Gründen eine Verfahrensbeendigung nicht wirksam erfolgt sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18.05.2016 aufzuheben und festzustellen, dass der Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Mannheim S 11 R 690/12 nicht durch Vergleich erledigt ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Der Kläger hat in der Berufung zulässigerweise den in erster Instanz gestellten Antrag auf Aufhebung des Bescheides vom 08.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2012 nicht weiter verfolgt und nur die Feststellung beantragt, dass der Rechtsstreit S 11 R 690/12 nicht durch Vergleich erledigt ist. Anders als das Sozialgericht könnte der Senat über eine Anfechtungsklage inhaltlich nicht entscheiden, weil hierzu - über die Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 08.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2012 - keine Entscheidung des Sozialgerichts vorliegt. Entsprechend ist dem Bedürfnis des Klägers auf Klärung, ob das Verfahren S 11 R 690/12 erledigt ist oder nicht, allein durch die Feststellungsklage Rechnung zu tragen (ebenso BSG, Urteil vom 17.05.1989, 10 RKg 16/88 in SozR 1500 § 101 Nr. 8 für das Revisionsverfahren).

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausführlich und zutreffend dargelegt, dass der seitens der Beklagten mit am 18.06.2012 beim Sozialgericht eingegangenem Schreiben und seitens des Klägers mit am 03.07.2012 eingegangenem Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten angenommene Vergleichsvorschlag den Rechtsstreit S 11 R 690/12 beendete. Es hat dabei zutreffend geprüft, inwieweit Nichtigkeitsgründe in Bezug auf die abgegebenen Willenserklärungen (Annahme des Vergleichsvorschlages) bzw. den Inhalt des Vergleiches (u.a. § 58 Abs. 2 SGB X) oder aus sonstigen Gründen (insbes. § 779 BGB) vorliegen könnten und inwieweit die vom Kläger (zumindest sinngemäß) geäußerte Anfechtung der Zustimmung seiner damaligen Prozessbevollmächtigten zum gerichtlichen Vergleichsvorschlag durch einen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum geprägt waren. Es hat dabei zutreffend sowohl Nichtigkeitsgründe als auch einen anfechtungsberechtigenden Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB verneint und die vom Kläger vorgebrachten Umstände (nicht erfasste weitere Wirkungen der geschlossenen Vereinbarung, wie Erstattungsansprüche) als unbeachtlichen Motivirrtum angesehen. Der Senat sieht daher insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Lediglich ergänzend und insoweit die Ausführungen des Sozialgerichts korrigierend ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem geschlossenen Vergleich nicht um einen gerichtlichen Vergleich handelt, weil dieser Vergleich weder protokolliert wurde noch gemäß § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) durch Beschluss das Zustandekommen und der Inhalt eines angenommenen schriftlichen Vergleichsvorschlages durch das Gericht festgestellt wurde. Damit fehlt es für die Annahme eines gerichtlichen Vergleiches i.S. des § 101 SGG an dem zwingenden Erfordernis einer Protokollierung (vgl. § 101 Abs. 1 SGG in der damals geltenden Fassung) bzw. eines feststellenden Beschlusses im Sinne des § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO. Es handelt sich somit um einen außergerichtlichen Vergleich (s. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 101 Rdnr. 9a). Soweit das Sozialgericht meint, der gesetzlich vorgesehene Beschluss nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO habe lediglich feststellenden Charakter, ändert dies nichts daran, dass diese Feststellung - weil sie die ansonsten vorgesehene Protokollierung ersetzt - Voraussetzung für die Annahme eines gerichtlichen Vergleiches ist. Es bedarf daher auch keiner weiteren Erörterung, dass die Anwendung des § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO schon deshalb nicht durch § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG (gerichtlicher Vergleich auf der Grundlage eines in Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlages) verdrängt wurde, weil diese Regelung erst 2013 in das SGG eingefügt wurde.

Gleichwohl führte die Annahme des vom Sozialgericht unterbreiteten Vergleichsvorschlages durch die Beteiligten zur Erledigung des Klageverfahrens. Denn Gegenstand des gerichtlichen Vergleichsvorschlages und damit der Zustimmungserklärungen der Beteiligten war (Nr. 3 des Vorschlages) auch eine Erklärung über die Erledigung des Rechtsstreits. Eine solche übereinstimmende Erledigungserklärung der Beteiligten führt zur Erledigung des Verfahrens (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 125 Rdnrn. 6 ff. m.w.N.).

In Bezug auf den auch im Berufungsverfahren vom Kläger wiederholten Vortrag, er sei Irrtümern unterlegen, sind die - zutreffenden - Ausführungen des Sozialgerichts, dass lediglich nicht zur Anfechtung berechtigende Motivirrtümer vorlagen, dahingehend zu ergänzen, dass es auf derartige Irrtümer beim Kläger schon deshalb nicht ankommt, weil er bei Erklärung der Zustimmung zum schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch seine Prozessbevollmächtigten vertreten war. Nach § 166 Abs. 2 BGB kommt es aber für die Frage des Vorliegens anfechtungsberechtigender Irrtümer allein auf den Vertreter, nicht auf den Vertretenen an. Dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers einem Irrtum unterlegen wären, behauptet selbst der Kläger nicht.

Soweit der Kläger auch im Berufungsverfahren die Hofabgabe problematisiert, ist diese Frage nicht von entscheidungsrelevanter Bedeutung. Denn für die vergleichsweise Erledigung war die Frage der Hofabgabe ohne Bedeutung. Gegenstand des damaligen Rechtsstreits war der vom Kläger angefochtene Bescheid vom 08.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2012 und damit die Entziehung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung und zwar deshalb, weil die Beklagte davon ausging, dass die rentenrelevante Leistungseinschränkung, also die Erwerbsminderung als eine von mehreren Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, entfallen war. Für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Anfechtungsklage allein ausschlaggebend war deshalb, und dies wurde vom Gericht und den Beteiligten auch so gesehen, ob bzw. wann diese Änderung eingetreten war. Die weiteren Voraussetzungen des Anspruchs (vgl. § 13 ALG, u.a. Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft) waren für die Rentenentziehung nicht relevant, da sie ja - dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten - weiterhin vorlagen. Anders als für die Begründung des Anspruchs auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, für den alle Voraussetzungen vorliegen müssen (also auch die Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens), genügt es für die Rentenentziehung, wenn nur eine Voraussetzung entfällt, im vorliegenden Fall also die Leistungsminderung. Entsprechend wurde der Vergleichsvorschlag auch mit Ausführungen zum nachgewiesenen Zeitpunkt einer Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit - und damit des Wegfalls der rentenrelevanten Leistungsminderung - begründet. Soweit der Kläger meint, im Rahmen der Rentenentziehung und somit des Vergleiches hätten auch Aspekte der Hofabgabe, seiner Lebensgestaltung bzw. späterer Ansprüche, u.a. auf Altersrente, berücksichtigt werden müssen, trifft dies nicht zu.

Soweit der Kläger rügt, dass im Verfahren S 11 R 690/12 ein unzuständiger Richter tätig geworden sei, ist auch dies ohne Relevanz für die Beurteilung der hier allein maßgebenden Frage der Wirksamkeit des vom Gericht unterbreiteten und von den Beteiligten angenommenen Vergleichsvorschlages. Ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter liegt insoweit schon deshalb nicht vor, weil im damaligen Verfahren durch die Kammer keine Entscheidung getroffen wurde. Vielmehr einigten sich die Prozessbeteiligten auf Grund eigener Willensentscheidung über einen vom Gericht unterbreiteten Vergleichsvorschlag. Maßgebend für die Erledigung waren also übereinstimmende Willenserklärungen der Beteiligten, im Falle des Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten, geprägt durch den Inhalt des vom Gericht vorgeschlagenen Vergleiches. Die Frage der Zuständigkeit des Gerichts spielt insoweit keine Rolle. Im Übrigen wäre es sogar unschädlich gewesen, wenn der unzuständige Richter den Vergleich protokolliert hätte (vgl. Leitherer, a.a.O., Rdnr. 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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