L 11 KR 2033/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 KR 2640/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2033/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.05.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger macht einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld (Krg) in Höhe von kalendertäglich 62,70 EUR für die Zeit vom 04.05. bis zum 15.06.2015 geltend.

Der 1984 geborene Kläger war aufgrund einer am 15.12.2014 aufgenommenen Beschäftigung als Verkäufer in einem Supermarkt bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Das Arbeitsverhältnis bestand bis zum 30.04.2015. Am 17.06.2015 hat sich der Kläger arbeitslos gemeldet.

Mit einer als Erstbescheinigung gekennzeichneten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Muster 1a; 7/2008) attestierte die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. J. dem Kläger am 12.03.2015 das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit (AU), zunächst bis voraussichtlich zum 21.03.2015. Als Diagnosen gab sie an G47.9 G (Schlafstörung, nicht näher bezeichnet) und F48.0 G (Neurasthenie). Mit weiteren Folgebescheinigungen, die letzte ausgestellt am 22.04.2015 (Muster 1a; 10/2014), bestätigte die Ärztin AU aufgrund derselben Diagnosen bis zum 03.05.2015 (Sonntag). Zusätzlich zu den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach Muster 1a stellte Dr. J. auch einen Auszahlschein für Krankengeld aus, in dem aber nicht alle Felder ausgefüllt waren. Der Auszahlschein enthielt neben den bekannten Diagnosen lediglich folgende Feststellungen: zuletzt vorgestellt am 21.04.2015, nächster Praxisbesuch am 02.05.2015. Angaben darüber, ob noch AU besteht und ggf voraussichtlich wie lange, enthält der Auszahlschein nicht. Mit der nächsten Folgebescheinigung (Muster 1a; 10/2014) stellte Dr. J. am 04.05.2015 eine voraussichtlich bis 15.05.2015 bestehende AU fest. Schließlich wurde am 27.05.2015 AU noch bis zum 15.06.2015 bescheinigt.

Der Kläger erhielt bis zum 22.04.2015 Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber und ab 23.04.2015 von der Beklagten Krg in Höhe von kalendertäglich 62,70 EUR. Mit Bescheid vom 09.06.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2015 auch seine Mitgliedschaft bei der Beklagten ende. Bei Personen, die über das Beschäftigungsende hinaus ununterbrochen arbeitsunfähig seien, bleibe die Mitgliedschaft einschließlich des Anspruchs auf Krg bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Voraussetzung dafür sei, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten nahtlos bescheinigt würden. In seinem Fall sei diese Voraussetzung nicht erfüllt. Eine nahtlose Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit liege nur bis zum 03.05.2015 vor. Seine Mitgliedschaft und damit verbunden auch der Anspruch auf Krg ende somit am 03.05.2015. Die nachfolgende Arbeitsunfähigkeit sei nach dem Ende der Mitgliedschaft am 04.05.2015 ausgestellt worden. Ab dem 04.05.2015 bestehe für den Kläger eine Familienversicherung nach § 10 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch, mit dem er sich auf verschiedene Urteile von Sozialgerichten berief, wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2015 als unbegründet zurück.

Am 19.08.2015 hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Er räumte ein, dass die von der Rechtsprechung des BSG geforderte nahtlose Feststellung der AU nicht vorliegen dürfte. Es lägen jedoch die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches vor. Die Beklagte habe ihm zwar ein Informationsblatt übersandt, dieses sei ihm aber zu spät, nämlich erst zu einem Zeitpunkt zugegangen, als seine Mitgliedschaft bereits beendet gewesen sei. Hätte die Beklagte ihn rechtzeitig informiert, hätte er seine AU auch nahtlos bescheinigen lassen können. Hätte die neugefasste Regelung des § 46 SGB V bereits am 03.05.2015 gegolten, hätte er einen Anspruch auf Krg. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 04.05.2016 abgewiesen und ua darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des BSG auch ein Herstellungsanspruch ausscheide.

Am 02.06.2016 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hält an seiner bereits im Klageverfahren dargelegten Auffassung fest.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.05.2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld für die Zeit vom 04.05. bis zum 15.06.2015 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.05.2016 zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Berufung ohne mündliche Verhandlung; die Beteiligten haben sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist statthaft. Bei einem streitigen Betrag von kalendertäglich 62,70 EUR für einen Zeitraum von sechs Wochen ist die Berufungssumme des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG von 750 EUR deutlich überschritten. Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG) und ist daher auch im Übrigen zulässig. Die Berufung ist aber unbegründet. Der Kläger hat für die Zeit vom 04.05. bis 15.06.2015 keinen Anspruch auf Krg. Dies hat das SG mit zutreffender Begründung entschieden.

Rechtsgrundlage für das Klagebegehrten sind die §§ 44 und 46 SGB V. Nach § 44 Abs 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt werden. Der Anspruch auf Krg entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt (§ 46 Satz 1 SGB V in der bis 22.07.2015 geltenden Fassung - § 46 Satz 1 SGB V aF). Die Voraussetzungen eines Krankengeldanspruchs, also nicht nur die AU, sondern auch die ärztliche Feststellung der AU, müssen bei zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krankengeldgewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (BSG 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 12). Zudem muss der Versicherte die AU und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bestimmt allein das bei Entstehen eines Krg-Anspruchs bestehende Versicherungsverhältnis, wer in welchem Umfang als Versicherter Anspruch auf Krg hat (BSG 05.05.2009, B 1 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 4; BSG 02.11.2007, B 1 KR 38/06 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 14). Wird Krg wegen ärztlich festgestellter AU begehrt, ist für den Umfang des Versicherungsschutzes grundsätzlich auf den Tag abzustellen, der dem Tag nach Feststellung der AU folgt (vgl etwa BSG 26.06.2007, B 1 KR 37/06 R, juris). Das Gesetz bietet hierbei keinerlei Anhaltspunkte, dass es sich bei § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V aF um eine bloße Zahlungsvorschrift handelt. Auch gibt es keinen Anhalt dafür, dass der Anspruch aus § 44 SGB V schon bei Eintritt der AU entsteht (BSG 26.06.2007, a.a.O.). Maßgebend für das Entstehen eines Krg-Anspruches ist somit das Bestehen des Versicherungsverhältnisses an dem Tag, der sich an jenen anschließt, an dem ein Arzt selbst tatsächlich AU festgestellt hat. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut und -zweck ist es für den Krg-Anspruch unerheblich, wenn der Arzt an diesem Tage einen früheren Beginn der AU bescheinigt (BSG 26.06.2007, aaO).

Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Krg lagen nur bis zum 03.05.2015 vor. Bis zu diesem Tag war der Kläger mit Anspruch auf Krg versichert und die AU des Klägers ärztlich festgestellt. Am 04.05.2015 war der Kläger dagegen nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert. Die aus § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V folgende Mitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung, die auch einen Anspruch auf Krg beinhaltete (§ 44 Abs 1 SGB V), endete nicht bereits gemäß § 190 Abs 2 SGB V mit Ablauf des Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt endete, sondern bestand gemäß § 192 Abs 1 Nr 2 SGBV über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses am 30.04.2015 hinaus bis zum 03.05.2015 fort, weil der Kläger bis zu diesem Tag einen Anspruch auf Krg hatte. Die Feststellung der AU durch die Hausärztin des Klägers am 04.05.2015 hätte zwar ebenfalls einen Anspruch auf Krg begründen können, aber erst von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt (§ 46 Satz 1 SGB V aF), also ab dem 05.05.2015. Da aber die Versicherung des Klägers mit Anspruch auf Krg mit Ablauf des 03.05.2015 bereits geendet hatte, war der Kläger am 05.05.2015 nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert. Der Kläger hätte seine AU spätestens am 03.05.2015 feststellen lassen müssen. Dies ist nicht geschehen. Die vom Kläger im April 2015 vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen enthalten die Feststellung der AU längstens bis 03.05.2015. In dem zusätzlich ausgestellten Auszahlschein für Krankengeld waren nicht alle Felder ausgefüllt. Der Auszahlschein enthielt neben den bekannten Diagnosen lediglich folgende Feststellungen: zuletzt vorgestellt am 21.04.2015, nächster Praxisbesuch am 02.05.2015. Angaben darüber, ob noch AU besteht und ggf voraussichtlich wie lange, enthält der Auszahlschein nicht. Daraus lässt sich eine Feststellung der AU über den 03.05.2015 hinaus nicht ableiten. Erst mit der Folgebescheinigung (Muster 1a; 10/2014) vom 04.05.2015 wurde eine voraussichtlich bis 15.05.2015 bestehende AU festgestellt. Die Obliegenheit Versicherter, zur Aufrechterhaltung ihres Krankengeldanspruchs ihre AU vor Ablauf jedes Krankengeldbewilligungsabschnitts erneut ärztlich feststellen lassen, entfällt nicht deshalb, weil der letzte Tag der bescheinigten AU auf einen Sonntag fällt (BSG 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 6 = NZS 2014, 458).

Der Kläger hatte auch keinen nachwirkenden Leistungsanspruch auf Krg. Nach § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V besteht, wenn die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger endet, Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Beim Kläger bestand jedoch ab dem 04.05.2015 eine Familienversicherung gemäß § 10 SGB V. Diese Versicherung, die keinen Anspruch auf Krg umfasst, geht einem nachwirkenden Anspruch nach § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V vor; dies wird in § 19 Abs 2 Satz 2 SGB V ausdrücklich so bestimmt.

Der Kläger kann sich auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt nach den allgemeinen richterrechtlichen Grundsätzen bei einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Es nicht Aufgabe der Krankenkasse, den Versicherten rechtzeitig vor Ablauf des schon festgestellten AU-Zeitraums auf die besondere gesetzliche Regelung und deren im Regelfall gravierende Folgen hinzuweisen. Krankenkassen sind nicht gehalten, Hinweise auf den gesetzlich geregelten Zeitpunkt einer ggf erneut erforderlichen AU-Feststellung zu geben oder solche Hinweise in den Formularen zur Bescheinigung der AU vorzusehen. Insbesondere besteht auch keine Pflicht zur Aufklärung der Versicherten über ihre Obliegenheiten (BSG 16.12.2014, B 1 KR 25/14 R, KrV 2015, 69; BSG 16.12.2014, B 1 KR 19/14 R, KrV 2015, 72). Der Kläger kann sich ferner nicht darauf berufen, zumindest die Vertragsärzte, die für die Beklagte die AU feststellten, müssten bei länger andauernder AU die Versicherten darauf aufmerksam machen, rechtzeitig vor dem Ende der zuletzt bescheinigten AU erneut vorzusprechen (BSG 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, NZS 2014, 458). Es ist deshalb unerheblich, dass der Kläger das ihm von der Beklagten übersandte Informationsblatt erst zu einem Zeitpunkt erhalten hat, als seine Mitgliedschaft bei der Beklagten bereits beendet war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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